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Der Physiker
11.07.2023, 01:48
Hi,

habe dieses Thema schon bei wiwi treff gepostet, sollte aber vielleicht nochmal die Fachleute fragen. Ich studiere aktuell Physik im 1. Mastersemestee und bin seit einiger Zeit sehr verunsichert. Als Kind wollte ich gerne Arzt werden, habe diese Idee dann aber wieder verworfen, weil ich riesige Angst vor Spritzen hatte. Dann habe ich Mathe und Physik für mich entdeckt und hatte nach dem Abi Physik und Elektrotechnik für mich zur Auswahl. Ich habe Physik gewählt, weil mir Elektrotechnik zu viel programmieren war und die Lehrer meinten, mit Physik würde man mit Kusshand genommen werden. Ich hatte auch keine richtige Vorstellung davon, was ich mal machen will. Letzteres hatte mich mit der Zeit zunehmendst gestört und ich wollte (mitten im Bachelor) herausfinden, was mir am Beruf eigentlich wichtig ist. Ich habe dann weiterstudiert und mich zum Lernen gezwungen, obwohl ich mit der Zeit immer unzufriedener wurde mangels Plans. Ich habe mich parallel mit vielen Menschen unterhalten auf verschiedenen Unternehmensmessen und Veranstaltungen. Jetzt kommt noch hinzu, dass der MINT Bereich in Deutschland auf dem absteigenden Ast sein soll. Ich habe über viele Punkte nachgedacht, die mir wichtig sind, von denen ich die meisten verworfen habe, weil sie sowieso nur nice to have sind und in der Realität am Ende anders aussehen werden.

Jetzt sage ich, dass ich gerne einen Beruf hätte, der sicher ist, bei dem ich finanziell sorglos leben und auch mal was gönnen kann und dem ich irgendwas abgewinnen kann, sprich dass ich einen Sinn sehe, ich will morgens aufwachen müssen ohne mir die quälende Frage zu stellen, wie ich bis zum Abend durchhalten solle, weil mir der Job nicht gefällt.

Jetzt denke ich natürlich über Medizin nach. Meine Bedenken sind jedoch dreierlei:
1. Die Assistenzzeit und generell die Arbeit im Krankenhaus ist doch ne Katastrophe
2. Ich mag keine Routinearbeit, ich stehe mehr auf Projekte. Also Fälle, die mich einige Zeit beschäftigen
3. Die Angst vor Nadeln ist zurückgegangen aber wenn ich Blut abgenommen bekomme, kriege ich schon erhöhten Puls. Bei anderen geht es jedoch klar

Alternativ denke ich sogar über Jura nach. Ich möchte einfach der Gefahr entkommen, in einem Arbeitsmarkt zu landen, der unsicher ist und wo die Unternehmen abgehauen sind.

Was meint ihr? Mache ich mich umsonst verrückt? Hättet ihr euch vielleicht sogar gewünscht kein Medizin gemacht zu haben?

Zahnmedizin wäre nichts für mich, weil filigrane Feinarbeit einfach nicht mein Fall ist.

Bonnerin
11.07.2023, 08:47
Jetzt kommt noch hinzu, dass der MINT Bereich in Deutschland auf dem absteigenden Ast sein soll.

Schau mal in den Ärzte-Bereich, die Situation ist außerhalb von Massen-Verheizungsfächern wie der Inneren und Teilen der Chirurgie auch nur maximal mäßig, bei Ortsgebundenheit teilweise schlecht. Dank geht an die Kliniksketten-Lobbyisten. Wegen der Arbeitsaussichten würde ich definitiv keinen Master in Physik abbrechen. Abgesehen davon wärst du ohnehin Zweitstudent, ob du Medizin sinnvoll begründen könntest ist fraglich.

Der Physiker
11.07.2023, 08:55
Schau mal in den Ärzte-Bereich, die Situation ist außerhalb von Massen-Verheizungsfächern wie der Inneren und Teilen der Chirurgie auch nur maximal mäßig, bei Ortsgebundenheit teilweise schlecht. Dank geht an die Kliniksketten-Lobbyisten. Wegen der Arbeitsaussichten würde ich definitiv keinen Master in Physik abbrechen. Abgesehen davon wärst du ohnehin Zweitstudent, ob du Medizin sinnvoll begründen könntest ist fraglich.

Ich hab in der Bachelorarbeit Strahlentherapie gemacht. Das wird wohl von der Gunst des Lesers abhängen, ob das reicht, denn eine jahrelange Forschungstätigkeit ist das jetzt nicht gewesen

xenopus laevis
11.07.2023, 09:47
Lehramt? (ernstgemeint!)

Lass das Medizinstudium sein, wenn es dir nur um Sicherheit geht! Meine Frau hat ein sehr gutes Gehalt (NAWI-Studium/Gehalt obere 10%), arbeitet von zu Hause, Montag bis Freitag-Tätigkeit, freie Arbeitszeitgestaltung. Ja, sie findet mein Gehalt "toll" und sagt gleichzeitig zu meiner Tätigkeit "Für welchen Preis?" (24h/7d). Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner!

Im Krankenhaus gibt es auch "keine" Projekte. Viel ist Routinearbeit! Wer wünscht sich nicht in seinem Beruf die Erfüllung zu sehen? Die Realität ist dann eine andere.

Der Physiker
11.07.2023, 10:56
Lehramt? (ernstgemeint!)

Lass das Medizinstudium sein, wenn es dir nur um Sicherheit geht! Meine Frau hat ein sehr gutes Gehalt (NAWI-Studium/Gehalt obere 10%), arbeitet von zu Hause, Montag bis Freitag-Tätigkeit, freie Arbeitszeitgestaltung. Ja, sie findet mein Gehalt "toll" und sagt gleichzeitig zu meiner Tätigkeit "Für welchen Preis?" (24h/7d). Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner!

Im Krankenhaus gibt es auch "keine" Projekte. Viel ist Routinearbeit! Wer wünscht sich nicht in seinem Beruf die Erfüllung zu sehen? Die Realität ist dann eine andere.

Ich habe aber keine Lust mein ganzes Leben quadratische Funktionen zu erklären. Ist irgendwann auch langweilig. Außerdem werden die Schüler immer respektloser. Zwar hab ich immer ganz gern Nachhilfe gegeben, aber Schüler, die echt lange brauchen, rauben mir wirklich viel Geduld.

Was die 24 Stunden Dienste angeht. Da ist doch sehr oft Bereitschaft miteinberechnet und "nur" weil man Bereitschaft hat, heißt es doch nicht automatisch, dass man auch aktiv werden muss? Effektiv hat man dann doch keine 24h Dienst.

Und sobald man eine eigene Praxis hat, sieht es doch eh wieder viel besser aus mit den Arbeitszeiten.

Auf Projekte könnte ich meinetwegen auch verzichten, es soll nur nicht langweilig werden.

Ich finde es katastrophal, wenn ich morgens aufstehe und kein Bock auf den Tag habe. Wenn das der Zustand ist, wofür lebt man dann eigentlich, wenn man schon fast jeden Tag des Lebens kein Bock auf den Tag hat? Dann hat man quasi kein Bock auf das Leben

Kackbratze
11.07.2023, 11:00
Im Krankenhaus gibt es auch "keine" Projekte. Viel ist Routinearbeit! Wer wünscht sich nicht in seinem Beruf die Erfüllung zu sehen? Die Realität ist dann eine andere.

Das aktuelle Projekt an dem wir teilnehmen finde ich, seit meinem Arbeitsbeginn, am spannendsten.
Kürzungen im Gehalt, dank Erhöhung der Inflation und der Abzüge, schlechtere Patientenversorgung ohne es den Patienten direkt zu sagen und Mehrarbeit dank weniger Kollegen, weil die ja Geld kosten.
Wenn das kein Jahrhundertprojekt ist, was dann?

Choranaptyxis
11.07.2023, 11:08
Was die 24 Stunden Dienste angeht. Da ist doch sehr oft Bereitschaft miteinberechnet und "nur" weil man Bereitschaft hat, heißt es doch nicht automatisch, dass man auch aktiv werden muss? Effektiv hat man dann doch keine 24h Dienst.

Die meisten müssen natürlich nie in der Bereitschaft raus. *Ironieoff Ernstgemeinte Aussage? In Chirurgie und Innere genauso wie Anästhesie dürftest du am ehesten auf hier und da mal 1-2h gestückelt Pause kommen und damit morgens nicht total ausgeruht aus dem Dienst gehen.

Und dass Medizin keine Projektarbeit ist, dürfte auch klar sein. 5-10min pro Patient in der Praxis ist viel, aber garantiert kein riesiges Projekt.

Der Physiker
11.07.2023, 11:19
Dann frage ich anders.
Als Laie stellt man sich vor, dass man nach einigen Jahren grauenhaft harter Arbeit im Krankenhaus dann eine Praxis gründet oder übernimmt und man dann praktisch ein perfektes Leben hat. Nicht falsch verstehen, ich will das gar nicht behaupten, sondern fragen, ob das stimmt und wenn nicht, wie ist es dann? Weil man sich das nunmal erstmal so vorstellt. Also ist es denn nicht so, dass man recht planbar in die eigene Praxis kann, finanziell sorglos ist, fachnah arbeiten kann und einen sicheren Beruf hat?

Nefazodon
11.07.2023, 11:25
Was die 24 Stunden Dienste angeht. Da ist doch sehr oft Bereitschaft miteinberechnet und "nur" weil man Bereitschaft hat, heißt es doch nicht automatisch, dass man auch aktiv werden muss? Effektiv hat man dann doch keine 24h Dienst.

Genau das ist die Argumentation der Arbeitgeber. Und der einzige Grund warum 24h Dienste offiziell überhaupt legal sind.
Die Realität sieht leider anders aus, siehe Post von Choranaptyxis. Für die Neurologie kann ich nur bestätigen, dass man leider oft durcharbeitet.


Also ist es denn nicht so, dass man recht planbar in die eigene Praxis kann, finanziell sorglos ist, fachnah arbeiten kann und einen sicheren Beruf hat?

Also erstmal musst Du überhaupt einen Kassensitz finden, den Du übernehmen kannst. Der kostet dann zunächst einmal Geld. D.h. Du machst Schulden. Alles kein Problem, solange Du gesund bleibst. Aber wehe Du wirst krank und fällst aus.
Mit einer Selbstständigkeit gehen auch viele Risiken einher...!
Dazu bürokratischer Aufwand mit der Praxisführung und den Krankenkassen...
Ich würde mir gut überlegen, ob ich das will.

Gegenfrage: Wie alt bist Du nochmal? Überleg dir gut, ob Du nochmal 6 Jahre Studium und 5-6 Jahre Assistenzarztzeit für die Facharztausbildung auf dich nehmen willst, nur um dann eine Praxis zu gründen.

Der Physiker
11.07.2023, 11:57
Also erstmal musst Du überhaupt einen Kassensitz finden, den Du übernehmen kannst. Der kostet dann zunächst einmal Geld. D.h. Du machst Schulden. Alles kein Problem, solange Du gesund bleibst. Aber wehe Du wirst krank und fällst aus.
Mit einer Selbstständigkeit gehen auch viele Risiken einher...!
Dazu bürokratischer Aufwand mit der Praxisführung und den Krankenkassen...
Ich würde mir gut überlegen, ob ich das will.

Gegenfrage: Wie alt bist Du nochmal? Überleg dir gut, ob Du nochmal 6 Jahre Studium und 5-6 Jahre Assistenzarztzeit für die Facharztausbildung auf dich nehmen willst, nur um dann eine Praxis zu gründen.

Was ist dann die Perspektive für all die Mediziner? Ich kaufe keinem ab, dass er bis kurz vor der Rente noch 70h/Woche arbeitet. Was ist dann die langfristige Perspektive? Angestellt in einer Praxis? Ist doch auch in Ordnung oder nicht?

Duke Nukem
11.07.2023, 12:20
Hi,
Was meint ihr? Mache ich mich umsonst verrückt? Hättet ihr euch vielleicht sogar gewünscht kein Medizin gemacht zu haben?


Ich habe in dem was Du geschrieben hast relativ wenig intrinsische Begeisterung für Medizin rausgelesen. Du schreibst viel über Vor- und Nachteile, Arbeitsbedingungen, etc, aber wenig dazu, ob das im Kern ein job ist, den Du machen willst. Also: hast Du Lust auf so ein anstrengendes Studium, auf die Arbeit mit Patienten, auf das Arzt-sein?
Dazu kommt: Arzt-sein klingt für viele so toll., aber Arzt-werden ist dann oft weniger schön. Gerade ein Zweitstudium Medizin erscheint mir nach Gesprächen mit Kommilitonen eine relativ harte Lebensentscheidung zu sein, die eine Menge Leidensfähigkeit voraussetzt. Das würde ich mir an Deiner Stelle überlegen.

Kackbratze
11.07.2023, 13:55
Was ist dann die Perspektive für all die Mediziner? Ich kaufe keinem ab, dass er bis kurz vor der Rente noch 70h/Woche arbeitet. Was ist dann die langfristige Perspektive? Angestellt in einer Praxis? Ist doch auch in Ordnung oder nicht?

Die Perspektive? Je nach Fachbereich. In der Chirurgie bis 70 durchkloppen, dann mit der ersten Weltreise wenigsten die Rückreise liegend im Frachtraum verbringen.

Der Physiker
11.07.2023, 15:30
Ich habe in dem was Du geschrieben hast relativ wenig intrinsische Begeisterung für Medizin rausgelesen. Du schreibst viel über Vor- und Nachteile, Arbeitsbedingungen, etc, aber wenig dazu, ob das im Kern ein job ist, den Du machen willst. Also: hast Du Lust auf so ein anstrengendes Studium, auf die Arbeit mit Patienten, auf das Arzt-sein?
Dazu kommt: Arzt-sein klingt für viele so toll., aber Arzt-werden ist dann oft weniger schön. Gerade ein Zweitstudium Medizin erscheint mir nach Gesprächen mit Kommilitonen eine relativ harte Lebensentscheidung zu sein, die eine Menge Leidensfähigkeit voraussetzt. Das würde ich mir an Deiner Stelle überlegen.

Intrinsisches Interesse ist natürlich vorausgesetzt. Außerdem wollte ich das ausdrücken, indem ich sagte, dass mich das als Kind schon interessiert hat. Tatsächlich war neben der Physik die Medizin fachlich mein stärkstes intrinsisches Interesse gewesen und sogar das erste.

Ich mache bald auch noch ein Praktikum im medizinischen Bereich, um noch mal wirklich dort gestanden zu haben und zu sehen, wie die reale Erfahrung ist

rafiki
11.07.2023, 17:23
Ich finde es katastrophal, wenn ich morgens aufstehe und kein Bock auf den Tag habe. Wenn das der Zustand ist, wofür lebt man dann eigentlich, wenn man schon fast jeden Tag des Lebens kein Bock auf den Tag hat? Dann hat man quasi kein Bock auf das Leben

Dass das eine Frage der inneren Einstellung ist, weisst du sicher. Übrigens kann man jeden Pat. als "Projekt" betrachten.

Bezüglich Dienste: Das kann sehr unterschiedlich sein. Ich hatte vor Jahren mal einen Honorar-Nebenjob, für den ich 60 h am Stück "gearbeitet" habe, was vor allem aus Schlafen, Essen (4-Gänge-Menu einer Privatklinik) und Spazieren bestand (also ein WE Erholung für 3k Taschengeld).

Perspektive: Nach ca. 20 Berufsjahren nicht mehr selbst, sondern das Vermögen arbeiten lassen und selbst nur noch absolut vergnügliche Berufstätigkeiten machen, das dann aber gerne bis Ü80.

Der Physiker
11.07.2023, 20:21
Perspektive: Nach ca. 20 Berufsjahren nicht mehr selbst, sondern das Vermögen arbeiten lassen und selbst nur noch absolut vergnügliche Berufstätigkeiten machen, das dann aber gerne bis Ü80.

Und wie das bei den schwer zu kriegenden Kassensitzen?

rafiki
11.07.2023, 20:23
Kassensitz? Um Himmels Willen.

Der Physiker
11.07.2023, 20:55
Kassensitz? Um Himmels Willen.
Ja auf welche Form der Selbstständigkeit spielst du dann an?

Der Physiker
11.07.2023, 20:58
Gerade ein Zweitstudium Medizin erscheint mir nach Gesprächen mit Kommilitonen eine relativ harte Lebensentscheidung zu sein, die eine Menge Leidensfähigkeit voraussetzt. Das würde ich mir an Deiner Stelle überlegen.
Wie war das bei denen denn gewesen?

Duke Nukem
11.07.2023, 22:11
Wie war das bei denen denn gewesen?

Ich habe das so mitbekommen, dass viele sich damit quälen. Mit dem Auswendiglernen, dem "Alter", aber halt auch dem allgemeinen Lebensproblem, dass je älter man wird, desto mehr Zwänge und Verpflichtungen hat man und Medizin studieren macht man besser als freier, junger Mensch, der keine Zwänge, keinen Druck und keine Arbeit hat.
Ein bisschen unterscheiden muss man das von den "hat schonmal was studiert" Leuten, die sich noch vor Abschluss eines Bachelors beworben haben und dann halt noch ihren alten Abschluss fertig gemacht haben. Die fallen eigentlich nicht auf, wenn man sich nicht gerade für Lebensläufe von Kommilitonen interessiert.

Der Physiker
11.07.2023, 22:36
Ich habe das so mitbekommen, dass viele sich damit quälen. Mit dem Auswendiglernen, dem "Alter", aber halt auch dem allgemeinen Lebensproblem, dass je älter man wird, desto mehr Zwänge und Verpflichtungen hat man und Medizin studieren macht man besser als freier, junger Mensch, der keine Zwänge, keinen Druck und keine Arbeit hat.
Ein bisschen unterscheiden muss man das von den "hat schonmal was studiert" Leuten, die sich noch vor Abschluss eines Bachelors beworben haben und dann halt noch ihren alten Abschluss fertig gemacht haben. Die fallen eigentlich nicht auf, wenn man sich nicht gerade für Lebensläufe von Kommilitonen interessiert.

Naja, bin 22. Ist das etwa alt?