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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Doppelter Facharzt Neurologie und Psychiatrie



RussianAngel
18.10.2023, 17:45
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lange war mein langfristiges Ziel den doppelten Facharzt für Psychiatrie und Neurologie zu machen. Je näher ich aber an den ersten Facharzt ranrücke (Psychiatrie), desto mehr denke ich mir, dass es eine unnötige Verlängerung der Lehrjahre (auch bekannt als Leidensjahre) darstellt...Bis auf den fachlichen Gewinn (ggf. mancherorts mehr Anerkennung) sehe ich irgendwie keinen richtig so praktischen Gewinn...Man arbeitet ja im Endeffekt doch nur in der einen Fachrichtung, es ist schön die andere auch zu kennen, aber sonst weiss ich nicht...Auch kann man einfach nicht überall gleich gut sein (muss man ja auch nicht), daher frage ich mich einfach, ob ich das durchziehe oder eventuell meine Zeit irgendwie besser investiere :)

Danke allen für die Rückmeldungen, bin gespannt, was die erfahrenen Kollegen berichten. :)

rafiki
18.10.2023, 18:29
Kommt darauf an, was du langfristig machen willst. Im niedergelassenen Bereich gibt es noch viele Kollegen, die offiziell beides machen, meist mit einem klaren Schwerpunkt auf Neurologie. Die Psychiatrie läuft dann eher so nebenher, nach meiner Erfahrung dann meist leider nicht besonders gut.
Im stationären Umfeld gibt es eine klare Trennung. Hilfreich kann dieser Doppelfacharzt aber in der Versorgung von im engeren Sinne neuropsychiatrischen Störungen sein, z. B. Parkinson mit Psychose/Depression, Epilepsie bei Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung, organische Verhaltensstörungen nach Hirnverletzung, Differentialdiagnostik seltener Demenzformen u. a.

Für die allgemeine klassische Psychiatrie braucht man keinen Neuro-FA, sehr wohl aber gute Neurokenntnisse.

Nefazodon
18.10.2023, 19:50
Letztlich musst Du das für dich abwägen.

Nach meiner Einschätzung hat es monetär zumindest keine Vorteile.

Die Frage ist halt, wie spannend Du selbst die Neuro findest und ob Du dich auf diesem Gebiet weiterentwickeln möchtest.

anignu
18.10.2023, 22:09
Nach meiner Einschätzung hat es monetär zumindest keine Vorteile.
Naja, in gewisser Weise schon:
In Bezug auf eigene Niederlassung kannst du Neuro-Sachen abrechnen. Wenn eine psychiatrische Klinik, aus welchen Gründen auch immer, einen Neurologen dringend braucht, hast du Verhandlungsmasse entweder in Richtung höhere Position oder höhere Vergütung.
Es gibt da schon Möglichkeiten. Die Frage ist halt was man will.

davo
19.10.2023, 12:34
Ich bin kein erfahrener Kollege, und ich arbeite auch nicht in Deutschland, aber finde den Doppelfacharzt wenig sinnvoll. Obwohl ich früher auch mit dieser Idee kokettiert habe.

Jeder Doppelfacharzt, den ich kenne, hat sich in seinem Arbeitsalltag sehr eindeutig auf eines der beiden Fächer spezialisiert.

Bei den allermeisten Patienten, auch beim Maximalversorger, ist eine Symptomatik klar führend.

Und bei den paar Patienten, wo es wirklich eine komplexe Interaktion zwischen komplizierter psychiatrischer Symptomatik und komplizierter neurologischer Symptomatik gibt, sind in der Regel alle überfordert - Psychiater und Neurologen. Auch die paar Doppelfachärzte, die ich kenne, waren dann in der Regel überfordert, da einem im anderen Fach halt die Übung und Erfahrung fehlen.

Um die vier Beispiele von rafiki aufzugreifen:

Die Behandlung einer gewöhnlichen Psychose oder Depression bei einem Parkinson-Patienten wird jeder Neurologe beherrschen. Ebenso die Behandlung einer gewöhnlichen Verhaltensstörung bei einem Epilepsie-Patienten mit Intelligenzminderung. Da wird der Psychiater also wenig Mehrwert bringen. Sobald es da psychiatrisch komplizierter wird, wird der Patient entweder psychiatrisch werden, oder, wenn es auch neurologisch eine komplexe Therapie und/oder Symptomatik gibt, eine Zusammenarbeit brauchen. Aber das wird dann wahrscheinlich schnell die Kompetenz derer, die zwar am Papier beide Fachärzte haben, aber denen in einem Fach die Übung und Erfahrung fehlen, übersteigen.

Die Demenz-Differenzialdiagnostik, egal ob kompliziert oder ganz trivial, ist aus meiner Sicht Domäne der Neurologie.

Und Patienten mit organischer Verhaltensstörung nach Hirnverletzung landen in der Regel auf der Psychiatrie, weil man sich nur dort die nötige Zeit für sie nehmen kann und will. Da ist dann aber meist die neurologische Behandelbarkeit und Behandlung auch eher gering. Wenn man Glück hat, engagieren sich da in der Akutphase die Neurochirurgen ein wenig.

Ich glaub also, dass einem der Doppelfacharzt in allen vier Beispielen praktisch betrachtet eher wenig bringt.

Ich glaub außerdem auch, dass die Fachfrage ganz stark eine Typfrage ist. Meine Erfahrung (mit geringem n) ist, dass die meisten Neurologen (egal ob Gegenfach oder Fachärzte) wenig Interesse an und wenig Gespür für psychiatrische Patienten haben. (So wie umgekehrt wohl auch.) Die fühlen sich meist eher wohl, wenn es ein buntes Feuerwerk an Diagnostik und Therapie gibt, ein emsiges Treiben, und dann schnell den nächsten Patienten. Die meisten psychiatrischen Patienten brauchen was ganz anderes. Mit der Haltung an einer großen universitären Psychiatrie gibt es da vielleicht noch einen gewissen Overlap, aber sozialpsychiatrisches Denken und Handeln ist da schon fast ein Ausschlusskriterium :-p Ich glaub deshalb, dass es recht wenige Leute gibt, die sich vom Arbeitsalltag her und vom Behandlungsansatz her in beiden Fächern wohl fühlen. Was dann wiederum den Doppelfacharzt wenig sinnvoll macht.

Ob er in Sachen Abrechnung im niedergelassenen Bereich irgendwelche Vorteile bringt - keine Ahnung.

Was ist überhaupt dein berufliches Ziel? Klinik? Praxis? Welche Art von Tätigkeit schwebt dir vor?

Josephine
19.10.2023, 12:48
Naja, in gewisser Weise schon:
In Bezug auf eigene Niederlassung kannst du Neuro-Sachen abrechnen. Wenn eine psychiatrische Klinik, aus welchen Gründen auch immer, einen Neurologen dringend braucht, hast du Verhandlungsmasse entweder in Richtung höhere Position oder höhere Vergütung.
Es gibt da schon Möglichkeiten. Die Frage ist halt was man will.

In unserer Klinik (300 Betten Psychiatrie) hatten die Neurologen, die sich dafür entschieden haben, den psychiatrischen Facharzt auch noch zu machen keine finanziellen Vorteile. Wenn neurologischer Rat gebraucht wird, wird immer der neurologische Konsiliarius hinzugezogen trotzdem es bei uns mehrere Doppelfachärzte gibt. Einer dieser Kollegen (Oberarzt) erklärte es mir mal damit, dass es eine rechtliche Frage sei. Er sei als psychiatrischer Facharzt und nicht als Neurologe in der Klinik angestellt.

Nefazodon
19.10.2023, 14:17
Einer dieser Kollegen (Oberarzt) erklärte es mir mal damit, dass es eine rechtliche Frage sei. Er sei als psychiatrischer Facharzt und nicht als Neurologe in der Klinik angestellt.

Kann sein, dass es so gesehen wird. Ich halte diese Argumentation aber für unschlüssig.
Rein rechtlich darf jeder Arzt mit Approbation alles machen. Deswegen gibt es auch einige wenige, die sich bereits ohne Facharzt niederlassen und dann nur Privatpatienten behandeln.
Allerdings muss man, bei allem was man tut, den Facharztstandard einhalten. Wenn etwas nachteiliges passiert und es zu einer Klage kommt, wird geprüft ob dem so war.
Aus rein rechtlicher Sicht dürfte man diese Anforderung mit dem Doppelfacharzt zumindest dem Augenschein nach pro forma aber erfüllen.
Daher glaube ich nicht, dass dieses Vorgehen mit den Konsilen medicolegal so notwendig ist. Ich glaube, es handelt sich eher um eine doppelte Absicherung bzw. auch einen Ausdruck von Unsicherheit, die ganz normal ist, weil man eben, wie davo schon herausgestellt hat, nicht auf Dauer in beiden Fächern gleich gut sein kann.

Tatsächlich würde mich aber interessieren, wie in so einem Fall die Haftungsfrage gelagert wäre: Also, wenn ein Doppelfacharzt für Neurologie+Psychiatrie ein neurologisches Konsil einholt, und der neurologische Konsilarius empfiehlt etwas, was -mehr oder minder offensichtlich- falsch ist: wer haftet dann für die evtl. daraus resultierende Falschbehandlung???
Der Konsilarius, weil er ja hinzugezogen wurde und die falsche Empfehlung gegeben hat?
Oder der anfordernde Arzt, weil der die Empfehlungen des Konsils ausgeführt und den Fehler nicht erkannt hat?
Oder beide zu je 50%?

Meiner Meinung nach in diesem Fall eine schwierige Frage, da auch der Doppelfacharzt, qua seines Titels, hätte erkennen können müssen, dass ein Fehler vorlag.
Und ein Konsil entbindet einen eben nicht von der Pflicht, korrekt zu behandeln.
Ich persönlich würde als juristischer Laie denken, die Haftung wäre geteilt 50:50....wäre meine Vermutung.

Was die eigene Praxis angeht: Auch da sehe ich keinen direkten Vorteil eines Doppelfacharztes. Ein Patient kommt entweder primär wegen neurologischen oder wegen psychiatrischen Problemen. Zumindest auf dem Papier.
Dazu kommt, dass man oft entweder einen neurologischen oder psychiatrischen Kassensitz hat, also nur eines von beiden abrechnen kann. Selbst wenn man einen geteilten Sitz hat 50% neurologisch und 50% psychiatrisch (stell ich mir bei den Zulassungsbeschränkungen schwierig zu beantragen vor) wird man doch nur eine Behandlung abrechnen, egal wie komplex der Patient war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da groß zusätzliche Abrechnungsziffern rausspringen.

Trenn
19.10.2023, 16:35
Ich kann nur für Hessen sprechen, aber die Sitze sollen zu 25% psychiatrisch (oft frei, als FA in der PIA arbeiten ist angenehmer), 25% neurologisch (selten frei, da es nur begrenzte Stellen für neurologische Oberärzte gibt, oft muss man in die Reha oder "fachfremd" in die Geri) und zu 50% nervenärztlich (früher in 6 Jahre machbar, heute braucht man den Doppelfacharzt) verteilt sein. Zeitgemäß ist es seit der zunehmenden Spezialisierung nicht mehr, früher gab es Grade mal 2-3 Medis für MS etc... Neurologen machen den Doppelfacharzt, damit sie überhaupt einen Sitz kriegen oder weil es im Vergleich zu Neuro Psych stationär entspannter ist...

rafiki
19.10.2023, 16:58
Jeder Doppelfacharzt, den ich kenne, hat sich in seinem Arbeitsalltag sehr eindeutig auf eines der beiden Fächer spezialisiert.

Ist nach meiner Erfahrung auch so, was Neuro/Psych. angeht.



Die Behandlung einer gewöhnlichen Psychose oder Depression bei einem Parkinson-Patienten wird jeder Neurologe beherrschen.

Beileibe nicht! Weil das relativ häufig ist, habe ich es leider oft erlebt, dass Neurologen damit oft komplett überfordert sind (und damit auch nichts zu tun haben wollen). Andersherum wissen viele Psychiater nicht die Frühzeichen einer Parkinsonerkrankung zu erkennen, die ja nicht selten mit depressiven Verstimmungen beginnt.




Die Demenz-Differenzialdiagnostik, egal ob kompliziert oder ganz trivial, ist aus meiner Sicht Domäne der Neurologie.


Allein schon deshalb nicht, weil Demenzen oft Verhaltensstörungen machen, die Anlass sind, das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen und dann führt der Weg eben nicht in die Neurologie. Aber auch da ist es so, dass viele Psychiater wenn überhaupt, nicht viel mehr als zwischen DAT und vaskulär bedingt unterscheiden können.

Vor einiger Zeit entdeckte ich in einem Provinzhospital als Honorararzt eine vermutliche logopene Variante der Primär Progressiven Aphasie bei einer völlig verwahrlosten noch nicht mal 60Jährigen. Rein klinisch mit minimalem techn. Aufwand, mehr war dort leider nicht möglich.

Nefazodon
19.10.2023, 17:05
Allein schon deshalb nicht, weil Demenzen oft Verhaltensstörungen machen, die Anlass sind, das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen und dann führt der Weg eben nicht in die Neurologie. Aber auch da ist es so, dass viele Psychiater wenn überhaupt, nicht viel mehr als zwischen DAT und vaskulär bedingt unterscheiden können.


Viele Gedächtnisambulanzen sind psychiatrisch. Meines Wissens gibt es kaum neurologische Gedächtnisambulanzen.
Das hängt mit der Finanzierung zusammen.
Es gibt kein gutes Finanzierungskonstrukt für die GedA in der Neurologie. Die psychiatrischen GedA sind oft Teil der PIA, und die Finanzierung dort scheint anders zu funktionieren.

Unterscheidung DAT und vaskulär bedingt: hier sei am Rande die große Bedeutung der Mischformen erwähnt.


Vor einiger Zeit entdeckte ich in einem Provinzhospital als Honorararzt eine vermutliche logopene Variante der Primär Progressiven Aphasie bei einer völlig verwahrlosten noch nicht mal 60Jährigen. Rein klinisch mit minimalem techn. Aufwand, mehr war dort leider nicht möglich.

Wenn man so etwas findet ist es immer interessant und aber auch erschreckend, ob der oft unzureichenden Versorgung.
Ich möchte aber dazu anmerken, dass bei den primär progressiven Aphasien relativ lange (fast) nur die Sprache beeinträchtigt ist. Wenn weitere kognitive Domänen betroffen sind -wofür die Verwahrlosung sprechen könnte- muss man daher auch an eine Demenz vom Alzheimertyp denken, die sich entweder atypisch präsentiert oder weit fortgeschritten ist.
Ohne Zusatzuntersuchung kann das schwer zu differenzieren sein. Aber es war mit Sicherheit ein sehr spannender Fall!

Noch aus einem anderen Grund ist im Bereich der Gedächtnisambulanzen und der Abklärung von Gedächtnisstörungen aber tatsächlich Expertise in beiden Fächern wichtig: Die wichtigste Differentialdiagnose zu organischen Gedächtnisstörungen sind Depressionen.

rafiki
21.10.2023, 06:49
, dass bei den primär progressiven Aphasien relativ lange (fast) nur die Sprache beeinträchtigt ist. Wenn weitere kognitive Domänen betroffen sind -wofür die Verwahrlosung sprechen könnte- muss man daher auch an eine Demenz vom Alzheimertyp denken, die sich entweder atypisch präsentiert oder weit fortgeschritten ist.


Hab ich dann auch als DAT kodiert. Für einen Beweis der anderen Form hätte man Spezialdiagnostik gebraucht, die in dieser Klitsche natürliche nicht vorhanden war. Aber dafür, dass das überhaupt nicht mein Spezialgebiet ist, war es ganz spannend, auch ein Geronto- oder Neuropsychiater wäre unter den gegebenen Bedingungen nicht weiter gekommen. Das Entscheidende war - wie so oft - das Handfest-Praktische, nämlich die gute Organisation der weiteren sozialpsychiatrischen Versorgung der Patientin.

davo
21.10.2023, 07:27
Wow. Spannend dass das in Deutschland Aufgabe der Psychiatrie ist. Das war mir überhaupt nicht bewusst.

Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, mich damit nicht näher beschäftigen zu müssen...

davo
21.10.2023, 23:03
Noch als Nachtrag: Den nicht-konvulsiven Status epilepticus finde ich z.B. faszinierend und beängstigend zugleich. Wird sicher oft übersehen.

rafiki
22.10.2023, 07:14
Den nicht-konvulsiven Status epilepticus finde ich z.B. faszinierend und beängstigend zugleich.

Allerdings. In meiner Assizeit kam mal eine verwirrte fast nackte und kotverschmierte Frau zur Pforte der Klinik. Dieser iktale Dämmerzustand war sehr beeindruckend. Schockierend, als ich realisierte, dass es sich um eine Kollegin mit Epilepsie handelte (hatte sie in diesem Zustand nicht sofort erkannt).

davo
22.10.2023, 08:00
Klingt erschütternd...

RussianAngel
22.10.2023, 09:06
Lieben Dank für die nützlichen und zahlreichen Rückmeldungen :) Es ist mir klar, dass es davon abhängt, was ich machen will, aber man sollte seine Erwartungen auch etwas der Realität anpassen...

Allgemein muss man wirklich sagen, dass die Psychiatrie von den Arbeitsbedingungen echt viel angenehmer ist, Neurologie aber für mich als medizinisch anspruchsvoller und etwas naturwissenschaftlich komplexer ist und das ist genau der Grund, wieso ich die Neurologie so interessant finde...Ausserdem habe ich den Eindruck, das dort viel mehr Entwicklung hinsichtlich Therapien etc. ist, so dass man häufiger spannende Forschungsthemen und Möglichkeiten hat...Ich sehe mich eben aktuell eher im universitären Rahmen mit ggf. Tätigkeit in Praxen "daneben", als Honorararzt oder Privatpraxis oder so...Dies ist sicherlich in der Psychiatrie wohl sicher einfacher...

Hätte jemand eventuell eine Idee für die Schweiz? Hier scheint es einige Doppelpraxen zu geben mit einer Person an der "Spitze"...