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Panik3
16.11.2023, 20:24
Liebe (zukünftige) Kolleginnen und Kollegen,

ich bin gerade in der Mitte meines PJ^s und stecke in einer Sinnkrise. Der Beruf als Arzt macht mir nach wie vor Spaß und ich bereue die Studienwahl grundsätzlich nicht (naja, Lokführer wäre vielleicht ne gute Alternative gewesen...)

Mein Ziel war seit meinem ersten Pflegepraktikum weit vor^m Studium die Innere Medizin. Mir gefiel es, mit der Vielzahl an Untersuchungsmöglichkeiten Schritt für Schritt zur Diagnose zu kommen und eine sinnvolle Therapie für den Patienten zu finden.
Das PJ hat mich allerdings zurück auf den Boden der Tatsachen geholt. Ich mache gerade mein Inneres Tertial in einem mittelgroßen Haus, in dem ich auch zwei Famulaturen gemacht habe. Damals war es wirklich super dort, mit einem netten Team und tatsächlich vernünftigen Arbeitszeiten dank ausreichender Personaldecke. Inzwischen herrscht dort aber absolutes Chaos. Die Assistenten sind nur noch am Lücken stopfen, arbeiten 80/h die Woche und vernünftige Lehre findet nicht mehr statt. Leider scheint das inzwischen landauf landab eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Und auch der Sinn hinter der ganzen Sache geht mir mehr und mehr verloren. Gefühlt bekommt jeder Mensch, egal mit welchen Beschwerden er kommt, Coro, Colo und Gastro. Patienten in der Endphase des Lebens werden medikamentös austherapiert und die Angehörigen werden immer fordernder. Kurzum: Ich hab' darauf irgendwie keinen Bock mehr.

Über Umwege bin ich jetzt auf die Anästhesie gekommen. Mit dem Fach kann ich mich tatsächlich stärker identifizieren. Ich bin nicht derjenige, der moralisch dafür verantwortlich ist, wer und warum man jetzt unter's Messer kommt - mein Job ist es, den Patienten bestmöglich durch die OP zu begleiten. Und was mir besonders viel Spaß gemacht hat, ist die Intensivmedizin. Hier konnte ich wirklich das machen, was mich früher an der Inneren fasziniert hat und es wurden auch klare Ziele gesetzt. Da wurde auch einmal entschlossen, dass der 66jährige mit Z.n. Reanimation mit langer Hypoxiezeit und schlechten Prognoseparametern jetzt entgegen dem Familienwunsch keine Maximaltherapie mehr bekommt, sondern seinen Weg gehen darf.

Der Faktor, der mich an der Anästhesie abschreckt sind die Karriereaussichten. Ein ambulanter Sektor ist ja hier nur im engen Rahmen vorhanden, d.h. man wird an die Klinik gebunden bleiben. Die Chance, irgendwann auf eine Oberarztstelle zu kommen ist jedoch nach allem was ich gehört habe sehr klein. In "meiner" Klinik gibt's ca. 10 Fachärzte, die z.T. seit über 10 Jahren auf einer Facharztstelle festhängen, sich auch nach außen bewerben, aber nicht zum Zug kommen, weil es einfach viel mehr FA^s als OA-Stellen gibt.

Ich denke, dass viele während ihres PJ^s solche Gedankengänge gequält haben und mich würde interessieren, wie ihr damit umgegangen seid und ob meine Gedanken irgendwie nachvollziehbar sind...

crossie
16.11.2023, 20:47
Witzig: bis zum PJ wollte ich auch immer Innere machen um mich dann später als Hausarzt niederzulassen. Innere im PJ hat mich genau wie Du total abgeschreckt und ich bin zufällig in der Anästhesie gelandet (wollte ich niiieee machen) und jetzt - wartend auf die Facharztprüfung - total happy mit meiner Entscheidung. Die Gebundenheit an in Klinik (ambulante Anästhesie ist überhaupt nichts für mich) war irgendwie auch immer ein Problem, mittlerweile aber gar nicht mehr. Ich arbeite gern in der Klinik.

izzy17
16.11.2023, 21:33
Als gerade mit dem PJ fertig gewordene kenn ich deine Gedanken natürlich auch :D die hat wohl (fast) jeder mal in irgendeiner Form

Ich denke es gibt in jedem Bereich Nischen in denen man sich wohlfühlt, du meinst ja z.b. Intensivmedizin findest du interessant
Es gibt ja auch internistisch geführte ITS und man muss ja auch sagen dass viele Krankheitsbilder auf der ITS internistische sind (ich schreibe das als persönlich nicht Innere-Interessierte :) )

ganz so krass wie du es beschreibst hab ich es in der Inneren in der ich PJ gemacht habe nicht erlebt was die unnötige Maximaltherapie angeht, da wurde auch öfters mal den Angehörigen mitgeteilt wie die Aussichten sind etc.und dass es in diesem oder jenem fall eben keinen Sinn hat noch irgendeine Therapie durchzuführen

Was mich persönlich an der Anästhesie stören würde ist die Tatsache dass am Anfang die Lernkurve echt steil ist, man sieht es ja schon im PJ (darf teilweise selber mal ne Narkose machen etc) das ist in vielen anderen Fachrichtungen ja nichtmal ansatzweise möglich (verständlicherweise) aber man dann irgendwann nach x Jahren eventuell nicht mehr so eine steile Lernkurve hat während es in anderen Richtungen dann erst richtig losgeht (ich sage extra - würde mich persönlich stören :-) und natürlich hätte man dafür in der Anästhesie Anfang die steilere Lernkurve)

anignu
17.11.2023, 00:00
Das was ich in der Anästhesie mit Oberarztstellen mitbekommen hab ist ziemlich easy: wer die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin hat bekommt quasi immer eine Oberarztstelle, manchmal halt in einem anderen Haus, aber tatsächlich quasi immer. Und wer diese Zusatzbezeichnung nicht hat der wiederum nur schwer bis gar nicht. So kenn ich das aus mehreren Häusern. Und die Begründung sind Abrechnungssachen mit der Zusatzbezeichnung.

Panik3
17.11.2023, 05:18
Danke schon mal für alle Kommentare.

Wie läuft der Erwerb der Zusatzbezeichnung ab? Kann man da schon Unterschriften während der Facharztweiterbildung sammeln oder erst nach Erwerb des Facharzttitels? Und wie leicht findet man Weiterbildungsstellen?
Das Logbuch sieht ja grundsätzlich machbar aus - muss man dafür zwangsläufig an eine Uni/einen Maximalversorger oder geht das auch in einem mittelgroßen Haus sinnvoll?
Gibt es außer "Intensivmedizin interessiert mich nicht" einen Grund, warum so wenige Anästhesisten diese Zusatzbezeichnung haben, wenn sie doch der Türöffner für eine OA-Stelle ist?
Fragen über Fragen...

crossie
17.11.2023, 07:47
Aus meiner Erfahrung gibt es tatsächlich nicht so viele, die daran Interesse haben. Zudem geht die Zusatz-Weiterbildung nur nach dem Facharzt, zusätzlich 18 Monate auf einer ITS arbeiten unter Aufsicht eines Weiterbildungsbefugten (was ziemlich alle Anästhesie Chefärzte sind).

Ich werde direkt nach dem FA mit den 18 Monaten starten, auch weil ich ITS total mag, gar nicht wegen der OA Stelle (die es bei uns praktisch auch sofort mit Erlangen der ZB gibt).

Matzexc1
17.11.2023, 14:22
Der Faktor, der mich an der Anästhesie abschreckt sind die Karriereaussichten. Ein ambulanter Sektor ist ja hier nur im engen Rahmen vorhanden, d.h. man wird an die Klinik gebunden bleiben. Die Chance, irgendwann auf eine Oberarztstelle zu kommen ist jedoch nach allem was ich gehört habe sehr klein. In "meiner" Klinik gibt's ca. 10 Fachärzte, die z.T. seit über 10 Jahren auf einer Facharztstelle festhängen, sich auch nach außen bewerben, aber nicht zum Zug kommen, weil es einfach viel mehr FA^s als OA-Stellen gibt.


Das hab ich auch mal gedacht, denke aber das der niedergelassene Anästhesist häufiger ist als es bekannt ist, man wird natürlich in OP-Zentren Privatkliniken und ähnlichem wenig wirklich spannende Fälle erleben, aber auch hier gibt es zumindest finanziell sehr lohnende Bereiche.

Außerdem ist das Thema Schmerztherapie auch noch ein Standbein in der Anästhesie, alternativ gibt es noch die Arbeitnehmerüberlassung mit Vor-aber auch einigen Nachteilen. Ich höre auch immer mehr von Anästhesisten die für Notaufnahmen gesucht werden, was für eine Oberarztstelle auch relevant sein kann.

Cor_magna
17.11.2023, 14:44
Ich möchte einwerfen: Wenn dir an der Inneren noch was liegen sollte, schaust du dir vielleicht auch noch ein oder zwei andere Kliniken an... Du hast ja nur mit einer Inneren Erfahrung. Klar, die Zustände sind meist nicht rosig, aber auch nicht überall gleich schlecht.

Tramaldol
18.11.2023, 11:45
Ich habe Innere im Blockpraktikum und einer Chirugie Famulatur ausgeschlossen. Ich habe extra damals einen Teil des Innere Pjs im Ausland gemacht, um nicht schon wieder dieselben Abläufe hier zu sehen.




Der Faktor, der mich an der Anästhesie abschreckt sind die Karriereaussichten. Ein ambulanter Sektor ist ja hier nur im engen Rahmen vorhanden, d.h. man wird an die Klinik gebunden bleiben. Die Chance, irgendwann auf eine Oberarztstelle zu kommen ist jedoch nach allem was ich gehört habe sehr klein. In "meiner" Klinik gibt's ca. 10 Fachärzte, die z.T. seit über 10 Jahren auf einer Facharztstelle festhängen, sich auch nach außen bewerben, aber nicht zum Zug kommen, weil es einfach viel mehr FA^s als OA-Stellen gibt.


Anästhesie war auch nix für mich. Jedoch haben viele meiner Kollegen aus dem Studium das gemacht. Ist auch ein großes Fach. Ich hab 2012 Abschluss gemacht und alle Kollegen von damals, die Anästhesie WB gemacht haben, haben jetzt eine OA-Stelle entweder in der Peripherie oder an der Uniklinik. Manche haben allerdings an der Uni etwas drauf warten müssen.
Man muss dazu auch sagen, dass die Kollegen nicht besonders flexibel waren, also in der Region geblieben, maximal 30 km Anfahrt und einige waren auch auf die Uniklinik fixiert.

schwix
23.11.2023, 23:48
Ich kenne viele deiner Abwägungen.
Ich arbeite jetzt seit etwa 2,5 Jahren. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele Leute in der Anästhesie, aber die meisten (nicht alle) wissen, dass sie sich mit dem Facharzt weitestgehend ans Krankenhaus binden und sind fein damit. Grundsätzlich ist Anästhesie ein tolles einstiegsfach. Du hast meist eine 1:1 Betreuung, die ersten 6-12 Monate keine Dienste usw. Ich kenne niemanden der seinen Einstieg in dem Fach bereut hat.

Ich habe auch Freunde und Bekannte in der Inneren. Und auch wenn man etwas gucken muss, es gibt durchaus Häuser in denen die Innere kein Alptraum ist. Das sind dann meist kleinere Häuser. Wenn man damit leben kann, dann muss man den Traum von der Inneren Medizin nicht begraben.
Alternativ könnte man auch noch die Pädiatrie in Erwägung ziehen, was letztlich Innere Medizin für Kinder ist. Ich bin selbst in der Päd, und die Arbeitsbedingungen sind gemessen an der Inneren deutlich besser, auch wenn es hier die Tendenz nach unten gibt.

Generell schadet ein Jahr Anästhesie aber für keinen Facharzt. Gerade wenn man später mal Notarzt fahren will aber auch grundsätzlich um Notfallmanagement oder Beatmung besser zu lernen.

Cor_magna
24.11.2023, 11:39
Ich habe auch Freunde und Bekannte in der Inneren. Und auch wenn man etwas gucken muss, es gibt durchaus Häuser in denen die Innere kein Alptraum ist. Das sind dann meist kleinere Häuser. Wenn man damit leben kann, dann muss man den Traum von der Inneren Medizin nicht begraben..

Meinst du kleinere Häuser in Städten oder Peripherie?

Ich kenne nur so kleinere Häuser in peripheren Lagen und da war der Personalmangel meist schon sehr ausgeprägt.

schwix
24.11.2023, 12:50
Meinst du kleinere Häuser in Städten oder Peripherie?

Ich kenne nur so kleinere Häuser in peripheren Lagen und da war der Personalmangel meist schon sehr ausgeprägt.


Ich wohne in einer Großstadt mit Uniklinik, die Häuser wsind eher am Stadtrand oder in der nahen Peripherie (aber unter 30 min aus der Stadt zu erreichen). Die Zustände in den großen Kliniken in der Stadt sind meiner Erfahrung nach genau so von Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen geprägt. Letztlich Fault der Fisch aber vom Kopf. Wenn Chefärzte keine Überstunden aufschreiben lässt und trotzdem erwartet dass die Assistenten bis 20Uhr in der Klinik hängen und 8 Dienste machen dann ist so ein Haus kaum zu retten.

Tramaldol
24.11.2023, 14:08
I

Ich habe auch Freunde und Bekannte in der Inneren. Und auch wenn man etwas gucken muss, es gibt durchaus Häuser in denen die Innere kein Alptraum ist. Das sind dann meist kleinere Häuser.

Alptraum ist relativ. Man kann nicht pauschal sagen, dass jede große Innere schlecht organisiert ist. Aber das Patientengut und die damit verbundene Arbeit bleibt.
Für mich wärs nix. Arbeitsaufwand und Endergebnis stehen in einer ungünstigen Relation.

schwix
25.11.2023, 11:18
Alptraum ist relativ. Man kann nicht pauschal sagen, dass jede große Innere schlecht organisiert ist. Aber das Patientengut und die damit verbundene Arbeit bleibt.
Für mich wärs nix. Arbeitsaufwand und Endergebnis stehen in einer ungünstigen Relation.

Wie gesagt, Ausnahmen gibt es sicher. Aber die Innere ist schon berüchtigt für die notorisch schlechten Arbeitsbedingungen. Aber gut wenn es auch größere Häuser gibt in denen es anders läuft.

Tramaldol
25.11.2023, 15:23
Das sind nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern auch das Patientengut und teilweise auch Kollegen, die dann stundenlang Visite machen und über die Höhe des Calciumwertes diskutieren bzw. schwadronieren oder komplexe Therapien für therapieunfähige Patienten beschlossen werden aus dem Oberarzt-Elfenbeinturm abseits der Realität. So eine Verschwendung von Arbeitszeit und Kraft. Einfach langweilig in der Praxis, natürlich mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Die Theorie im Hörsaal ist interessant.

Panik3
26.11.2023, 08:36
Hi noch mal. Ich bin mir leider immer noch unschlüssig, wohin mein Weg führen soll. Ich habe mich mit deshalb meiner Freundin zusammengesetzt, die ihr Inneres-Tertial schon hinter sich hat und wir haben mal die Punkte aufgeschrieben, die uns genervt haben:
1. Sinnlose Aufnahmen: Es gibt Kollegen, die im Dienst einfach jeden Patienten, der in die Notaufnahme kommt, aufnehmen. Aus Unsicherheit und weil man nachts um 2 Uhr nicht zum dritten den völlig genervten Oberarzt im Hintergrund anrufen will, der selbst erst um 22 Uhr heim ist und um 7:30 Uhr wieder da sein muss. So hat man am Morgen Patienten mit einem CRP von 20, die ansonsten gar nichts bieten, um die man sich dann kümmern muss.
2. Ärger mit Entlassungen: "Wir nehmen keine Covid-19-Patienten in unser Heim zurück!" - "Sie haben sie aber mit Corona geschickt!" - "Ja, aber sie muss mindestens einen CT-Wert von 34 haben und danach noch fünf Tage isoliert sein und braucht dann noch zwei negative Abstriche! Sonst nehmen wir sie nicht zurück!"
3. Maligne Arbeitszeiten: Der Nachtdienst ist krank? Bleibt der Spätdienst halt mangels Alternativen einfach über die Nacht da. Und geht natürlich am nächsten Früh nicht heim, sondern macht mit dem geplanten Dienst weiter.
4. Aussagen von Chefs wie "Ich fühle mich auch nicht gut. Deswegen mache ich auch nicht krank." oder "Es ist ihre Kollegin, kümmern sie sich darum, wie sie sie vertreten."
5. Ärger mit Hausärzten. Man stellt einen Patienten auf Herzinsuffizienztherapie ein, weil man weiß, dass er davon profitiert. Vier Wochen später sieht man ihn wieder und der Hausarzt hat Jardiance und Entresto aus dem Mediplan gestrichen weil er doch keinen Diabetes hat und Entresto zum Verordnen viel zu teuer ist.
6. Maximaltherapie am Lebensende. Präfinale Patientin, alle verzichtbaren Medikamente abgesetzt. Eine Woche später: Alles wieder angesetzt, weil Aussage OA: Man darf ihr doch die Therapie nicht vorenthalten!
7. Halbtags-OA, die vor Feierabend noch zig Korrekturwünschen an Briefen haben, es aber nicht schaffen, diese dann noch freizugeben und einen am nächsten Tag anpflaumen, warum der Patient immer noch da ist.
8. Sinnlose Untersuchungen, z.B. Colo und Gastro bei jungem Patienten mit Gastroenteritis ohne irgendwelche Risikofaktoren, nur damit die Auslastung stimmt.
9. Im Gegenzug Vorenthaltung von Therapien, z.B. Patientin Ende 50 mit äthyltoxischer Leberzirrhose bei Z.n. Alkoholabusus und Hepatitis-Infektion vor über 10 Jahren, seitdem nachweislich trocken. Hoher MELD-Score, aber keine Vorstellung im Leberzentrum, weil OA: Hat eh keine Aussicht auf Transplantat. Auf Intensiv haben wir jeden Patienten vorgestellt, auch wenn von vornherein eigentlich klar war, dass keine Aussicht auf Tx besteht. Aber das soll meiner Meinung nach bitteschön das Zentrum/Eurotransplant/whatever entscheiden und nicht irgendein OA.

Das waren jetzt ein paar Beispiele aus der Hüfte heraus. Ich gehe jeden Abend heim und frage mich, ob wir mehr Menschen geholfen oder geschadet haben. Und die Bilanz fällt meistens negativ aus.

Ist das jetzt ein Problem von mir, Problem unserer beiden PJ-Häuser oder ist das System wirklich so kaputt...?

Immerweiter90
26.11.2023, 09:45
Du kannst mir gerne eine privat Nachricht schreiben. Nach dem Studium hatte ich auch ähnliche Probleme, ich habe mir damals sogar überlegt ein Masterstudium zu machen, damit ich was anders machen kann.
Meine erste Stelle als AA war eine Katastrophe, unterbesetzt, 8 Dienste im Monat, etc..

8 Jahre später kann ich dir sagen, ich liebe Medizin jetzt. Ich würde es nochmal machen, aber halt anders. Ich würde mir mehr Zeit nehmen, bevor ich einen Vertrag unterschreibe. Ich würde länger hospitieren, ich würde mehr Betreuung fördern. Was häufig fehlt ist eine strukturierte Ausbildung und ein Mentor.

Immerweiter90
26.11.2023, 09:48
Nummer 5 passiert nur wenn die Hausärzte keine Ahnung von Medizin und Abrechnung haben. Man darf sie weiter verschreiben oder sogar verordnen.

Du musst dem HA sagen, ruf bitte bei der KV an und frag nach, das darfst du ruhig verschreiben. Wenn man keine Ahnung von Budgets hat, dann versucht man alles nicht zu verschreiben, mit der Begründung "Budget". Weil manche selbst das nicht verstehen und zu faul sind, eine Forbildung bei der KV zu machen

Tramaldol
26.11.2023, 10:16
.... wir haben mal die Punkte aufgeschrieben, die uns genervt haben:
Ist das jetzt ein Problem von mir, Problem unserer beiden PJ-Häuser oder ist das System wirklich so kaputt...?

Die richtigen Internisten lassen sich von sowas nicht abbringen. Das System ist leidet nicht an zu wenig Geld, sondern an mangelnder Organisation und das wirkt dann "kaputt".
1) Sinnlose Aufnahmen sind ein großer Kostenfaktor im System. Klar muss daran gearbeitet werden. Jeder Patient muss einmal vom Facharzt gesehen bzw. dem vorgestellt werden, bevor er nach Hause geschickt wird. (Facharztstandard)
2) So langsam ist's mit dem Covid ja nun auch vorbei. In der Regel gibt's einen Sozialdienst, der sich um die Versorgung kümmert.
3) Das geht natürlich nicht. An diesem Ort sollte man nicht arbeiten. Da darf der Oberarzt einspringen oder man sucht einen Vertregungsarzt; nennt sich Hintergrund nicht umsonst.
4) Das geht auch nicht. An diesem Ort sollte man nicht arbeiten.
5) Die mangelhafte Ausbildung von Hausärzten ist auch ein Thema. Auch hier gibts Reformbedarf. Kann man nur über Aufklärung und Erklären begegnen.
6) Leider auch je nach Oberarzt abhängig. Sicherlich wird hier eher zuviel gemacht und auch zuviel für die Abrechnung. Reformen des DRG System laufen an.
7) Unfähige Oberärzte gibt's viele. Wir hatten einen OA einer anderen Abteilung in der Uniklinik, mit dem unsere Abteilung dann garnicht mehr geredet hat, weil er immer ausfallend am Telefon wurde. Nicht nur bei mir, auch bei meinem OA und anderen Kollegen. Bei uns mussten Briefe nicht freigegeben werden vor Entlassung. Am Anfang mal gegengelesen vor Entlassung. Sonst ginge niemals wer nach Hause.
8) Typisch für eine Gastroenterologie Innere. Alle kriegen Gastro/Kolo, auch wenn sie mit einer Pneumonie kommen. Nur damit die Endoskopie ausgelastet wird. Hier legen Fehlanreize im System vor.
Ebenso gibt's noch Oberärzte, die eine Diabeteseinstellung (nicht entgleist) und bei bekannter Incompliance stationär machen. Glücklicherweise streicht die Krankenkasse da rigoros. Die dummer Oberärztin rafft's immer noch nicht. In den 90er Jahren bei Tagessätzen hängengeblieben "da hat das doch alles so gut geklappt".
9) Grundsätzlich ist es egal ob Leber oder Tumore, komplexe OPs für Patienten immer besser in einem großen Zentrum behandelt zu werden. Aber dann geräts du wieder in die Diskussion: Oh unser schöner Dorfkrankenhaus wird jetzt nur noch ein MVZ oder muss ganz schließen. Behalten wir lieber die miese Qualität.

Für mich ist es ein Kampf gegen Windmühlen, kann das Fach nicht weiterempfehlen.

Rahmspinat
26.11.2023, 10:23
...


...

Also die von dir/deiner Freundin angegebenen Punkte sind Dinge, wegen denen ich um ein Haus einen weiten Bogen machen würde. Es gibt nicht wenige Häuser, in denen die o.g Punkte höchstens in Einzelfällen oder gar nicht zutreffen, aber hier meine Meinung:

1. Wer seine Assistenten nicht adäquat ausbildet, muss damit leben, auch nachts angerufen zu werden. Zumal das CRP hier nicht eindeutig ist, 20mg/l sind banal, 20mg/dl führt bei einer Entlassung zu berechtigten blöden Nachfragen.

2. Transport bestellen und gut ist. Auf solche Diskussionen lässt man sich bei sonst übervoller Station nicht ein. Natürlich brauchst du dafür auch OÄ/Leitung, die das unterstützt.

3. Unsäglich und gesetzeswidrig. In so einem Haus würde ich nicht arbeiten oder spätestens danach kündigen

4. Siehe 3. Mal davon abgesehen, dass die Suche nach Ersatz nicht die Aufgabe des verbliebenen Assistenten ist.

5. Der hausärztliche Kollege hat in dem Fall weder Ahnung von aktueller Medizin, noch von Budgetierung. Kann man leider nicht verhindern, da externer Faktor. Aber irgendwann kennt man seine Pappenheimer und verdeutlicht gewisse Medikationsentscheidungen auch entsprechend ;)

6. Unnötig und spricht gegen euren OA. Wenn deeskaliert wird, dann richtig. Im Zweifel dann aber auch entsprechend dokumentieren.

7. Solche OÄ habe ich auch schon erlebt, dann gibt es aber den vorläufigen Brief raus und der Patient wird entlassen. Nicht dein Fehler, wenn der Brief trotz erfolgter Korrekturen nicht freigegeben wird. Und dafür Patienten unnötig auf Station zu behalten, erschließt sich mir nicht.

8. Das ist komplett unsinnig und spätestens der MDK wird bei so etwas Rückfragen stellen.

9. Ich arbeite in einem TX-Zentrum und kann dir sagen, dass bei solchen Patienten idR tatsächlich Rücksprache mit einem Zentrum gehalten werden sollte. Man kann aber durchaus dagegen argumentieren, bspw. wenn die Patientin so krank ist, dass sie weder die Zeit bis zur Listung, noch eine OP überleben würde. Dafür muss man aber gute Gründe haben, die es ehrlicherweise in den meisten Fällen nicht gibt.

Alles in allem sind eure Beispiele aus meiner Sicht schon eher hausbezogen. Das System krankt sicherlich, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie ihr es oben geschildert habt. Innere ist ein tolles Fach, egal was irgendwelche User wie Tramaldol (bei dem man sich teilweise dann doch fragt, ob er überhaupt klinisch gearbeitet hat oder einfach nur Platitüden von sich gibt). Fakt ist aber auch, dass man schon gründlicher nach dem passenden Haus suchen muss und es durchaus einen Jobwechsel erfordern kann, bis man das passende Haus für einen findet.