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drifit
10.04.2024, 15:08
Hallo an alle,
ich habe eine Frage die mich seit langem beschäftigt.

Ich habe eigentlich schon immer mit sozialen Ängsten zu kämpfen und im Beruf komme ich da leider an meine Grenzen. Es ist so: Ich habe für das Studium, trotz exzellenter Noten, EXTREM lange gebraucht aufgrund von psychischen Erkrankungen durch Kindheitstraumata. Wer mich neu kennenlernt, würde das niemals erahnen, lediglich wenn man meinen Lebenslauf und mein Alter ansieht fragt man sich, warum das Studium die doppelte Zeit benötigt hat.
Nun sieht man mir mein Alter nicht wirklich an, daher werde ich häufig wie selbstverständlich für einen jungen Absolventen gehalten.
Ich habe permanent Angst, nach meinem Alter und der damit verbundenen Frage - was hast du denn vorher gemacht - gefragt zu werden. Ich fühle mich permanent unglaublich unwohl, weil ich mich so EXTREM dafür schäme, gerade im Vergleich mit anderen Assistenzärzten, die das alles so durchgezogen haben.
Mich würde einfach interessieren, ob jemand eine Idee hat, besser damit umzugehen?
Letztlich habe ich durch Therapien schon sehr viel erreicht, ich mache meine Arbeit gut, das Problem ist nur der persönliche Leidensdruck der leider persistiert.
Wie würde jemand ohne Sozialangst damit umgehen?

Jukka666
10.04.2024, 15:42
Hallo an alle,
ich habe eine Frage die mich seit langem beschäftigt.

Ich habe eigentlich schon immer mit sozialen Ängsten zu kämpfen und im Beruf komme ich da leider an meine Grenzen. Es ist so: Ich habe für das Studium, trotz exzellenter Noten, EXTREM lange gebraucht aufgrund von psychischen Erkrankungen durch Kindheitstraumata. Wer mich neu kennenlernt, würde das niemals erahnen, lediglich wenn man meinen Lebenslauf und mein Alter ansieht fragt man sich, warum das Studium die doppelte Zeit benötigt hat.
Nun sieht man mir mein Alter nicht wirklich an, daher werde ich häufig wie selbstverständlich für einen jungen Absolventen gehalten.
Ich habe permanent Angst, nach meinem Alter und der damit verbundenen Frage - was hast du denn vorher gemacht - gefragt zu werden. Ich fühle mich permanent unglaublich unwohl, weil ich mich so EXTREM dafür schäme, gerade im Vergleich mit anderen Assistenzärzten, die das alles so durchgezogen haben.
Mich würde einfach interessieren, ob jemand eine Idee hat, besser damit umzugehen?
Letztlich habe ich durch Therapien schon sehr viel erreicht, ich mache meine Arbeit gut, das Problem ist nur der persönliche Leidensdruck der leider persistiert.
Wie würde jemand ohne Sozialangst damit umgehen?

Ich kenne mich damit überhaupt nicht aus, aber was ist die richtige Definition von "social anxiety"?
Du glaubst doch, dass du irgendwie eine solche Ausnahme bist, dass du negativ auffallen wirst?

Glaub mir, nur basierend auf deinem Alter oder deinem Werdegang, NOT! :-)
Dass andere um dich herum alles "so durchgezogen" haben, stimmt nicht automatisch, jeder hat seinen Ranzen zu tragen, du würdest dich wundern, was im Gespräch mit anderen so rauskommt: Kinder großgezogen, Zweitstudium, lange Wartezeiten, vorher was anderes gemacht etc etc.

Keine Panik! Der Schlüsselsatz zu deinem Erfolg den hast du selbst geschrieben: "ich mache meine Arbeit gut"...
Mehr interessiert heutzutage niemanden! Und WENN sich jemand im negativen dafür interessiert? Solche Leute brauchst du nicht, einfach ignorieren.

Viel Erfolg

davo
10.04.2024, 16:13
Hast du denn auch eine Pharmakotherapie?

drifit
10.04.2024, 17:13
Ich kenne mich damit überhaupt nicht aus, aber was ist die richtige Definition von "social anxiety"?
Du glaubst doch, dass du irgendwie eine solche Ausnahme bist, dass du negativ auffallen wirst?

Glaub mir, nur basierend auf deinem Alter oder deinem Werdegang, NOT! :-)
Dass andere um dich herum alles "so durchgezogen" haben, stimmt nicht automatisch, jeder hat seinen Ranzen zu tragen, du würdest dich wundern, was im Gespräch mit anderen so rauskommt: Kinder großgezogen, Zweitstudium, lange Wartezeiten, vorher was anderes gemacht etc etc.

Keine Panik! Der Schlüsselsatz zu deinem Erfolg den hast du selbst geschrieben: "ich mache meine Arbeit gut"...
Mehr interessiert heutzutage niemanden! Und WENN sich jemand im negativen dafür interessiert? Solche Leute brauchst du nicht, einfach ignorieren.

Viel Erfolg


Danke für die lange Antwort, ich glaube du liegst schon sehr richtig mit deiner Einschätzung. Teil der sozialen Angst ist auch dieser Fokus auf meinen eigenen Schwächen und das Schwarzweiß-Denken, "alle anderen sind besser"...Rational kann ich das dann in einem ruhigen Moment ganz gut durchdringen, emotional ist es einfach schwierig. Deswegen ist manchmal die Sicht von außen sehr hilfreich, daher vielen Dank für deine Antwort!

drifit
10.04.2024, 17:19
Das Problem begleitet mich ja schon sehr lange, daher gab es auch einige Phasen mit zusätzlicher Pharmakotherapie. Letztlich hatte ich dann auch sehr gute Phasen, wo ich das Examen und Vorstellungsgespräche und Co meistern konnte, in der Arbeitswelt ist es dann jetzt wieder deutlich schlimmer geworden. Man muss dazu sagen dass ich meistens über 60h/Woche arbeite und nur noch sehr wenig Energie und teilweise auch Zeit habe, mich ausreichend um meine psychische Gesundheit zu kümmern.

davo
10.04.2024, 17:24
Dann ist ja eigentlich klar was zu tun ist - wieder mit einem Facharzt Kontakt aufnehmen, sich Gedanken machen bzgl. realistischer Änderungen der Arbeitszeit, etc.

drifit
10.04.2024, 20:10
Dann ist ja eigentlich klar was zu tun ist - wieder mit einem Facharzt Kontakt aufnehmen, sich Gedanken machen bzgl. realistischer Änderungen der Arbeitszeit, etc.

Wie du sicher als Arzt in der Psychiatrie weißt sind die Wartezeiten immens, daher zielte meine Frage auch nicht auf Therapiemöglichkeiten ab. Ich habe mein Leben gut im Griff, aber es belastet mich dennoch und die Frage zielte daher eher darauf ab, wie der Gedankenprozess von Menschen aussieht, die eben nicht solche Einschränkungen haben!

Blaulicht86
11.04.2024, 00:06
Rational betrachtet: Wielange du für das Studium gebraucht hast ist deine Privatsache. Die Gründe gehen niemanden etwas an. Wenn jmd. fragt ist es wahrscheinlich um Smalltalk zu betreiben, freundliches Interesse zeigen und keine Absicht das zu bewerten. Private Dinge von sich zu erzählen ist aber gar nicht notwendig und kann mit „aus persönlichen Gründen“ kurz gehalten werden. Viele haben Belastungen und Verpflichtungen neben dem Studium und Beruf, brauchen länger, brechen ab. Da bist du wirklich nicht der einzige.
Auch haben viele gerade anfangs ein Imposter Syndrom und denken „was wenn alle merken dass ich irgendwie nix kann“ (was meistens gar nicht stimmt). Du hast dein Studium trotz Hürden geschafft, also herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche dir, dass du deine Ängste etwas ablegen kannst. Unterstützung hast du dir bereits geholt, das ist auf jeden Fall schonmal gut.

TaraTamm
11.04.2024, 00:26
Also mir ist es vollkommen egal, wie alt meine Kollegen sind, wie lange sie studiert haben und aus welchen Gründen. Solange sich jemand halbwegs kollegial verhält, zumindest die Basics der Medizin beherrscht und kein Arschloch ist, ist alles paletti.

Persönlich finde ich Leute, die einen absoluten Standard-Lebenslauf haben (Abitur, dann direkt Medizinstudium ohne Zeit zu verlieren, dann sofort erste Stelle im Krankenhaus) oft eher langweilig. Private Unterhaltungen mit Menschen, die auch schon mal was anderes gesehen haben und/oder schon das ein oder andere private Problem überwunden haben, sind für mich meistens wesentlich interessanter.

hebdo
11.04.2024, 05:57
Ich habe mit 31 Jahren meine erste Stelle angetreten ( aus einem anderen Grund) und wurde nie wegen meines Alters angesprochen. Ich denke, dass sich andere gar nicht so viele Gedanken über andere machen. Zerbreche mir auch nicht den Kopf der anderen. Rein beruflich klingt doch alles gut bei dir - 60h Wochen sind natürlich schon belastend.

xenopus laevis
11.04.2024, 08:12
Es gibt einige AiWler mit psychischen Problemen, nur sieht man es ihnen bekanntlich nicht an. Solange du deinen Job machst, nicht zu einer Belastung deiner Kollegen wirst und kollegial bleibst, hinterfragt auch niemand deinen Lebenslauf oder dein Alter.

MellowMed
11.04.2024, 09:00
Du hast es jetzt bis zum Arzt/Ärztin geschafft, trotz einer signifikanten Erkrankung. Das ist doch eine tolle Leistung! Im Gegensatz zu vielen anderen die mit Goldlöddel im Hintern geboren "nur" das selbe wie du geschaft haben ;) Sei stolz auf dich und zieh dein Ding durch. 60h/Woche ist natürlich schwierig und insbesondere wenn man selbst etwas angechlagen ist denke ich dass es noch wichtiger ist auf ausreichende selfcare zu achten. An deiner Stelle würde ich eventuell schauen zumindest mittelfristig in ruhige Fahrwasser zu kommen :)

Nilani
11.04.2024, 12:00
Also ich hab auch einen sehr durchwachsenen Lebenslauf mit sehr sehr vielen Semestern (vermutlich mehr als du) auf dem Papier, dazu Studium abgebrochen, wieder aufgenommen, dazu introvertiert und etwas ruhig, zurückhaltend und ja, auch unsicher (aber keine sozialen Ängste). Mit 38 war ich fertig. Es hat einen einzigen Personaler mal interessiert bei der 1. Stellensuche und diejenigen bei meiner aktuellen Stelle wollten alles ganz genau wissen (das ist aber auch ÖD, die wollten sogar das nie erhaltene Zeugnis von meiner Ausbildung in den 90igern sehen). Ansonsten interessierte das tatsächlich niemanden. Mit Kollegen unterhält man sich möglicherweise und da gibt man so viel preis, wie man möchte (oder eben auch nicht). Auch von Chefseite her war es nie ein Problem (mein aktueller Chef ist quasi genauso alt wie ich). Ich bin stolz darauf, dass ich am Ende da gelandet bin, wo ich bin, auch wenn es lange gedauert hat. Warum geht eigentlich niemanden was an.
Bei den Pat. werde ich meist für jünger gehalten, aber ab einem gewissen Level spielt auch das keine Rolle (im Gegenteil, da stand man als Berufsanfänger mit Mitte 20 ganz anders da). Die wissen auch nicht, dass mir gute 10 Jahre Berufserfahrung fehlen zu einem "normalen" Arzt-Lebenslauf.
Inzwischen hab ich meine Fachrichtung gefunden, die etwas ruhiger ist, eine ganz gute Stelle, wo ich mich sicher fühle, im Team viel besprochen wird, aber man trotzdem in seinem eigenen Zimmer sitzt und sein Ding durchziehen kann.
Mach dir da nicht zu viele Gedanken, auch wenn es leicht gesagt ist. Wird alles nicht so heiß gegegessen, wie es gekocht wird

nie
11.04.2024, 12:31
Ich war auch schon über 30 als ich angefangen habe als Ärztin zu arbeiten. Und hatte auch Unterbrechungen im Studium. Interessiert hat’s nie jemanden. Und ich sehe jetzt auch nicht jünger aus als ich wirklich bin ;-) Als ich damals durchs Physikum gefallen bin, dachte ich auch, dass ich damit alles ruiniert habe. Ist jetzt 10 Jahre her und genau so lange hat sich auch schon niemand mehr für mein Physikum interessiert…

Meistens zieht man sich ja selbst an irgendwelchen Nebensächlichkeiten hoch, von denen man denkt, dass sie ein Problem für alle Anderen sind. Aber für alle Anderen sie diese Dinge in der Regel kaum von Relevanz.

Spjabork
11.04.2024, 14:10
Wie würde jemand ohne Sozialangst damit umgehen?

Keine Pussy sein und aufhören sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen die man sowieso nicht ändern kann?

Duke Nukem
11.04.2024, 14:19
Keine Pussy sein und aufhören sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen die man sowieso nicht ändern kann?

Ich glaube mit der Antwort fällst Du im Psychiatrie OSCE durch ;-)

drifit
14.04.2024, 13:15
Leute, vielen Dank für die ganzen ausführlichen Nachrichten!!! Es hilft enorm, sich dann manchmal wieder den Kopf gerade zu rücken! Denn das ist ja bekanntlich das Problem an diesen Ängsten: sie sind irrational! Tatsächlich habe ich Glück in einem super netten Team zu arbeiten und habe beim Lesen eurer Kommentare mal wieder gemerkt, dass es natürlich doch größtenteils nur in meinem Kopf ist.
60h ist auf Dauer definitiv zu viel, für jetzt lerne ich halt extrem viel und bin dankbar für die Stelle. Aber langfristig muss sich da auf jeden Fall noch etwas ändern, und sei es die Stunden einfach zu reduzieren!

Vielen Dank euch allen (auch Spjabork für den Lacher!)