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unbekannt
01.02.2004, 17:22
180°

Die e-mail kommt überraschend.

Wir treffen uns im Café, in dem wir immer unsere Freistunden verbrachten. Wir umarmen uns herzlich und drücken uns. Ich bestelle wie immer Schwarzen Tee, sie entscheidet sich für Orangensaft. Wir haben uns zu lange nicht mehr gesehen.

Ich kann eigentlich nichts Neues von mir berichten, also erzähle ihr von meiner Arbeit im Krankenhaus. Sie amüsiert sich.
Komisch, wenn ich es so erzähle, erscheint es interessanter und erfüllender, als es tatsächlich ist.
Voller Begeisterung erzählt sie von ihrem Praktikum in Dänemark, von ihrer Schnupperwoche in der Praxis eines Logopäden, von ihrem Umzug: sie wohnt jetzt in einer WG. Sie scheint glücklich.

Alles Neue ist erzählt. Mein Tee ist immer noch heiss.

- Ich habe Jan wiedergetroffen, sagt sie. Er studiert jetzt Englisch und Geschichte auf Lehramt.

Ich muss lachen. Der Linksintellektuelle mit dem Hang zur Anarchie.

- Und Michael studiert jetzt Mathe, sagt sie.

Ich kenne die Geschichte bereits. Mit Gras gedealt, erwischt, Vorstrafe, kein Jura-Studium. Ich tue trotzdem überrrascht.

Lansam wissen wir nicht mehr, was sagen. Meine Gauloises liegen auf dem Tisch, aber hier im Erdgeschoss herrscht Rauchverbot. Also nichts zum Festhalten.
Wir schweigen uns an. Es ist anders als früher. Nicht-reden-wollen und nicht-reden-können.

Ich weiss nicht mehr weiter.

Alles hat sich um 180° gewendet. Auch ich. Aber ich bin trotzdem unglücklich, da Stillstand.

Der Tee ist bitter geworden.

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(Danke für`s Lesen. Die Kurzgeschichte ist zu persönlich, um sie nicht anonym zu veröffentlichen.)

delpherina
01.04.2006, 17:55
hm... gefällt mir.

ehemalige Userin 24092013
10.05.2006, 10:53
Mir macht sie ehr angst....

DeKl
10.05.2006, 11:00
schön geschrieben. es beschreibt genau das, was wahrscheinlich wirklich jeder erlebt oder erlebt hat und ich persönlich finde das auch normal, obwohl es hier natürlich ziemlich plötzlich kommt. menschen verändern sich und mit den wirklich wichtigen wird man sich auch weiterhin etwas zu sagen haben.

Kackbratze
10.05.2006, 17:51
Normal halt.

Am Anfang macht es betroffen, aber am Ende merkt man, dass es Leute gibt, wo die Verbindung nicht mehr da ist.
Auch wenn man in der Schulzeit auf jeder Party was zusammen gemacht hat, regelmäßig Kartenspeilen war oder sonstwas gemacht hat.

Irgendwann trennen sich manche Lebenswege.

Man kann nicht nur in der Vergangenheit leben.

DebbySGH
10.05.2006, 18:00
ich find sie sehr schön, wenn sie mir auch angst macht. v.a. vor dem was in nächster zeit auf mich zukommt. mach jetzt grad mein abi und danach wird sich eben einiges ändern. gerade wenn ich umziehen werde, was sehr wahrscheinlich ist. und seit letztes jahr schon die meisten meiner freund abi gemacht haben ist es auch schon mit manchen so, wie du in deiner geschichte beschrieben hast... ist wirklich schade. aber ich glaub man muss es akzeptieren und darf den alten zuständen nicht nachtrauern, denn
- mit wirklich sehr sehr guten freunden bleibt der kontakt weiterhin
- man lernt auch neue menschen kennen, mit denen man vielleicht noch mehr gemeinsam hat, als mit den "alten"

medimädchen
11.05.2006, 13:55
Naja also ich fand und finde es auch sehr schade, das ich viele gute Freunde heut kaum mehr sehe...aber ab einem gewissen Punkt bin ich es auch Leid, denen hinterher zu laufen. Zu vielen habe ich noch guten Kontakt und in Zeiten von Internet und Telefon kann man den auch halten. Zu erzählen haben wir uns dann aber immer was *gg* - liegt aber vielleicht auch an jedem selbst und an dem Gegenüber.