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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Aufklärung bei fraglich orientierem Patienten



hanna:95
17.04.2024, 10:07
Ich lerne gerade für's mündliche Examen und die Internistin stellt fast immer im Wortlaut folgende Frage:
"Sie klären einen 70jährigen Patienten für eine elektive, aber zeitnah notwendige Koloskopie auf. Die Indikation ist gegeben. Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht liegt nicht vor, der Patient steht nicht unter Betreuung. Es gibt keine Vordiagnosen oder Medikation, die die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen könnten. Nach ausführlicher Aufklärung ohne Rückfragen seitens des Patienten unterschreibt der Patient für die Untersuchung. Direkt im Anschluss fragt sie der Patient, wer sie sind und wofür er gerade unterschrieben hat. Wie ist ihr weiteres Vorgehen?"
Weitere Rückfragen werden nicht beantwortet.
Aus dem Bauch heraus hätte ich folgendes Vorgehen vorgeschlagen:
1. Bei Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit Eingriff zunächst nicht durchführen, da elektiv
2. Abklärung Delir
3. Falls unauffällig orientierendes Demenzscreening, z.B. mittels MMST
4a. Falls auffällig Konsil an Neurologe, Psychiater, Geriater etc. und Einleiten einer Betreuung
4b. Falls unauffällig Patienten noch mal in aller Kürze sagen, dass eine Darmspiegelung nötig ist und ob er diese durchführen lassen möchte (am besten mit Zeuge)
Diese Antwort wurde auch fast 1:1 von allen so gegeben, gefiel der Prüferin aber wohl nicht so ganz.
Leider geht aus den Protokollen nicht hervor, was ihre Musterlösung wäre. Und in gängigen Lehrbüchern findet man über diese Fallkonstellation leider auch nichts.
Ich ahne ja fast, dass sie hören will "Der Patient hat unterschrieben, also spiegeln wir."

davo
17.04.2024, 10:40
Dein Job ist nicht, den Prüfer zufriedenzustellen, sondern eine gute Antwort zu geben.

1 ist auf jeden Fall sinnvoll, 2 auch. Außenanamnese fehlt mir (Angehörige, Hausarzt). Ansonsten klingt doch alles gut, ist aber, da elektiv, nur noch bedingt dein Bier. Eine wesentliche Frage ist auch, warum der Patient überhaupt bei dir ist, ob er ambulant oder stationär da ist, wenn er stationär da ist, warum, usw.

hanna:95
17.04.2024, 10:50
Wenn die gute Antwort der Prüferin aber nicht gefällt, hab ich auch nichts gewonnen :-)
Rückfragen zu diesem Fall beantwortet sie leider nicht, die erste Reaktion der Prüflinge war auch immer "Warum die Kolo?" Macht ja doch einen Unterschied, ob's jetzt ein stetiger Hb-Abfall mit V.a. untere GI-Blutung ist oder eine Kontroll-Kolo bei Z.n. irgendwas vor Jahren. Kommt immer: "Sie haben alle relevanten Informationen bereits." Es scheint also irgendwie eine Art "Musterlösung" zumindest für sie für diese Fallkonstellation zu geben.
"Prüfen, ob es eine Alternative zum geplanten Eingriff gibt" erscheint mir auch falsch, da ja nicht der Eingriff per se in Frage steht, sondern die Einwilligungsfähigkeit des Patienten und diese bei einer Alternative (z.B. Schnittbildgebung) auch erforderlich wäre.

davo
17.04.2024, 12:04
Ja, aber das ist ja ein unlösbares Problem.

Du fragst Sachen, die du nie beantworten wirst können, die wir nie beantworten werden können.

Das ist also zu 100% verlorene Zeit. Hak die Frage ab und geh weiter zur nächsten.

Und es ist auch völlig egal, ob ihr deine Antwort gefällt oder nicht. Solange du bestehst, ist alles gut - und das wirst du bestimmt unabhängig davon.

Es ist nicht der Sinn des Examens, jede jemals gestellte Frage so perfekt und so individuell auf die persönlichen diagnostischen und therapeutischen Präferenzen des Prüfers auszuarbeiten, dass der Prüfer keine einzige Nachfrage stellen könnte. Das ist völlig over the top.

Bei vielen Prüfern wäre das wahrscheinlich sogar kontraproduktiv - die Prüferin will doch vielleicht einfach eine Chance bekommen, zu zeigen, warum sie die Oberärztin ist und du die Studentin. Nimm ihr diese Chance nicht ;-)

TaraTamm
17.04.2024, 12:54
Wenn der Patient unmittelbar nach dem Gespräch bereits nicht mehr weiß wer ich bin und was besprochen wurde, dann besteht für mich kein Zweifel, dass er nicht aufklärungsfähig ist.

Selbst wenn er dann einen unauffälligen MMST hat, würde ich, wenn ein zweites Aufklärungsgespräch wieder genauso läuft, keinen elektiven Eingriff durchführen, solange er keinen Betreuer hat, der das absegnet.

Zumindest wäre das meiner Meinung nach das korrekte Vorgehen. Ist der Eingriff nicht komplett elektiv, sondern es ist schon eine gewisse Dringlichkeit gegeben, dann würde ich versuchen Angehörige einzubeziehen, auch wenn diese nicht gesetzlich bevollmächtigt sind. So lässt sich der mutmaßliche Wille des Patienten evtl. besser feststellen.

In der Praxis würde man in vielen Fällen wahrscheinlich einfach sagen „er hats unterschrieben also machen wirs einfach“.

Nefazodon
17.04.2024, 13:08
Prinzipiell stimmt das, was davo geschrieben hat.

Ich würde noch ergänzen wollen:
-Abklären, warum in dieser Situation plötzlich die Rückfrage auftaucht: hat man selbst die Aufklärung so durchgeführt, dass der Patient sie verstehen *konnte*? Gibt es vielleicht eine unerkannte Schwerhörigkeit, sodass man zwar geredet hat, der Patient aber gar nichts mitbekommen hat?
Diese Abklärung lässt sich unkompliziert im Gespräch durch Rückfragen durchführen.
-Bei Anhalt für Gedächtnisstörungen oder anderen kognitiven Einschränkungen als Ursache für die plötzliche Frage ist eine weitere Abklärung im Sinne einer Demenztestung indiziert.
-die Frage ist aber, ob das dein Bier ist.
-In einer ambulanten Sprechstunde, in der nur für die Kolo aufgeklärt werden soll, würde ich eine weitere Abklärung durch Hausarzt/ggf. Neurologe empfehlen und das auch in einen Arztbrief an den Hausarzt schreiben bzw. Angehörigen kommunizieren
-im stationären Setting würde ich einen Minimentaltest machen um das Problem selbst genauer einzugrenzen und dann zur weiteren Abklärung ein psychiatrisches oder neurologisches Konsil anfordern (eins von beiden reicht, je nachdem was besser verfügbar ist).
-ein psychiatrisches Konsil hat den Vorteil, dass man um Prüfung der Einwilligungsfähigkeit bitten kann.

Ich weiß ja auch nicht, worauf die Frage genau abzielt daher als Zusatzinfo:
-Zu einer Demenzabklärung gehören Anamnese, psychopathologischer Befund, körperliche (insbes. neurologische) Untersuchung, Basislabor (mindestens kl. BB, Leber-, Nierenwerte, Elyte, Schilddrüse, Vitamin B12, B1, B6), zerebrale Bildgebung, neuropsychologische Testung (mindestens Kurztests, gerne auch ausführliche Testbatterien wenn möglich und nach Kurztests indiziert) und ggf. Lumbalpunktion
-Einwilligungsfähigkeit ist keine konstante Eigenschaft, sondern muss für jeden Einzelfall geprüft werden.
Kriterien für Einwilligungsfähigkeit sind: Informationsverständnis, Einsichtsfähigkeit, Urteilsbildung, und Fähigkeit zur Kommunikation der Entscheidung.
Informationsverständnis kann in diesem Fall in Frage gestellt sein, wenn der Patient sich nicht an die Informationen erinnert...

Einen elektiven Eingriff sollte man so wie in diesem Fall beschrieben erstmal nicht durchführen. Die Aufklärung ist so nicht gültig.

davo
17.04.2024, 13:31
Wobei man da halt immer auch wissen sollte, wie das Vorniveau war, wie das Setting ist. Deswegen u.a. Außenanamnese. Wenn das ein Patient ist, der sich selbständig einen Ambulanztermin für die Kolo vereinbart hat, ist eine höhergradige Demenz der meisten Formen ex ante schon mal eher unwahrscheinlich. Da sollte man dann eher die üblichen Gründe einer fluktuierenden Bewusstseinsstörung abklopfen, an allererster Stelle ein Infekt, aber natürlich auch Dinge wie z.B. Vorhofflimmern, Aortenklappenstenose, ACI-Stenose, Herzinsuffizienz, Hypoglykämie, usw. usf.

Aber das ist halt eine von den Fragen, wo das Grundprinzip sehr einfach zu begreifen ist, aber wo man theoretisch in jeder dieser thematischen Seitenstraßen eine Stunde mit all den Details verbringen könnte.

Wichtig ist einfach, sich immer in Erinnerung zu rufen, dass all das fürs M3 nicht nötig ist. Klar, je mehr du weißt, desto besser fürs Examen und für deine zukünftigen Patienten, aber fürs Examen selbst muss man sich keine unrealistisch hohen Ansprüche setzen.

Wenn die Prüferin bei einer Antwort nicht begeistert dreinschaut, dann ist das halt so. Muss nicht an dir liegen, ist halt so, hat keine wirkliche Konsequenz.

Nefazodon
17.04.2024, 13:37
Im Zweifel kann man, nachdem man sein weiteres Vorgehen kurz skizziert hat natürlich auch mal nachfragen, worauf die Frage im Weiteren abzielt.

Jukka666
17.04.2024, 14:32
Ich lerne gerade für's mündliche Examen und die Internistin stellt fast immer im Wortlaut folgende Frage:
"Sie klären einen 70jährigen Patienten für eine elektive, aber zeitnah notwendige Koloskopie auf. Die Indikation ist gegeben. Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht liegt nicht vor, der Patient steht nicht unter Betreuung. Es gibt keine Vordiagnosen oder Medikation, die die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen könnten. Nach ausführlicher Aufklärung ohne Rückfragen seitens des Patienten unterschreibt der Patient für die Untersuchung. Direkt im Anschluss fragt sie der Patient, wer sie sind und wofür er gerade unterschrieben hat. Wie ist ihr weiteres Vorgehen?"
Weitere Rückfragen werden nicht beantwortet.
Aus dem Bauch heraus hätte ich folgendes Vorgehen vorgeschlagen:
1. Bei Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit Eingriff zunächst nicht durchführen, da elektiv
2. Abklärung Delir
3. Falls unauffällig orientierendes Demenzscreening, z.B. mittels MMST
4a. Falls auffällig Konsil an Neurologe, Psychiater, Geriater etc. und Einleiten einer Betreuung
4b. Falls unauffällig Patienten noch mal in aller Kürze sagen, dass eine Darmspiegelung nötig ist und ob er diese durchführen lassen möchte (am besten mit Zeuge)
Diese Antwort wurde auch fast 1:1 von allen so gegeben, gefiel der Prüferin aber wohl nicht so ganz.
Leider geht aus den Protokollen nicht hervor, was ihre Musterlösung wäre. Und in gängigen Lehrbüchern findet man über diese Fallkonstellation leider auch nichts.
Ich ahne ja fast, dass sie hören will "Der Patient hat unterschrieben, also spiegeln wir."

Mann, bin ich froh, das nicht mehr machen zu müssen... :-)
Wenn man solche Prüfungen als Facharzt nochmal durchlaufen würde (inkognito gewissermassen), ich würd derart durchfallen....weil ich mit dieser Kollegin eher ein - sagen wir mal "bestimmtes" - Streitgespräch anfangen würde... :-)

Sorry, aber auf Nachfragen wichtige Infos zu verweigern nach dem Motto "Sie haben alle Infos" - MITNICHTEN! - ist so peinlich fernab der ärztlichen Realität....da zeigt sich mal wieder, was gute Prüfer von verkopften Theoretikern unterscheidet.

Und wenn die richtige Antwort wirklich "er hat unterschrieben, also machen wir" lautet, dann beweist es leider eine sehr traurige Arbeitsweise.

Du könntest dir aus dem bisher gesagten eine knappe Zusammenfassung überlegen und dann doch tatsächlich - risky! - überlegen, ob du anführst, "man könnte natürlich auch soweit gehen, dass der Patient ja eingewilligt hat, und damit den Eingriff machen" - mal sehen ob das dann die richtige Antwort war... ?
Falls sie das NICHT hören wollte, kann man ja nachschieben, "selber würde ich es ja auch nicht so handhaben"... :-)

Aus meiner persönliche Erfahrung - ich mache pro Jahr hunderte Aufklärungen über Narkosen/ZVK/Regionale etc - kann ich bestätigen, dass Menschen egal wie langsam und BASIC man redet, hinterher oft sagen "ich versteh davon ja nix" oder "wann kommt denn der Doktor zum Aufklären?" .... LOL

Und dass man natürlich auch bei krachdementen Patientinnen Eingriffe macht und sich mit einer persönlichen Notiz behilft, aber eben nur bei DRINGLICHEN Prozeduren oder Notfällen.

In diesem Fall würde ich es genauso handhaben wie die Kollegen hier es sagen: stutzig werden, nachhaken, das Gespräch nochmal suchen und überprüfen, ob es an mir lag und der Patient es beim zweiten Mal verstanden hat. Dann wäre es für mich okay. Wenn nicht: Angehörige, Kollegen um Rat fragen, Untersuchungen anordnen etc.

Bonnerin
17.04.2024, 16:10
Ich denke, es ist schon so gut wie alles genannt worden. Ich würde aber dennoch einen Aspekt ergänzen: Engmaschige Kontrolle des Grundes für die Kolo, z.B. eine Hb-Kontrolle (Verdacht auf Blutabgänge) parallel zu den Abklärungen durchführen. Denn da kann aus dem elektiven Eingriff natürlich auch eine Notfallsituation werden, in der die Einwillung erstmal vorausgesetzt ist um das Leben zu retten.

abcd
17.04.2024, 16:57
Und zu guter letzt, wenn man denkt er sei nicht einwilligungsfähig, hat er bestimmt eine Ehefrau, die eine Ehegattennotvertretung unterschreiben könnte und man macht die Aufklärung nochmal gemeinsam. Zusätzlich muss man wohl klären, warum er gerade so reagiert hat.

FirebirdUSA
20.04.2024, 06:36
Wenn du auf einer internistiscgmhen Station bist: Einwilligungsfähigkeit von Psychiater prüfen lassen. Es bestehen ja offensichtlich Zweifel. Wenn sie dann nachfrägt was der Psychiater macht, würde ich deine Antworten bringen ...

GloriaSchmidt
20.04.2024, 18:43
Diese Frage begegnet mir als Konsiliarius fast täglich.
Und immer lautet meine erste Frage:
„Es gibt keine Betreuung, aber gibt es Angehörige mit einer Vorsorgevollmacht?“
Dann wird viel herum telefoniert, dann lautet die Antwort oft „Ja“. Und dann ist das Problem gelöst.

thh
26.04.2024, 07:43
Diese Frage begegnet mir als Konsiliarius fast täglich.
Und immer lautet meine erste Frage:
„Es gibt keine Betreuung, aber gibt es Angehörige mit einer Vorsorgevollmacht?“
Dann wird viel herum telefoniert, dann lautet die Antwort oft „Ja“. Und dann ist das Problem gelöst.
.....

"Sie klären einen 70jährigen Patienten für eine elektive, aber zeitnah notwendige Koloskopie auf. Die Indikation ist gegeben. Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht liegt nicht vor, der Patient steht nicht unter Betreuung.

GloriaSchmidt
27.04.2024, 08:42
.....
Total überlesen :-)

Lakemond
30.04.2024, 13:24
"Wie ist ihr weiteres Vorgehen?"

Die Oberärztin anrufen!

hmp24
02.05.2024, 07:48
"Wie ist ihr weiteres Vorgehen?"

Die Oberärztin anrufen!

War bei uns tatsächlich mal eine "Musterlösung" für eine Examensfrage. Alle haben sich die dollsten Sachen ausgedacht, aber auf die Idee den Hintergrund-OA anzurufen kam keiner.