silva
03.02.2004, 12:38
Mir geht es hier mal um etwas ganz Banales : Demokratie.
Jeder weiß, seit der Französischen Revolution 1789 hat sich einiges getan, und selbst die sich nach Nachrichten richtenden Deutschen konnten schließlich 1945 endlich davon überzeugt werden, der Mensch soll heraustreten aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, soll sich selbst frei und freiheitlich entfalten und demokratisch als "Volk" sich selbst regieren.
Nun gibt es da so eine Tradition, alles Mögliche irgendwie "demokratisch" zu nennen. Beschränken wir uns also mal auf die sogenannten "westlichen" Demokratien, das Adjektiv verweist auf den zurückliegenden Kalten Krieg und auf die "Wende", seit der alles anders ist. Manche meinen, wir wären jetzt beim "Ende der Geschichte" angekommen (Fukuyama), wie es schon Hegel ausrief, der im Reich der Vernunft die Überwindung der Zeit der Zerissenheit glaubte, - manche reden vom "postideologischen Zeitalter", in dem Idealismus und Sendungsbewußtsein der Vergangenheit angehören, es herrschen "Nihilismus", "Lethargie", "Politik"- bzw. "Parteienverdrossenheit", eben jene "postmoderne Ironie" und so manches mehr. Ja, das Zeitalter der Utopien ist lange vorbei, der Pessimismus herrscht seit Orwell, Huxley und anderen Begründern einer neuen Generation von Schwarzsehern, Auguren der Endzeit.
Inhaltlich ist es ja toll: Da kann man die philosophischen Systeme im Wettbewerb entscheiden lassen, welches gültig sei, nach welchem der Staate auszurichten, welche Meinung die wahre sein müsse und so fort. Jedes System hat dann eine - bzw. nach ein paar Meinungsverschiedenheiten und Haarspaltereien mehrere - Parteien, die, damit die Regierungen etwas konstanter sind, eine gewisse Prozent-Hürde erreichen müssen, um die Interessen ihrer Wähler vertreten zu dürfen. Und wie das so ist in einer Bewußtseinsindustrie, sollte man am besten lieber Volkspartei sein - und da die demokratische Streitlust schließlich alle Meinungssicherheit in schizothyme Wirrung relativierte und alleine übrigblieb, bedarf es ein paar Inszenierungen von Unterschieden, alles ist ja ehehin schon gleich-gültig.
Wie auch immer, trotz aller Kritik wehrt man sich gegen das machiavellistische Schicksalsrad des Thukydides, wehrt man sich dagegen, daß nach Oligarchie und Barbarei wieder der Despotismus folgt. So kann man dann diese Tage auch etwas Feldforschung betreiben. Man muß nur, insbesondere in Hessen, eine Universität betreten, in der die in Streik getretenen Studenten (Anlaß waren Studiengebühren, gestreikt wird gegen "Operation Sichere Zukunft" und Sozialabbau) ein direktdemokratisches Experiment begonnen haben.
Wie man vielleicht weiß, erreichten die Studenten in den 60er/70ern Mitbestimmung an den Unis, ob das nun ASTA, Studentenparlament etc. sei. Jeder Fachbereich hat seine Fachschaft. Bei Vollversammlungen werden nun Streiks beschlossen, auch wenn letztlich das Wörtchen etwas deplaziert ist, denn es gibt keinen Druck auf irgendwen, wenn Studenten ihre "Arbeit" niederlegen. Daher blühete alsbald ein Pilz von Aktionskreisen, von denen jeder irgendeine "Aktion" zu planen haben sollte. Zwar ist es nur eine Minderheit der Studenten, meist aus dem Mittelfeld der Semester, die sich überhaupt beteiligt, aber im allgemeinen ist die Stimmung eher "ambivalent". Das Ganze hat etwas von Dadaismus.
Eine AK "Seminar-Boykott" spielt den Blutmessias Robespierre, geht im besetzten Turm von Seminar zu Seminar, wo die zur Anwesenheit verpflichteten Beamten mit einer Hand voll Studenten saßen, und von ersteren mit Predigten, also "Tugend und Terror" belehrt wurden: Wie könnt ihr euch nur einem demokratischen Beschluß widersetzen? ... Wir wollen hier ja nicht Gedankenpolizei spielen, aber... Ihr seid Streikbrecher...
- Im allgemeinen gilt von denen, die zu den Seminaren gehen: die seien "unwissend", "Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank", "verängstigt", manchen sei "nicht mehr zu helfen" etc. Die sympathetische Guillotine hat ihre Arbeit begonnen, der Vampyr des Subversiven, das Paranoia-Gespenst der Konterrevolutionären entfleucht den sich frisch erhebenden neuen Eliten.
Der neue Gott heißt Information: jede neue Ich-AK nimmt ihre Arbeit auf, setzt sich völlig utopische Ziele, muß versuchen, alle parallel gebildeten und noch unentdeckten AKs gleichen Inhalts in sich zu integrieren, muß versuchen, solange wie möglich, sich der nagenden Desillusion zu widersetzen, daß ja doch alles zwecklos ist, da etwa der AK, an den das Ergebnis gehen sollte, gar nicht existiert, oder da das Ziel schlicht und weg unsinnig war, da beim zweiten Treffen der AK nur noch aus einer Person besteht, die von nichts weiß, etc.
Wenn sich so ein neuer AK gebildet hat, sitzen erst einmal alle schweigend da und versuchen, irgendwo auf den Boden zu schauen und keinen Blickkontakt aufzunehmen, bis dann doch irgendjemand anfängt zu sprechen, sich zum Obererpel machen muß und von nun an die ganze Verwaltungsarbeit machen muß. Das einzig Gute ist, daß niermand verantwortlich ist. Das ist eine Errungenschaft der Demokratie: Verantwortung wurde abgeschafft. Das "Volk" ist verantwortlich. Man sollte eine AK Sündenbock gründen. Nur was lehrt uns das Ganze?
Vielleicht weiß es Oscar Wilde?
Er meint: "Praktische Naturen (...) wissen immer, wohin sie gehen, und dahin gehen sie auch. (...) Wer danach trachtet, etwas zu werden, was nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun hat, Parlamentsmitglied oder erfolgreicher Gemischtwarenhändler oder ein bekannter Rechtsanwalt oder Richter oder sonst etwas Langweiliges, wird unweigerlich dieses Ziel erreichen. Das ist seine Strafe. Wer eine Maske haben will, muss sie auch tragen. (...) Wer einzig nach Selbstverwirklichung strebt, weiß nie, wohin er geht. Er kann es nicht wissen."
Der Maskenball verschwimmt zur Uneigentlichkeit. Es ist wie ein Tausendfüßler ohne Kopf oder eine Hydra ohne Körper, ein bloßer Mechanismus, der sich aufbläht, um irgendwann in sich zusammenzufallen, sich immer weiter in Beschleunigung zu zentrifugieren, bis ein gewaltiges Schleudertrauma den Schlag begleiten wird, den manche Däumchen drehend schon erwarten.
1. Wer heute noch nicht wahnsinnig ist, der ist nicht informiert. Ich bin informiert. (Gabriel Barylli)
2. Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf, Wahnsinn zu sein, und wird Magie, Wahnsinn nach Regeln und mit vollem Bewußtsein.(Novalis, Fragmente)
3. Der Zwang zum Konsum ist ein Zwang zum Gehorsam gegenüber einem unausgesprochenen Befehl. Jeder steht unter dem entwürdigenden Zwang, so zu sein, wie die anderen: im Konsumieren, im Glücklichsein, im Freisein. Denn das ist der Befehl, den er unbewusst empfangen hat und dem er gehorchen 'muss', will er sich nicht als Außenseiter fühlen. Nie zuvor war das Anderssein ein so schweres Vergehen wie in unserer Zeit der Toleranz. (Pier Paolo Pasolini)
4. Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen «post hoc» von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines «alter ego,» Deines «besseren Ich», nicht verstehen solltest. Nenne ihn «Gewissen», «Eingebung», «Inspirazion», «Impuls» «innerer Befehl», oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. (Oskar Panizza, Illusionismus-Dämonismus, § 14)
Soweit für heute...(tinuviel)
Jeder weiß, seit der Französischen Revolution 1789 hat sich einiges getan, und selbst die sich nach Nachrichten richtenden Deutschen konnten schließlich 1945 endlich davon überzeugt werden, der Mensch soll heraustreten aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, soll sich selbst frei und freiheitlich entfalten und demokratisch als "Volk" sich selbst regieren.
Nun gibt es da so eine Tradition, alles Mögliche irgendwie "demokratisch" zu nennen. Beschränken wir uns also mal auf die sogenannten "westlichen" Demokratien, das Adjektiv verweist auf den zurückliegenden Kalten Krieg und auf die "Wende", seit der alles anders ist. Manche meinen, wir wären jetzt beim "Ende der Geschichte" angekommen (Fukuyama), wie es schon Hegel ausrief, der im Reich der Vernunft die Überwindung der Zeit der Zerissenheit glaubte, - manche reden vom "postideologischen Zeitalter", in dem Idealismus und Sendungsbewußtsein der Vergangenheit angehören, es herrschen "Nihilismus", "Lethargie", "Politik"- bzw. "Parteienverdrossenheit", eben jene "postmoderne Ironie" und so manches mehr. Ja, das Zeitalter der Utopien ist lange vorbei, der Pessimismus herrscht seit Orwell, Huxley und anderen Begründern einer neuen Generation von Schwarzsehern, Auguren der Endzeit.
Inhaltlich ist es ja toll: Da kann man die philosophischen Systeme im Wettbewerb entscheiden lassen, welches gültig sei, nach welchem der Staate auszurichten, welche Meinung die wahre sein müsse und so fort. Jedes System hat dann eine - bzw. nach ein paar Meinungsverschiedenheiten und Haarspaltereien mehrere - Parteien, die, damit die Regierungen etwas konstanter sind, eine gewisse Prozent-Hürde erreichen müssen, um die Interessen ihrer Wähler vertreten zu dürfen. Und wie das so ist in einer Bewußtseinsindustrie, sollte man am besten lieber Volkspartei sein - und da die demokratische Streitlust schließlich alle Meinungssicherheit in schizothyme Wirrung relativierte und alleine übrigblieb, bedarf es ein paar Inszenierungen von Unterschieden, alles ist ja ehehin schon gleich-gültig.
Wie auch immer, trotz aller Kritik wehrt man sich gegen das machiavellistische Schicksalsrad des Thukydides, wehrt man sich dagegen, daß nach Oligarchie und Barbarei wieder der Despotismus folgt. So kann man dann diese Tage auch etwas Feldforschung betreiben. Man muß nur, insbesondere in Hessen, eine Universität betreten, in der die in Streik getretenen Studenten (Anlaß waren Studiengebühren, gestreikt wird gegen "Operation Sichere Zukunft" und Sozialabbau) ein direktdemokratisches Experiment begonnen haben.
Wie man vielleicht weiß, erreichten die Studenten in den 60er/70ern Mitbestimmung an den Unis, ob das nun ASTA, Studentenparlament etc. sei. Jeder Fachbereich hat seine Fachschaft. Bei Vollversammlungen werden nun Streiks beschlossen, auch wenn letztlich das Wörtchen etwas deplaziert ist, denn es gibt keinen Druck auf irgendwen, wenn Studenten ihre "Arbeit" niederlegen. Daher blühete alsbald ein Pilz von Aktionskreisen, von denen jeder irgendeine "Aktion" zu planen haben sollte. Zwar ist es nur eine Minderheit der Studenten, meist aus dem Mittelfeld der Semester, die sich überhaupt beteiligt, aber im allgemeinen ist die Stimmung eher "ambivalent". Das Ganze hat etwas von Dadaismus.
Eine AK "Seminar-Boykott" spielt den Blutmessias Robespierre, geht im besetzten Turm von Seminar zu Seminar, wo die zur Anwesenheit verpflichteten Beamten mit einer Hand voll Studenten saßen, und von ersteren mit Predigten, also "Tugend und Terror" belehrt wurden: Wie könnt ihr euch nur einem demokratischen Beschluß widersetzen? ... Wir wollen hier ja nicht Gedankenpolizei spielen, aber... Ihr seid Streikbrecher...
- Im allgemeinen gilt von denen, die zu den Seminaren gehen: die seien "unwissend", "Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank", "verängstigt", manchen sei "nicht mehr zu helfen" etc. Die sympathetische Guillotine hat ihre Arbeit begonnen, der Vampyr des Subversiven, das Paranoia-Gespenst der Konterrevolutionären entfleucht den sich frisch erhebenden neuen Eliten.
Der neue Gott heißt Information: jede neue Ich-AK nimmt ihre Arbeit auf, setzt sich völlig utopische Ziele, muß versuchen, alle parallel gebildeten und noch unentdeckten AKs gleichen Inhalts in sich zu integrieren, muß versuchen, solange wie möglich, sich der nagenden Desillusion zu widersetzen, daß ja doch alles zwecklos ist, da etwa der AK, an den das Ergebnis gehen sollte, gar nicht existiert, oder da das Ziel schlicht und weg unsinnig war, da beim zweiten Treffen der AK nur noch aus einer Person besteht, die von nichts weiß, etc.
Wenn sich so ein neuer AK gebildet hat, sitzen erst einmal alle schweigend da und versuchen, irgendwo auf den Boden zu schauen und keinen Blickkontakt aufzunehmen, bis dann doch irgendjemand anfängt zu sprechen, sich zum Obererpel machen muß und von nun an die ganze Verwaltungsarbeit machen muß. Das einzig Gute ist, daß niermand verantwortlich ist. Das ist eine Errungenschaft der Demokratie: Verantwortung wurde abgeschafft. Das "Volk" ist verantwortlich. Man sollte eine AK Sündenbock gründen. Nur was lehrt uns das Ganze?
Vielleicht weiß es Oscar Wilde?
Er meint: "Praktische Naturen (...) wissen immer, wohin sie gehen, und dahin gehen sie auch. (...) Wer danach trachtet, etwas zu werden, was nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun hat, Parlamentsmitglied oder erfolgreicher Gemischtwarenhändler oder ein bekannter Rechtsanwalt oder Richter oder sonst etwas Langweiliges, wird unweigerlich dieses Ziel erreichen. Das ist seine Strafe. Wer eine Maske haben will, muss sie auch tragen. (...) Wer einzig nach Selbstverwirklichung strebt, weiß nie, wohin er geht. Er kann es nicht wissen."
Der Maskenball verschwimmt zur Uneigentlichkeit. Es ist wie ein Tausendfüßler ohne Kopf oder eine Hydra ohne Körper, ein bloßer Mechanismus, der sich aufbläht, um irgendwann in sich zusammenzufallen, sich immer weiter in Beschleunigung zu zentrifugieren, bis ein gewaltiges Schleudertrauma den Schlag begleiten wird, den manche Däumchen drehend schon erwarten.
1. Wer heute noch nicht wahnsinnig ist, der ist nicht informiert. Ich bin informiert. (Gabriel Barylli)
2. Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf, Wahnsinn zu sein, und wird Magie, Wahnsinn nach Regeln und mit vollem Bewußtsein.(Novalis, Fragmente)
3. Der Zwang zum Konsum ist ein Zwang zum Gehorsam gegenüber einem unausgesprochenen Befehl. Jeder steht unter dem entwürdigenden Zwang, so zu sein, wie die anderen: im Konsumieren, im Glücklichsein, im Freisein. Denn das ist der Befehl, den er unbewusst empfangen hat und dem er gehorchen 'muss', will er sich nicht als Außenseiter fühlen. Nie zuvor war das Anderssein ein so schweres Vergehen wie in unserer Zeit der Toleranz. (Pier Paolo Pasolini)
4. Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen «post hoc» von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines «alter ego,» Deines «besseren Ich», nicht verstehen solltest. Nenne ihn «Gewissen», «Eingebung», «Inspirazion», «Impuls» «innerer Befehl», oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. (Oskar Panizza, Illusionismus-Dämonismus, § 14)
Soweit für heute...(tinuviel)