PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Reflektionsthema



DasNils
06.05.2004, 14:00
Hallo!
ICh weiss dass ich hier vermutlich nich so ganz richtig bin, aber ich denke dass mir hier unter umständen einige Leute helfen könnten. Also folgendes: Ich bin noch inner 11. Klasse, und hab gerade mein Betriebspraktikum in der Allgemeinchirurgie gemacht. Für den Praktikumsbericht brauche ich jetzt einen "analytisch reflektierenden Teil". Mir ist aufgefallen, dass die chirurgen, auch vor allem beim Operieren, die Patienten ununterbrochen verarschen etc und über sie auch mehr als "die galle" oder "der blinddarm in der 3" etc gerdetet haben. Dies wollte ich nun zu meinem Reflektionsthema wählen, also ob es möglich ist, dass man sich auf diese Weise von den doch teilweise recht schweren Schicksalen etwas distanziert und sie nicht zu sehr an sich herankommen lässt.(Falls jemand der Meinung ist, dass das absolut nicht so ist, wäre es auch ganz nett wenn er mir das direkt sagen könnte...)
Es ist nun aber so dass ich dieses Thema dann meinem Kursleiter vorgestellt habe, und er meinte, ich könne es zwar machen, aber dann bitte nicht auf "stammtischniveau", d.h. ich darf nicht nur eigene Erfahrungen einbringen, sondern soll auch belege aus schriften anderer anführen... Und das ist nun mein Problem: Ich hab gerade 2 stunden gegoogelt, und absolut nichts zu dem Thema gefunden... Also mein Hilferuf: Hat irgendjemand eine Ahnung, wo ich Informationen zu dem Thema herbekommen kann??Wär echt wichtig... Vielen Vielen Dank im Vorraus!

das Nils

He-Man
06.05.2004, 19:00
Hallo DasNils!

Über den Zynismus unter Medizinern gibt es ein Kapitel in "Kritik der zynischen Vernunft" von Peter Sloterdijk. Ist allerdings nicht speziell auf die Chirurgie bezogen. Literarische Verarbeitungen sind z.B. die Gedichte von Gottfried Benn oder "Irre" von Rainald Goetz. Ansonsten: in einer guten Bibliothek in der Medizinsoziologie stöbern. Aber vielleicht hat noch jemand anderes hier einen Tip?
Achja: in Büchners Woyzeck wird auch so ein verdinglichender Arzt vorgestellt. Vielleicht findet sich in der Sekundärliteratur da was?

gruss, he-man

Kackbratze
07.05.2004, 06:13
Es gibt eine Folge Scrubs, da wird das Thema auch beleuchtet, allerdings ist das ganze da auch teilweise auf Stammtischniveau runtergekocht.

ceres
07.05.2004, 08:06
also ich denke aus scrubs kann er nicht zitieren, aber vielleicht erwähnen, das dieses Thema auch im fernsehen verbraten wird.
Und wohl auch ein globales Ereignis ist... :-D

Turtle
10.05.2004, 17:26
Ich weiß nicht, ob das Buch eine große Hilfe sein wird, aber wenn du es in einer Bibliothek findest, schau mal rein:
Philip R. Myerscough/Michael Ford "Kommunikation mit Patienten" aus dem Verlag Hans Huber
Ist ein für Medizinstudenten gemachtes Kommunikationstraining, welches auch die Fehler von Ärzten in der Kommunikation mit Patienten beleuchtet (und natürlich wie man´s besser machen kann). Des weiteren helfen dir vielleicht auch die Bücher für Medizinische Psychologie und Soziologie weiter.

Feyhach
10.05.2004, 20:48
Ich hab gerade mal im Buser/Kaul-HEcker "Kurzlehrbuch Medizinische Soziologie / Medizinische Psychologie" nachgeschaut, aber auf die Schnelle nichts passendes gefunden - und zum gründlichen Nachsehen hatte ich nach 2 Stunden Psycho-Lernen auch nicht mehr die Motivation ;-)

hobbes
19.05.2004, 23:19
Einerseits verstehe ich dich gut - aber andererseits ist dies kein gutes Reflektionsthema. Ich denke nicht, dass es hier um die Verarschung der Patienten geht. Zu Beginn mag die gewisse Lockerheit, die teilweise grobe Sprache (wider Erwartens) und eine gewisse scheinbare Nonchalence erschreckend sein. Die Beurteilung des Arzt-Patientverhältnisses kann jedoch nicht rein aus OP-Tischgeprächs-Mitlauschen erfolgen. Die OP-Tisch-Gespräche haben nämlich teilweise wirklich Stammtischcharakter. Die Frage - und hierüber lohnt es sich zu reflektieren - ist, wie ist es nun gemeint? Kein Mensch bleibt sein ganzes Berufsleben über immer nur ernst und zu tiefst betroffen - selbst nicht ein Leichenwascher oder Einsarger.
Die Beurteilung des Arzt-Patient-Verhältnisses kann ja nur aus der Verfolgung der gesamten Begegnungen zwischen Arzt und Patient (von der Notfaufnahme über die OP bis zur weiteren Betreuung, Entlassung und Nachkontrolle) erfolgen. Hierbei wäre doch zu beachten, dass der Einsatz der Chirurgen für die Patienten zuweilen sehr gross ist - was den einen oder anderen Spruch aufwiegt. Beachte, der OP ist des Chirurgen Arbeitsraum - und auch ein Teil seines Lebensraumes; also eine gewisse routinierte Gelassenheit, wann immer möglich, musst du ihm schon zugestehen.
Bitte immer unterscheiden: was ist so gemeint - was ist blödes Gerede.

Phage
20.05.2004, 08:18
Es gibt aber einen grossen Unterschied zwischen "routinierter Gelassenheit" und Verdraengungsmechanismen!

Was soll denn das bedeuten, es "kaeme darauf an, wie es gemeint ist"???

Wenn ein Chirurg von "der Galle" spricht, und am OP-Tisch derbe Sprueche ueber den Patienten reisst, dann gibt es darueber nichts zu diskutieren, wie das "gemeint" ist. Es ist schlichtweg unprofessionell und unverschaemt.

Ich stimme zu, dass man nicht immer Ernst und Betroffenheit heucheln kann. Man kann auch in den schlimmsten Momenten in Heiterkeit ausbrechen - aber nichts desto trotz muss die Menschenwuerde gewahrt bleiben.

Klar ist es notwendig, den Alltag irgendwie zu verarbeiten - und man kann fuer sich oder mit Kollegen oder daheim versuchen, durch Gespraeche oder eben durch Verdraengungsmechanismen den eigenen Problemen gerecht zu werden.
Aber im OP oder ueberhaupt vor dem Patienten ist dafuer einfach nicht der richtige Ort.

Bei all den eigenen Problemen darf man die Wuerde und die Rechte des Patienten nicht vergessen. Es gibt keine Entschuldigung fuer abwertendes Verhalten - egal "wieviel der Chirurg an Einsatz gezeigt haben mag".
Diese Aussage von hobbes finde ich unglaublich - das "wiege den ein oder anderen Spruch auf"

Was soll ich denn daraus folgern - wenn ich dem Patienten das Leben rette, dann ist es schon nicht mehr so schlimm, wenn ich ihn entwuerdige???
Wenn ich eine 14-Stunden-OP fuer den Patienten durchfuehre, dann habe ich das Recht auf Anzueglichkeiten???

Ich kann kaum glauben, dass du wirklich so argumentierst? :-???

Was soll man den Aerzten denn noch zugestehen? Vielleicht die ein oder andere sexuelle Belaestigung? Nach dem Motto: Das ist doch ganz verstaendlich, bei den vielen nackten Menschen, die man im OP so sieht??? Das sei eben die "routinierte Gelassenheit", die man mit der Zeit so entwickelt?

Fuer entwuerdigendes Verhalten gibt es keine Entschuldigung - nur Erklaerungsversuche in den eigenen Schwaechen.

hobbes
20.05.2004, 12:36
Ok, meine Argumentation war nicht gut. Aber du missverstehst mich eindeutig. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass der thread-Initiant falsche Schlussfolgerungen zieht.

Spricht ein Chirurg oder ein OP-Pfleger oder sonst jemand von der Galle in 3 oder dem Blinddarm in 5 - darf man dann hieraus menschenverachtendes und entwürdigendes Verhalten folgern? Sicher nicht!!

Wir sprechen hier eindeutig nicht von entwürdigendem Verhalten, schon gar nicht von sexueller Belästigung, von Erniedrigung und Machtmissbrauch. Was den thread-Initiant erstaunt hat ist doch wohl wirklich die Tatsache, dass auch ein OP-Saal ein ganz normaler Arbeitsort mit ganz normalen Menschen ist - mit all ihren Fehlern und Qualitäten.

Phage
20.05.2004, 12:52
...dass auch ein OP-Saal ein ganz normaler Arbeitsort mit ganz normalen Menschen ist - mit all ihren Fehlern und Qualitäten.

Soweit kann ich dir zustimmen. Und ich denke, ich weis auch mittlerweile, was du meinst.
Ich denke, dass die angesprochene Problematik bereits so weit verbreitet ist, dass viele Mediziner gar nicht mehr darueber nachdenken, was sie da eigentlich sagen oder tun.

Ich reagiere massiv allergisch auf Rechtfertigungsversuche, Witze ueber Patienten zu machen (auch wenn sie vielleicht narkotisiert sind), oder Patienten mit Organnamen zu versehen.
Ich denke, dass dies sehr wohl entwuerdigend ist. Denn es kostet nicht viel Muehe, sich bessere Manieren anzueignen. Dazu muss man nicht mal den Namen des Patienten lernen - es wuerde reichen, vom "Herrn mit der Cholangitis" zu sprechen, als von der "Cholangitis".

Wuerde ist der direkte Ausdruck unserer Wertvorstellungen. Und es gehoert - zumindest zu meinen - allgemeinen Wertvorstellungen, Menschen hoeflich und mit Namen anzusprechen, und nicht - waehrend sie sich in meine Obhut begeben haben - ueber sie zu witzeln oder sie zu verspotten.

Der Patient vertraut darauf, dass er entsprechend unseren Wertvorstellungen behandelt wird - nicht nur medizinisch.

Und ich denke sehr wohl, dass der "Thread-Initiant" sehr richtig beobachtet hat, dass im OP unsere Wertvorstellungen manchmal abhanden kommen.

hobbes
20.05.2004, 13:03
Original geschrieben von Phage
Denn es kostet nicht viel Muehe, sich bessere Manieren anzueignen.

Da hast du vollkommen recht.