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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fall 09/2004



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hiddl
19.05.2004, 19:11
Es wird mal wieder Zeit für einen neuen Fall, oder?
Leider kenn ich nur neurologische, aber vielleicht hat ja jemand Lust:
Ruft Euch die Schwester aus der Notaufnahme an und sagt, da sei ein Patient gekommen mit der Diagnose "Bandscheibenvorfall" auf dem Einweisungsschein. Was tun?


... ich fänd's übrigens bei allen Fällen schön, wenn jeder ein bißchen erläutern könnte, was er gerade so differentialdiagnostisch denkt, denn der Sinn mancher Fragen erschließt sich vielleicht nicht jedem, was ein bißchen schade ist, wenn der Fragende sich was superschlaues gedacht hat.

Pünktchen
19.05.2004, 21:20
Ich fange mal an...


Wie sieht denn der Patient auf den ersten Blick aus?
Körperliche Verfassung, irgendwelche Auffälligkeiten im Gangbild, Haltung, Gesichtszüge (schmerzverzehrt), Mobilität



möchte mir ersteinmal ein Bild vom Patienten verschaffen...

Turnusknecht
20.05.2004, 12:17
Beim "ersten Blick" würd es mich auch interessieren, ob er eine Schonhaltung eingenommen hat. Wie alt ist der Patient? Macht er den Eindruck, starke Schmerzen zu haben? Ein kurzer Blick auf den Einweisungszettel kann auch nicht schaden....


Dann würde ich nach einer kurzen Vorstellung mal beginnen zu erfragen ,was ihn zu uns geführt hat, bzw. weswegen er kommt?

Beginnen wir halt mal nach der kurzen Vorstellung mit einer offenen Frage:"Grüß Gott, was kann ich für sie tun? Was führt Sie zu mir?"

hiddl
20.05.2004, 12:33
Der Blick auf den Einweisungszettel verrät, daß dort außer "V.a. Bandscheibenvorfall" ausgestellt von einem Allgemeinmediziner nix draufsteht.
Wir wagen uns also ins Patientenzimmer und treffen dort auf einen entspannt aussehenden Herrn, der - das haben wir auf dem Weg zum Zimmer mit Hilfe der Einweisung mal schnell ausgerechnet - 62 Jahre alt ist. Er sitzt ganz lässig auf der Liege, von Schonhaltung oder schmerzverzehrtem Gesicht keine Spur. Insgesamt macht er den Eindruck eines eher einfachen Menschen und antwortet auf die Frage :
"Grüß Gott, was kann ich für sie tun? Was führt Sie zu mir?"
er könne seine rechte Hand nicht mehr bewegen.
Weitere Fragen? Und immer bedenken - dieser Mann ist wie der im letzten Fall eher einfach strukturiert, da muß man schon genau fragen, um genaue Antworten zu bekommen.

lala
20.05.2004, 13:04
Wie schön....eine meiner Liebllingseinweisungsdiagnosen ;-)

Also ich würde in der Anamnese erstmal versuchen zu klären:

-nur die rechte Hand betroffen?
-seit wann?
-auslösendes Ereignis? Verhoben, gebückt ect? Trauma?
-Schmerz??? Wenn ja Verstärkung wodurch (Bewegung/Pressen etc.)?
-wenn Schmerz da ist, wie der Schmerz ist, war zunächst Schmerz da und jetzt die Lähmung?
- Taubheitsgefühl? Wenn ja wo?
- Beine vollkommen in Ordnung? Blasen/Mastdarmstörung bemerkt?

So, das nur erstmal zur Anamnese....

hobbes
20.05.2004, 13:09
DD-Überlegungen: gibt es eine radikuläre Zuordnung von Schmerz/Parese/Dysästhesie? Gibt es eine Differenzierung von distal und proximal.

Turnusknecht
20.05.2004, 13:52
Ok, nur die rechte Hand? Ist die ganze hand betroffen, oder nur Teile? oder gibt´s Probleme mit dem Arm auch? Oder mit dem rechten Fuß? (ich weiß, sowas sollte in die klinische Untersuchung, aber wie wär´s mit einer vergleichenden Kraftprobe mittels Faustschluss?)

Ist die andere Körperhälfte auch betroffen?

Seit wann kann er die Hand nicht mehr bewegen? War das schon immer so? Ist das ganz plötzlich gekommen, oder allmählich? Ist es schon besser geworden, ist die Kraft schon wieder zurück, oder eher schlechter?

Fühlt sich die Hand oder einzelne Finger auch etwas "bamstig" an (wenn er Sensibilitätsstrg. angibt, so solle er sie gleich zeigen!)

Hat er sowas (ähnliches) schon mal gehabt?

(Versuchen wir mal einen peripheren von einem zentralen Prozess auseinander zu divdieren)

hiddl
20.05.2004, 15:02
Was um Himmels Willen ist " bamstig"? Ich hab mich ja schon etwas schwer getan, "Grüß Gott" zum Patienten zu sagen, aber ich bei "bamstig" redet er, glaub ich nicht mehr mit mir ;-)
Aber von vorne:

nur die rechte Hand betroffen?
ja, nur rechte Hand, der Arm ist ansonsten nicht betroffen, die linke Hand ist auch o.k.

seit wann?

Ist es schon besser geworden, ist die Kraft schon wieder zurück, oder eher schlechter
naja, seit gestern morgen kann er gar nichts mehr damit machen, auf genaue Anfrage hin, gibt er aber zu, daß es eigentlich schon seit ein paar Wochen schwierig ist mit Knöpfe schließen und vergleichbarem. Seit gestern ist es unverändert

auslösendes Ereignis? Verhoben, gebückt ect? Trauma?
also gestern morgen ist er damit aufgewacht, auch vorher kein Trauma

Schmerz???
Och ja, Rückenschmerzen hat er schon lange, vor allem im Nacken, ist deswegen auch regelmäßig beim Orthopäden in Behandlung - in diesem Moment zückt er aus der Reisetasche eine Röntgen-Tüte mit HWS-Aufnahmen von vor ein paar Monaten. Euer Kennerblick sagt Euch: degenerative Veränderungen. Gestern war er auch erst beim Orthopäden als das mit der Hand war, der hatte aber keine Zeit und die Sprechstundenhilfe hat ihn weggeschickt ( :-notify ). Darum ist er dann heute zum Hausarzt.
Verändert - nein verändert haben sich die Schmerzen eigentlich nicht in den letzten Tagen.

Taubheitsgefühl?
Ja, komisch ("bamstig" :-D ??) fühlt es sich an an der Hand, eigentlich die ganze Hand (wobei wir uns in diesem Moment nicht sicher sind, ob der Patient eine "echte" Sensibilitätsstörung von dem komischen Gefühl einer gelähmten Hand unterscheiden kann)

Beine vollkommen in Ordnung? Blasen/Mastdarmstörung bemerkt
Ach die Beine. Ja das Laufen fällt ihm schwer, schon länger, er weiß nicht genau wie lange schon, aber bestimmt schon ein halbes Jahr. Außerdem hat er manchmal so ein Kribbeln in den Füßen und Unterschenkeln, das aber mehr links.
Blasen- Mastdarmstörungen hat er nicht.

Ist die andere Körperhälfte auch betroffen? naja, der Arm nicht, am Bein hat er ja manchmal dieses Kribbeln

Hat er sowas (ähnliches) schon mal gehabt?
Ne, bisher nicht.

vergleichenden Kraftprobe mittels Faustschluss
Nene, das ist Untersuchung, das gibt's erst später (wobei ich zugeben muß, daß ich mich in der Situation auch nicht ganz zurückhalten konnte). Aber vielleicht zu dem was man sehen kann: der Patient hat den Arm im Ellenbogen offensichtlich aktiv gebeugt, die Hand hängt einfach runter.

Pünktchen
21.05.2004, 10:59
Hat er irgendwelche Vorerkrankungen? Wie lange bestehen, die Vorerkrankungen?
- Hypertonie, Diabetes

Ist der Patient übergewichtig?




@hiddl
naja....bei gruß gott, musste ich etwas schmunzeln und was bamstig ist, weiß ich auch nicht, aber unser östereichische Kollege wird es uns schon erklären :-)

Turnusknecht
21.05.2004, 12:06
Ja "bamstig" bedeutet bei uns halt eingeschlafen, taub, Ameisenlaufen und so...

Was mich wundert, wo bei Euch das gute alte "Grüß-Gott" hingekommen ist. *g*

Ja, Frage vollständigkeitshalber, die WS - Schmerzen, strahlen die irgendwo hin aus?

Warum beugt er im Ellbogen? Macht er das bewußt, oder aufgrund schmerzen (oder Z.b. Spastik-aber das ist ja wieder untersuchung *grummel*)? Ist das zeitgleich mit der Lähmung aufgetreten?

Har in letzter Zeit Kopfschmerzen, Probleme mit dem Sehen, Übelkeit, Erbechen.

Naja, wenn wir risikofaktoren erheben, gleichmal Nikotin und C2-abusus mit.

hiddl
22.05.2004, 11:27
Vorerkrankungen: nun ja, Medikamente nimmt er keine, aber der Blutdruck sei mal etwas hoch gewesen, Diabetes nicht.
Übergewichtig - vielleicht nicht ganz schlank, aber das haben wir schon schlimmer gesehen.
Die WS-Schmerzen strahlen nicht aus und den Arm hält er wohl so, damit die Hand nicht überall gegenschlackert :-?
Keine Kopfschmerzen, Sehstörungen, Übelkeit ...
Und die C2- und Rauchenfrage ist eigentlich auch die letzte wichtige, die fehlt: Alkohol, nun ja, bis vor fünf Jahren habe er ziemlich viel getrunken, jetzt nur noch so ein bis zwei Bier am Tag. Rauchen tut er auch und zwar bis zu eine Schachtel täglich.

Ich glaube, wir können zur Untersuchung schreiten, falls jemandem noch was fehlt, kann er ja noch nachfragen. Wir machen natürlich eine vollständige neurlogische Untersuchung - aber was interessiert Euch am meisten?

Pünktchen
22.05.2004, 11:33
hab noch eine Frage zur Sozialanamnese:
Was hat der Patient denn mal für einen Beruf erlernt bzw jahrelang ausgeübt?

Turnusknecht
22.05.2004, 11:55
Hach Gott, natürlich interessiert mich der GANZE neurostatus :-)) .


aber okay:

Inspektion haben wir ja, so glaub ich, eh schon durch...

ganz wichtig wird sein: Motorik der Extremitäten (v.a. OE im Seitenvergleich), Sensorik, Arm- und Beinhalteversuch, Trophik u. Tonus, Reflexstatus (inkl. path. Reflexe)

Hirnnerven, Feinmotorik und Koordination

Hm, ich hoff ich hab nix wichtiges vergessen.........aber der letzte ausgiebige Neurostatus ist schon wieder soooooo lange her *gg*

Ahja, grob internistisch: Cor/Pulmo/Carotis, RR/Pulse, Temperatur

lala
22.05.2004, 17:16
Naja, also was wichtig ist:

-ist es wirklich eine MONOparese - wenn ja zentral oder peripher? (MER?)
- wenn sensible Störung kriegen wir das nach zentral oder radikulär unter
- ist das ganze vielleicht doch eine Tetrasymptomatik so dass man nach `nem spinalen Prozess suchen muss?

hiddl
26.05.2004, 19:58
Tut mir leid, daß ich so lange nicht geantwortet habe - die Arbeit ... :-blush
Aber zum Befund:
fangen wir einfach mal oben an:
wach, orientiert
kein Meningismus
sakkadierte Blickfolge, Hirnnerven ansonsten aber unauffällig
Arme: die rechte Hand ist vollständig paretisch, das heißt keine Beugung, keine Streckung, nicht das kleinste Fingerzucken. Leichtes Absinken und Pronieren im Armhalteversuch rechts. Ansonsten aber keine Paresen (Beugen, Strecken im Ellenbogengelenk etc. problemlos möglich). Keinerlei Sensibilitätsstörungen. Muskeleigenreflexe sind alle etwas schwach auf der Brust, aber wenn überhaupt seitendifferent, dann rechts lebhafter.
Beine: keine Paresen, Pallanästhesie 0/8 an den Malleolen, 2/8 an der Tuberositas tibiae bds. Oberflächensensibilität, Schmerz, Temperatur grob orientierend gestestet intakt. PSR und ASR fehlt bds. Kein Babinski.
Ataxie: Finger-Nase-Versuch etc. rechts nur eingeschränkt beurteilbar, insgesamt bei allen Zeigeversuchen leicht dystaktisch, aber seitengleich.
Gehen etwas breitbasig, Seiltänzergang nicht möglich. Verstärkte Standunsicherheit im Romberg-Versuch bei geschlossenen Augen.
Keine offenkundigen neuropsychologischen Defizite.

Also: Wo ist die Läsion?
Oder ehrlicher: Wo sind die Läsionen? :-))

Was als nächste vordringliche Diagnostik?

Gruß, Ute

Turnusknecht
28.05.2004, 09:22
Also mein lieber Schwan, das ist eine gute Frage, wo die Läsionen sitzen.

Also ich hätt bis jetzt auf eine Monoparese der re Hand bei einem zentralen Prozess getippt.

Beim Rest hätt ich dem langjährigen C2-Abusus die Schuld gegeben (PNP).

Aber irgendwie passt mir das alles nicht zusammen, ich hab das gefühl ich seh den Wald vor lauter bäumen nicht.

Vielleicht hat ein anderer eine bessere Idee (der in Neuro fitter als ich ist).

Als nächste Diagnostik hätt ich gemeint Einsatz eines bildgebendes Verfahren, MRT oder wenn wir das nicht haben CT.

Pünktchen
28.05.2004, 10:33
ich schließe mich Turnusknecht an...

PNP und einen zentralen Prozess für die Monoparese der kompletten Hand...wo? links Gyrus praecentralis


Diagnostik:
cCT

notre
02.06.2004, 21:25
mhh,

was kann man dazu sagen?

gibt es anzeichen für fazikula- oder fibrillationen?

wenn er 30 jahre jünger wäre, könnte man auch auf eine spinal-cerebral entzündliche ursache (so wie MS) tippen.

schmeißt er denn irgendwelche pillen ein?

gruß
notre

hiddl
03.06.2004, 08:52
Tut mir leid, daß Ihr so lange warten müßt, aber ich war im Pfingstfrei :-))
Fibrillationen oder Faszikulationen hat er keine, da er ja auch schon über 60 ist, halten wir eine Erstmanifestation einer MS mal für eher unwahrscheinlich.
Ich würde mich also Pünktchen und Turnusknecht anschließen, daß der Patient zwei Krankheiten hat: Zum einen eine PNP(wahrscheinlich äthyltoxisch), und zum anderen eine Monoparese der rechten Hand, die eigentlich nur zentral sein kann, weil sie so gar nicht zu irgendeiner Wurzel, Nerven, Plexus oder was auch immer passen mag.
Also machen wir ein cCT (MRT wäre auch hübsch, das gibt es bei uns als Notfalldiagnostik aber auch nur, wenn es um Lyse geht und davon kann bei einer seit über 24 h bestehenden Symptomatik ja keine Rede sein).
Was sehen wir zu unserer Überraschung: ein hämodynamisches Infarktmuster auf der linken Seite mit - wenn man die Klinik betrachtet - recht ausgedehnten Läsionen.
Und nu?

Turnusknecht
03.06.2004, 12:29
"Und nu?"

1. Zuweisenden HA verfluchen.

2. Zuweisenden HA anrufen und verfluchen.

3. Zuweisenden HA anrufen und ihn sowie seinen Erstgeborenen verfluchen.


Nein, lasst mich kurz mal albern sein, und machen weiter:

hämodynamischer Infarkt = ist das ein Synonym für den ischämischen Hirninfarkt, den ich kenne?

Die Pupillen haben wir ja im Neurostatus gecheckt, die waren ja o.B.

Was ist mit meinem RR (beide Arme) und HF und dem groben Internestatus .........auf die warte ich ja schon sooooooooooo sehnsüchtig *schnüff*, weil die Ergebnisse könnt ma jetzt echt gut gebrauchen.

Ansonsten schnell mal auf die Stroke-unit (bzw. Neuro-Intensiv) verlegen. Zugang legen, Basis-Labor (BB, Diff, CRP, Elyte, BZ, NFP, LFP, Gerinnung). EKG (Ausschluss einer VH-Flimmerns), Th-Rö, und Patienten ans Monitoring hängen.

Haben wir den Patienten eigentlich schon genauer befragt, ob er "ein Pulverl zur Blutverdünnung" einnimmt bzw. ob Herzrythmusstrg oder "verengte Halsschlagadern" hat.

Ok, und dann schauen wir weiter, was wir weiter machen.