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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Klassiker: Zur Lehre vom Stil (Nietzsche)



Jens
19.05.2004, 23:10
Ja, ja der gute alte Nietzsche, den viele - vielleicht er selbst nicht immer - kaum verstanden, hat auch ne lehre zum Stil geschrieben.

Weil sie noch dazu recht kurz ist, passt sie gut hier hin.

Geht dabei natürlich nicht um die täglichen Emails, die man so schreibt, sondern um Texte, an denen man etwas länger "sitzt".

Anmerkungen von mir, die mir beim Schreiben einfieln, sind durch "==>" gekennzeichnet, los geht´s. Einiges hat noch heute Wert.


1.
Das Erste, was Not tut, ist Leben: der Stil soll leben.

==> also kein Beamtendeutsch, aktive Verben, Menschen und Orte, wenig -ung, -heit, -keit

2.
Der Stil soll Dir angemessen sein in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Person, der Du Dich mitteilen willst.

==> also natürlich schreiben, so wie es einem in den Sinn kommt, kurz überarbeiten (1. Relation: sich beim Schreiben nicht verstellen) UND immer an denjenigen denken, der das ganze lesen soll: den Leser vor Augen haben: was soll er mit dem Text anfangen (2. Relation)

3.
Man muss erst genau wissen: "so und so würde ich dies sprechen und vortragen" - bevor man schreiben darf. Schreiben muss eine Nachahmung sein.

==> oft gehörter Tipp für Schreiber beim Abfassen von Texten: erstmal versuchen, anderen etwas vorzutragen, es ihnen zu erklären (da klärt sich dann thematisch einiges, Beispiele werden gefunden), dann die Redephrasen raus und man kommt besser mit dem anschliessenden Text zurande und hat mehr Anhaltspunkte


4.
Weil dem Schreibenden viele Mittel des Vortragenden fehlen, so muss er eine sehr ausdrucksvolle Art von Vortrage zum Vorbild haben: das Abbild davon, das Geschriebene, wird schon notwendig viel blässer ausfallen.

==> Reden und mündlich Erzählen bietet sicher mehr Möglichkeiten, man kann versuchen, einiges davon in den Text hinüberzuretten

5.

Der Reichtum an Leben verrät sich durch Reichtum an Gebärden. Man muss Alles - Länge und Kürze der Sätze, die Interpunktionen, die Wahl der Worte, die Pausen, die Reihenfolge der Argumente - als Gebärden empfinden lernen.


==> klingt gut, "gebärdenreich zu schreiben", ist sicher nicht immer so leicht, wie er das formulierte. Klar ein "!" sagt mehr aus als ein ".", vielleicht findet man mit ein bisschen Geschick (und Zeit) das treffendere Wort: sie spazierten zum Hafen ist sicher etwas anderes als sie liefen im Stechschritt zum Hafen (um es einmal an einem simplem Beispiel zu veranschaulichen).

6.

Vorsicht vor der Periode (gleich: langer Satzbau)! Zur Periode haben nur die Menschen ein Recht, die einen langen Atem im Sprechen haben. Bei den meisten ist die Periode eine Affektation.


==> Wohl war: als jemand, der vor einigen Jahren noch - mag es am Lateinunterricht gelegen haben, wie ich mich gerade frage - immer gerne in verschachtelten Sätzen schrieb, um ja auch alles zwischen einem und den anderen Punkt unterzubringen, bin ich heute eher dazu übergegangen, lange Sätze in mehrere Teile aufzuspalten: meistens, aber nicht immer, kommt es besser, liest es sich einfacher.


7.

Der Stil soll beweisen, dass man an seine Gedanken glaubt, und sie nicht nur denkt, sondern empfindet.


==> ??? fällt mir wenig zu ein: Romanautoren sprechen ja manchmal davon, dass sie versuchen, sich in die fiktiven Figuren hineinzuversetzen, so zu fühlen, wie ihre Akteure.

8.

Je abstrakter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr muss man erst die Sinne zu ihr verführen.


==> Klar: Abstraktes muss erst in Anschauliches überführt werden, damit es verstanden wird. Der Mensch empfindet in Sinnen: er sieht, hört, riecht usw.
Will ich über das Abstraktum "Freiheit" schreiben, suche ich mir erst anschauliche (Sehen, Hören, Fühlen etc.) Dinge, die als Medium dienen: die Freiheitsstatue in New York, die Chöre vom "Wir sind das Volk" beim Fall der Mauer: daran (also an Dingen, mit denen jeder eine sinnliche Vorstellung verknüpft) kann ich dann auch weitere Punkte zum Thema "Freiheit" anknüpfen.

9.

Der Takt des guten Prosaikers in der Wahl seiner Mittel besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten.

==> Gedichte sind Gedichte und Geschichten sind Geschichten, man kann eine Annäherung versuchen (Wortwahl), aber das bleibt eher den Sprachfeinfühligen vorbehalten.

10.

Es ist nicht artig und klug, seinem Leser die leichteren Einwände vorwegzunehmen.
Es ist sehr artig und sehr klug, seinem Leser zu überlassen, die letzte Quintessenz der Weisheit selber auszusprechen.

==> Prinzip vieler Romane und Kurzgeschichten: man möchte als Leser etwas zu tun haben, wie zum Beispiel beim Krimi: wie langweilig, wenn ich nicht mitraten, selber denken, mir einen Täter ausmalen kann, sondern wenn mit alles an Schlussfolgerungen vom Autor vorgetragen wird (gilt ebenso für Romane: auch hier möchte man mitdeuten, ohne alles direkt erklärt zu bekommen.)


Soweit zu Nietzsches "Zur Lehre vom Stil" - wie ich finde,
immer noch lesenswert.

Schöne Grüsse
Jens
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