PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was der gute alte Schopenhauer zum Schreiben sagte



Jens
21.05.2004, 18:13
Schopenhauer sagte mir nur dem Namen nach etwas: ich wusste, dass er viele philosophische Dinge schrieb, ohne sie nun gelesen zu haben. Dass er mit Hegel "verfeindet" war (weil dieser ihm einen Professorenstuhl vor der Nase wegklaute) auch das nur am Rande.

Viel interessanter, lesenswerter als dieses "Bildungsgedöhns" und auch heute noch gültig finde ich seine Ausführungen "Über Schriftstellerei und Stil". Diesen Text findet man auch gegenwärtig noch oftmals in "Stil"-Ratgebern zitiert, so dass ich mal geschaut habe, wie der Gesamttext aussieht, aus dem die Zitat entnommen wurden.

Und diesen Text poste ich hier einmal als Beitrag, ich habe versucht zu kürzen, was nicht immer gelang, um den Sinn der Absätze nicht verlorengehen zu lassen.

Die einzelnen "Paragraphen" habe ich noch mit kurzen Überschriften versehen. In dem Text steckt viel Wahrheit wie ich finde, vielleicht macht es euch genauso Spass wie mir, dies zu lesen. Ist natürlich ein ellenlanger Text und eher etwas für verregnete Sonntag, aber er liest sich gut, auch heute noch.

Und noch eins: da stecken natürlich so viele Möglichkeiten drinnen, an seiner Schreibe etwas zu verbessern, dass man kaum mehr einen Satz auf´s Papier bekäme, wollte man all die vielen guten Ratschläge befolgen.

Also eher langsam sacken lassen und weiter schreiben wie bisher, sich aber dennoch den ein oder anderen Ratschlag von Zeit zu Zeit zu Herzen nehmen.

Und den erhobenen Zeigefinger, der einem aus Schopenhauers Text immer wieder vor die Augen gehalten wird, den denke man sich einfach weg - früher hatten die Leute sicher mehr Zeit, über ihr Geschriebenes nachzudenken und andere Ansprüche.

So genug der Vorrede.

<br><br>*** <br> <br> Arthur Schopenhauer: Über Schriftstellerei und Stil<br> Quelle: Schopenhauer &quot;Sämtliche Werke&quot; Band V von Cotta-Insel Arbeitsgemeinschaft 1965<br> <br> <b>§ 272 Von Papierfüllern und Denkern<br> </b>Zuvörderst gibt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mitteilenswert scheinen; diese brauchen Geld und deshalb schreiben sie, für Geld. Sie denken zum Zweck des Schreibens. [...] Man kann daher bald merken, daß sie, um Papier zu füllen, schreiben. [...] Sobald man es merkt, soll man das Buch wegwerfen; denn die Zeit ist edel. Im Grunde aber betrügt der Autor den Leser, sobald er schreibt, um Papier zu füllen; denn sein Vorgeben ist, zu schreiben, weil er etwas mitzuteilen hat.<br> <br> <b>§ 273 Drei Arten von Autoren</b><br> Wiederum kann man sagen, es gebe dreierlei Autoren:<br> - erstlich solche, welche schreiben ohne zu denken: sie schreiben aus dem Gedächtnis, aus Remineszenzen oder gar unmittelbar aus fremden Büchern. Diese Klasse ist die zahlreichste<br> - zweitens solche, die während des Schreibens denken. Sie denken, um zu schreiben. Sie sind sehr häufig.<br> - drittens solche, die gedacht haben, ehe sie ans Schreiben gingen. Sie schreiben bloß, weil sie gedacht haben. Sie sind selten.<br> [...] Hingegen wird das Schreiben des Schriftstellers der dritten Art einer Treibjagd gleichen, als zu welcher das Wild im voraus eingefangen und eingepfercht worden, um nachher haufenweise aus solchem Behältnisse herauszuströmen in einen anderen ebenfalls umzäunten Raum, wo es dem Jäger nicht entgehen kann; so daß er jetzt es bloß mit dem Zielen und Schießen (der Darstellung) zu tun hat. Dies ist die Jagd, die etwas abwirft. [...] die übrigen denken nur über das von anderen Gesagte. Sie bedürfen, um zu denken, der näheren und stärkeren Anregung durch fremde, gegebene Gedanken. Diese werden nun ihr nächstes Thema, daher sie stets unter dem Einfluß derselben bleiben. [...] Nur werd bei dem, was er schreibt, den Stoff unmittelbar aus dem eigenen Kopf nimmt, ist wert, daß man ihn lese.<br> <br> Kein größerer Irrtum, als zu glauben, daß das zuletzt gesprochene Wort stets das richtigere, jeder spätere Geschriebene eine Verbesserung, ein Fortschritt sei...verschlimmbessern...verballhornt und verhunzt (schon Schopenhauer kannte, ja er prägte diese noch heute geläufigen Ausdrücke). Schon oft ist ein älteres vortreffliches Buch durch neuere schlechtere, des Geldes wegen abgefasste, aber prätentiös auftretende und durch die Kameraden angepriesene verdrängt worden. In den Wissenschaften will jeder, um sich geltend zu machen, etwas Neues zu Markte tragen: dies besteht oft bloß darin, daß er das bisher geltende Richtige umstößt, um seine Flausen an die Stelle zu setzen; bisweilen gelingt es auf kurze Zeit, und dann kehrt man zum alten Richtigen zurück.<br> <br> <b>§ 274 Das Buch als Abdruck der Gedanken des Verfassers</b><br> Ein Buch kann nie mehr sein als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Wert dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in dem, worüber er gedacht hat, oder in der Form, d.h. der Bearbeitung des Stoffs, also in dem, was er darüber gedacht hat. [...] Hieraus folgt, daß das Verdienst eines lesenswerten Schriftstellers um so größer ist, je weniger es dem Stoffe verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist. So z.B. haben die drei großen griechischen Tragiker sämtlich denselben Stoff bearbeitet. Also soll man, wenn ein Buch berühmt ist, wohl unterscheiden, ob wegen des Stoffes oder wegen der Form.[...] Hingegen wo es auf die Form ankommt, indem der Stoff jedem zugänglich oder gar schon bekannt ist, wo also nur das Was des Denkers über denselben der Leistung Wert geben kann, da vermag nur der eminente Kopf etwas Lesenswertes zu liefern.[...] Die Vorliebe für den Stoff im Gegensatz zur Form ist, wie wenn einer die Form und Malerei einer schönen Vase unbeachtet ließe, um den Ton und die Farben derselben chemisch zu untersuchen.<br> <br> <b>§ 275 Eigene Gedanken im Text für andere lebendig werden lassen</b><br> Das eigentliche Leben eines Gedanken dauert nur, bis er an den Grenzpunkt der Worte angelangt ist. Wo es anfängt für andere dazusein, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Dasein tritt.<br> <br> <b>§ 279 Vortreffliche Texte</b><br> Um unsterblich zu sein, muß ein Werk so viele Trefflichkeiten haben, daß nicht leicht sich einer findet, der sie alle fasst und schätzt, jedoch allezeit diese Trefflichkeit von diesem, jene von jenem erkannt und verehrt wird, ... indem es bald in diesem, bald in jenem Sinne verehrt und nie erschöpft wird.<br> <br> <b>§ 280 Von der Gipsverzierung in Texten</b><br> Der Einsichtige erkennt und verschmäht sie (gemeint sind die schnellebigen Modeschwankungen auch in der Literatur): er bleibt außer Mode. Aber nach einigen Jahren kommt auch das Publikum dahinter und erkennt die Faxe für das, was sie ist, verlacht sie jetzt, und die bewunderte Schminke aller jener manierierten Werke fällt ab wie eine schlechte Gipsverzierung von der damit bekleideten Mauer.<br> <br> <b>§ 282 Den eigenen Stil wahren</b><br> Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher als die des Leibes. Fremden Stil nachahmen, heißt eine Maske tragen. Wäre diese auch noch schön, so wird sie durch das Leblose bald insipid unerträglich, so daß selbst das häßlichste lebendige Gesicht besser ist. [...] Stilfehler soll man in fremden Schriften entdecken, um sie in den eigenen zu vermeiden.<br> <br> <b>§ 283 Schopenhauers rechnet ab: mit Stilgauklern und Wortverdrehern</b><br> Um über den Wert der Geistesprodukte eines Schriftstellers eine vorläufige Schätzung anzustellen, ist es nicht gerade notwendig zu wissen, worüber oder was er gedacht hat, sondern zunächst ist hinreichend, zu wissen, wie er gedacht habe. Von diesem Wie des Denkens nun, von dieser wesentlichen Beschaffenheit und durchgängigen Qualität desselben ist ein genauer Abdruck sein Stil. [...]<br> <br> Im stillen Bewußtsein dieses Bewandtnisses der Sache sucht jeder Mediokre seinen ihm eigenen und natürlichen Stil zu maskieren. Dies nötigt ihn zunächst, auf alle Naivität zu verzichten, wodurch diese das Vorrecht der überlegenen und sich selbst fühlenden , daher mit Sicherheit auftretenden Geister bleibt. Jene Alltagsköpfe natürlich können schlechterdings sich nicht entschließen, zu schreiben, wie sie denken, weil ihnen dann ahndet, daß alsdann das Ding ein gar einfältiges Ansehen erhalten könne. Es wäre aber immer doch etwas. Wenn sie also nur ehrlich zu Werke gehen und das Wenige und Gewöhnliche, was sie wirklich gedacht haben, wo, wie sie es gedacht haben, einfach mitteilen wollten; so würden sie lesbar und sogar in der ihnen angemessenen Sphäre belehrend sein. <br> <br> Allein stattdessen streben sie nach dem Schein, viel mehr und tiefer gedacht zu haben, als das der Fall ist. Sie bringen demnach, was sie zu sagen haben, in gezwungenen, schwierigen Wendungen, neu geschaffenen Wörtern und weitläufigen, um den Gedanken herumgehenden und ihn verhüllenden Perioden vor. Sie schwanken zwischen dem Bestreben, denselben (also den Gedanken) mitzuteilen, und dem, ihn zu verstecken. Sie möchten ihn so aufstutzen, dass er ein gelehrtes oder tiefsinniges Ansehn erhielte, damit man denke, es stecke viel mehr dahinter, als man zur Zeit gewahr wird. Demnach werfen sie ihn bald stückweise hin in kurzen, vieldeutigen und paradoxen Ausspüchen, die viel mehr anzudeuten scheinen, als sie besagen; bald wieder bringen sie ihren Gedanken unter einem Schwall von Worten vor mit der unerträglichsten Weitschweifigkeit, als brauchte es wunder welche Anstalten, den tiefen Sinn desselben verständlich zu machen - während es ein ganz simpler Einfall, wo nicht gar eine Trivilität ist. [...] Zudem aber schreiben sie auch Worte, ja ganze Perioden hin, bei denen sie selbst nichts denken, jedoch hoffen, daß ein anderer etwas dabei denken werde.<br> <br> <b>Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß kein Mensch es versteht, wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß sie jeder verstehen muß.</b><br> <br> Vielmehr aber sollte ganz im Gegenteil ein Autor sich vor nichts mehr hüten als vor dem sichtbaren Bestreben, mehr Geist zu zeigen als er hat. [...] Auch sehen wir jeden wirklichen Denker bemüht, seine Gedanken so rein, deutlich, sicher und kurz wie nur möglich auszusprechen. Demgemäß ist Simplizität stets ein Merkmal nicht allein der Wahrheit, sondern auch des Genies gewesen. <b>Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken, statt daß bei jenen Scheindenkern die Gedanken durch den Stil schön werden sollen. Daher nun ist die erste, ja schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, daß man etwas zu sagen habe: O, damit kommt man weit! </b>Aber die Vernachlässigung derselben Regel: allen solchen Schreibern nämlich ist anzumerken, daß sie etwas zu sagen scheinen, während sie nichts zu sagen haben. [...] <br> <br> Wer etwas Sagenswertes zu sagen hat, braucht es nicht in preziöse Ausdrücke, schwierige Phrasen und dunkle Allusionen zu verhüllen, sondern er kann es einfach, deutlich und naiv aussprechen und dabei sicher sein, daß es seine Wirkung nicht verfehlen wird. Daher verrät durch obige Kunstmittel, wer sie braucht, seine Armut an Gedanken, Geist und Kenntnissen. [...] Ein guter, gedankenreicher Schriftsteller hingegen erwirbt sich bei seinem Leser bald den Kredit, daß er im Ernst und wirklich etwas zu sagen habe, wenn er spricht: und dies gibt dem verständigen Leser die Geduld, ihm aufmerksam zu folgen. <b>Ein solcher wird sich auch, eben weil er etwas zu sagen hat, stets auf die einfachste und entschiedenste Weise ausdrücken; weil ihm daran liegt, gerade den Gedanken, den er jetzt hat, auch im Leser zu erwecken und keinen anderen.</b><br> <br> Zur Charakteristik desselben (gemeint ist der in Augen Schopenhauers schlechtere Schreiber) gehört nun auch dies, daß sie wo möglich alle entschiedenen Ausdrücke vermeiden, um nötigenfalls immer noch den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können: daher wählen sie in allen Fällen den abstrakten Ausdruck, Leute von Geist hingegen den konkreteren, weil dieser die Sache der Anschaulichkeit näher bringt, welche die Quelle aller Evidenz ist. Jene Vorliebe für das Abstrakte läßt sich durch viele Beispiele belegen: ein besonders lächerliches ist aber dieses, daß man in der deutschen Schriftstellerei fast überall, wo &quot;bewirken&quot; oder &quot;verursachen&quot; stehen sollte, &quot;bedingen&quot; findet: weil dies abstrakter und unbestimmter, weniger besagt und daher immer noch ein Hintertürchen offenläßt, die denen gefallen, welchen das stille Bewußtsein ihrer Unfähigkeit eine beständige Furcht vor allen entschiedenen Ausdrücken einflößt.<br> <br> Hieraus entspringt der sich charakterisierende fühlbare Mangel an deutlich ausgeprägten Gedanken, weil eben der Prägestempel zu solchen, das eigene klare Denken, ihnen abgeht: statt ihrer finden wir ein unbestimmtes Wortgewebe, gangbare Redensarten, abgenutzte Wendungen und Modeausdrücke. Infolge davon gleicht ihr nebliges Geschreibe einem Druck mit schon oft gebrauchten Typen. <b>Leute von Geist hingegen reden in ihren Schriften wirklich zu uns, und daher vermögen sie uns zu beleben und zu unterhalten: nur sie stellen die Worte mit vollem Bewußtsein, mit Wahl und Absicht zusammen.</b> <b>Daher verhält sich ihr Vortrag zu dem der oben Geschilderten wie ein wirklich gemaltes Bild zu einem mit Schablonen verfertigten: dort nämlich liegt in jedem Wort wie in jedem Pinselstrich spezielle Absicht; hier hingegen ist alles mechanisch aufgesetzt.</b> <br> <br> In Hinsicht auf die oben angeregte <b>Langweiligkeit der Schriften</b> ist jedoch die allgemeine Bemerkung beizubringen, daß es zwei Arten von Langweiligkeit gibt: eine objektive und eine subjektive. Die objektive (Langweiligkeit) entspringt allemal aus dem hier in Rede stehenden Mangel, also daraus, daß der Autor gar keine vollkommen deutliche Gedanken oder Erkenntnisse mitzuteilen hat. Denn wer solche hat, arbeit auf seinen Zweck, die Mitteilung desselben, in gerader Linie hin, liefert daher überall deutlich ausgeprägte Begriffe und ist weder weitschweifig noch nichtssagend noch konfus, folglich nicht langweilig. Selbst wenn sein Grundgedanke ein Irrtum wäre, so ist er in solchem Fall doch deutlich gedacht und wohl überlegt, also wenigstens formell richtig, wodurch die Schrift immer noch einigen Wert enthält. Die subjektive Langweiligkeit hingegen ist eine bloß relative: sie hat ihren Grund im Mangel an Interesse für den Gegenstand beim Leser. Subjektiv langweilig kann daher auch das Vortreffliche sein, nämlich diesem oder jenem; wie umgekehrt auch das Schlechteste diesem oder jenem subjektiv kurzweilig sein kann, weil der Gegenstand oder der Schreiber ihn interessiert.<br> <br> Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zustatten kommen, daß man zwar wo möglich denken soll wie ein großer Geist, hingegen die Sprache reden wie jeder andere. <b>Man gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge. </b>Hinsichtlich des Wohlgefallens an Bombast, überhaupt am hochtrabenden, aufgedunsenen, preziösen, hyperbolischen und akrobatischen Stile ist ihr Typus des Fähnrich Pistol, dem sein Freund Fallstaff einmal ungeduldig zuruft: <b>&quot;Sage was du zu sagen hast, wie ein Mensch aus dieser Welt!&quot;</b> [...]Wer preziös schreibt, gleicht dem, der sich herausputzt, um nicht mit dem Pöbel verwechselt und vermengt zu werden - eine Gefahr, welche der Gentleman auch im schlechtesten Anzug nicht läuft.Wie man daher an einer gewissen Kleidertracht den Plebejer erkennt, so am preziösen Stil den Alltagskopf. [...] Was ein Mensch zu denken vermag, läßt sich auch allemal in klaren, fasslichen und unzweideutigen Worten ausdrücken. Die, welche schwierige, dunkle, verflochtene, zweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiß nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes, nach einem Gedanken erst ringendes Bewußtsein davon: oft aber wollen sie sich selber und anderen verbergen, daß sie eigentlich nichts zu sagen haben: <b>sie wollen zu wissen scheinen, was sie nicht wissen, zu denken, was sie nicht denken, und zu sagen, was sie nicht sagen. </b>Wird denn einer, der etwas Rechtes mitzuteilen hat, sich bemühen, undeutlich zu reden oder deutlich.<br> <br> Imgleichen soll man sich nicht rätselhaft ausdrücken, sondern wissen, ob man eine Sache sagen will oder nicht. Die <b>Unentschiedenheit des Ausdrucks </b>macht deutsche Schriftsteller so ungenießbar. Wie jedes Übermaß einer Einwirkung meistens das Gegenteil des Bezweckten herbeiführt, so dienen zwar Worte dazu, Gedanken fasslich zu machen, jedoch auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Über diesen hinaus angehäuft, machen sie die mitzuteilenden Gedanken wieder dunkler und immer dunkler. Jenen Punkt zu treffen, ist Aufgabe des Stils und der Urteilskraft, denn <b>jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zwecke gerade entgegen</b>. [...] <b>Immer noch besser, etwas Gutes wegzulassen, als etwas Nichtssagendes hinzuzusetzen. Viele Worte machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen der Mittelmäßigkeit, das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenige Worte zu schließen. </b>[...] Deshalb nun hat man, wie in der Baukunst vor der Überladung mit Zieraten, in den redenden Künsten sich vor allem nicht notwendigen rhetorischen Schmuck, allen unnützen Amplifikationen und überhaupt <b>vor allem Überfluß im Ausdruck zu hüten</b>, also sich eines keuschen Stils zu befleißigen. Alles Entbehrliche wirkt nachteilig. Das Gesetz der Einfachheit und Naivität, da diese sich auch mit dem Erhabensten verträgt, gilt für alle schönen Künste.<br> <br> Die <b>echte Kürze des Ausdrucks</b> besteht darin, daß man überall nur sagt, was sagenswert ist, hingegen alle weitschweifigen Auseinandersetzungen dessen, was jeder selbst hinzudenken kann, vermeidet, mit richtiger Unterscheidung des Nötigen und Überflüssigen. Hingegen soll man nie die Kürze der Deutlichkeit, geschweige die Grammatik zum Opfer bringen. Den Ausdruck eines Gedanken schwächen oder gar den Sinn einer Periode verdunkeln oder verkümmern, um einige Worte weniger hinzusetzen, ist beklagenswerter Unverstand. Gerade dies aber ist das Treiben jener falschen Kürze, die heutzutage im Schwange ist und darin besteht, daß man das Zweckdienliche, ja das grammatisch oder logisch Notwendige weglässt. [...] <br> <br> Überall, soweit möglich, soll man das Adjektiv vom Adverb unterscheiden, daher z.B. nicht &quot;sicher&quot; schreiben, so man &quot;sicherlich&quot; meint. Überhaupt soll man nie und nirgends der Kürze wegen auch nur das kleinste Opfer auf Kosten der <b>Bestimmtheit und Präzision des Ausdrucks</b> bringen: denn die Möglichkeit dieser (Bestimmtheit) ist es, welche einer Sprache ihren Wert gibt, indem es nur vermöge ihrer gelingt, jede Nuance, jede Modulation eines Gedankens genau und unzweideutig auszudrücken, ihn also wie im nassen Gewande, nicht wie im Sack erscheinen zu lassen, worin eben die schöne, kraftvolle und prägnante Schreibart besteht, welche den Klassiker macht. [...] <br> <br> Vorzüglich hat diese&nbsp; vandalische Zerstörungswut unserer Wortbeknapperer sich auf die Endsilben &quot;-ung&quot; und &quot;-keit&quot; gerichtet, [...] jene Silbenmodulation, indem sie nämlich durch &quot;-ung&quot; in der Regel das Subjektive, die Handlung vom Objektiven, dem Gegenstande desselben unterscheiden; durch &quot;-keit&quot; aber meistens das Dauernde, die bleibenden Eigenschaften ausdrücken.[...] <br> <br> Zudem nun aber ist <b>schlagende Kürze, Energie und Prägnanz des Ausdrucks</b> nur dadurch möglich, daß die Sprache <b>für jeden Begriff ein Wort </b>und für jede Modifikation, sogar für jede Nuancierung dieses Begriffs eine derselben genau entsprechende Modifikation des Wortes besitze; weil nur durch diese in ihrer richtigen Anwendung es möglich wird, daß jeder Periode, sobald sie ausgesprochen worden, im Hörer gerade und genau den Gedanken, welchen der Redner beabsichtigt, erwecke, ohne ihn auch nur einen Augenblick im Zweifel zu lassen, ob dieses oder jenes gemeint ist. [...] <br> <br> Dieses nun wird hauptsächlich gerade durch die Präfixa und Affixa (Vor- bzw. Nachsilben) ermöglicht: sie sind die Modulation jedes Grundbegriffs auf der <b>Klaviatur der Sprache.</b> Dasselbe läßt sich an deutschen Worten zeigen: z.B. das Substantiv &quot;Sicht&quot; wir modifiziert zu Aussicht, Einsicht, Durchsicht, Nachsicht, Vorsicht, Hinsicht, Absicht usw. Oder das Verbum &quot;suchen&quot; modifiziert zu aufsuchen, aussuchen, untersuchen, besuchen, ersuchen, versuchen, heimsuchen, durchsuchen, nachsuchen usw. [...] Während doch in der Sprache kein Präfixum ohne Bedeutung ist, keines, das nicht diente, den Grundbegriff durch alle seine Modulationen durchzuführen und eben dadurch <b>Bestimmtheit, Deutlichkeit und Feinheit des Ausdrucks</b> möglich zu machen, welche sodann in Energie und Prägnanz desselben übergehen kann. [...] Wie wenig ist doch daran gelegen, daß ein Wort zwei Silben mehr habe, wenn durch diese der Begriff näher bestimmt wird.[...] <b>Also nicht Worte und Sprachformen soll man zusammenziehen, sondern die Gedanken vergrößern</b>; wie ein Rekonvaleszent durch Herstellung seiner Wohlbeleibtheit, nicht aber durch Engermachen seiner Kleider diese wieder wie vormals auszufüllen imstande sein wird.<br> <br> <b>§ 284 Objektiver Stil, den Leser verstehen können</b><br> [Ein] Fehler des Stils ist die Subjektivität desselben. Sie besteht darin, daß es dem Schreiber genügt, selbst zu wissen, was er meint und möchte - der Leser mag sehen, wie auch er dahinter komme. Unbekümmert um diesen schreibt er eben, als ob er einen Monolog hielte, während es denn doch ein Dialog sein sollte, und zwar einer, in welchem man sich um so deutlicher auszudrücken hat, als man die Fragen des anderen nicht vernimmt. Eben deshalb nun also soll der Stil nicht subjektiv, <b>sondern objektiv sein; wozu es nötig ist, die Worte so zu stellen, daß sie den Leser geradezu zwingen, genau dasselbe zu denken, was der Autor gedacht hat. </b>Dies wird aber nur dadurch zustande kommen, wenn der Autor stets eingedenk war, daß die Gedanken insofern das Gesetz der Schwere befolgen, als sie den Weg vom Kopfe zum Papier viel leichter als vom Papier zum Kopfe zurücklegen, daher ihnen hierbei mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln geholfen werden muss. Ist dies geschehen, so wirken die Worte rein objektiv, gleichwie ein vollendetes Ölgemälde; während der subjektive Stil nicht viel sicherer wirkt als die Flecken an der Wand, bei denen der allein, dessen Phantasie zufällig durch sie erregt worden, Figuren sieht, die anderen nur Kleckse.<br> <br> <b>§ 285 Begeisterung schadet nicht</b><br> Wer nachlässig schreibt, legt dadurch zunächst das Bekenntnis ab, daß er selbst seinen Gedanken keinen großen Wert beilegt. Denn nur aus der Überzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit unserer Gedanken entspringt die Begeisterung, welche erfordert ist, um mit unermüdlicher Ausdauer überall auf den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck derselben bedacht zu sein. [...] Wie aber Vernachlässigung des Anzuges Geringschätzung der Gesellschaft, in die man tritt, verrät, so bezeugt flüchtiger, nachlässiger, <b>schlechter Stil eine beleidigende Geringschätzung des Lesers</b>, welche dann dieser mit Recht durch Nichtlesen straft.<br> <br> <b>§ 286 Von Architekten und Dominospielern</b><br> Wenige schreiben, wie ein Architekt baut, der zuvor seinen Plan entworfen und bis ins Einzelne durchdacht hat - vielmehr die meisten nur so, wie man Domino spielt. Wie nämlich hier, <b>halb durch Absicht, halb durch Zufall, Stein an Stein sich fügt - </b>so steht es eben auch mit der Folge und dem Zusammenhang ihrer Sätze. Kaum daß sie ungefähr wissen, welche Gestalt im Ganzen herauskommen wird und wo das alles hinaussoll. Viele wissen selbst dies nicht, sondern schreiben, wie die Korallen ihre Polypen bauen: Periode fügt sich an Periode und es geht, wohin Gott will. <br> <b><br> § 287 Nur einen Gedanken denken lassen</b><br> <b>Der leitende Grundsatz der Stilistik sollte sein, daß der Mensch nur einen Gedanken zur Zeit deutlich denken kann; daher ihm nicht zugemutet werden darf, daß er deren zwei oder gar mehrere auf einmal denke.</b> Dies aber<b> </b>mutet ihm der zu, welcher solche als Zwischensätze in die Lücken einer zu diesem Zwecke zerstückelten Hauptperiode schiebt; wodurch er ihn also unnötiger- und mutwilligerweise in Verwirrung setzt. [...] <b>Sagt, was ihr zu sagen habt, eins nach dem anderen, nicht aber sechs Sachen auf einmal und durcheinander.<br> <br> § 289 Kraft der Bilder und Gleichnisse</b><br> <b>Gleichnisse sind von hohem Werte, sofern sie ein unbekanntes Verhältnis auf ein bekanntes zurückführen.</b> Auch die ausführlichsten Gleichnisse, welche zur Parabel oder Allegorie anwachsen, sind nur die Zurückführung irgendeines Verhältnisses auf seine einfachste, anschaulichste und handgreiflichste Darstellung. Man wird aber jedes Verhältnis um so deutlicher und reiner auffassen, als man es in weit voneinander verschiedenen Fällen und zwischen ganz heterogenen Dingen als dasselbe wiedererkennt.<br> <br> Die Sprache ist ein Kunstwerk und soll als ein solches, also objektiv genommen werden, und demgemäss soll alles in ihr Ausgedrückte regelelrecht und seiner Absicht entsprechend sein, und in jedem Satz muß das, was er besagen soll, wirklich nachzuweisen sein, als objektiv darin liegend; nicht aber soll man die Sprache bloß subjektiv nehmen und sich notdürftig ausdrücken, in der Hoffnung, der andere werde wohl erraten, was man meine.<br> <br>

Evista
18.10.2008, 17:28
Calvin konnte es kürzer formulieren:

“I realized that the purpose of writing is to inflate weak ideas, obscure poor reasoning, and inhibit clarity.”

(“Ich habe erkannt, dass der Sinn des Schreibens darin besteht, banale Gedanken aufzublähen, schwache Argumente zu verschleiern und Klarheit zu verhindern.”)