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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Umgang mit Verantwortung?



sonjamed
08.07.2004, 22:44
Hallo,

ich bin jetzt 24 Jahre alt und spiele mit dem Gedanken, "noch" (siehe Oldieforum :-) ) ein medizinisches Studium zu beginnen.

Entweder Human- oder Tiermedizin. Ich selber wüsste nur allzu gerne, warum ich mir das in den Kopf gesetzt habe. Will ich das wirklich? Bin ich überhaupt geeignet? oder ist das nur ein Fluchtversuch vor der Arbeitslosigkeit? Ich habe bis jetzt was anderes (brotloses) studiert und es auch abgeschlossen. Damit bin ich aber unglücklich - ich habe mein altes Studium vielmehr abgeschlossen, "um wenigstens etwas in der Hand zu haben."

Wie ich auf Medizin komme: einerseits interessiere ich mich sehr für den menschlichen Körper, andererseits liebe ich Tiere (hätte aber mit den Schlachthofpraktika wohl auch keine Probleme...).

Nun zur Eignung: Ich bin wirklich präzise und habe alle bisherigen Aufgaben in den Praktika/Jobs wirklich sehr gewissenhaft und sauber ausgeführt. Vielleicht schon zu gewissenhaft. Wenn ich irgendetwas doch nicht so toll hingebracht habe oder kleine Fehler gemacht habe, hatte ich immer ein wahnsinnig schlechtes Gewissen und habe ewig nachgegrübelt, wie ich das hätte besser machen können. Manchmal war diese Grübelei quälend? Wie ist es als Arzt? Ist man dazu tendenziell geeignet, wenn man zur Grübelei und Überkorrektheit neigt? Natürlich ist das eine sehr lobenswerte Eigenschaft, aber was ist, wenn man das übertreibt? Macht es einem kaputt, wenn man ständig darüber nachdenkt, ob man seine Patienten wirklich richtig behandelt hat? Wie kommt ihr mit dieser Verantwortung klar?
Was ist, wenn man die Pathologie lernt - nimmt man da gerne hypochindirsche Züge an und entdeckt alle möglichen Krankheiten an sich oder ist das ein Indiz, dass man _nicht_ zu diesem Beruf geeignet ist?

Wegen der _vermutlich_ geringeren Verantwortung hätte ich auch sehr mit Tiermedizin sympathisiert. Auch hier könnte ich Lebenwesen helfen. Das Problem bei der Tiermedizin ist, dass ich absolut nichts von den Berufsaussichten weiß (muss wohl noch lange googeln), wie Angebot und Nachfrage verteilt sind und wo man hauptsächlich arbeitet außer in der Kleintierpraxis oder im Stall bei den Großtieren.

Vielleicht könnt ihr mich ein wenig einschätzen, wenn ihr das ganze gelesen habt und mir Tipps geben? So á la "mir geht's genauso, das ist nicht so schlimm" oder "lass das bleiben" etc.

Danke und viele Grüße,
Sonja

Rico
09.07.2004, 00:24
Original geschrieben von sonjamed
Was ist, wenn man die Pathologie lernt - nimmt man da gerne hypochindirsche Züge an und entdeckt alle möglichen Krankheiten an sich oder ist das ein Indiz, dass man _nicht_ zu diesem Beruf geeignet ist? Im Laufe meines Studiums hab ich meine Hausärztin u.a. mit einem Plattenepithelkarzinom an der Rachenhinterwand (sehr selten bei Nichtrauchern in meinem Alter) und einem Mamma-Ca (seeeeeehr selten bei Männern) behelligt. :-blush
Das is ganz normal und legt sich wieder - und hat absolut nix mit der Eignung für den Beruf zu tun. :-)

Froschkönig
09.07.2004, 01:58
Original geschrieben von Rico
Im Laufe meines Studiums hab ich meine Hausärztin u.a. mit einem Plattenepithelkarzinom an der Rachenhinterwand (sehr selten bei Nichtrauchern in meinem Alter) und einem Mamma-Ca (seeeeeehr selten bei Männern) behelligt. :-blush
Das is ganz normal und legt sich wieder - und hat absolut nix mit der Eignung für den Beruf zu tun. :-)

Also es IST normal, während dem Studium an zahllosen vorlesungsbedingten Krankheiten zu "leiden"...jedoch hab ich es deswegen noch NIEMALS zu meinem Hausarzt geschafft...aber wer weiß...vielleicht war ja die eine oder andere davon echt ? :-D

OliP
09.07.2004, 06:11
Ich bin erst im 2. Semester und war vorige Woche schon beim Urologen ;-) Die Studentenkrankheit ist real !

nightingale
09.07.2004, 10:12
Hallo Sonja,

ja, die Verantwortung ist groß... eigentlich ist es ja ganz vorteilhaft, etwas zwanghaft zu sein, aber wenn es dich dann doch zu sehr beeinträchtigt, könnte es zu einem Teufelskreis werden.

Du kannst auch als Medizinerin in einen alternativen Berufszweig wechseln oder zumindest in eine Sparte, in der du weniger mit Patienten zu tun hast (Rechtsmedizin, Pathologie, Forschung. Journalismus...)

test
09.07.2004, 10:29
Naja die Verantwortung ist bei Rechtsmedizin (richtige Todesursache wichtig, Hinweise auf Täter ;-)), Pathologie (korrekte Diagnose eines Biopsie Päparats), Forschung und sonstwo immer sehr große finde ich. Aber ich denke, dass wirst du schon in den Griff bekommen, ich denke fast jeder stellt an sich sehr hohe Anforderung was seine Patienten angeht aber man wird denke ich früher oder später das ganze auf ein gesundes Maß begrenzen, da mehr einfach nicht geht. :-meinung :-top

sonjamed
09.07.2004, 11:02
Hallo,

@ Nightingale:
stimmt....Aber alternative Berufsfelder wie Journalismus würden nicht so viel bringen, weil ich das mit meinem jetzigen Studium auch schon könnte.
Oder sollte ich doch Psychiatrie machen, um mich selbst zu heilen ;-) ;-) ?


@Test: sicherlich. Als Akademiker trägt man eigentlich grundsätzlich Verantwortung. (Die Verantwortung oder das Berufsrisiko schlagen sich auch im Gehalt nieder, sonst wäre ja kaum jemand bereit, Verantwortung oder Risiken zu übernehmen.) Aber ob man jetzt Verantwortung für Geld, Bauwerke, Internetseiten oder Leben trägt, ist dennoch ein Unterschied.

Denkt ihr alle, Ihr könnt diese Verantwortung tragen oder habt ihr manchmal Angst davor? Was ist, wenn man vor lauter Stress eine Fehldiagnose stellt und der Patient stirbt oder einen bleibenden Schaden davonträgt? Habt ihr darüber nachgedacht? Wie geht es euch dabei?


Man braucht sehr viel Selbstvertrauen und Reife, um ein guter und zufriedener Arzt zu werden, vermute ich mal. Man muss sich erst mal selber die nötige Kompetenz zutrauen und davon überzeugt sein, dass man wirklich gut genug für diese Tätigkeit ausgebildet ist und somit weiß, wie man richtig handelt. Was denkt ihr darüber?


Viele Grüße,
Sonja

sonjamed
09.07.2004, 11:06
@ rico, froschkönig, oliP:

das beruhigt.....ich habe mir immer vorgestellt Medizinstudenten seien gegen so etwas völlig resistent. Ich muss gestehen, ich lese immer gerne im Internet oder (populärwissenschaftlichen) Arztbüchern was über Krankheitsbilder. Einfach weil's mich interessiert. Aber manchmal geht das dann zu weit und ich bilde mir alles mögliche ein (was aber dann nach ein oder zwei Tagen meist von selbst verfliegt).

Viele Grüße,
Sonja

Rico
09.07.2004, 11:26
Original geschrieben von sonjamed
Was ist, wenn man vor lauter Stress eine Fehldiagnose stellt und der Patient stirbt oder einen bleibenden Schaden davonträgt? Naja... so einfach ist es ja nun auch wieder nicht, jemanden umzubringen ;-)
Grade in der Anfangsphase wird bei den meisten Patienten noch ein anderer Arzt, in der Regel Dein Oberarzt oder ein Altassistent, mit draufkucken und der trägt dann zumindest einen Teil der Verantwortung (nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch).
Man darf halt auch nicht zögern, den ggf. hinzuzurufen (notfalls auch nachts aus dem Bett klingeln).

Und bis Du mal alleine und ohne Hilfe bei einem Lebensbedrohlichen Notfall stehst, das kann dauern und da hast Du viel Zeit davor Erfahrung und Routine zu sammeln.
Bei einer Reanimation, die ich bis miterlebt habe, hatte ich große Probleme, noch den Patienten zu sehen, wegen der Heerscharen an Ärzten, die da aus allen Löchern gesprungen kamen. Nach meiner perönlichen Überschlagsrechnung 2 Oberärzte, 3 Fachärzte für Anästhesie, 1 AiP und 4 Anästhesiepfleger.
Daß es so viele sind ist zwar nicht die Regel, aber alleine wirst Du vermutlich nie bei sowas sein...

Die Last ist auf mehrere Schultern verteilt und trägt sich so besser. :-top

Neujahrsrakete
09.07.2004, 13:20
Original geschrieben von nightingale
Du kannst auch als Medizinerin in einen alternativen Berufszweig wechseln oder zumindest in eine Sparte, in der du weniger mit Patienten zu tun hast (Rechtsmedizin, Pathologie, Forschung. Journalismus...)

In der Pathologie hat man zwar (außer bei einer Obduktion) nicht den ganzen Patienten vor sich, dafür aber anhand eines intraoperativ gewonnenen Gewebestückchens die kleine Frage zu beantworten, ob z.B. die Brust abgenommen wird, ob die Schnittränder sauber sind .........seeeeeeeeeeeeeeehr viel Verantwortung, auch ohne direkten Patientenkontkat.

rogerM
10.07.2004, 16:46
zum thema verantwortung

was häufig ist ist häufig und was selten ist ist selten, so sagt man bei uns. so wie ich das mittlerweile einschätze, hat man in seinem fachgebiet das häufige irgendwann drauf, und das seltene müssen auch andere ärzte nachschlagen, oder sich eingestehen den patienten von einem kollegen behandeln zu lassen.

das andere ist, dass man irgendwann auch in die sache reinwächst, nicht umsonst ist der weg so ellenlang gesteckt. und letztlich ergeben sich dann berufszweige, wo man sich zutraut zu arbeiten und wiederum andere, die vielleicht eine nummer zu hoch sind.

nightingale
10.07.2004, 19:10
@Neujahrsrakete und Test:
Ja, sicher tragen Rechtsmediziner und Pathologen große Verantwortung, das wollte ich auch nicht abwerten.
Aber man kann in diesem Berufszweig noch 2-3 mal seine Arbeit nachkontrollieren , bevor man sie rausgibt, bei einer Reanimation hat man diesen Spielraum oft nicht.

milz
10.07.2004, 19:54
Als Busfahrer oder Kfz-Mechaniker kann man auch Leute durch Unachtsamkeit umbringen. Also was solls!?

sonjamed
11.07.2004, 16:43
Hallo,

danke für eure Antworten. Jetzt ist mir das Ganze etwas klarer. Und irgendwie habt ihr auch alle recht, man ist doch nicht Gott (sondern nur Halbgott :-top ) und die Erfahrung macht auch viel aus....

Viele Grüße,
Sonja

Mirona
13.07.2004, 14:58
:-blush ist nun mal so......
......aber spätestens wenn, man sich nach dem Futtern roter Johannisbeeren erst nach paar Wochen zur Darmspiegelung traut, ist man spätestens nach dieser vorm Hypochondrieren gründlich geheilt!!!! :-D

MatzeXXL
08.08.2007, 17:24
Ich möchte mich einfach mal an diesen alten Thread ranhängen....


Könnt ihr, wenn ihr abends heimgeht, abschalten? Ich meine, der Job Arzt ist nunmal kein Bürojob, wo man sagen kann "Tür zu, fertich is".....

Feuerblick
08.08.2007, 17:31
*seufz* Und wieder die Antwort: Genauso wie jeder Verkäufer, Koch, Kellner, Bürohengst... oder eben genauso NICHT. Das macht für mich keinen Unterschied (und ja, ich habe auch schon in anderen Berufen gearbeitet!).

jatina
15.08.2007, 10:20
Ich möchte mich einfach mal an diesen alten Thread ranhängen....


Könnt ihr, wenn ihr abends heimgeht, abschalten? Ich meine, der Job Arzt ist nunmal kein Bürojob, wo man sagen kann "Tür zu, fertich is".....

Ich habe ja vor dem Studium auch als Arzthelferin gearbeitet- und da fiel es mir am Anfang manchmal schwer bestimmte Geschichten hinter mir zu lassen wenn der Abend kam.
Mittlerweile geht es gut- es sei denn es ist irgendein Hammer auf Station gelaufen. Aber das ist normal denke ich.


Zum allgemeinen Thema- klar bekomme ich manchmal hier feuchte Hände wenn ich an die Verantwortung denke. Eimerweise.
Aber wie hier ja auch schon gesagt wurde, halten am Anfang ja auch diverse andere die Hände über die Anfängerarbeit.....in so fern......

Ich denke auch die selbstkritische Haltung ist manchmal gar nicht schlecht.
Klar sollte sie nicht so ausarten wie in House of God, wo der Neuling vor Verschreiben einer Aspirin völlig am Rad dreht...............aber ich denke es ist besser manchmal Vorsicht walten zu lassen aus Angst was falsch zu machen, als wenn man meint man kann alles und sich zu weit aus dem Fenster lehnt- was den Alltag angeht.

Bei uns hat ein Dozent mal so schön gesagt: "An dem Tag, wo man nach Hause geht, einem das erste Mal ein Patient verstorben ist, man sich noch lange fragt ob was wenn hätte- an dem Tag wird man wirklich Arzt."
Irgendwie hat er damit Recht, finde ich.

MatzeXXL
04.01.2008, 20:27
Wie geht es den anderen hier so mit dem Umgang mit der täglichen Verantwortung? Wachst ihr in die Sache rein oder ist euch oft noch mulmig (z.B. im Nachtdienst alleine bei unklaren Beschwerden eine Diagnose stellen zu müssen)?
Sind die Abläufe so standardisiert, daß das alles gar kein Problem mehr ist nach einiger Berufspraxis?
Ich stelle es mir die ärztliche Entscheidungsfindung ja recht interessant vor, aber wenn es zu sehr stresst und man sich nach 5 Jahren sagt "Oh je, das muss ich jetzt doch nicht mein ganzes Leben haben", das wäre schon nervig...

Blondi
04.01.2008, 22:47
Man darf doch am Anfang wahrscheinlich sowieso überhaupt nichts machen und bis einen die ranlassen, vergehen Äonen, in denen man praktisch alles bei den Chefs gesehen hat, was einen erwarten kann...das wird schon irgendwie gehen, denke ich. Erstmal das Studium irgendwie hinkriegen, würde ich sagen!