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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : RD-Fall Nr.2 - Leitersturz



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Dr. Pschy
16.10.2004, 15:32
Hab mir nen Anstoss genommen und mach auch mal den Versuch der Darstellung eines Fallbeispieles.

Folgende Situation:

RD-begeisterter Medizinstudent und ausgebildeter Rettungsassistent hat das gesamte Wochenende HVO-Dienst. (Kurz zur Erlaeuterung: In Bayern wurde vor allem in laendlichen Gebieten der sogenannte Helfer-vor-Ort-Dienst eingefuehrt, d.h. an den Orten, die nicht schnell vom RD erreichbar sind, wird ein Einsatzauto mit Equipment angeschafft, das dann von einem ausgebildetem Ersthelfer, der ueber die Leitstelle alarmiert wird, besetzt wird)

Um 9:42 wird unser Helfer per Meldeempfaenger von der Leitstelle mit folgender Einsatzmeldung alarmiert:

"Leitersturz, Hoehe ca. 3 Meter, Schmerzen im Rueckenbereich + akute Atemnot"

Parallel werden der RTW + NA des ca. 17km entfernten Notarztstuetzpunktes alarmiert. Der HVO besetzt umgehend das Auto, erhaelt die Einsatzdaten und faehrt die ca. 1km entfernte Einsatzstelle an, wo er ca. 2 min spaeter eintrifft. Ihr werdet von einer jungen Dame empfangen, die euch die Haustuere oeffnet und euch mitteilt, dass jemand alleine im Keller neben einer umgestuerzten Leiter liegt.
Ihr findet auf den ersten Blick eine maennliche Person ruecklings liegend auf dem Boden, daneben eine Leiter. Weiterhin faellt auf, dass an der Decke gearbeitet wurde, der Keller ist gewoelbeartig und 3-4 Meter hoch. Erfahrungsgemaess dauert es mindestens 7-10 min, bis mit dem Rettungsteam und dem NA zu rechnen ist.

Was tun?

nduester
16.10.2004, 15:57
Jo...
1. Eigensicherung. Stromkabel, wie schauts mit Licht, Gas, Strom aus? Pat. ansprechen, WAS er denn da gearbeitet hat.
2. Nach entsprechender Absicherung: welches Schmerzbild hat der Pat., ansprechbar?, Verletzungen, Wirbelsäulensymptomatiken?, RR, HF, Stifneck (vorhanden?), großlumiger Zugang. Obwohl: Stifneck ohne Helfer? Bin noch nicht in diese Situation gekommen :-)

Dr. Pschy
16.10.2004, 16:17
1. Eigensicherung ist natuerlich ueberlebenswichtig :-) In diesem Fall aber quasi irrelevant, da bei einem genauen Blick auffaellt, dass weder irgendwas am Strom noch sonst irgendwas Gefaehrliches gebastelt wurde. Es teht zwar die Heizungsanlage im Eck, aber die brummt gemuetlich vor sich hin. Kabel liegen keine rum.
Die Beleuchtung ist ausgezeichnet, es gibt Neonroehren. Man muss also keine Taschenlampe oder aehnliches bemuehen.
Auch Hinweise auf Gas sind nicht zu entdecken.

2. Patient bemerkt das Ankommen, dreht den Kopf. Nach einer kurzen Vorstellung mit dem Hinweis, dass der RTW und der Arzt nachkommen, ist festzustellen, dass der Patient voll wach und ansprechbar ist.
Zur Schmerzsymptomatik merkt der Patient an, genau auf "das Hinterteil und das Kreuz" gefallen zu sein und dort jetzt starke Schmerzen zu empfinden. Was wollen wir sonst noch von ihm wissen??

Auf den ersten Blick sind keine aeusseren Verletzungen sichtbar. RR 140/80, Puls palpabel bei ca. 90/min, regelmaessig. Stifneck ist zwar im Auto, aber allein wuerde ich das Dingens nicht unbedingt anlegen, und selbst wenn nicht zu diesem Zeitpunkt. Zugang? Natuerlich, wird er brauchen, aber sofort nach der Vorstellung, á la "Hallo, mein Name ist blabla, was ist passiert? Oh, von der Leiter gefallen? Ich kann nen Puls fuehlen, also rein mit der Nadel?" Nene, das verschieben wir auch mal auf spaeter.

Immer schoen der Reihe nach. Wie wirds immer so schoen gelehrt? "Von klein nach gross, von nicht-invasiv nach invasiv".

Felix@112
16.10.2004, 16:24
Ich mach mal weiter.... und gehe davon aus, daß der Pat. ansprechbar ist.

Stifneck: Meiner Meinung nach auf jeden Fall, auch allein!

Bodycheck!!

Pat. zu Zeit, Ort und Person orientiert?
Zeugen?
Bewußtlosigkeit?

Atemnot kurzzeitig wg. des Sturzes, oder ernsteres Thoraxtrauma?
Pat. möglichst wenig bewegen und bewegen lassen.
Was hab ich noch an Diagnostik?
Pulmo auskultieren, Pulsoxymetrie, EKG....

Dr. Pschy
16.10.2004, 16:33
Zum Stifneck komm ich gleich noch.

Bodycheck: Klar, simma ja RA. Ist aber unauffaellig, Extremitaeten beweglich, keine aeusseren Verletzungen. Beim Abtasten der Wirbelsaeule Druckdolenz im Lendenwirbelbereich und im Bereich des Steißes. (Aus diesem Grund wuerde ich keine Stifneck allein anlegen, die paar min geht das auch ohne bis ein Helfer da ist, vor allem da im Halswirbelbereich keine Schmerzen auftreten)

Patient ist 3fach voll orientiert und gibt an, auf der Leiter einen Schwindel verspuert zu haben, dann wurde es schwarz und dann lag er. Er sei noch etwas gekrabbelt und habe sich auf den Ruecken gelegt, seitdem liege er da.
Zeugen gebe es keine, die Dame von der Tuer habe was krachen hoeren und habe ihn dann gefunden. Ob eine kurze Bewusstlosigkeit da war kann der Patient nicht genau angeben, auf jeden Fall war es mal fuerchterlich schwarz.

Zur Atemnot: Diese sei am Anfang ziemlich schlimm gewesen, es ginge jetzt aber wieder besser. Aus diesem Grund und da der Thorax stabil und unauffaellig erscheint (auch auskultatorisch) wird sie mutmasslich aufgrund des Sturzes aufgetreten sein.
Dass der Patient nicht bewegt wird liegt bei nem vermuteten Wirbelsaeulentrauma auf der Hand. Praktischerweise liegt er eh auf dem Ruecken.
Pulsoxymetrie zeigt 94%, Puls siehe oben. Ein EKG befindet sich nicht in der Ausruestung, hier muss als auf den RD gewartet werden.

Was kann man vor dem Eintreffen des RD / NA noch erfragen bzw. tun?

Felix@112
16.10.2004, 16:47
Während ich ihm jetzt seinen Zugang gönne, versuche ich anamnestisch heraus zu bekommen, was Ursache der kurzzeitigen Synkope sein könnte.

Vorerkrankungen?
Medikamente?
Schon mal gehabt?
Probleme mit dem Blutdruck?

EDIT: Wenn er schon keinen Stifneck kriegt, bitte ich ihn wenigstens den Kopf still zu halten... :-keks

Gruß
Felix

Dr. Pschy
16.10.2004, 18:47
Auch jetzt sind meiner Ansicht nach die Basismassnahmen noch nicht abgeschlossen, so dass laut Lehrmeinung der Zugang immer noch hinten anstehen muesste. Ausserdem interessiert mich jetzt persoenlich in der Zeit, bis der RTW da ist, die eventuelle kardiale Ursache gar nicht. Klar sollte das anamnestisch abgeklaert werden, und er wurde auch gefragt ob da was bekannt sei, aber das hat zum derzeitigen Stand der Dinge keinen Einfluss auf die praeklinische Versorgung. Ein EKG bekommt er sowieso, wenn der RTW da ist.

Zur weiteren (kardialen) Anamnese:

"Mit dem Herz hatte ich schon mal Probleme, weiss aber nicht mehr genau was da war. Medikamente nehm ich nix regelmaessig ein, ausser mal ne Kopfwehtablette. Blutdruck? Wird gelegentlich mal vom Hausarzt gemessen, ist aber ok."

Meine Frage ist momentan aber: Was kann ich als Helfer vor Ort therapeutisch noch anstellen? Basics sind gefragt...

Felix@112
16.10.2004, 18:57
Meine Frage ist momentan aber: Was kann ich als Helfer vor Ort therapeutisch noch anstellen? Basics sind gefragt...



Ist ja schon gut, hab vergessen, daß ich in der Schule bin :-stud !

- Wärmeerhalt
- jmd. auf die Straße schicken, den RTW einweisen
- Rückmeldung an die RLS, daß der Pat. ansprechbar ist und bislang keine weiteren Kräfte erforderlich sind...


- jmd. in den Garten schicken, um schnell einen RTH Landeplatz zu graben
:-))

Dr. Pschy
16.10.2004, 19:02
- Waermeerhalt: Bingo. Unser Patient friert naemlich mittlerweile auf dem kalten Betonboden.

- RTW-Einweisung: Unser Dame hat uns verlassen und ist mit dem Kommentar "Ich warte mal auf den Krankenwagen" wieder die Treppe hoch spaziert. Zudem steht das HVO-Auto vor der Tuer und das Haus ist zentral gelegen, dafuer ist also gesorgt.

- Lagemeldung: Jawohl. In meinem Leitstellenbereich wird da ein großer Wert darauf gelegt. Ausserdem hoeren RTW und NA per Funk mit und koennen sich auf die Situation besser einstellen.

Aber hey, schaut euch mal die Vitalwerte an, die wir bisher haben...

hobbes
16.10.2004, 20:30
Es wäre sicher an der Zeit, die Blutdruckmessung und Pulsmessung zu wiederholen. Der initiale Blutdruck war, in Anbetracht der Situation und Schmerz, eventuell nicht adäquat. Bei den angegeben Schmerzen und der Sturzhöhe kann eine Beckenverletzung (und diese können mächtig innere Blutungen zur Folge haben) nicht ausgeschlossen werden.

Im übrigen interessiert mich der periphere Neurostatus (Sensibilität, grobe Motorik, Dermatome, usw.) insbesondere der unteren Extremität sowie der periphere komplette Pulsstatus.

tonexxx
16.10.2004, 21:04
Bei ner 94er Sättigung und ner subjektiven Atemnot halte ich 5l Schnüffelstoff pro Minute für sinnvoll.

Besserung?

Sebastian1
16.10.2004, 21:08
Ich hätte auch gerne, wenn Messgerät vorhanden, einen BZ. Normalerweise würde ich das mit dem Viggolegen verbinden wollen - dürfen wir das jetzt? ;-)
Wenn kein Messgerät vor Ort: Letzte Nahrungsaufnahme (wann und was)?

Dr. Pschy
16.10.2004, 22:26
Blutdruckmessung ergibt wiederholt den gleichen Wert. Der Patient sieht auch nicht schockig aus bzw. macht nicht den Anschein, in den Schock verfallen zu wollen. Pulsstatus ebenfalls unveraendert.

Das Becken war beim Bodycheck unauffaellig, sprich (form)stabil. Das muss natuerlich nix heissen, ist aber bei diesem Fallbeispiel in der Tat in Ordnung.

Neurostatus (dass das nicht eher kam wundert mich): obere Extremitaeten ohne Befund, untere Extremitaeten frei beweglich, Tastsinn vorhanden. Der Patient gibt ein leichtes Kribbeln an, das er aber nur sehr schwach wahrnimmt.
Der Pulsstatus ist koerperweit ok, alle Pulse tastbar, Rekapillierung aller Extremitaeten ok.

Sauerstoffgabe: Das gehoert eigentlich mit ganz zum Anfang. 5l sind ok, es tritt prompt eine Besserung ein und der Wert pendelt sich auf ca. 98% ein.

BZ-Geraet ist vorhanden, Wert wurde gemessen und lag im Normbereich. Nagelt mich nicht genau fest, aber irrelevant fuer den Fall.


Ok, Erstversorgung abgeschlossen, RD und NA trudeln ein. Wie gehts weiter?

Felix@112
17.10.2004, 11:09
Der Neurostatus spricht ja schon für eine ernstere Geschichte.

Pat. jetzt voll verkabeln.
Jetzt kriegt der Pat. nen Stifneck oder auch nicht!
Wie ist der Kellerraum zugänglich?

Der NA wird den Pat. eventuell etwas sedieren bzw. ihm ein Analgetikum verabreichen. Dazu Kortikoide!

Ich würde den Pat. mit der Schaufeltrage aus dem Keller bringen und draußen dann auf die vorbereitete Vakuummatratze legen!

Engmaschige Kontrolle der Kreislaufparameter!

Der Pat. muß in eine Klinik der Maximalversorgung respektive eine Klinik mit neurochirurgischer Interventionsmöglichkeit.
Bei entsprechender Entfernung ist über einen RTH Transport nachzudenken.

Gruß
Felix

Dr. Pschy
17.10.2004, 11:41
EKG ist primaer ohne aufsehenserregenden Befund. Jedenfalls ist nichts erkennbar, was die Synkope verursacht haben koennte.

Stifneck wird angelegt.

Der Zugang zum Kellerraum ist nur ueber die Treppe moeglich, die allerdings in der Mitte einen 180°-Knick macht. Allerdings ist genug Breite vorhanden, um den Patienten per Schaufeltrage zu retten. Draussen wird die Trage samt Vakuummatratze durch den RA-Praktikanten vorbereitet und vorgeformt.

Der NA verpasst dem Patienten jetzt endlich ne Braunuele und anschliessend 0,05 mg Fentanyl und 250mg Methylprednisolon im Rahmen des vermuteten Wirbelsaeulentraumas. Ne Ringer versteht sich von selbst.

Nach erneuter Kontrolle saemtlicher Vitalparamter wird der Patient behutsam aus dem Keller geborgen, auf die Trage gelegt, bewegungsunfaehig gemacht und in den Retter verbracht.

Jetzt stellt sich folgendes Problem: Das Krankenhaus im Ort des Notarztstuetzpunktes ist ein sehr kleines Haus der Grundversorgung, allerdings mit CT. Das naechste groessere Haus ist 30 km entfernt, allerdings ebenfalls kein Haus der Maximalversorgung. Die naechste Uniklinik ist 110 km entfernt. An einen RTH-Einsatz ist momentan nicht zu denken, da der nahegelegene Christoph im Einsatz ist und es zudem innerorts keinerlei Moeglichkeit gibt, den Patienten umzulagern.

Wo bringen wir den Patienten hin?

Zoidberg
18.10.2004, 18:51
Ich würde sagen besser in das KKH das 30 km entfernt ist.
Was würde denn dort zuerst gemacht werden? CT?

Defi B.
18.10.2004, 19:05
Ich denke, ich würde "das KH um die Ecke" anfahren, das hat auch n CT, und es kommt ja IMO zuallererst auf die Diagnostik an. Andere komplexe Interventionen sehe ich im Moment nicht... 30 km RTW-Transport mit nem WS-Patienten (schonend!!) sind kein Pappenstiel schon alleine von der Dauer. Auch vom Kreiskrankenhaus in 30km müßte bei problematischer WS-Verletzung wahrscheinlich weiterverlegt werden, und das sollte dann eh per Schraube passieren (schneller & schonender).

Evil
19.10.2004, 19:00
.... Beim Abtasten der Wirbelsaeule Druckdolenz im Lendenwirbelbereich und im Bereich des Steißes. .... Praktischerweise liegt er eh auf dem Ruecken...

Mal so fuer Leute ohne Erfahrung im Rettungsdienst: :-lesen

Wie tastet man bei Patienten mit V.a. Wirbelsaeulenverletzung, die man ja nicht bewegen will, die Wirbelsaeule ab, wenn sie auf dem Ruecken liegen?

:-? Irgendwie steh ich grad auf'm Schlauch...

Dr. Pschy
23.10.2004, 09:33
Sorry Leute, hatte ein paar dumme Schichten und kann erst jetzt antworten.

Also:

Defi B. hat vollkommen recht. Ein Transport eines Patienten mit Wirbelsaeulentrauma ueber 30km waere zumindest extrem unangenehm, wenn nicht sogar gefaehrlich, zumal hier die Primaerdiagnostik im "Mini-Krankenhaus" erst mal ausreicht (CT, Chirurg vor Ort).

Danach wird man anhand der Diagnose ueber eine Weiterverlegung nachdenken, natuerlich per Heli. Genauso war das uebrigens in unserem Fall.

Dr. Evil:

Natuerlich kann man die Wirbelsaeule eines auf dem Boden liegenden Patienten abtasten, auch wenn der Verdacht eines Wirbelsaeulentraumas vorliegt. Dazu kniet man an einer Seite des Patienten und greift mit der einen Hand vorsichtig unter den Patienten, waehrend man mit der zweiten Hand ueber den Patienten greift, sich vorsichtig Richtung Wirbelsaeule vortastet und dann mit den Fingern beider Haende vorsichtig (!!) die Untersuchung durchfuehrt.
Vielleicht find ich eine exakte Beschreibung mit Fotos, dann editier ich.

Evil
27.10.2004, 20:27
Natuerlich kann man die Wirbelsaeule eines auf dem Boden liegenden Patienten abtasten, auch wenn der Verdacht eines Wirbelsaeulentraumas vorliegt. Dazu kniet man an einer Seite des Patienten und greift mit der einen Hand vorsichtig unter den Patienten, waehrend man mit der zweiten Hand ueber den Patienten greift, sich vorsichtig Richtung Wirbelsaeule vortastet und dann mit den Fingern beider Haende vorsichtig (!!) die Untersuchung durchfuehrt.
Vielleicht find ich eine exakte Beschreibung mit Fotos, dann editier ich.
Super, vielen Dank! :-)
Sowas lernt man natuerlich nicht im Studium.... :-???