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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fall 1/2005 - unklare Sehstörungen



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Tombow
13.01.2005, 01:23
Hi ihr lieben,

Hier einmal ein Fall(okay, wieder ein Neuro-Fall, tut mir leid für diejenigen, die von Neuro die Nase satt haben), um den Trainingscenter auch im Jahre 2005 lebendig zu halten:

40jährige Patientin, hat sich am Abend des vorherigen Tages in der Notaufnahme vorgestellt mit Sehstörungen am linken Auge, die sie dem diensthabenden Augenarzt als "Kreis mit Blitzen drin" beschrieben hat. Augenärztlich untersucht, wurde sie dann der diensthabenden Neurologin vorgestellt, die sich für eine stationäre Aufnahme entschieden hat.

Was wir an Befunden soweit haben:

Ophtalmologischer Befund:
Ophtalmologische Anamnese unauffällig, Visus RA/LA: 1.0p/0,7, Vorderabschnitt RA/LA unauffällig, Augeninnendruck RA/LA 15/17 mmHg, fundoskopischer Befund beidseits unauffällig. Im Gesichtsfeld unschriebener Gesichtsfeldausfall am linken Auge.

Vom diensthabenden Augenarzt wurde die Patientin der lieben Kollegin vorgestellt, die sich für eine stationäre Aufnahme in die Neurologie entschieden hat.
Neurologischer Befund(von der diensthabenden Kollegin erhoben und mitgeteilt):
unauffällig bis auf eine Abschwächung der Bauchhautreflexe linksseitig.

So, und was machen wir weiter?

Zoidberg
13.01.2005, 02:50
hört sich schonmal sehr spannend an, bin leider zu müde für den Nachtdienst hier ;-)

Hellequin
13.01.2005, 08:24
Also dann mal Anamnese: Hatte sie in den letzten 1-2 Jahren irgendwelche neurologische Störungen ( Gefühlsstörungen, motorische Ausfälle, Sehstörungen)? Irgendwelche sonstigen Erkrankungen? Medikamente? Familienanamnese: In der Verwandschaft irgendwelche chronischen, neurologischen oder sonstigen Erkrankungen?

Leelaacoo
13.01.2005, 10:25
Patient sieht nichts, Arzt sieht nichts...könnt ja die berühmte Optikusneuritis sein. Aber ich würd noch internistisch einige Sachen wissen wollen: herz-Kreislauf-Erkrankungen, Blutgerinnungsstörungen? Hypertonus?
Aber dann die abgeschwächten BHR links...wieviel wiegt die Patientin? Sind die sicher abgeschwächt?
Ehrlich gesagt, ich würd anfangen, nach MS-Herden zu suchen (oder wäre das verfrüht???).
LG Lee

Dr. Sziget
13.01.2005, 10:36
wie wärs mit nem Schädel CT um evtl. Neoplasien auszuschließen oder gegebenenfalls zu diagnositizieren.... aber ganz klar zurerst eine anständige Anamnese, dann mal schauen, was dabei rauskommt.
Gibts Aufälligkeiten im tägl. Leben ?? Öfters mal was runtergefallen, Schwindel, viel vergessen in letzter Zeit, Schlafstörungen etc.

Grüße
Dr.Sziget

Tombow
13.01.2005, 17:39
Machen wir also weiter. Eure Anregungen sind sehr gut, arbeiten wir also alles der Reihe nach ab und machen zuerst eine anständige Anamnese(ist nie verkehrt):

Anamnese:
Zum Zeitpunkt, als ich die Patientin zu sehen bekam, bestand die Sehstörung am Auge nicht mehr, jedoch berichtete sie, daß vor 2 Wochen etwas ähnliches am rechten Auge vorgefallen sei, aber nicht so gravierend. Solche Episoden habe sie seit etwa 2 Jahren, insgesamt etwa 10 an der Zahl. Ab und zu habe sie danach mittelstarke linksseitige Kopfschmerzen, begleitet von einer Schwäche der linken Körperhälfte mit leichter Ungeschicklichkeit der linken Hand. Familiär berichtet sie, daß ihre Mutter an "einer richtigen Migräne" leidet, sonstige familiäre Anamnese absolut blande. Keine sonstigen internistischen Vorerkrankungen bekannt. Patientin leidet an Nickel-Kontaktallergie, keine Medikamentenallergien bekannt. Intermittierende Durchschlafstörungen, sonstige vegetative Anamnese(Miktion, Stuhlgang, etc.) unauffällig. Ebenso keine Auffälligkeiten in der sozialen Anamnese - Patientin ist berufstätig als Friseuse, lebt mit ihrem Lebensgefährten zusammen, zwei Kinder(eins außer Haus).

Neurologischer Untersuchungsbefund:
Patientin wach, allseits orientiert, Rechtshändigkeit, Hirnnervenstatus regelrecht, Ziel- und Wechselmotorik der Extremitäten seitengleich, sicher, Arm- und Beinhalteversuch seitengleich ohne Absinken. Muskeleigenreflexe seitengleich lebhaft, fragliches Zeichen nach Babinski links. Grobe Kraftentwicklung in den Extremitäten seitengleich. Oberflächensensibilität erhalten, seitengleich, abgeschwächte Bauchhautreflexe links in allen Etagen, Stand und Gang sicher, frei.

Allgemeinkörperlicher Untersuchungsbefund:
40jährige Patientin in gutem AZ und EZ, keine Auffälligkeiten.

So, und wie geht's weiter? Eure Verdachtsdiagnosen und erwarteten Untersuchungsbefunde?

Was für Untersuchungen könnten wir uns eventuell weiter überlegen? Ergänzende Fragen zu der Anamnese?

Bin gespannt, bis dann....

Hellequin
13.01.2005, 18:00
Hört sich nach einer MS an?!
Würde von daher eine Lumbalpunktion mit Untersuchung auf oliklonale Banden machen. Außerdem Kernspin Schädel auf der Suche nach Demyelisierungen.

Tombow
13.01.2005, 22:19
OK, Hellequin...MRT ist schon angemeldet, und deine Verdachtsdiagnose durchaus begründet. Leider haben wir nur eine Röhre fürs ganze Haus, daher dauert es. Fallen jemandem noch weitere Untersuchungen, die wir machen könnten/sollten?

Neujahrsrakete
13.01.2005, 22:33
Möglicherweise sind folgende Untersuchungen noch hilfreich:
Gerinnungsstatus mit der Frage nach einer Thrombophilie
Dopplersonographie der Carotiden

Zu den "Episoden" würde ich noch fragen, ob der Patientin vielleicht irgendein Auslöser dafür aufgefallen ist: Müdigkeit, Schlafmangel, Streß, Rotwein....

Tombow
14.01.2005, 00:07
@Neujahrsrakete:

Anamnestisch kein spezifischer Auslöser für die Episoden eruierbar, auch keins was auf deiner Liste steht.

Hellequin
14.01.2005, 01:22
Fallen jemandem noch weitere Untersuchungen, die wir machen könnten/sollten?
Und wie schauts mit der Lumbalpunktion aus?
Und die Frau mal in die Neurophysiologie bringen und dann mal VEP, AEP, SEP, NLG machen.
Und bestellt dem Röntgen einen schönen Gruß von mir, es wäre dringend.:-))

Dr. Sziget
14.01.2005, 15:14
nochmal kurz was anamnestisches:
gabs eigentlich durch Erhöhung der Außentemperatur oder Körpertemperatur evtl. eine Verschlechterung der Situation? Wirkt Kühle vielleicht lindernd ??

Ansonsten würde ich mich Hellequin anschließen was die verschiedensten neurlologischen Untersuchungen angeht.


Grüße
Dr.Sziget

Tombow
14.01.2005, 18:43
OK, weiter geht's:

@DrSziget: Leider habe die Patientin nie versucht, ihr Kopf zu kühlen oder warm zu halten, daher kann sie uns die Fragen nicht beantworten, ebenso die Frage, ob die Kopfschmerzen durch (Körper)temperaturschwankungen ausgelöst werden können. Meistens habe sie ein Aspirin genommen, wenn ihr der Kopf wehgetan hat und alles sei gut gewesen.

@Hellequin: Atraumatische LP ohne Komplikationen, 4/3 Zellen, Gesamteiweiss, Lactat, Glucose und Plasma/Liquor-Glucosequotient im Normbereich. Oligoklonale Banden und MRZ dauert noch ein Weilchen.

Patientin lehte Elektrophysiologie entschieden ab(schlechte Erfahrungen gemacht damit), willigte nach gutem Zureden aber doch ein. Ergebnis: VEP, SEP, MEP und NLG alle im Normbereich.

Bei keinem anamnestischen Hinweis auf vaskuläres Geschehen und unauffälligem EKG-Befund lassen wir die Finger von Carotis-Doppler.

Routinelabor unauffällig bis auf einem milden Vitamin B12-Mangelzustand(grenzwertig erhöhte MCV, MCH und MCHC, niedriges Vitamin B12). Gerinnung(Quick, aPTT) normwertig.

Und, weiter geht's :-)

Neujahrsrakete
16.01.2005, 02:03
Chirurgische Vorerkrankungen?
Gastritis?
Alkoholanamnese?

Sebastian1
16.01.2005, 08:58
Hm, ich würd gern noch ein wenig was wissen wollen zum zeitlichen Zusammenhang zwiaschenKopfschmerz und Sehstörungen. Entwickelt die Patientin in diesen Phasen eine Photo-/Phonophobie? Welchen Charakter haben die Kopfschmerzen?

Gaja
16.01.2005, 10:34
und wo sitzen die Kopfschmerzen?

Wie lange hält die dezente Halbseitensymptomatik an?

ernestine
16.01.2005, 12:34
Treten die Kopfschmerzen in regelmäßigen Abständen auf? Sie berichtet von 10 Mal innerhalb von 2 Jahren. Die Zeit der Beschwerdefreiheit wird diese kürzer oder länger? Die "Blitze mit Kreisen" in den Augen kann sie die näher beschreiben? Bestehen Gesichtsfeldausfälle und wenn wo sind diese?
Bei der Migräne kann es zum Auftreten von einem Flimmerskotom kommen, das durch helle oder farbige manchmal blitzartig einschießende Lichterscheinungen sowie durch einen Gesichtsfelddefekt gekennzeichnet ist, der oft zackig begrenzt wird.
Nimmt sie andere Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel? Verträgt sie das ASS hinsichtlich des Magens? Wie gravierend ist der Vitamin B12 Mangel? Gibt es hämatologische Veränderungen? Eventuell Differentialblutbild? Besteht eine Leukozytose, was ist mit der BSG?
DD funikuläre Myelose vs. Multiple Sklerose?!

Hellequin
16.01.2005, 14:03
Zum Thema evtl. Migräne: Berufstätigkeit? Klagt sie über Verspannungen, insbesondere Schulterbereich? Treten die Kopfschmerzen in Streß-/ oder nach Streßsituationen auf?

Tombow
17.01.2005, 20:42
So, weiter geht's...zuerst zu euren Fragen und dann die aktuellen Befunde:

@Neujahrsrakete:
Keine chirurgischen Vorerkrankungen. Alkoholanamnese negativ, und auch ansonsten macht die Patientin NICHT den Eindruck. Leberwerte im Normbereich, Cholinesterase hochnormal. Vor ca 2 Jahren eine vom Hausarzt behandelte Helicobacter-pylori-Gastritis.

@Sebastian1:
Keine Photo/Phonophobie während der Schmerzattacken. Die Sehstörungen treten ca 5-10 Minuten vor den Kopfschmerzen

@Gaja:
Hemikranische, häufiger rechtsseitige, dumpfe, manchmal pochende mittelstarke Kopfschmerzen, treten aber auch links auf. Die Halbseitensymptomatik setzt ungefähr mit dem Beginn der Schmerzanfälle ein und klingt kurz nachher ab.

@ernestine:
Die Schmerzattacken dauern wenige minuten, können einmal, aber auch mehrmals am Tag auftreten, mal häufiger, mal weniger, keine Häufung in letzter Zeit. Umschriebene paramakulläre Gesichtsfeldausfälle während die Sehstörung besteht, Patientin kann aber die Sehstörung nicht genauer beschreiben. Diff-BB normal, BSG 10mm/120min, ASS wird gut vertragen. Das Vitamin B12-Mangel wird auch vom OA als eher mild aufgefasst und nicht unbedingt sofort behandlungsbedürftig.

@Hellequin:
Zur Berufs- und Sozialanamnese verweise ich auf dieses Posting (http://www.medi-learn.de/medizinstudium/foren/showpost.php?p=142824&postcount=6) . Nach gezielterem Fragen gibt sie schon zu, daß wenn sie mehr Stress auf der Arbeit hat, die Schmerzen häufiger auftreten. Verspannungen werden verneint.

Und zu guter letzt haben wir noch die Liquorbefunde und das MRT, wie folgt:

Liquor: kein Nachweis oligoklonaler Banden, TPHA und Borrellien-Serologie negativ, MRZ negativ.

MRT Kopf(T1, T2, Diffusionswichtung und FLAIR): Altersentsprechender Normalbefund.

Außerdem läßt sich beim wiederholten Nachuntersuchen während diverser Visiten das fragliche Zeichen nach Babinski links nicht mehr reproduzieren.

Und weiter geht's mit den folgenden Fragen:

Reichen uns die gesammelten Befunde zur Diagnosestellung?
Welche Verdachts/Differentialdiagnosen haben wir bisher eliminiert?
Welche Diagnose bleibt uns "übrig"?
Haben wir genug Diagnostik betrieben oder gar zuviel?
Was tun wir nun mit der Patientin?

Neujahrsrakete
18.01.2005, 00:42
Ähm, schuldigung, falls ich es überlesen habe....wurde schon etwas über Übelkeit/ Erbrechen während der Kopfschmerzen gesagt?