Hoppla-Daisy
29.05.2005, 22:04
Habe was wirklich Interessantes an der Pinwand meiner Freundin entdeckt und möchte Euch, den wild umher simsenden Mitmenschen, dieses nicht vorenthalten.
Der Fluch der SMS
Er liebt mich - er liebt mich nicht: Ildikó von Kürthy deutet die Poesie von Kurzmitteilungen
Es gibt noch nicht einmal ein ordentliches Wort dafür. Warum hat sich niemand die Mühe gemacht und mal konzentriert einen Nachmittag hingesetzt, um einen guten, passenden werbewirksamen Namen zu finden? Auf einmal stehen wir da, mit einer komplett beknackten Bezeichnung ("simsen"!) für etwas, walle ständig tun – manche können es, ohne hinzuschauen. Für etwas, was viel Leid über die Menschheit gebracht und zwischen den Geschlechtern für mehr Katastrophen gesorgt hat als die Erfindung der "Sportschau".
Ich finde ja, dass das Verschicken von Kurznachrichten zwischen Männern und Frauen grundsätzlich verboten werden sollte. Eine Ausnahmegenehmigung würde nur erhalten, wer eine Verwandtschaft ersten Grades nachweisen kann - und natürlich auch jeder pflichtbewusste Priester, für den das Zölibat kein leeres Gerede ist.
Wirklich, man muss es ganz offen sagen: Kommunikation ist der Störfaktor Nummer eins in Beziehungen – bestehenden und sich anbahnenden. Ich persönlich würde ja so weit gehen, Männern und Frauen das Reden komplett zu untersagen. Wer nichts sagt, kann auch nichts falsch verstehen. Aber ich denke, mit dieser Idee bin ich meiner Zeit einfach sehr weit voraus. Jedenfalls ist durch die Möglichkeit, Kurznachrichten (Sehen sie, es gibt noch nicht mal einen tauglichen Plural von SMS!) zu verschicken, eine ganz neue Bandbreite von Problemen zwischen Männern und Frauen entstanden. Als hätten wir nicht schon genug.
Neulich saß ich beim Friseur neben einem Mädchen. Sie sah recht elend aus, selbst abgesehen von dem Haufen Alufolie, der ihren Kopf bedeckte und aus dem einzelne Haarbüschel hervorstanden wie die Borsten bei einem altersschwachen Besen. Sie hatte ihr Handy in ihren Schoß gelegt und starrte es fiebrig und ohne Unterlass an. Ich selbst war vom Zusehen schon völlig mit den Nerven herunter, als endlich die zwei erlösenden, kurzen Tönchen kamen: "Dingel. Dingel." Sie hätten erleben sollen, was dann geschah. Unter dem Haufen Alufolie fing es ganz fürchterlich an zu wimmern, Tränen rissen Tonnen von Wimperntusche mit sich, und schluchzend rief das Mädchen offensichtlich die Freundin an, um ihr zu sagen: "Tobi hat gesimst. Er hat Schluss gemacht! Er hat 'ne andere!"
Abgesehen davon, dass ich natürlich von Mitleid übermannt war und Tobi innerlich wüst verfluchte, war ich auch echt platt. Früher, also zu der Zeit, als ich noch regelmäßig verlassen wurde, da fanden wir es noch unter aller Sau, wenn der Schuft zu feige war, uns unter die Augen zu treten, und die Beziehung per Telefon beendete. Dieses Mädchen neben mir schien es aber völlig selbstverständlich zu finden, per SMS abgeschossen zu werden.
Meine Theorie: Man hat durch den Short Message Service Männern fahrlässig eine Möglichkeit an die Hand gegeben, sich noch kürzer zu fassen, als sie es ohnehin schon immer getan haben. SMS hat zur Verschlechterung schlechter männlicher Eigenschaften beigetragen. Es wundert mich null, dass von den Millionen Textbotschaften, die täglich in Deutschland verfasst werden, die meisten und längsten von Frauen kommen. Ich wette, die Hälfte dieser weiblichen Nachrichten hat folgende oder ähnliche Inhalte: "Hast du meine SMS bekommen?", "Ist das dein Ernst? Lass und bitte noch mal reden!" oder "Ich rufe dich jetzt gleich mal an".
Ich könnte mir vorstellen, dass genau die Beziehungen per SMS beendet werden, die auch per SMS angefangen haben. Flirten mit Kurzmitteilungen ist mittlerweile eine absolute Selbstverständlichkeit.
Denn SMS macht Annäherungsversuche wahnsinnig einfach. Wie leichtfertig ist ein Kompliment gemacht, wenn du dabei nicht erröten kannst. Wie schnell ist eine Verabredung getroffen, wenn du nicht Gefahr läufst, dich am Telefon zum stotternden Löffel zu machen. SMS macht die Feigen mutig, die Verzagten verwegen und die Verklemmten verführerisch. Aber natürlich nur, solange sich die Beziehung auf Displays abspielt, die 160 Zeichen fassen. Irgendwann sitzt du mit dem Empfänger im Kerzenschein, du Femme fatale aller Kurznachrichten, du simsender (hargh, dieses fiese Wort) Casanova – und dann bereust du womöglich, dass Kurznachrichten nicht teurer und die Hemmung, welche zu verschicken, nicht höher ist.
Im Grunde genommen ist schon das Wort "Kurznachrichten" irreführend und voller falscher Versprechen. "Kurz" – das klingt nach Zeitersparnis und "Nachricht" nach objektiver Faktenübermittlung. Beides ist natürlich nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob Sie eine Ahnung haben, wie lange Strähnchen in Alufolie gepackt bleiben müssen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass sich meine Nachbarin im Friseursalon 45 Minuten mit ihrer Freundin darüber beraten hat, welche Bedeutungen in dem Satz "Es ist aus" versteckt sein könnten.
Meine Strähnchen waren fertig, als das Mädchen gerade alle SMS, die es jemals von Tobi bekommen und gespeichert hatte, durchsah, um herauszufinden, ob sich das Ende womöglich angedeutet hatte und hätte verhindert werden können. "Warum rufst du ihn nicht einfach an?" schlug ich vor, als ich den Salon verließ. Das Mädchen schaute mich an, als sei ich irgendwo ausgebrochen, wo ich lieber hätte bleiben sollen. Da habe ich mich etwas geschämt und kam mir sehr altmodisch vor. Draußen habe ich eine SMS an meinen Mann geschrieben. "Bin gleich zu Hause". Danach fühlte ich mich etwas besser.
Gefunden in der Zeitschrift "Stern", Ausgabe 23/2004, Seite 122
Der Fluch der SMS
Er liebt mich - er liebt mich nicht: Ildikó von Kürthy deutet die Poesie von Kurzmitteilungen
Es gibt noch nicht einmal ein ordentliches Wort dafür. Warum hat sich niemand die Mühe gemacht und mal konzentriert einen Nachmittag hingesetzt, um einen guten, passenden werbewirksamen Namen zu finden? Auf einmal stehen wir da, mit einer komplett beknackten Bezeichnung ("simsen"!) für etwas, walle ständig tun – manche können es, ohne hinzuschauen. Für etwas, was viel Leid über die Menschheit gebracht und zwischen den Geschlechtern für mehr Katastrophen gesorgt hat als die Erfindung der "Sportschau".
Ich finde ja, dass das Verschicken von Kurznachrichten zwischen Männern und Frauen grundsätzlich verboten werden sollte. Eine Ausnahmegenehmigung würde nur erhalten, wer eine Verwandtschaft ersten Grades nachweisen kann - und natürlich auch jeder pflichtbewusste Priester, für den das Zölibat kein leeres Gerede ist.
Wirklich, man muss es ganz offen sagen: Kommunikation ist der Störfaktor Nummer eins in Beziehungen – bestehenden und sich anbahnenden. Ich persönlich würde ja so weit gehen, Männern und Frauen das Reden komplett zu untersagen. Wer nichts sagt, kann auch nichts falsch verstehen. Aber ich denke, mit dieser Idee bin ich meiner Zeit einfach sehr weit voraus. Jedenfalls ist durch die Möglichkeit, Kurznachrichten (Sehen sie, es gibt noch nicht mal einen tauglichen Plural von SMS!) zu verschicken, eine ganz neue Bandbreite von Problemen zwischen Männern und Frauen entstanden. Als hätten wir nicht schon genug.
Neulich saß ich beim Friseur neben einem Mädchen. Sie sah recht elend aus, selbst abgesehen von dem Haufen Alufolie, der ihren Kopf bedeckte und aus dem einzelne Haarbüschel hervorstanden wie die Borsten bei einem altersschwachen Besen. Sie hatte ihr Handy in ihren Schoß gelegt und starrte es fiebrig und ohne Unterlass an. Ich selbst war vom Zusehen schon völlig mit den Nerven herunter, als endlich die zwei erlösenden, kurzen Tönchen kamen: "Dingel. Dingel." Sie hätten erleben sollen, was dann geschah. Unter dem Haufen Alufolie fing es ganz fürchterlich an zu wimmern, Tränen rissen Tonnen von Wimperntusche mit sich, und schluchzend rief das Mädchen offensichtlich die Freundin an, um ihr zu sagen: "Tobi hat gesimst. Er hat Schluss gemacht! Er hat 'ne andere!"
Abgesehen davon, dass ich natürlich von Mitleid übermannt war und Tobi innerlich wüst verfluchte, war ich auch echt platt. Früher, also zu der Zeit, als ich noch regelmäßig verlassen wurde, da fanden wir es noch unter aller Sau, wenn der Schuft zu feige war, uns unter die Augen zu treten, und die Beziehung per Telefon beendete. Dieses Mädchen neben mir schien es aber völlig selbstverständlich zu finden, per SMS abgeschossen zu werden.
Meine Theorie: Man hat durch den Short Message Service Männern fahrlässig eine Möglichkeit an die Hand gegeben, sich noch kürzer zu fassen, als sie es ohnehin schon immer getan haben. SMS hat zur Verschlechterung schlechter männlicher Eigenschaften beigetragen. Es wundert mich null, dass von den Millionen Textbotschaften, die täglich in Deutschland verfasst werden, die meisten und längsten von Frauen kommen. Ich wette, die Hälfte dieser weiblichen Nachrichten hat folgende oder ähnliche Inhalte: "Hast du meine SMS bekommen?", "Ist das dein Ernst? Lass und bitte noch mal reden!" oder "Ich rufe dich jetzt gleich mal an".
Ich könnte mir vorstellen, dass genau die Beziehungen per SMS beendet werden, die auch per SMS angefangen haben. Flirten mit Kurzmitteilungen ist mittlerweile eine absolute Selbstverständlichkeit.
Denn SMS macht Annäherungsversuche wahnsinnig einfach. Wie leichtfertig ist ein Kompliment gemacht, wenn du dabei nicht erröten kannst. Wie schnell ist eine Verabredung getroffen, wenn du nicht Gefahr läufst, dich am Telefon zum stotternden Löffel zu machen. SMS macht die Feigen mutig, die Verzagten verwegen und die Verklemmten verführerisch. Aber natürlich nur, solange sich die Beziehung auf Displays abspielt, die 160 Zeichen fassen. Irgendwann sitzt du mit dem Empfänger im Kerzenschein, du Femme fatale aller Kurznachrichten, du simsender (hargh, dieses fiese Wort) Casanova – und dann bereust du womöglich, dass Kurznachrichten nicht teurer und die Hemmung, welche zu verschicken, nicht höher ist.
Im Grunde genommen ist schon das Wort "Kurznachrichten" irreführend und voller falscher Versprechen. "Kurz" – das klingt nach Zeitersparnis und "Nachricht" nach objektiver Faktenübermittlung. Beides ist natürlich nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob Sie eine Ahnung haben, wie lange Strähnchen in Alufolie gepackt bleiben müssen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass sich meine Nachbarin im Friseursalon 45 Minuten mit ihrer Freundin darüber beraten hat, welche Bedeutungen in dem Satz "Es ist aus" versteckt sein könnten.
Meine Strähnchen waren fertig, als das Mädchen gerade alle SMS, die es jemals von Tobi bekommen und gespeichert hatte, durchsah, um herauszufinden, ob sich das Ende womöglich angedeutet hatte und hätte verhindert werden können. "Warum rufst du ihn nicht einfach an?" schlug ich vor, als ich den Salon verließ. Das Mädchen schaute mich an, als sei ich irgendwo ausgebrochen, wo ich lieber hätte bleiben sollen. Da habe ich mich etwas geschämt und kam mir sehr altmodisch vor. Draußen habe ich eine SMS an meinen Mann geschrieben. "Bin gleich zu Hause". Danach fühlte ich mich etwas besser.
Gefunden in der Zeitschrift "Stern", Ausgabe 23/2004, Seite 122