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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hat die Wirtschaft einen sozialen Auftrag?



agouti_lilac
06.06.2005, 23:49
Hi,

Sollte ein Wirtschaftsunternehmen ein soziales Gewissen haben? Wo sind Grenzen gesetzt? Bis wohin darf und muss kapitalistisch gehandelt werden, um zu "überleben"? Wo beherrscht nur die Marktwirtschaft die Firmenpolitik und inwiefern kann das akzeptabel sein?

Tatsachen, die nachdenklich machen:

Es werden satte Gewinne eingefahren, trotzdem werden Tausende Mitarbeiter entlassen (Bsp. Deutsche Bank).

Verlegung von Arbeitsplätzen in der Produktion ins billigere Ausland.

Keine Betriebsräte z. Bsp. im LIDL. Bedrohung/Nötigung der Mitarbeiter. (Siehe Schwarzbuch von Verd.di)

Waffenlieferungen.

In einem Altenheim meiner GmbH wurden zuviele (!!) Windelhosen verbraucht und es gab die Anweisung, die Bewohner länger in den Ausscheidungen liegen zu lassen.
...

Dass es anders gehen kann, zeigt das Beispiel BMW-Werk in Leipzig. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,359262,00.html

Oder sollte ein Unternehmen so viel wie möglich erwirtschaften, um dann über Steuern den Sozialstaat zu finanzieren?

Was will ich eigentlich mit diesem Thread sagen?? Hmm, das weiss ich auch nicht so recht... vielleicht entwickelt sich ja 'ne Diskussion. :-D


Gruß, lilac

Notdoc
06.06.2005, 23:55
Dass es anders gehen kann, zeigt das Beispiel BMW-Werk in Leipzig. Na ja, was die machen ist ja auch vor allem Eigennützig.

Da wird der Unternehmensgewinn langfristig nicht auf Kosten von "sozialem Verhalten" geschmälert.

Rico
07.06.2005, 06:49
Es werden satte Gewinne eingefahren, trotzdem werden Tausende Mitarbeiter entlassen (Bsp. Deutsche Bank).Die Tatsache, daß Gewinne eingefahren werden heißt ja nicht zwangläufig, daß alle Sparten des Unternehmens gleichermaßen boomen. Es gibt bei den großen Unternehmen sicherlich einige Abteilungen, die knackige Verluste machen. Diese müssen von den florierenden Abteilungen aufgefangen werden (siehe z.B. smart und Daimler oder Rover und BMW).
Und wenn einem solche Verlustsparten jedes Mal die Bilanz verhageln, dann gefärdet das letztlich die Gesundheit des gesamten Unternehmens.

Deshalb finde ich dieses dogmatische "aber die machen doch Gewinn, wieso entlassen die Leute?" eher etwas undifferenziert.

Ich stell mir da immer die Frage: Wenn ich nunmal beschlossen habe, die Abteilung XY zu schließen, weil diese chronisch unrentabel ist, wieso soll eine Firma einen Angestellten, für den keine Arbeit mehr da ist, unbegrenzt weiter beschäftigen?
Klar, wenn es klappt, Angestellte in andere Sparten zu übernehmen, wo Bedarf da ist, dann ist das begrüßenswert - das ist aber auch nicht unbegrenzt möglich. Wenn ich in meinem Krankenhaus die Gyn dicht mache, dann kann ich nicht einfach den gynäkologischen Oberarzt auf eine freiwerdende Stelle in der Kardiologie setzen.

Heutzutage müssen die Unternehmen mehr denn je darauf achten, rentabel zu sein, da muß auch mal gespart werden, wenn der Konkurs noch nicht im Haus steht. Wenn, wie z.B. im Fall Holzmann, die Überlegungen, wo man einsparen könnte, erst beginnen, wenn das Konkursverfahren läuft, dann liegt das Kind halt schon im Brunnen.
Deshalb finde ich es z.B. selbstverständlich, daß z.B. Privilegien, die in absoluten Boomzeiten gewährt wurden, in etwas knapperen Zeiten zurückgenommen werden, auch wenn der Bankrott nicht direkt bevorsteht.
So geschehen ja neulich bei DaimlerChrysler, die um ihr Stammwerk bei Stuttgart rentabler zu machen (und also letztlich um die Produktion dort zu sichern) dort einige in den 80ern ausgehandelten Extras wieder abschaffen wollten, z.B. die sog. "Steinkühler-Pause" (5min Raucherpäusle pro Stunde, jede Stunde, zuzüglich zu allen anderen Pausen) oder den Spätschicht(!!!)zuschlag ab 12 Uhr mittags (!!!!!), die die Arbeit in Stuttgart nicht nur im Verglaich zur ausländischen Konkurrenz, sondern sogar im Vergleich zum Daimler-Werk in Bremen unverhältnismäßig teuer gemacht hat.


Nichtsdestotrotz darf natürlich ein Unternehmen nicht ohne jegliches soziales Gewissen vorgehen (siehe Textil- und Schuhfabriken in Fernost), aber eines ist die Wirtschaft sicher nicht: Ersatzarbeitsamt, das Leute durchfüttert, für die keine Arbeit mehr da ist. das ist definitiv Aufgabe des Staats. :-meinung

Kackbratze
07.06.2005, 07:54
Jede Firma hat auch einen sozialen Auftrag. Allerdings NICHT gegenüber der Allgemeinheit, sondern gegenüber den eigenene Angestellten.
Das bezieht darauf, dass ein glücklicher Arbeiter ein produktiver Arbeiter ist.

Wenn eine Firma seine Angestellten nur knüppeln lassen würde und keine Freizeitbeschäftigung (Firmensport, Parties, Kinderbetreuung etc) gleichzeitig anbietet, geht langsam aber sicher die Moral in den Keller und damit auch die Motivation und Produktivität der Angestellten.

Das eine Firma sich von unrentablen Abteilungen trennen muss, ist auch logisch.
Wenn mein Auto nur Öl verliert und ständig in die Werkstatt muss, wird es auch schnell verkauft oder geschrottet. Das Firmen da genauso denken, sogar denken müssen, ist logisch.
Eine schlechte Abteilung kann am Ende die ganze Firma ruinieren und dann sitzen plötzlich alle Angestellten auf der Strasse.

Und das die Firmen lieber nach Fernost gehen, als hier zu bleiben, liegt nicht an den Firmen, sondern an der Politik, die nicht dafür sorgt, dass hier vernünftige Standortfaktoren vorliegen.
WENN dann mal Ausnahmen gemacht werden, in Form von Steuererlassen oder Subventionen (wobei mir persönlich die Steuererlassungen besser gefallen als Subventionen) dann klappt das ja auch. Ein ehr gutes Beispiel ist das AMD-Werk im Osten, wo die neuesten Prozessoren hergestellt werden...

die chondropathia
07.06.2005, 08:48
Stichwort: die Sozialpflichtigkeit des Kapitals.
Oder: Wenn alles Geld bei den Unternehmern ist - wer soll dann die Produkte kaufen?

Rugger
07.06.2005, 15:17
Jede Firma hat auch einen sozialen Auftrag. Allerdings NICHT gegenüber der Allgemeinheit, sondern gegenüber den eigenene Angestellten.
Das bezieht darauf, dass ein glücklicher Arbeiter ein produktiver Arbeiter ist.Ach, Quatsch!
Das ist doch nur Hilfe zum Selbstzweck!!!

Natürlich hat ein Unternehmen eine (soziale?) Verantwortung:
das eingesetzte Kapital zu mehren. Leider sind ca. 80% des Kapitals in den Händen von nur 2% der Bevölkerung... Dazu kommt: in den Zeiten von Globalisierung und Share Holder Value, die in einem irrsinnigen Treiben an den Börsen ihren Höhepunkt findet, ist soziale Verantwortung insbesondere in den großen Aktiengesellschaften nur ein Hemmnis der Gewinnmaximierung - und somit der nächsten Bonusausschüttung an den Vorstand. Da kann man sich soziale Verantwortung gar nicht mehr leisten, da muß ein starker Staat die (sozialen!) Regeln definieren! Leider haben sich unsere Repräsentanten in den letzten Jahren das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen...

Dazu ein Zitat aus einer Rezension zu einer anscheinend sehr sehenwerten Doku von Spiegel Online (http://www.spiegel.de):

Ein Unternehmen ist juristisch gesehen eine Person, aber was für eine? Ein kanadischer Dokumentarfilm kommt zu dem Ergebnis, dass sich Konzerne in der Regel wie klinische Psychopathen verhalten.
Nach den gängigen Kriterien der Psychiatrie ist das gemeine Unternehmen ein Wrack. Es ist selbstsüchtig, kaltblütig und hinterhältig. Es verletzt mit schöner Regelmäßigkeit ethische und rechtliche Normen. Es empfindet weder Schuld noch Reue. Gleichzeitig ist es in der Lage, dem Rest der Welt Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl vorzutäuschen.Der ganze Artikel: hier. (http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,304353,00.html)

Schöne neue Welt, kann man da nur sagen.

Rugger

OliP
07.06.2005, 16:20
@Rugger: Richtig! Das Ziel einer wirtschaftlichen Unternehmung ist die Geldvermehrung für die Anteilseigner. Von einem Unternehmen zu erwarten, dass es sich hierbei selbst Grenzen setzt, indem es auf die menschlichen Grundbedürfnisse seiner Angestellten Rücksicht nimmt, ist etwa so, wie wenn man den Bock zum Gärtner macht :-meinung

Die Grenzen und Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft können und müssen durch die Politik festgesetzt werden, mit dem Ziel hierbei einen möglichst großen Nutzen für möglichst viele Bürger dieses Staates zu erzielen.

Mal ganz einfach gesagt sehe ich die Aufgabe des Staates (also der unserer politischen Repräsentaten) darin, seinen Bürgern ein glückliches und zufriedenes Leben zu organisieren! Leider habe ich jedoch den Eindruck, dass man dieses Ziel aus den Augen verloren hat und nur noch darauf bedacht ist, die (imaginäre) Wirtschaft zum Laufen zu bringen, damit diese dann alle gesellschaftlichen Probleme löse.

Vielleicht sollte man auch mal verstärkt über weltwirtschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung oder die EU nachdenken. Von meinem bescheidenen Standpunkt aus sehe ich dabei sehr viel negatives für den Großteil der Menschen gegenüber positivem für den Kapitalmarkt und Grosskonzerne....Aber vielleicht überschau ich das nur nicht richtig :-lesen

Kackbratze
07.06.2005, 17:59
Warum ist der Staat für mein Glück verantwortlich?

Ich alleine bin dafür verantwortlich, schließlich bin ich ja nicht Teil des Staates, sonders sein Bürger (ansonsten hätten wir Kommunismus mit Gleichschaltung).

Der Staat und seine Angestellten sind für Rahmenbedingungen verantwortlich, aber am Ende steht immernoch der Einzelne.

Was das Kapital anbetrifft, jeder in Deutschland kann Anteilseigner einer Firma werden, indem er Aktien kauft.
Dadurch hat er auch automatisch Mitspracherecht bei der Firma.
Warum nehmen das denn so wenige Menschen in Anspruch?

OliP
07.06.2005, 19:12
...Der Staat und seine Angestellten sind für Rahmenbedingungen verantwortlich, ....

Genau! Sie sind für die Organisation zuständig. Selbstverständlich muss sich der Bürger hier beteiligen, aber darum gings mir eher weniger.


...jeder in Deutschland kann Anteilseigner einer Firma werden, indem er Aktien kauft.... Warum nehmen das denn so wenige Menschen in Anspruch?

...also mir fehlt irgendwie das Geld dazu?!

Kackbratze
07.06.2005, 20:35
Echt?
Es gibt Firmenanteile ab 0,25 Euro...

OliP
07.06.2005, 20:40
Echt? Und mit richtigem Mitspracherecht? So im Sinne einer Mitwirkung?

Hellequin
07.06.2005, 20:41
Echt?
Es gibt Firmenanteile ab 0,25 Euro...
Und dem entsprechend groß ist auch dein Mitspracherecht.;-)
Hat man ja auf der letzten Aktionärsversammlung der Telekom gesehen, wie viel das Unternehmen von der Meinung seiner Kleinaktionäre hält.

Kackbratze
07.06.2005, 20:42
Als ob es in den meisten Familien anders wäre.....
Aber man nimmt dann Teil an der Vergabe des achso bösen Kapitals...schließlich gibt es ja Dividenden...

zotteltroll
07.06.2005, 20:48
Dass es anders gehen kann, zeigt das Beispiel BMW-Werk in Leipzig. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,359262,00.html



Mal am Rande: Das Werk ist mit, festhalten, 360 MILLIONEN Euro subventioniert wurden. Jeder Arbeitsplatz kostet den Steuerzahler ~170.000 EUR.

Wie sozial ist also die Wirtschaft, wenn ein Unternehmen, trotz eines Jahregewinns von einer halben Milliarde Euro, erst dann im eigenen Land investiert, wenn es durch die Steuerkasse ausreichend unterstützt wird ... ?

Rugger
07.06.2005, 21:28
Ich alleine bin dafür verantwortlich, schließlich bin ich ja nicht Teil des Staates, sonders sein Bürger (ansonsten hätten wir Kommunismus mit Gleichschaltung).Naja, ein Staat, so wie ich ihn verstehe, hat die Verpflichtung, für seine Bürger da zu sein, sie zu schützen und ihre Interessen zu vertreten - oder zumindestens die Interessen der Mehrheit der Bürger, nicht jene der einer Minderheit, nämlich der Reichen.
Der Staat und seine Angestellten sind für Rahmenbedingungen verantwortlich, aber am Ende steht immernoch der Einzelne.Genauso muß natürlich auch der Bürger aktiv seinen Staat mitgestalten, aber letztlich wird der Staat durch die Masse der Bürger legitimiert, die er dann im Umkehrschluss natürlich auch schützen muß! Ein Einzelner wäre da oftmals auf verlorenem Posten.
Was das Kapital anbetrifft, jeder in Deutschland kann Anteilseigner einer Firma werden, indem er Aktien kauft.
Dadurch hat er auch automatisch Mitspracherecht bei der Firma. Wie meine Vorredner schon überzeugend dargestellt haben, ist das Mitspracherecht des Einzelnen so gut nichts wert. Alle, soweit ich weiß ohne Ausnahme, in den großen Indicies notierten Unternehmen sind hinsichtlich des Aktienrechts in den Händen institutieller Anleger (welche dann wiederrum durch diverse Verflechtungen fein miteinander verwoben sind) - und wen vertreten die? Ja wohl eher kaum die Interessen des Kleinanlegers (der ja zumeist eh' viel zu spät einsteigt und allenfalls die Gewinne nochmal nach oben treibt, ohne selber jedoch allzusehr davon zu profitieren: Hausfrauenbörse), sondern vielmehr die Interessen der großen Anleger, des Großkapitals!
Als ob es in den meisten Familien anders wäre.....Ein Verweis auf einen anderen Mißstand macht den ursprünglich angeführten nicht besser!

Rugger

funny
10.06.2005, 16:23
Was macht ihr, wenn ihr euren DVD-Player oder Mountainbike vier Geschäfte weiter um 30% preiswerter kriegt? Trotzdem in dem teureren Laden kaufen, weil sich ja schließlich der Ladenbesitzer auch ernähren muss und ihr nicht als unmenschlich und zu gierig dastehen wollt????


Ich weiß, dies läßt sich nicht wirklich auf das Agieren und Verhalten einiger AGs übertragen, aber das Prinzip ist das Gleiche. Unternehmen als Psychopathen beschreiben??? Es ist halt Fressen oder Gefressen werden. Biste die Antilope, haste Pech gehabt.

Gewinne erzielen und sozial denken sind wahrscheinlich per se ohnehin wesensverschieden und treffen nur zufällig mal zusammen. Vor allem bei (anonymen) AGs. Meiner Meinung nach hat die Politik da unbedingt Vorgaben und Reglementierungen zu treffen, damit dies alles nicht zur großen Jagd und Gejagtwerden für jedermann wird. Nur "die Politik" ist nicht unabhängig von der Wirtschaft, von daher also erpressbar und schwächer. Dennoch: Ich hoffe, keiner wünscht sich sozialistische oder kommunistische Zustände, sozusagen als wütenden Gegenreflex. (So scheint es mir manchmal)

Scrotum
10.06.2005, 17:06
Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen, nicht der Mensch der Wirtschaft.

Diesen Leitsatz würde ich gerne auf alle BWL-Bücher drucken, dann würden es die Manager von morgen vielleicht bei Entscheidungen bedenken.

Momentan scheint man diese so banale wie wichtige Tatsache vergessen zu haben und denkt zu kurzfristig. Ich denke, dass beispielsweise die Tatsache, dass Arbeitsunfähigkeit und psychische Störungen in den letzten 10 Jahren beinahe epidemisch zugenommen haben, nicht unwesentlich auf "rauheren Wind" am Arbeitsplatz zurückzuführen ist. Der Druck, mit dem viele Angstellte täglich konfrontiert sind, ist für viele nicht mehr zu ertragen. Die Folge ist der Bezug von öffentlichen Sozialleistungen, was wiederum höhere Steuern und Abzüge zur Folge hat, ein wahrer Teufelskreis.