Jens
07.06.2005, 14:23
Hallo zusammen,
Der nachfolgende Leserbrief erreichte uns zum Artikel 'Hände hoch und T-Shirts aus' von Robert Kapelle, den wir im Onlinebereich und in der MEDI-LEARN Zeitung veröffentlicht haben.
Ihr findet den Artikel von Robert hier:
http://www.medi-learn.de/medizinstudium/Campus/Medi-Zeitung/Erlebnisse_im_Untersuchungskurs_im_Medizinstudium
Um diesen Artikel bzw. die Verhältnisse im Untersuchungskurs geht es thematisch in dem Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein. Der Autor des Leserbriefes, Herr Dr. med. Joachim Stein, wirft interessante Fragen auf und wir wären an eurer Meinung interessiert: welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich in Eurem Untersuchungskurs gemacht? Zu diesem Zweck haben wir diesen Diskussionsbeitrag eröffnet und freuen uns auf eine anregende Diskussion zum Thema 'U-Kurs im Medizinstudium'.
Klopfkurs - Es geht auch ohne Diskriminierung und Zwang!
Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein
In Bezug auf den Artikel "Hände hoch und T-Shirt aus"
Viele Erinnerungen werden wach, wenn ich Via medici oder jetzt auch Medi-Learn aufschlage. Auch wenn ich mittlerweile Facharzt bin und kurz vor der Niederlassung stehe, so lese ich immer wieder gerne die Artikel von Studierenden und jungen Kolleg(inn)en. Mit Interesse sehe ich daher in der aktuellen Ausgabe von Via medici die neue Zeitung Medi-Learn und überfliege die Überschriften. "Hände hoch und T-Shirt aus: der Untersuchungskurs", lese ich dort. "T-Shirt aus" mag ja angehen, ist für viele Untersuchungen im Bereich des Thorax zweifellos Voraussetzung, aber "Hände hoch"? Ich werde die ungemütliche Assoziation von Zwang und Bedrohung einer vorgehaltenen Waffe nicht los und beginne den Artikel zu lesen.
Der Autor, Robert Kapelle, beschreibt anschaulich, wie die Studierenden seines Kurses von einem "grimmig dreinschauenden Internisten" auf die Station geführt und in einen Raum mit einer Liege gebracht werden und - da es die erste Stunde ist - noch keine Patienten vorfinden, sondern zunächst an sich selbst die gängigen Untersuchungstechniken kennenlernen sollen. Alles durchaus üblich und auch mir aus meinem Studium vertraut. Leider ist es auch gängige Praxis, daß der Dozent "einen der Herren" auffordert, sich als Freiwilligen zur Verfügung zu stellen - mit Verlaub: Wieso eigentlich? Abgesehen davon, daß bei ganzen zwei Männern und acht Frauen in der Gruppe bereits diese Aussage die Freiwilligkeit massiv einschränkt - hätte er diesen Satz nicht einfach weglassen und schlichtweg fragen können: "Wer von Ihnen wäre denn bereit, einmal exemplarisch in die Patientenrolle zu schlüpfen?" (oder eine ähnliche Formulierung). Damit hätte er das Geschlecht des Untersuchten offengelassen. Hätte der Dozent denn (auf gut Neudeutsch formuliert) "ein Problem damit", wenn sich eine Studentin als Freiwillige zur Verfügung gestellt hätte? Mit welchem Recht geht er automatisch davon aus, es sei einem Mann eher zumutbar - ich zitiere eine Absatzüberschrift - "vor acht Frauen die Hose aus(zu)ziehen", als einer Frau, insbesondere bei dieser Verteilung von 8:2 in seiner Gruppe? Könnte man bei der Untersuchung des Thorax noch Argumente an den Haaren herbeiziehen wie die übliche männliche Badekleidung mit freiem Oberkörper, so bleibt vollends unverständlich, wieso das Ausziehen der Hose einem Mann eher zugemutet werden könnte. Ganz abgesehen davon, daß der militärische Befehlston "Hände hoch!", "Hinlegen!", "Hose aus!" völlig inadäquat erscheint und hier eher von Nötigung als von Freiwilligkeit gesprochen werden muß. Spätestens bei " Du da, auf die Liege!" hört die Freiwilligkeit auf! Geht der beschriebene Internist mit seinen Patienten genauso um? "Bellt" er auch da seine "Befehle"? (Hätte vielleicht eher Feldwebel werden sollen, der Kollege!)
Leider scheint sich von 1993 (dem Jahr meines Untersuchungskurses an der Uni) bis heute nichts an der Grundeinstellung geändert zu haben: Intimsphäre? So etwas gibt es nur bei Frauen! Ein Mann soll sich nicht so anstellen! Dabei lehrt alltägliche Erfahrung, wie individuell das Empfinden von Privatsphäre, Nacktheit und Scham ist. In jedem Schwimmbad und an jedem Badesee kann man beobachten, wie manche Besucher die Umkleidekabinen aufsuchen, andere ein Handtuch umbinden, während wieder andere, Männer wie Frauen, sich einfach im Freien umziehen. Dies wird als individuelle Entscheidung des einzelnen respektiert, wohl niemand käme auf die Idee, einem anderen hier Vorschriften machen zu wollen. Hört dieser gesunde Menschenverstand an der Krankenhauspforte auf? Kein Wort davon, daß Ärzte in ihrer Ausbildung lernen müssen, Menschen beiderlei Geschlechts adäquat zu betreuen (und zu untersuchen), kaum der Hinweis, wie sie mit eigenen Gefühlen in der Untersuchungssituation umgehen können (beide können in ihrer beruflichen Rolle einem attraktiven Menschen des jeweils anderen Geschlechts gegenüberstehen! Und was dann?). Immer noch scheinen manche (vor allem männliche) Ärzte das Rollenbild männlicher Arzt - männlicher Patient als allgemeingültigen Standard verinnerlicht zu haben. Die Realität des beschriebenen Kurses (8 Frauen, 2 Männer) zeigt, wie sich dieses Rollenbild mittlerweile verändert hat.
Was ist aber die Alternative? Es wäre selbstverständlich völlig verfehlt und nicht minder diskriminierend, würde der Dozent "eine der Damen" auffordern, sich als Freiwillige zur Verfügung zu stellen. (Täte er dies aber tatsächlich, ich möchte nicht wissen, wie lange der empörte Aufschrei der Frauenbeauftragten und ähnlicher Organe auf sich warten ließe "Diskriminierung", "Sexismus" o.ä. - durchaus zu Recht!). Leider wurden zu wenige Stunden unseres Kurses von Frauen geleitet, um deren Verhalten als Dozentinnen repräsentativ beurteilen zu können, ich kann mich jedoch nicht erinnern, daß bei ihnen gezielt "die Herren" oder aber etwa "die Damen" zum Modellstehen aufgefordert wurden. Vielmehr wurde eine offene Frage an alle gerichtet, oder wenn sich kein(e) Freiwillige(r) fand, die Untersuchung theoretisch erklärt. Als ob dies die Dozenten nicht generell so handhaben könnten! Man braucht schließlich nur einen vorurteilslosen Blick in unser Grundgesetz zu werfen, um die eindeutige Antwort auf geschlechtspezifische Diskriminierung - gleich in welcher Richtung - im Artikel 3 zu erhalten: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". (Art. 3 Abs. 1 GG) "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Art. 3 Abs. 2 GG) "Niemand darf wegen seines Geschlechts, ... bevorzugt oder benachteiligt werden" (Art. 3 Abs. 3 GG). Hier haben wir es schwarz auf weiß: Die vielzitierte Gleichberechtigung, unter der allzu oft nur die Beseitigung der Nachteile für Frauen verstanden wird, die es ja auch nach wie vor gibt, ist keine Einbahnstraße! Die Diskriminierung von Männern aufgrund ihres Geschlechts ist nicht minder verfassungswidrig! Also: Es gibt, um auf unseren Kurs zurückzukommen, keine Alternative zur Freiwilligkeit! Niemand darf gezwungen oder auch nur gedrängt werden, sich als Demonstrationsobjekt zur Verfügung zu stellen. Wer es freiwillig tut, dessen Menschenwürde muß gewahrt bleiben (hierbei sind auch anzügliche Bemerkungen über bestimmte Körpermerkmale selbstverständlich deplaziert und unbedingt zu unterlassen!
Genauso allerdings auch unangemessenes "Handanlegen", wo Selbständigkeit besteht - ein(e) Patient(in), der/die nicht aufgrund einer körperlichen Bewegungseinschränkung oder Behinderung hilfsbedürftig ist, kann sich selbst ausziehen. "Hände hoch" sollte wirklich Polizei und Western vorbehalten bleiben!). Die Aufforderung darf nicht auf Menschen eines Geschlechts eingegrenzt werden ( ich habe durchaus schon Stimmen von Kolleginnen gehört, die dies ebenfalls als diskriminierend empfanden, sich sogar freiwillig hätten untersuchen lassen, was von den Dozenten jedoch abgelehnt wurde!).
In diesem Zusammenhang kommt mir noch der Gedanke, ob der Internist vielleicht für seine rüde Vorgehensweise gerade deshalb "einen der Herren" benötigte, weil er einer Studentin kaum mit "Hände hoch" das T-Shirt hätte ausziehen können, ohne zumindest in den Verdacht einer nicht medizinisch motivierten Handlung zu geraten. Höflich darum bitten, das T-Shirt selbst auszuziehen, kann man aber Männer wie Frauen - schließlich hätte er dies auch bei einer Patientin tun können, bei der er nicht sagen kann, es möge sich "einer der Herren" zur Verfügung stellen!!
Würden statt der ungünstigen Kurssituation "auf dem Präsentierteller" kleine Gruppen gebildet (je 2-4 Personen), in der die Studierenden sich als Untersuchende und Untersuchte abwechseln könnten, wäre nicht nur der Lerneffekt viel größer, es sind nach meiner Erfahrung aus den guten Kursstunden dann auch fast alle bereit, sich selbst untersuchen zu lassen (Männer wie Frauen)!
Daß der Autor zu guter Letzt "dem grimmigen Internisten vergeben" hat, mag eine edle Tat in guter Absicht sein. Ich hätte an seiner Stelle dem Internisten bestimmt nur nach einer persönlichen Entschuldigung "vergeben", sonst aber eine Beschwerde beim Chefarzt der Klinik in Erwägung gezogen, verbunden mit der Frage, wie der beschriebene Kollege wohl mit Patienten umgeht und wie der Leiter der Klinik sich unter diesen Umständen die Vorbildfunktion des Kursleiters für die Studenten vorstellt. Überdie fraglichen Erfolgsaussichten bin ich mir dabei natürlich im Klaren .Gerade wir Ärzte sollten jedoch beim Thema des sensiblen Umgangs mit möglichst allen Menschen und beim entschiedenen Eintreten für Gleichbehandlung ohne Unterschied der Hautfarbe, Religion oder Herkunft (und eben auch ohne Unterschied des Geschlechts!) eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen, zumindest aber können wir uns in diesem Bereich keine Schwächen und Nachlässigkeiten erlauben. Häufig wird immer noch beim Stichwort "Diskriminierung" nur an die Benachteiligung von Frauen gedacht - daß es diese nach wie vor gibt, soll hiermit nicht geleugnet und nicht beschönigt werden! Es sollte jedoch endlich ins allgemeine Bewußtsein dringen, daß auch geschlechtsspezifische Diskriminierung von Männern kein Kavaliersdelikt sondern eine Menschenrechtsverletzung ist, die nicht geringfügiger eingestuft werden kann als ihr gegen Frauen gerichtetes Pendant. .
*****
Soweit der Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein. Ihr findet den von Robert Kapelle verfassten Artikel zum Thema Untersuchungskurs hier:
http://www.medi-learn.de/medizinstudium/Campus/Medi-Zeitung/Erlebnisse_im_Untersuchungskurs_im_Medizinstudium
Welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich in eurem Untersuchungskurs machen dürfen? Wir freuen uns auf Eure Schilderungen und eine anregende Diskussion!
Viele Grüsse
Jens
Der nachfolgende Leserbrief erreichte uns zum Artikel 'Hände hoch und T-Shirts aus' von Robert Kapelle, den wir im Onlinebereich und in der MEDI-LEARN Zeitung veröffentlicht haben.
Ihr findet den Artikel von Robert hier:
http://www.medi-learn.de/medizinstudium/Campus/Medi-Zeitung/Erlebnisse_im_Untersuchungskurs_im_Medizinstudium
Um diesen Artikel bzw. die Verhältnisse im Untersuchungskurs geht es thematisch in dem Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein. Der Autor des Leserbriefes, Herr Dr. med. Joachim Stein, wirft interessante Fragen auf und wir wären an eurer Meinung interessiert: welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich in Eurem Untersuchungskurs gemacht? Zu diesem Zweck haben wir diesen Diskussionsbeitrag eröffnet und freuen uns auf eine anregende Diskussion zum Thema 'U-Kurs im Medizinstudium'.
Klopfkurs - Es geht auch ohne Diskriminierung und Zwang!
Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein
In Bezug auf den Artikel "Hände hoch und T-Shirt aus"
Viele Erinnerungen werden wach, wenn ich Via medici oder jetzt auch Medi-Learn aufschlage. Auch wenn ich mittlerweile Facharzt bin und kurz vor der Niederlassung stehe, so lese ich immer wieder gerne die Artikel von Studierenden und jungen Kolleg(inn)en. Mit Interesse sehe ich daher in der aktuellen Ausgabe von Via medici die neue Zeitung Medi-Learn und überfliege die Überschriften. "Hände hoch und T-Shirt aus: der Untersuchungskurs", lese ich dort. "T-Shirt aus" mag ja angehen, ist für viele Untersuchungen im Bereich des Thorax zweifellos Voraussetzung, aber "Hände hoch"? Ich werde die ungemütliche Assoziation von Zwang und Bedrohung einer vorgehaltenen Waffe nicht los und beginne den Artikel zu lesen.
Der Autor, Robert Kapelle, beschreibt anschaulich, wie die Studierenden seines Kurses von einem "grimmig dreinschauenden Internisten" auf die Station geführt und in einen Raum mit einer Liege gebracht werden und - da es die erste Stunde ist - noch keine Patienten vorfinden, sondern zunächst an sich selbst die gängigen Untersuchungstechniken kennenlernen sollen. Alles durchaus üblich und auch mir aus meinem Studium vertraut. Leider ist es auch gängige Praxis, daß der Dozent "einen der Herren" auffordert, sich als Freiwilligen zur Verfügung zu stellen - mit Verlaub: Wieso eigentlich? Abgesehen davon, daß bei ganzen zwei Männern und acht Frauen in der Gruppe bereits diese Aussage die Freiwilligkeit massiv einschränkt - hätte er diesen Satz nicht einfach weglassen und schlichtweg fragen können: "Wer von Ihnen wäre denn bereit, einmal exemplarisch in die Patientenrolle zu schlüpfen?" (oder eine ähnliche Formulierung). Damit hätte er das Geschlecht des Untersuchten offengelassen. Hätte der Dozent denn (auf gut Neudeutsch formuliert) "ein Problem damit", wenn sich eine Studentin als Freiwillige zur Verfügung gestellt hätte? Mit welchem Recht geht er automatisch davon aus, es sei einem Mann eher zumutbar - ich zitiere eine Absatzüberschrift - "vor acht Frauen die Hose aus(zu)ziehen", als einer Frau, insbesondere bei dieser Verteilung von 8:2 in seiner Gruppe? Könnte man bei der Untersuchung des Thorax noch Argumente an den Haaren herbeiziehen wie die übliche männliche Badekleidung mit freiem Oberkörper, so bleibt vollends unverständlich, wieso das Ausziehen der Hose einem Mann eher zugemutet werden könnte. Ganz abgesehen davon, daß der militärische Befehlston "Hände hoch!", "Hinlegen!", "Hose aus!" völlig inadäquat erscheint und hier eher von Nötigung als von Freiwilligkeit gesprochen werden muß. Spätestens bei " Du da, auf die Liege!" hört die Freiwilligkeit auf! Geht der beschriebene Internist mit seinen Patienten genauso um? "Bellt" er auch da seine "Befehle"? (Hätte vielleicht eher Feldwebel werden sollen, der Kollege!)
Leider scheint sich von 1993 (dem Jahr meines Untersuchungskurses an der Uni) bis heute nichts an der Grundeinstellung geändert zu haben: Intimsphäre? So etwas gibt es nur bei Frauen! Ein Mann soll sich nicht so anstellen! Dabei lehrt alltägliche Erfahrung, wie individuell das Empfinden von Privatsphäre, Nacktheit und Scham ist. In jedem Schwimmbad und an jedem Badesee kann man beobachten, wie manche Besucher die Umkleidekabinen aufsuchen, andere ein Handtuch umbinden, während wieder andere, Männer wie Frauen, sich einfach im Freien umziehen. Dies wird als individuelle Entscheidung des einzelnen respektiert, wohl niemand käme auf die Idee, einem anderen hier Vorschriften machen zu wollen. Hört dieser gesunde Menschenverstand an der Krankenhauspforte auf? Kein Wort davon, daß Ärzte in ihrer Ausbildung lernen müssen, Menschen beiderlei Geschlechts adäquat zu betreuen (und zu untersuchen), kaum der Hinweis, wie sie mit eigenen Gefühlen in der Untersuchungssituation umgehen können (beide können in ihrer beruflichen Rolle einem attraktiven Menschen des jeweils anderen Geschlechts gegenüberstehen! Und was dann?). Immer noch scheinen manche (vor allem männliche) Ärzte das Rollenbild männlicher Arzt - männlicher Patient als allgemeingültigen Standard verinnerlicht zu haben. Die Realität des beschriebenen Kurses (8 Frauen, 2 Männer) zeigt, wie sich dieses Rollenbild mittlerweile verändert hat.
Was ist aber die Alternative? Es wäre selbstverständlich völlig verfehlt und nicht minder diskriminierend, würde der Dozent "eine der Damen" auffordern, sich als Freiwillige zur Verfügung zu stellen. (Täte er dies aber tatsächlich, ich möchte nicht wissen, wie lange der empörte Aufschrei der Frauenbeauftragten und ähnlicher Organe auf sich warten ließe "Diskriminierung", "Sexismus" o.ä. - durchaus zu Recht!). Leider wurden zu wenige Stunden unseres Kurses von Frauen geleitet, um deren Verhalten als Dozentinnen repräsentativ beurteilen zu können, ich kann mich jedoch nicht erinnern, daß bei ihnen gezielt "die Herren" oder aber etwa "die Damen" zum Modellstehen aufgefordert wurden. Vielmehr wurde eine offene Frage an alle gerichtet, oder wenn sich kein(e) Freiwillige(r) fand, die Untersuchung theoretisch erklärt. Als ob dies die Dozenten nicht generell so handhaben könnten! Man braucht schließlich nur einen vorurteilslosen Blick in unser Grundgesetz zu werfen, um die eindeutige Antwort auf geschlechtspezifische Diskriminierung - gleich in welcher Richtung - im Artikel 3 zu erhalten: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". (Art. 3 Abs. 1 GG) "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Art. 3 Abs. 2 GG) "Niemand darf wegen seines Geschlechts, ... bevorzugt oder benachteiligt werden" (Art. 3 Abs. 3 GG). Hier haben wir es schwarz auf weiß: Die vielzitierte Gleichberechtigung, unter der allzu oft nur die Beseitigung der Nachteile für Frauen verstanden wird, die es ja auch nach wie vor gibt, ist keine Einbahnstraße! Die Diskriminierung von Männern aufgrund ihres Geschlechts ist nicht minder verfassungswidrig! Also: Es gibt, um auf unseren Kurs zurückzukommen, keine Alternative zur Freiwilligkeit! Niemand darf gezwungen oder auch nur gedrängt werden, sich als Demonstrationsobjekt zur Verfügung zu stellen. Wer es freiwillig tut, dessen Menschenwürde muß gewahrt bleiben (hierbei sind auch anzügliche Bemerkungen über bestimmte Körpermerkmale selbstverständlich deplaziert und unbedingt zu unterlassen!
Genauso allerdings auch unangemessenes "Handanlegen", wo Selbständigkeit besteht - ein(e) Patient(in), der/die nicht aufgrund einer körperlichen Bewegungseinschränkung oder Behinderung hilfsbedürftig ist, kann sich selbst ausziehen. "Hände hoch" sollte wirklich Polizei und Western vorbehalten bleiben!). Die Aufforderung darf nicht auf Menschen eines Geschlechts eingegrenzt werden ( ich habe durchaus schon Stimmen von Kolleginnen gehört, die dies ebenfalls als diskriminierend empfanden, sich sogar freiwillig hätten untersuchen lassen, was von den Dozenten jedoch abgelehnt wurde!).
In diesem Zusammenhang kommt mir noch der Gedanke, ob der Internist vielleicht für seine rüde Vorgehensweise gerade deshalb "einen der Herren" benötigte, weil er einer Studentin kaum mit "Hände hoch" das T-Shirt hätte ausziehen können, ohne zumindest in den Verdacht einer nicht medizinisch motivierten Handlung zu geraten. Höflich darum bitten, das T-Shirt selbst auszuziehen, kann man aber Männer wie Frauen - schließlich hätte er dies auch bei einer Patientin tun können, bei der er nicht sagen kann, es möge sich "einer der Herren" zur Verfügung stellen!!
Würden statt der ungünstigen Kurssituation "auf dem Präsentierteller" kleine Gruppen gebildet (je 2-4 Personen), in der die Studierenden sich als Untersuchende und Untersuchte abwechseln könnten, wäre nicht nur der Lerneffekt viel größer, es sind nach meiner Erfahrung aus den guten Kursstunden dann auch fast alle bereit, sich selbst untersuchen zu lassen (Männer wie Frauen)!
Daß der Autor zu guter Letzt "dem grimmigen Internisten vergeben" hat, mag eine edle Tat in guter Absicht sein. Ich hätte an seiner Stelle dem Internisten bestimmt nur nach einer persönlichen Entschuldigung "vergeben", sonst aber eine Beschwerde beim Chefarzt der Klinik in Erwägung gezogen, verbunden mit der Frage, wie der beschriebene Kollege wohl mit Patienten umgeht und wie der Leiter der Klinik sich unter diesen Umständen die Vorbildfunktion des Kursleiters für die Studenten vorstellt. Überdie fraglichen Erfolgsaussichten bin ich mir dabei natürlich im Klaren .Gerade wir Ärzte sollten jedoch beim Thema des sensiblen Umgangs mit möglichst allen Menschen und beim entschiedenen Eintreten für Gleichbehandlung ohne Unterschied der Hautfarbe, Religion oder Herkunft (und eben auch ohne Unterschied des Geschlechts!) eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen, zumindest aber können wir uns in diesem Bereich keine Schwächen und Nachlässigkeiten erlauben. Häufig wird immer noch beim Stichwort "Diskriminierung" nur an die Benachteiligung von Frauen gedacht - daß es diese nach wie vor gibt, soll hiermit nicht geleugnet und nicht beschönigt werden! Es sollte jedoch endlich ins allgemeine Bewußtsein dringen, daß auch geschlechtsspezifische Diskriminierung von Männern kein Kavaliersdelikt sondern eine Menschenrechtsverletzung ist, die nicht geringfügiger eingestuft werden kann als ihr gegen Frauen gerichtetes Pendant. .
*****
Soweit der Leserbrief von Dr. med. Joachim Stein. Ihr findet den von Robert Kapelle verfassten Artikel zum Thema Untersuchungskurs hier:
http://www.medi-learn.de/medizinstudium/Campus/Medi-Zeitung/Erlebnisse_im_Untersuchungskurs_im_Medizinstudium
Welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich in eurem Untersuchungskurs machen dürfen? Wir freuen uns auf Eure Schilderungen und eine anregende Diskussion!
Viele Grüsse
Jens