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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ein Fall aus dem täglichen Leben ...



sevenofnine
06.04.2002, 17:09
Hallo Leute,

ich mach z.Zt. ein Praktikum bei einem Allgemeinmediziner und ich habe da einen Fall, bei dem ich mal Euren Rat hören wollte: :-blush

Patient, männlich, 73 Jahre alt. Anamnese ergibt zahlreiche frühere Krankheiten:

- Vorderwandinfarkt '93 mit anschließender Bypass-OP
- mehrere apoplektische Insulte; Folgen: deutliche Bewegungseinschränkungen der Beine, teilw. des li. Arms; Demenz mit deutlicher Minderung der geistigen Fähigkeiten
- Diabetes mellitus: Behandlung z.Zt. mit Glucophage(R)
- deutlich überhöhter Alkoholkonsum
- absoluter Bewegungsmangel, geringes Übergewicht
- geringe bis mittlere Sprachstörungen ("verwaschene" Sprache)

Nach einem weiteren geringwerigen Apoplex wurde der Patient im Frühjahr diesen Jahres zur Rehabilitation in eine geriatrisch-internistische Tagesklinik überwiesen. Die Rehabilitation beinhaltet v.a. Ergotherapie sowie krankengymnastische Maßnahmen.

Nach Ende der Rehabilitation ergabe sich eine deutliche Verbesserung des Allgemeinbefindens sowie eine massive Linderung der Folgeerscheinungen des apoplektischen Insults.

Eine Woche nach Entlassung stellte sich der Patient erneut vor, nachdem er nach Aussagen der Lebensgefährtin wieder massiv Alkohol getrunken hatte ("auf einem Geburtstag sich die Kanne gegeben").
Infolge dessen kam es zu einer deutlichen Verschlechterung beim Patienten: wieder Bewegungs- und Koordinationsstörungen der Beine, deutlich verwaschene Sprache, geringe geistige Leistungsfähigkeit.

Neurologisches Konzil ergab einen erneuten leichten Apoplex, die Behandlung läuft derzeit konservativ als Infusionstherapie.

Was würde Ihr tun? Wie würde ich Euch als Arzt verhalten und was würdet Ihr seiner Umgebung raten? :-notify

Danke für Eure Antworten!

Gruß
Seven

Nico
06.04.2002, 17:25
Scheint ja ein uneinsichtiger Patient zu sein...

Ich denke, da kannst du als Arzt nicht viel ausrichten. In dem Alter - lass ihm ein Stück Lebensqualität. Er ist alt genug, um selber seine Entscheidungen zu treffen. Und die Folgen kennt er auch.

Volko
08.04.2002, 13:44
Klar wird es schwer sein, ihn in dem Alter noch irgendwelche Vorschläge zu machen, aber vielleicht sollte man ihm zumindest klar machen, dass es ja wohl nicht sein kann, dass er erst eine relativ teure Reha-Behandlung in dieser geriatrischen Tagesklinik macht und dann durch einen einzigen Suff all das wieder zunichte macht.

Er selbst wird es wahrscheinlich einsehen, aber in der Gesamtbevölkerung muss sich doch allmählich ein Bewusstsein breit machen, dass Gesundheit nicht irgendwas selbstverständliches ist, das man sich beim nächsten Arzt abholen kann, sondern, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist. Solche Fälle sind es doch, die unser Gesundheitssystem in Unkosten stürzen!!!

sevenofnine
10.04.2002, 21:06
Hallo zusammen,

danke nochmal an alle für Eure Antworten!

Wir haben zusammen mit dem Patienten und seiner Familie
heute in der Sprechstunde gesprochen. Dabei haben wir uns auf
eine verstärkte Betreuung des Patienten sowie eine strikte Alkoholkontrolle verständigt.

Allerdings denke ich, dass man den Alkoholabusus wohl schwer in den Griff bekommen wird ...

Dem Patienten selbst geht es den Umständen entsprechend gut. Sprache und Motorik sind wieder im grenzwertigen Bereich, allerdings noch deutlich schlechter als nach der Reha-Maßnahme. Der Kollege will daher unbedingt nochmals bei der Krankenkasse versuchen, eine erneute Reha aufgrund des neuerlichen Apoplex zu bekommen.

Wie sollte Eurer Meinung nach die Langzeit-Therapie aussehen?

Ist eigentlich schon deprimierend, wenn man sieht dass Leute ihre Gesundheit zu kaputt machen und unser Gesundheitswesen dann noch teure Reha-Maßnahmen finanziert ...

Trotzdem: Danke nochmal für Eure Beiträge!

Gruß Tim

11.04.2002, 08:05
Hy

Alkoholismus ist in meinen Augen eine sehr schwerwiegende Erkrankung.
Es ist absolut blauäugig zu glauben dass man so einen Patienten mit Alkoholkontrollen clean bekommt.
Ganz davon abgesehen dass es sich hier um einen 73- jährigen Patienten und nicht um einen 15 jährigen handelt. (Kontrolle?)

Die Menge die dieser Patient wohl tatsächlich konsumiert weiß nur er allein - auch sollte man die Gefahr eines Deliriums nicht unterschätzen wenn man ihm so einfach seinen Alk entzieht.

Hier eine Lösung zu finden die seiner Familie und ihm gerecht wird ist wohl sehr schwierig.
Aufgrund seiner Begleiterkrankungen hat er eh nicht die beste Prognose sehr alt zu werden.

Bei meinem Psychiatrie Praktikum hab ich jedenfalls gelernt dass es sehr schwierig ist und nicht zu oft vorkommt dass man Alkis clean bekommt auf längere Zeit.
Es kommt zwar vor aber bis es so weit ist braucht es sehr viel und oft zerstört diese Krankheit eben auch eine Familie
Dass Du im zweiten Semester schon solche Erfahrungen machen kannst find ich toll.
Ich denke da unser Studium so theoretisch aufgebaut ist muss man einfach selber neben den Famus noch weiter hospitieren damit man einfach Erfahrung bekommt.

Tschüßi