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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hattet ihr schon mal Angst?



Lava
16.08.2005, 20:12
Ich habe heute einen merkwürdigen Tag hinter mir...

Wie der aufmerksame Forenleser weiß, famuliere ich gerade in der Neurochirurgie. ;-) Und gestern hab ich gesagt, dass ich heute vielleicht assistieren darf. Daraufhin hab ich folgendes geschrieben:

Ja, ich durfte heute assistieren. Und so rückblickend muss ich sagen, dass das schon beängstigend war. Erstens ist der Chef ein ausgewiesener Choleriker, der gaaaaanz schnell die Laune verliert, wenn etwas nicht klappt. Da stehe ich als blutiger Anfänger am Tisch und soll mit einem Mikrodissektor das Rückenmark aus dem Schussfeld halten. Zuerst bin ich dauernd weggerutscht, dann war meine Hand dauernd im Sichtfeld und der Chef war schon fast auf 180! Beim vierten oder fünften Versuch hatte ich es dann endlich. Der Trick ist, dass man beim Greifen und Festhalten des Dissektors immer durchs Mikroskop gucken muss, damit man nicht wegrutscht. Einmal beim Knochen Fräsen ist es mir doch passiert und ich hab fast nen Herzstillstand bekommen! Ich hab gedacht, jetzt rauscht der Chef mit der Fräse ins Rückenmark... Gott sei Dank hat er vorsorglich selber mit dem Sauger abgesichert, so dass das Rückenmark nicht in den Bohrer kam *puh*
So ganz plötzlich wird dir klar, dass du da das Rückenmark eines Menschen in der Hand hast. Kein Wunder, warum die sich so schwer damit tun, Famulanten assistieren zu lassen *g*

Es war jedenfalls so, dass ich mir während der OP nicht die supergroßen Gedanken gemacht habem aber hinterher hab ich doch schon etwas gezittert... wenn man den Operateur auf dem Bildschirm beobachtet, sieht alles so spielend aus, aber wenn man selbst mal ein Instrument unterm Mikroskop bedient hat, weiß man, wie schwer das ist. Die Koordination und die geringen Spielräume, die man hat...

Eins weiß ich jetzt: man darf keine Angst haben! Wer Angst hat, hat verloren. Daher frage ich mich, ob ich der Aufgabe gewachsen wäre als NCH Chirurg... hab ich genug Vertrauen in mich selbst? Bisher hab ich immer leuchtende Augen bekommen, wenn ich irgendwas machen durfte, was ich vorher noch nie gemacht habe. FAST hätte ich heute sogar eine LP machen dürfen... ist euch schon mal der Gedanke gekommen, dass ihr da eigentlich was ganz gefährliches macht, was leicht mal schief gehen kann? Wie schaltet ihr diese Gedanken ab? Ist vielleicht jemandem schon mal ein Fehler unterlaufen??? Mein größter Fehler war bisher, dass ich jemandem etwas i.v. gegeben habe, was sub conjunctival gespritzt werden sollte. Also kein großes Ding....

Rico
16.08.2005, 22:29
ist euch schon mal der Gedanke gekommen, dass ihr da eigentlich was ganz gefährliches macht, was leicht mal schief gehen kann? Wie schaltet ihr diese Gedanken ab?Eigentlich will ich die gar nicht abschalten. Im Gegenteil, ich mache es mir immer wieder bewußt, damit ich maximal sorgfältig arbeite und da nicht nachlässig werde.

Froschkönig
16.08.2005, 22:39
Es war jedenfalls so, dass ich mir während der OP nicht die supergroßen Gedanken gemacht habem aber hinterher hab ich doch schon etwas gezittert...
Das ist aber sehr häufig so am Anfang, gerade wenn man "nur" assistiert...der "andere" kennt sich ja aus und ist da am machen und man selber macht nur schön brav laut Anweisung....oft wie Du schon sagst wird man sich erst hinterher über die Ausmaße des Eingriffes klar...und eben die Risiken. Ich denke jeder von uns hatte schonmal "Angst" bzw. ein Schockmoment. Jemanden, der sowas nie hatte, den würd ich mit keinem Interventionsinstrumentarium der Welt an mich ranlassen, für mich ist es Teil des Prozesses, sich über seine Verantwortung auch wirklich mal bewußt zu werden :-)

cKone
16.08.2005, 22:57
Jeder wird in seiner Karriere als Arzt Fehler machen, sei es in der Behandlung oder in der Erkennung.
Klar werden bestimmte Fehler für den jeweiligen Patienten evtl. schwerwiegende Folgen haben.
Das Problem jedoch ist das man sich diese Fehler eingestehen muss um aus ihnen lernen zu können was wiederum eine Frage des Characters ist.
Wenn ich mir überlege wie selbstsicher und teilweise sogar überheblich einige Medizinstudenten sind...

Ich würde beispielsweise gerne später in der Pädiatrie arbeiten.
Wie schwierig ist es in diesem Fachbereich mit den eigenen Fehlern umzugehen. Niemand ist perfekt, jeder macht Fehler. Aber wenn dann aufgrund meines Fehlverhaltens ein Kind stirbt bzw. nicht gerettet werden kann, wie geh ich damit um?
Wie wird später das Betriebsklima in der Klinik sein, werd ich mich mit den Kolleginnen/Kollegen verstehen und gegebenenfalls um Hilfe bitten können oder werde ich auch zu einem "egozentrischen Gott in Weiss" der es als Beleidigung ansieht wenn man von einer Krankenschwester auf einen Fehler hingewiesen wird?
Ja, davor hab ich Angst...

Tse Tse
17.08.2005, 12:32
Ich weiß nicht ganz ob es passt, was ich zu berichten habe.
Das war noch in der Pflegeausbildung – in studentischer Tätigkeit/ als Famulant hab ich noch nicht viel zu erzählen.
Ich erinnere mich an einen Fehler (von etlichen). Es ging um einen Patienten mit hepatischer Enzephalopathie, der abgeführt werden sollte. Das hab ich auch gemacht, mit sämtlichen Hebe- u. Senkeinläufen , kam echt ins Schwitzen und hab mich abgequält. Der Patient hat auch abgeführt und ich dachte, dass sei okay. War nicht besonders viel, aber immerhin.
Das war im Spätdienst, ich ging nach Hause und am nächsten Morgen wieder zum Frühdienst.
Jedenfalls hatte ich dadurch der Nachtschwester ziemliche Arbeit aufgehalst – die Schwester empfing mich schon in Schürze und Montur und erzählte, der Patient sei in der Nacht eingetrübt, und sie hätte ihn die halbe Nacht nochmal abführen müssen, weil’s nicht genug war. Das hört sich für manchen vielleicht jetzt nicht besonders beeindruckend an, aber mir hat’s schon Angst gemacht, weil ich den Patienten gefährdet habe und beschämt, weil ich was nicht richtig gemacht habe. „Die müssen richtig schei**en ! Ohne Ende !“ – war meine Belehrung. Und ich hab’s mir gemerkt. Was ich da beeindruckend fand war außerdem, wie schnell alles ging. Abends um 20 Uhr war der Patient noch einigermaßen o.k. (nach meiner Einschätzung, objektiv wohl doch nicht), etwas erschöpft von der Aktion, wie ich dachte und paar Stunden später in der Nacht, auf einmal völlig weg ! Und das hab ich mir später auch zu Herzen genommen – meine Patientenbeobachtung zu schärfen. Hört sich hochtrabend an, aber ich versuche seitdem genau hinzugucken, zuzuhören etc. , was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber manchmal ist es das eben nicht.

Naja, Angst oder Nervosität hab ich öfters mal vor Unbekanntem oder bei Sachen in denen ich nicht geübt bin, aber manchmal denk’ ich, dass gehört (bei mir) dazu. Und irgendwie macht’s mir Spaß meinen Inneren Schweinehund zu überwinden und es dann doch zu machen (?!).
Ich zittere ja schon alsmal beim Blut abnehmen – dann hätt’ ich das was Janine berichtet ganz und gar nicht ruhigen Händchens machen können.

Zitat von Rico

Eigentlich will ich die gar nicht abschalten. Im Gegenteil, ich mache es mir immer wieder bewußt, damit ich maximal sorgfältig arbeite und da nicht nachlässig werde.

Das gefällt mir gut!
Grüße Tse

Lava
17.08.2005, 19:11
So einen ähnlichen Fall hatte ich mal beim Pflegepraktikum. Mir kam die Aufgabe zu, die Überwachung eines Patienten zu übernehmen. Wegen einer Hemispastik konnte ich schlecht RR messen (am anderen Arm ging's aus irgendeinem Grund auch nicht).... jedenfalls fiel mir schon auf, dass er halluziniert. Habs der Schwester gemeldet, aber die meinte, das läge am Dormicum... am nächsten Morgen jedoch hieß es, der RR des Pat sei in der Nach durch die Decke gegangen (über 200 systolisch) und er sei im Leberkoma. Da hab ich mir natürlich schon Gedanken gemacht, ob ich eventuell den RR nicht richtig gemessen habe........



Um noch mal auf die "Angst" zurückzukommen. Ja, Fehler werden passieren. Auf dem Oberarzt passieren noch welche (erst neulich hat er irgendwem die dura aufgeschlitzt bei ner Bandscheiben OP)... die Frage ist wahrscheinlich, wie gut man sowas verkraftet. "Aus Fehlern lernen" sagt sich so einfach!!!! Ich bin eigentlich schon jemand, der sehr lange daran knabbert, wenn man etwas schief geht... allerdings hab ich bisher auch immer alles geschafft. Wenn man vom Pferd herunterfällt, muss man sofort wieder drauf. Das sage ich mir jedes mal, wenn ich vor etwas Angst habe. Nur so kann man lernen.

Und noch sind wir ja alle in der komfortablen Lage, dass jemand verantwortlich für uns ist. Ich hoffe ich lerne noch ein bisschen mehr, bevor ich allein für irgendwas verantwortlich bin!

cKone
17.08.2005, 21:39
Ich frag mich sowieso wieso 3Monate Pflegepraktikum, aber "nur" 4Monate Famulatur.

Lava
18.08.2005, 16:24
Hehe... heute durfte mal einer der anderen Famulanten assistieren und da hat's mich doch enorm in den Fingern gejuckt. Ich war richtig neidisch und wollte auch unbedingt noch mal! Ist eben alles anders, wenn man im OP steht. *g*

"Nur"? OK, 4 Monate sind nicht viel, aber mehr ist einfach nicht drin!!!! Irgendwann will man velleicht auch mal ne Woche frei haben. :-???

Evil
18.08.2005, 17:09
Angst? Ja, einmal bin ich im PJ richtig ins Schwitzen geraten, weil ich intraoperativ einem Patienten statt Akrinor (zur RR-Steigerung) Catapresan (zur RR-Senkung) gegeben hab.
Alle vorherigen Patienten waren Hypertoniker gewesen, die hatten das alle gebraucht, und dann hab ich die falsche Ampulle aufgezogen und im Moment des Spritzens gemerkt... Mann, was habe ich da einen Schrecken bekommen!

Aber als ich das dem Anästhesisten sofort gesagt hab, hat der abgewunken und meinte bloß, wär nicht schlimm, man wüßte dann ja, warum der Druck niedrig ist.

Seitdem kuck ich JEDE Ampulle ganz genau an, wenn ich etwas verabreiche...