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Tse Tse
08.09.2005, 11:32
Non-Compliance und Umgang mit psychiatrischen Patienten auf Normalstation

Hallo,
durch einen Fachsimpelei-Thread hab’ ich mich wieder daran erinnert:
mir fiel es letztens verdammt schwer mit einer depressiven Patientin auf einer Inneren Station, umzugehen. Blut abzunehmen ging ja noch oder irgendwelche kurzen Maßnahmen, aber bei dem Aufnahmegespräch war es schon schwierig. Es ging so verdammt mühsam voran, nach 3 entlockten Sätzen setzte immer ein Stöhnen ein. Oder zu anderen Gelegenheiten:
„Ach, Sie schon wieder. Sie waren doch erst vorhin bei mir (ja, gestern!). Ich bin so müde, ach nö, jetzt nicht, ich will meine Ruhe!“.
Ich habe mich natürlich auch selbst hinterfragt, ob manche Maßnahmen jetzt wirklich unbedingt sein müssen.
Ich habe mir dann alles Mögliche einfallen lassen, eine Uhrzeit mit ihr vereinbart, wann ich wiederkomme, „aber dann machen wir das wirklich!“ „Ja ist gut“ – aber später wusste sie dann von nichts mehr. Hab’ mir Gute und motivierende Worte einfallen lassen oder bin mit Informationen gekommen, warum dies oder jenes wichtig ist und gemacht werden sollte. Ja, aber das hilft wohl nicht wirklich was bei einer Depression, hab’ ich mir schließlich gedacht. Um von dem Beispiel mal wegzukommen (Non-Compliance ist möglicherweise auch das falsche Wort bei psychiatrischen Patienten):

Wie macht ihr das bei Patienten die ihr als schwierig betrachtet ?
Oder bei Non-Compliance.
Kann’s da überhaupt Tipps geben, jeder Mensch ist ja anders und reagiert anders (um die Floskel mal zu gebrauchen ) und denkbare schwierige Situationen sind vielfältig.
Aber gibt’s da etwas Grundsätzliches zu beachten?
Und gibt es denn im Laufe des Studiums zu diesem Thema Hilfestellungen.
Im Rahmen des Psychologie-Kurses hatte ich ja schon mal was zum Thema gehört, aber sehr hilfreich war es nicht. :-nix

Grüße Tse

Hyun-Keun
08.09.2005, 23:08
Ich würde dem Patienten grundsätzlich ernster und nicht zu zuvorkommend-freundlich entgegentreten, d.h. mit dem Anlächeln etwas sparen, langsamer/ruhiger, aber nicht monoton sprechen und ihm hauptsächlich während des Anredens bzw. einer Unterhaltung (wenn diese denn zustande kommt) die volle Aufmerksamkeit schenken (Blickkontakt etc.). Desweiteren abweisende Gesten und Bemerkungen wirklich versuchen zu übersehen (in der Tasche wühlen, Kuli einstecken, ...) und dabei nicht zeigen, dass diese absichtlich ignoriert wurden.
Ich finde, bei solchen Patienten darf der Pflegende selbst nicht in eine Erwartungshaltung fallen, sondern muss dem Gegenüber klarmachen, dass man ihm, wenn er denn halbwegs kooperiert, was bieten kann, es dabei aber nicht nötig hat, um Kooperation zu werben. Das heißt natürlich nicht, dass man von vornherein unfreundlich oder unterkühlt wirken darf, aber es ist meiner Meinung nach auch nicht falsch, den Patienten ein bisschen auf Distanz zu halten um nicht die Kontrolle zu verlieren. Man will schließlich in erster Linie nicht die Depression vertreiben und den Kranken entlassungsfertig heilen (daran arbeitet schon Herr oder Frau Doktor), sondern sich indirekt Zugang zum Patienten verschaffen...ist das halbwegs verständlich?
Ich könnte mir auch vorstellen, dass die abweisende Haltung depressiver Personen oft auch ein Stück weit zur Gewohnheit geworden ist. Vielleicht müssen die einen oder anderen Bemerkungen einfach überhört werden.

Keine Ahnung, ob sich das jetzt mit deinen Erfahrungen deckt, aber das ist alles, was mir dazu gerade einfällt... :)

Rico
08.09.2005, 23:19
Zunächst einmal nur zu den nicht-psychiatrischen Patienten:
Ich erkläre gerne auch in epischer Breite, wozu die Untersuchung wichtig ist. Meiner Erfahrung nach kommt man damit vor allem bei den Patienten, für die der Krankenhausaufenthalt Streß und Angst bedeutet, erheblich weiter als mit "Nein!"-"Doch!"-"Nein!"-"Doch!"-Debatten.
Wenn ich merke, daß die Leute einfach keinen Bock haben (also incompliant im eigentlichen Wortsinn) oder es geistig so einfach strukturiert sind, daß sie es halt nicht kapieren, wie wichtig das ist oder wie krank sie sind, dann muß halt mal der gute alte Sauerbruch-Stil raus à la "So, wir machen jetzt das und das und das, das kneift mal kurz, da müssen wir jetzt durch... so, fertig!"
Das mag zwar für den ausenstehenden manchmal etwas unsensibel wirken, aber letztlich nützt es ja dem Patienten nix, wenn er auf Station rumgammelt und keiner so recht was mit ihm machen will, weil er eben nicht kompliant ist.
Dann gibt's ja noch, die trotz geistiger Einsichtsfähigkeit und umfassender Aufklärung sich jedweder Behandlung wiedersetzen... da kann man halt nix machen - das muß man dem mündigen Patienten eben zugestehen. Da hilft noch als Ultima ratio "Entweder Sie sind krank, dann bleiben Sie hier und lassen sich behandeln. Wenn Sie das nicht wollen, dann können sie gegen ärztlichen Rat gehen, das unterschreiben Sie hier." (mit Aufklärung bis zur Todesfolge). Dann überlegt es sich noch ein Teil... und der Rest ist eben für uns nicht zu erreichen, wenn wir nicht in die Freiheit des mündigen patienten eingreifen wollen (was wir ja nur dürfen, wenn er sich oder andere gefährdet - und mit einem miserabel eingestellten Hypertonus und ständigem Nasebluten rumzulaufen zählt eben nicht als akute Suizidalität... auch wenn sicher mehr Leute dran sterben als am klassischen Suizid).
Diese Ausführung erhebt übrigens keinen Anspruch auf Vollständigkeit... das waren bloß die Gruppen von Patienten, die mir so spontan eingefallen sind.

Scrotum
09.09.2005, 07:20
Zunächst einmal nur zu den nicht-psychiatrischen Patienten:
Ich erkläre gerne auch in epischer Breite, wozu die Untersuchung wichtig ist. Meiner Erfahrung nach kommt man damit vor allem bei den Patienten, für die der Krankenhausaufenthalt Streß und Angst bedeutet, erheblich weiter als mit "Nein!"-"Doch!"-"Nein!"-"Doch!"-Debatten.
Wenn ich merke, daß die Leute einfach keinen Bock haben (also incompliant im eigentlichen Wortsinn) oder es geistig so einfach strukturiert sind, daß sie es halt nicht kapieren, wie wichtig das ist oder wie krank sie sind, dann muß halt mal der gute alte Sauerbruch-Stil raus à la "So, wir machen jetzt das und das und das, das kneift mal kurz, da müssen wir jetzt durch... so, fertig!"

Genau! :-dafür

Tse Tse
09.09.2005, 11:17
Hallo und danke für eure Antworten, die sind schon mal gut.

Prinzipiell versuche ich den Patienten so entgegenzutreten wie ich bin.
Ich kann mich nicht verbiegen. Aber stimmt schon, manchmal gehört wohl einfach dazu, im Interesse des Patienten (und im eigenen) seine, wie soll ich sagen – pflegerische/ therapeutische Bandbreite etwas zu erweitern. Vielleicht sollte ich einfach in manchen Situationen die „strengere Linie“ in mein Repertoire mit aufnehmen lernen und die Zügel/Kontrolle in der Hand behalten.
Aber das macht wohl auch ein Stück Erfahrung aus, zu wissen, wann dies sinnvoll ist, wie lange man sich etwas anguckt/mit sich machen lässt, bevor man andere Geschütze auffährt.
In der Pflege konnte ich das ganz gut einschätzen, z.B. bei der Unterstützung in den ATL’s konnte ich je nach Gesundheitszustand des Patienten und seinen Ressourcen auch fordern und manchmal hätte das für Außenstehende „rabiat“ ausgesehen:
Patienten einfach beherzt anzupacken und an die Bettkante oder ans Waschbecken zu setzen, auszuziehen und einen Waschlappen in die Hand zu drücken usw.

Aber jetzt als Student fällt’s mir schwerer.
Mein Tätigkeitsbereich ist ja noch beschränkt, aber ich hab mich in den paar Sachen die ich machen konnte, bei besagter Patientin schon etwas hilflos gefühlt. Ich hab den Eindruck ich bin jetzt vielmehr von der Kooperation des Patienten abhängig.
Es fing beim Gespräch an oder bei der körperlichen Untersuchung, wo ich ja was will und Informationen haben möchte. Und wenn ich die nicht bekomme ? Womöglich kann ich’s wenn die Ideen erschöpft sind (z.B. körperliche Untersuchung von weiblicher Person probieren lassen etc, obwohl’s in dem Fall nicht das Problem war) nur noch dokumentieren, dass der Patient etwas ablehnt ?
Vielleicht hätte ich die Aufnahme in Anwesenheit von Angehörigen machen sollen, manchmal reagieren Patienten doch anders oder sind gesprächiger, wenn ein bekanntes Gesicht dabei ist und etwas helfen/vermitteln kann.

Aber der Sauerbruchstil bei manchen Patienten, und zum Glück sind das ja nicht so viele, ist schon mal hilfreich.
Ich probier das einfach mal beim nächsten Einsatz bei ALLEN Patienten, auch den Netten, um Übung zu bekommen…

Rico
09.09.2005, 14:21
Womöglich kann ich’s wenn die Ideen erschöpft sind [...] nur noch dokumentieren, dass der Patient etwas ablehnt ?Dokumentieren ist immer gut.
Wobei, wenn sich derjenige an Deinem Studentenstatus stört, dann muß halt der Stationsarzt mal hingehen und ein Machtwort sprechen, so à la daß die erste körperliche Untersuchung eben Aufgabe des Studenten sei.
Vielleicht hätte ich die Aufnahme in Anwesenheit von Angehörigen machen sollen, manchmal reagieren Patienten doch anders oder sind gesprächiger, wenn ein bekanntes Gesicht dabei ist und etwas helfen/vermitteln kann. Also die Angehörigen sind bei mir immer die allerersten, die konsequent rausfliegen - auch wenn sie ruhig in der Ecke sitzen und gar nichts sagen.
Wenn man sie nicht unbedingt (zum übersetzen oder so) braucht, dann haben die IMHO einfach nix bei Anamnese und Untersuchung zu suchen.
Wenn die mal primär raus müssen, dann hab ich dannach alle Optionen offen: Ich kann sie wieder reinbitten und in Gegenwart des Patienten befragen, ich kann auch nach der Untersuchung sie auf dem Gang nochmal ansprechen und ohne Patient befragen. Eine primäre Anamnese mit Angehörigen verbaut einem mehr als sie nützt, weil die sich dann schnell auf eine Version einigen ("Nein, Herrmann, so war's doch gar nicht, jetzt erzähl des dem Herrn Doktor doch richtig!"), bei der ich mir dann im nachhinein nicht mehr aussuchen kann, welche ich für glaubwürdiger halte, weil man dann meistens nur die Geschichte des dominanteren Ehepartners vollständig mitkriegt.

Und bei der Untersuchung haben die nun wirklich gar keinen Mehrwert mehr:
Beim Blutabnehmen kippen sie nur potentiell um, beim Auskultieren tratschen sie und dann diskutieren sie ewig, ob es denn wirklich nötig ist, die Oma aufzurichten, damit ich auf die Lungen hören kann ("Also der Hausarzt hört immer vorne auf die Lungen..").
Neenee, also bei mir gibt's das nicht...

Scrotum
09.09.2005, 14:33
Ich bin aber dagegen, Angehöre prinzipiell auszuschliessen. Ich kam mir mal ziemlich vor den Kopf gestossen vor, als ich von einem Angehörigen, den ich ins Krankenhaus gebracht hatte, getrennt wurde. Wenn es Wunsch des Patienten ist, muss es zugelassen werden.

Manchmal bringt es auch einen echten Benefit, z.B. bei geriatrischen Patienten. Oft wirst du bei einem Gespräch unter vier Augen von hinten bis vorne angelogen, wenn es um Sachen wie Sexualität, körperliche Leistungsfähigkeit, Inkontinenz, Aktivitäten des täglichen Lebens, Ernährung, Abusus etc. geht. Wenn der Ehepartner dabei ist, kriegt man viel ehrlichere Antworten.

Zudem ist die Compliance besser, wenn Angehörige deinen ärztlichen Rat auch mitkriegen! Diese sind dann über den Gesundheitszustand besser informiert, erinnern den Patienten z.B. an die Medikamenteneinnahme, etc. Schon der Patient versteht nur einen Bruchteil davon, was du ihm zu sagen versuchst und missversteht manchmal einiges. Selber weiterzugeben vermag er nochmals weniger und die Angehörigen wissen dann letztendlich so gut wie nichts über die Erkrankung und die Therapie. Meiner Meinung nach sollten soziale Ressourcen möglichst gut mobilisiert werden, da diese Voraussetzung für eine erfolgreche Therapie sind.

Tse Tse
10.09.2005, 10:14
Also die Angehörigen sind bei mir immer die allerersten, die konsequent rausfliegen...
:-D
Manche Angehörige nutzen das auch gerne, um sich mal durchchecken zu lassen: „ach, können sie mir auch grad mal ganz kurz auf’s Herz horchen ? "Und was ich noch Fragen wollte. Eine Bekannte von meinem Schwippschwager hat ja…"
Manchmal macht’s ja auch Spaß, wenn ich gut aufgelegt bin und mich mal drauf einlass’ und zum Glück musste ich den Angehörigen bis jetzt noch nie mitteilen: "Sie haben ein Herzgeräusch, dass sie noch mal abklären lassen sollten!"
Aber stimmt schon, während der Anamnese schick ich alle raus - war nur ein Gedanke bei besagter Patientin, dass mal anders zu handhaben….

Aus dem Studentenstatus kann schon mal ein Problem bei manchen Patienten erwachsen. Ich hatte bis jetzt aber gemerkt, dass sich da eine gewisse Abneigung seitens der Patienten legt, wenn sie mitbekommen, dass man in dem was man tut doch kompetent ist und bei dem was man nicht weiß, den Patienten ernst nimmt ("ich erkundige mich danach", oder sie ermuntert ihre Fragen in der Visite zu stellen).
Von unsrer Dozentin haben wir diesbezüglich den Tipp bekommen uns nicht als Studenten vorzustellen, sondern als in-der-Ausbildung-zum-Arzt.


Oft wirst du bei einem Gespräch unter vier Augen von hinten bis vorne angelogen
Eigentlich könnte man da bei gewissen Kandidaten die Angaben großzügig modifizieren, z.B. beim Zigarettenkonsum die packyears gleich mal verdoppeln und aus 2 Bier am Abend werden 5…

Ach was mir noch einfällt, ich hatte mal einen Chefarzt erlebt, der einen Patienten während der Visite aus seiner Klinik geschmissen hatte. Der ging nicht freiwillig. Der wurde sozusagen auf ärztlichen Rat hin rausgeworfen…
Ich weiß aber leider nicht mehr auf welcher Grundlage das geschah, wenn’s überhaupt eine gab.

Rico
10.09.2005, 11:15
Manchmal bringt es auch einen echten Benefit, z.B. bei geriatrischen Patienten. Oft wirst du bei einem Gespräch unter vier Augen von hinten bis vorne angelogen, wenn es um Sachen wie Sexualität, körperliche Leistungsfähigkeit, Inkontinenz, Aktivitäten des täglichen Lebens, Ernährung, Abusus etc. geht. Wenn der Ehepartner dabei ist, kriegt man viel ehrlichere Antworten.In anderen Situationen ist aber das genaue Gegenteil der Fall:
In Gyn, Uro oder auch infektiologischen internistischen Abteilungen kannst Du Dir beispielsweise Fragen nach wechslenden Sexualpartnern u.ä. eigentlich gleich schenken, wenn der reguläre Sexualpartner im Raum sitzt (außer die beiden führen eine sehr freizügige Beziehung :-D ) - der diagnostische Gewinn wird gleich null sein.
Ach was mir noch einfällt, ich hatte mal einen Chefarzt erlebt, der einen Patienten während der Visite aus seiner Klinik geschmissen hatte. Der ging nicht freiwillig. Der wurde sozusagen auf ärztlichen Rat hin rausgeworfen…
Ich weiß aber leider nicht mehr auf welcher Grundlage das geschah, wenn’s überhaupt eine gab.Bei einer Famulatur hab ich auch mal erlebt, daß ein Patient wegen absoluter Non-Compliance zwangsentlassen wurde.
Der ist nachts mit liegender Viggo heimgefahren, weil er nicht im Krankenhaus schlafen wollte, hat die BZ-Messungen für's BZ-TP verweigert (es ging um eine Diabetes Erstmanifestation) und als dann bei Visite sein Bett leer war und auf dem Nachttisch ein Zettel lag "In dringenden Notfällen anrufen" mit ner Handynummer daneben, da hat der Oberarzt dann gemeint: "So nen Notfall gibt's gar nicht!" und hat dem Stationsarzt gesagt, er soll den Entlassbrief schreiben. :-D

ernestine
11.09.2005, 17:39
Also bei depressiven Pat. finde ich es wichtig sich viel Zeit zu nehmen. Das ist keine 08/15 Anamnese. Du darfst auch nicht so nah an sie heran. Ich habe das bei vielen erlebt körperliche Nähe stört sie anfangs. Und manchmal tut es gut einfach gar nichts zusagen. Wenn der Pat. schweigt,muss ich dieses Schweigen auch aushalten können. Das ist schwer in einem Gespräch. Das lernt man leider nicht in der Uni.
Frag sie doch mal wie sie sich fühlt oder ob sie Angst hat mit Dir zu reden. In der Schweiz in der Psychosomatik habe ich gelernt das der Pat. das Gespräch führt und nicht der Arzt. Ganz andere Herangehensweise! ;-)
Kleine Anregung zum Nachdenken! ;-)