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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eine Kurzgeschichte: Ent-Täuschung



Clarabella
17.09.2005, 19:55
Und es gibt sie doch. Wolkenbilder. Wolken, die wie Gestalten aussehen. Wolken, die zunächst seltsam anmutende Formen annehmen, dann aber nach und nach ein konkretes Bild liefern. Hirngespinste. Ich sehe was, was du nicht siehst. Das alte Kinderspiel, kennt man ja. Aber was ich sehe, interessiert dich auch nicht wirklich. Eigentlich interessiert es niemanden sonst. Weil das alles so sinnlos ist, wenn man den Nüchternen Glauben schenken darf. Man komme nicht einfach so auf die Idee, sich auf eine Wiese zu legen und in den Himmel zu starren. Es sei nichts als zeitraubend und auch ansonsten völlig unkonstruktiv. Führe doch zu rein gar nichts. Dabei sind die Wolken, bzw. das grenzenlose Blau des Himmels mit den weißen Wattekügelchen einfach perfekt. Perfekt, um mal für kurze Zeit an rein gar nichts und doch alles zu denken. Denn genauso wie die Wolken vorüberziehen und ihre Gestalt annähernd sekündlich ändern, so ziehen die Gedanken wilde Kreise. Ach nein, Kreise natürlich nicht, denn das hieße ja, man würde nicht fortkommen. Es ist im Grunde genauso wie mit Straßen. Wo fängt eine Straße an, wo endet sie? Genau genommen kann man, wenn man es denn geschickt anstellt, fahren bis zum Sanktnimmerleinstag. Man biegt ab, nimmt eine neue Straße, einen neuen Weg. Wo der endet, ist meist eine einfache Kreuzung, an der die nächsten Straßen darauf warten, ausgewählt zu werden. Okay, nehmen wir diese dort, der Straßenbelag ist besser. Und gut ausgebaut ist sie auch. Straßen sind Teil eines riesigen Netzwerks, das scheinbar kein Ende hat. Alle Orte müssten ja dann miteinander verbunden sein. Biegt man einmal falsch ab, kommt man in den nächsten Ort. Hier kann man wieder mehrere Möglichkeiten auswählen. Die Richtung grob gewiesen, aber dennoch frei wählbar. Manchmal allerdings wird man ausgebremst. Oder Schilder wollen einem den Weg weisen. Vor langer, langer Zeit, als es noch keinen Kompass und keine Landkarten oder Schilder gab, da verließ man sich auf den Sonnenstand. Die Sonne. Sie blendet mich, während ich in den Himmel starre. Ich schließe die Augen, bedecke sie mit meinem Arm und lausche. Und schon wieder bekomme ich Bilder geboten. Lautmalereien. Genau so unnütz wie das Wolkenspektakel über mir…

"Du, meine Schwester hat uns eingeladen". Daniels Worte zerschneiden meine Gedanken. Ich öffne die Augen und die Wolkenbilder zerplatzen. Ich kann sie nicht leiden, seine Schwester. Sie, die Perfekte, die über alles Erhabene. Alles, was sie anpackt, gerät zum Erfolg. Scheinbar jedenfalls. Ihr Mann betrügt sie … nur, das weiß sie nicht. Auch Daniel weiß von alldem nichts, und ich hab's auch nur zufällig mitbekommen. Sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. "Schön", höre ich mich sagen. Ach, wie verlogen ist die Welt. Daniel merkt gar nicht, dass ich noch nicht einmal frage, wann und aus welchem Grund wir eingeladen sind. Es interessiert mich auch nicht sonderlich. "Sie hat eine Stelle in Hamburg angeboten bekommen. Ich hab dir doch erzählt, dass sie so scharf auf diesen Job ist. So eine Chance lässt sie sich nun wirklich nicht entgehen." Nein, natürlich nicht. Und ehrlich gesagt, es würde mich auch nicht wundern, wenn ihr Klotz am Bein – so nannte sie neulich ihren gehörnten Gatten mir gegenüber, als sie Streit hatten – davon noch nichts weiß. "Ach, wirklich? Wie schön für sie." Warum zum Teufel kann ich ihm noch nicht einmal jetzt sagen, für was ich seine Schwester halte? Ach was soll's, ich bin nicht der Richter der Menschheit. Blut ist ja bekanntlich dicker als Wasser, also halte ich besser meinen Mund. Feige. Vielleicht, aber definitiv im Moment der bessere Weg.

Während Daniel sich über Christianes ach so tolle Pläne auslässt, wende ich meinen Blick ihm zu. Er schaut in den Himmel und untermalt seine Erzählungen wichtig gestikulierend. Palavert Zeug, das mich nicht im geringsten interessiert. Um genau zu sein, höre ich noch nicht einmal richtig hin. Ich weiß noch genau, wann ich anfing, ihn zu lieben. Aber so sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht im geringsten daran erinnern, wann mir dieses Gefühl abhanden gekommen ist. Ich schätze ihn. Im Grunde sind genau die Dinge, die ich an ihm schätze, der Grund dafür gewesen, mich damals in ihn zu verlieben. Seine weich geschwungenen Lippen flattern nur so bei seinen Erzählungen und entblößen seine schönen Zähne. Es gab einmal eine Zeit, da kam es mehr als nur gelegentlich vor, dass ich nicht in der Lage war, mich auf das zu konzentrieren, was er mir erzählte, weil ich währenddessen immer nur daran denken konnte, ihn auf der Stelle küssen zu müssen. Auch war es mir immer ein Bedürfnis, von diesen kräftigen Händen mit der weichen Haut angefasst zu werden. Heute allerdings bemerke ich nur noch die Fingernägel, die nicht sehr sorgfältig manikürt sind, und es schauderte mich in der letzten Zeit manchmal ein wenig bei dem Gedanken, von diesen berührt zu werden. Nun ja, heute berühren wir uns nur noch selten. Nicht nur das Gefühl, auch die Lust aufeinander scheint verpufft zu sein. Es ist schon seltsam. Wie kann es sein, dass sich die Dinge so sehr verändern, ohne dass man die Entwicklung bemerkt? Auf einmal fällt einem auf, dass alles anders ist. Aber der Weg dahin liegt völlig im Dunkeln. Warum sieht man den Menschen plötzlich scheinbar mit ganz anderen Augen? Woran liegt es nur, dass die Wahrnehmung eine andere wird? Vielleicht liegt es an Daniel, vielleicht aber auch an mir. Im Grunde ist es auch egal. Denn es läuft auf dasselbe hinaus, nämlich dass es irgendwie gar nicht mehr läuft. Traurig ist nur die Tatsache, dass ich mir nicht sicher bin, was mich überhaupt noch an Daniel festhalten lässt. Ich schüttele innerlich den Kopf. Und das mir, wo ich doch bisher immer genau wusste, was ich wollte oder nicht. Nun, das was uns verbindet…. Liebe ist es gewiss nicht mehr. Ganz schön feige von mir. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht den Mut finde, ihm das alles zu sagen. Genauso, wie ich ihm nicht sagen kann, dass ich seine Schwester einfach nur verachtenswert finde. Und dabei sind sie sich so ähnlich. Gottseidank nur äußerlich.

"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?" Unsicher, weil ertappt, schaue ich wieder zum Himmel. Ich weiß, es wird Regen geben. Vielleicht auch ein Gewitter. In mir drin tobt schon längst eines. Die Ruhe, die ich eben noch beim Betrachten der ziehenden Wolken empfand, ist mit einem Mal gewichen. "Ja, aber mir wird es hier zu kühl. Komm, lass uns gehen." Auf dem Weg zum Auto schweigen wir uns an, wie so oft in letzter Zeit. Ob es ihm genauso geht? Manchmal lässt er ja doch ein wenig den Gleichgültigen heraushängen, aber im Moment bin ich eher der Auffassung, dass ihm auch nicht so wohl in seiner Haut ist. Sein Zug um die Mundwinkel herum gefällt mir nicht. Da ist etwas Verkniffenes, was da vorher nie war. Nun ja, unsensibel ist er ja auch nicht. Er wird schon gemerkt haben, dass sich zwischen uns etwas verändert hat. Hoffe ich doch! Dann würde ich wenigstens nicht Gefahr laufen, ihn plötzlich von der gemütlichen Wolke 7 auf den Boden der Tatsachen herunter zu angeln. Aber da Daniel schon immer ein Vertreter der Gattung Straußenvogel gewesen ist, würde es mich nicht wundern, wenn er auch vor dieser Situation die Augen verschließt.

Irgendwie habe ich nicht das Verlangen, mit ihm im Wohnzimmer auf dem Sofa zu sitzen. Überhaupt habe ich gerade jetzt im Moment eher das dringende Bedürfnis, ihm zu sagen wie ich fühle. Dass mich alles erdrückt. Dass es mir zuviel ist, wenn er mir zu nahe kommt. Himmel, es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht mehr mag, aber für Zärtlichkeiten reicht es einfach nicht mehr. Jedes Mal, und immer ein bisschen mehr, schnürt es mir den Hals zu, weil sich dort dieser dicke Kloß breit macht und mir das Atmen schwer macht. Es tut mir leid, dass ich ihm wehtun werde. Und das wird schon bald sein. Ich muss nur noch den richtigen Moment finden. Der richtige Moment. Den gibt es nicht, sagt man doch so schön. Und es stimmt wohl.

"Daniel, halt bitte an. Wir müssen reden". Ich erschrecke. Habe ich das gerade wirklich gesagt? Aber es muss so gewesen sein, denn ohne zu zögern steuert er einen Parkplatz am Rande des Stadtparks an. "Okay", sagt er, "du willst reden. Möchtest du es hier zu Ende bringen oder lieber noch ein Stückchen laufen?" Nun bin ich diejenige, die zusammenzuckt. Wobei, wenn ich es mir recht überlege, hat er noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Verwirrt öffne ich die Wagentür, steige aus, bleibe aber an der geöffneten Tür stehen. Mein Konzept ist plötzlich weg, verschwunden, aus meinem Kopf getilgt. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, gab es keines. Das, was ich hier gerade angezettelt habe, kommt mir nun töricht vor. Spontaneität wird ja vielfach gepriesen, aber hier und jetzt war sie völlig unangebracht, was mir nun schmerzlich bewusst wird.

"Anne, ich ahne schon seit längerem, dass dir etwas auf der Seele brennt. Aber da du ja scheinbar vergessen hast, was du mir sagen wolltest, nehme ich die Sache mal in die Hand. Ich weiß nicht genau, wie ich es dir sagen soll. Es kommt mir so gemein vor. Ach ******* nein, es IST gemein." Ein kurzer Seufzer seinerseits. "Anne, ich habe mich verliebt. Und ich werde mich von dir trennen. Ich weiß das schon seit längerem, aber dass es so schnell gehen würde, damit hätte ich nicht im Traum gerechnet." Ich schaue ihn an wie eine Kuh, wenn's donnert. Ja, da ist das Gewitter. Aber der Wind kommt von der anderen Seite. "Ich weiß, dass dich das sehr verletzt, und es tut mir leid. Sehr sogar. Aber es musste sein. Jetzt." Du weißt einen Scheißdreck! Ich merke, dass ich ihm gar nicht mehr zuhöre. Ein Déjà-vu. Ich nehme nur noch Wortfetzen wahr. Und da ist er wieder, mein Feind, der Kloß. Meine Augen füllen sich mit der mir nur zu gut bekannten salzigen Flüssigkeit, und leise formiert sich eine Träne, und noch eine, und beide rinnen über meine Wangen zu meinem Kinn, um von dort lautlos auf mein T-Shirt zu tropfen. Schwankt der Boden oder bilde ich mir das nur ein? Ich schaue ihn an und ein Gefühl macht sich breit, welches ich schon lange nicht mehr so empfunden habe. Verlustangst. "Anne, ich glaube, es ist besser, wenn ich heute bei Christiane übernachte." "Nein", höre ich mich flüstern. War er schon immer so groß? Er steht von mir abgewandt dort am gusseisernen Zaun, lässt die Arme hängen und schaut in den Himmel. "Lass uns nach Hause fahren, Anne. Es fängt an zu regnen. Wir reden morgen in Ruhe, okay?" Daniel geht um das Auto herum, steigt ein, startet den Wagen und bedeutet mir, einzusteigen. Ich lehne am Auto, die Tür noch immer in der Hand. Ich schaue hinauf zum mittlerweile wolkenverhangenen Himmel. Da sind keine Wolkenbilder mehr, nur noch fades Grau. Die ersten Tropfen berühren meine Stirn. Während ich die Augen schließe, macht sich ein Gedanke in mir breit. Das Gewitter ist vorüber, bevor es begonnen hat, und jetzt beginnt die Regenzeit. Dann steige ich wortlos ein und wir fahren nach Hause. Nach Hause……. wie bitter. Mir schwant, dass ich wohl die falsche Straße genommen habe. Leider eine Sackgasse. Hier geht es nicht mehr weiter. Und nun bin ich die Belogene.

Clarabella
20.09.2005, 14:37
Hm, über ein Feedback würd mich ja auch mal freuen....
Ist schließlich meine erste Geschichte.

Gruß von der Kuh