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Evil
16.10.2005, 18:42
Manche Dinge bringen einen ja sehr ins Grübeln, so auch eine Situation, in der ich mich morgen befinden werde. Ich schreibe mir das jetzt einfach mal "von der Seele".

Es geht um eine palliative Operation, eine AP-Anlage bei einer Patientin mit fortgeschritten metastasiertem Ovarial-CA, Zustand nach mehreren Chemo-Therapien und jetzt beginnender Ileus-Symptomatik. Außerdem hat sie noch eine Tumoranämie und ist ziemlich kachektisch (geschätzte 45kg bei 1,58m).

Vor 2 Tagen habe ich sie über die Narkose aufgeklärt und nach den Gewohnheiten in unserem Haus festgelegt, was sie alles bekommen soll:
neben der Vollnarkose noch einen epiduralen Schmerzkatheter und einen ZVK, den die Chirurgen nutzen wollen, um sie post-OP wieder aufzupäppeln, außerdem sind 2 EKs gekreuzt.

Was ich überlege ist die Frage, ob ich auch noch invasive RR-Messung vornehmen soll. Zwar hat sie keinerlei Erkrankungen des Herz-kreislauf-Systems, aber mein persönlicher Eindruck "aus dem Bauch heraus" ist der, daß ihr Zustand sehr instabil ist, ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sie überhaupt die OP übersteht.
In dieser Situation hat man natürlich über die "Arterie" die beste Möglichkeit, schnell auf Kreislaufabfall zu reagieren, ggf sogar zu reanimieren.

Aber ist das richtig? Soll man ihr das zumuten, bei einer infausten Prognose und geschätzter Lebenserwartung von allerhöchstens wenigen Monaten?

Ich meine: ja, weil sie leben möchte, das kam im Gespräch deutlich heraus, außerdem ist das ja auch letztlich meine Aufgabe.
Aber der Gedanke, daß sie deshalb möglicherweise wochenlang vor ihrem Tod beatmet und komatös auf Intensiv liegt, bis sie stirbt, ist sehr unbehaglich.

Ich werde das morgen auch nochmal mit meinem Oberarzt durchsprechen, aber ich finde, in dieser Situation gibt es kein "richtiges" Handeln.
Oder?

Doktor_No
16.10.2005, 19:02
dein job ist die narkose, und die soll möglichst gut laufen, das beinhaltet auch die reanimation wenn nötig. deine zweifel kann ich verstehen, aber wahre distanz zur situation. was wird los sein wenn es in die hose geht und nach der arterie geschrien wird? hinterher gibts dann noch fragen, also leg das teil und hoff du brauchst es nicht.

Evil
16.10.2005, 19:11
Jaja, so werd ich auch handeln, aber wohl fühl ich mich dabei trotzdem nicht... :-nix

Werwolf
16.10.2005, 22:11
Ist ´ne blöde Situation, und gerade als Jung-Assi hat man wahrscheinlich weder genug Erfahrung, noch genug Arsch in der Hose, um die Entscheidung in so´ner Sache ohne Zweifel vor sich selbst, aber auch vor anderen zu rechtfertigen.

Da gibt´s so viel "hätte, wäre, wenn", und als Jung-Assi ist man natürlich immer extrem angreifbar. Wenn irgendein erfahrener Doc eine Entscheidung trifft, die genausogut andersrum hätte ausfallen können, dann ist das so. Wenn der Rookie sowas macht, gibt´s u.U. Knatsch. :-nix

Du bist so´n bißchen in einer "no-win-Situation", finde ich. Rede mit anderen Kollegen und vor allem mit ´nem Oberarzt drüber und erkläre Deinen Standpunkt. Dann wirst Du schon die richtige Entscheidung (für den Patienten, aber auch für Dich) treffen. Mir hat das in vergleichbaren Situationen geholfen. (Auch wenn ich nicht immer glücklich war, wenn die OA-Anordnung nicht mit meiner Vorstellung konform ging- ich hatte dann wenigstens das Gefühl, nicht alleine verantwortlich zu sein, falls irgendwas schiefgeht.)

Die Niere
16.10.2005, 23:23
Ach Evil,

ich denke die Entscheidung ist doch eigentlich nicht so schwer, oder? Die Dame bekommt schon invasives Zeug genug, dass deine invasive RR-Kontrolle garnicht mehr den Kohl fettmachen kann. Sie möchte leben und vielleicht kannst du ihr mit "deiner" Methode eben dies für sie für einige monate erreichen, da sie (vielleicht) ohne intraoperativ verstirbt.

Mach das mal und erkläre das deinem OA...ich find die Entscheidung richtig.

gruesse, die niere

MichaelHH
17.10.2005, 17:58
Ich würde eine solche Entscheidung ohne OA-Rückfrage (und ohne den Willen der Patientin) überhaupt nicht treffen, denn, wie schon vor mir gesagt, steht man im Notfall als kleiner Assi ganz schön alleine da.

Wenn die Patientin Maximalprogramm möchte, dann ist eine Arterie zu legen, auch kein grosser zusätzlicher Aufwand, oder?

Aber sollte man, einen Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden und einer Lebenserwartung von allenfalls noch einigen Monaten wirklich im Notfall noch reanimieren? Mit welchem Benefit? Um die letzten paar Wochen auf der Intensivstation zu vegetieren? Den Sinn einer palliativen AP-Anlage kann ich gut nachvollziehen, da geht es um einen Gewinn von Lebensqualität. Falls sich dieses aber nicht erreichen lässt, warum sollte man da nicht die Grenzen der Medizin anerkennen und einen klaren Schnitt ziehen, was gemacht wird und was nicht?

Evil
17.10.2005, 20:27
Wenn ich schon nicht reanimieren möchte, macht die Arterie nicht wirklich Sinn.

Die Sache hat sich aber vorläufig erledigt, die Frau hat nämlich nach aktuellem Labor (bei der Aufklärung hatte ich bloß ein 10 Tage altes) lediglich 40.000 Thrombos und die plasmatische Gerinnung ist auch im Keller.

Jetzt soll sie mit FFPs und Trombokonzentraten OP-fit gemacht werden...