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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Pressefreiheit vs Diskretion im Staat



Tse Tse
15.11.2005, 17:32
Auch wenn zur Zeit die vermutliche Bespitzelung eines Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst in den Tageszeitungen ziemlich weit vorne zu finden ist – ein anderer Fall, die sogenannte "Cicero-Affäre" ist nicht minder diskussionswürdig. Genauer gesagt die Folgen…

Kurz um, es geht um die Durchsuchung der Redaktionsräume des Berliner Magazins Cicero. Es gab Hinweise, dass der ehemalige Zeit-Redakteur Bruno Schirra im Besitz von vertraulichen Unterlagen des BND über den Terroristen Abu Mussab al Zarqawi sei.

In dem beschlagnahmten Material waren diese jedoch nicht aufzufinden, aber andere Papiere, die dem Journalisten wohl aus Insider-Kreisen zugespielt wurden – Zufallsfunde. In diesen Papieren ging es um die Leuna-Affäre, Panzerlieferungen, sowie die CDU-Parteispendenaffäre.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat mittlerweile ein Strafverfahren (wegen den Zufallsfunden) gegen Schirra eingeleitet, der Vorwurf lautet "Beihilfe zum Verrat von Dienstgeheimnissen". Otto Schily rechtfertigte die Aktion gegen den Journalisten mit der "Durchsetzung der Diskretion im Staat".
Die Aktion steht wohl rechtlich noch auf wackeligen Füßen und ist geschichtlich noch ohnesgleichen - d.h. aber doch nichts anderes, als zukünftig jede Zeitung, die Misssstände aufdeckt (und sich dabei auf nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen einer Behörde/Person stützt), mit polizeilicher Durchsuchung ihrer Redaktionsräume und Beschlagnahme ihrer Unterlagen rechnen, jeder Journalist, der einen politischen Skandal enthüllt, Gefängnis befürchten muss.

Der Bürger bekommt neue Hightech-Pässe, Überwachungskameras filmen ihn fleißig, die Speicherung seiner Kommunikationsdaten (Telefon, Handy, Internetverkehr) bis zu einem Jahr wird eifrig diskutiert, auch (flächendeckende) Gentests sind immer mal wieder im Gespräch – ein Eingriff in die Privatsphäre der Person.
Aber im Gegenzug soll er kein Recht haben Einblick in die "Privatsphäre des Staates" zu bekommen, sprich, auch über Affären und Skandale informiert zu werden?

Ein aktuellerer Artikel dazu:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,384894,00.html

Im Moment frage ich mich, wie diese Art von Eingriffen und Repressalien, konkret die Überwachung der Bürger und die Verhinderung von Kritik zu einem "demokratischen Staat" passen? Sind wir auf dem Weg in eine kritiklose, durchleuchtete Gesellschaft oder ist das alles ganz normal?
Und - hat der BND auch eine Akte über mich angelegt? :-lesen

Kackbratze
15.11.2005, 19:54
spätestens jetzt habe ich die Akte beim MfS über dich angelegt...

Naja, es ist schon komisch, was da vertuscht werden soll. Ich glaube es gibt eine definitive Kommunikationsstörung zwischen Staat und Presse.

Wenn es um Verschlussachen geht, sollte die Presse sich an eine Art Ehrenkodex halten und sowas unter Verschluss halten.
Beispiel: Bodensee-Vergiftungsversuch. Indem die Presse nix wusste oder nix berichtet hat, konnte in Ruhe und Erfolgreich ermittelt werden und es gibt keine Nachahmungstäter, weil das Verbrechen ja aufgeklärt ist.

Dafür kann der Staat dann ja mit "exklusiven" Sachen als Belohnung dienen.

Wenn es allerdings um Schmu und Korruption geht, sollte die Presse von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gebrauch machen. Vielleicht vorher nochmal fragen, ob da was dran ist, aber klar drüber berichten.

Was jetzt gerade bei Cicero passiert ist eine Art Beginn des Kontrollstaates. Ich persönlich glaube, dass die Terrorakten und Interviews nicht umbedingt förderlich für den Prozess sind, und da vielleicht auch von Cicero etwas mehr Fingerspitzengefühl gefordert gewesen wäre, aber das Verhalten der Staatsorgane ist auch falsch.

Im Zweifelsfall sollten die ihre interne Quelle rausfinden und die Presse in Ruhe lassen. Irgendwer muss die Akten rausgegeben haben, und DERJENIGE hat sich Schuldig gemacht...

:-meinung

tpa
15.11.2005, 21:06
Also, ich bezweifle, dass ein ein Strafverfahren gegen Herrn Schirra "erfolgreich" sein wird. Finde das aber auch eine Sauerrei, eben weil es Zufallsfunde sind. Und Herrn Schirra, der die Misstände aufgedeckt hat, den schwarzen Peter zuzuschieben, finde ich mehr als dreist!

Nun hatte Schirra ja Insider-Informationen von 'nem BND Insider über Al-Qaida-Tätitgkeiten erhalten und diese veröffentlicht.
Ich nehme an(!), dass der BND diese Informationen durch Agenten, die ins Al-Qaida Umfeld eingeschleust werden, erhält. Unter diesem Gesichtspunkt finde ich es allerdings auch verantwortungslos, derartige Artikel zu veröffentlichen, da sie ja auch der Al-Qaida aufzeigen, an welchen Stellen Informationen an die Geheimdienste durchsickern!
Dadurch werden direkt Meschenleben gefährdet und zwar nicht nur die der Agenten vor Ort. Wenn Terrororganisationen aufgrund derartiger Artikel die undichten Stellen in ihren eigenen Reihen aufdecken, sind sie in der Lage, die Planung von Anschlägen zu "verbessern" und schon sind auch Menschenleben in Europa bedroht.

Ich habe den Cicero Artikel nicht gelesen und weiß nicht, inwieweit dieser deratige Schlussfolgerungen zulässt. Was aber in diesem Artikel nicht stand, steht dann vielleicht im nächsten. Von daher kann ich schon verstehen, wenn die Regierung versucht, die Schwachtstelle zu finden. Dagegen kann wohl auch niemand etwas sagen.
Extrem fragwürdig sind meines Erachtens nur die Methoden, mit denen im Fall Cicero vorgegangen wurde!
Die Pressefreiheit zum Schutze der Demokratie zu verletzen, ist ein Widerspruch in sich :-meinung

Das kann nicht der richtige Ansatz sein.