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Doktor_No
16.11.2005, 09:18
grad gefunden, abgefahren:


In fremder Haut
Die Chirurgin Maria Siemionow will in den USA erstmals ein menschliches Gesicht verpflanzen. Ihre Gegner sehen ethische Grenzen überschritten

von Uwe Schmitt

Wir liebkosen und verziehen, wir vernachlässigen und liften, wir schminken, straffen, bräunen und rasieren es. Wir kontrollieren, runzeln, falten, maskieren und verschleiern es, wir lassen es lachen und leiden. Babys und Blinde und Verliebte ertasten es, es ist unser Unikat, Fenster zur Welt, die ganze Identität. Scham und Schande über uns, wenn wir es verlieren. Wenn Krieg, Krankheit und Feuer uns das Gesicht physisch nehmen, zerfetzen, zerfressen, entstellen, glauben wir, unserer Menschlichkeit beraubt zu sein. Ein Leben in Einsamkeit, Verdunkelung, in tiefer Depression und Selbstmordgedanken ist meist die Folge.

Deshalb hoffen fünf Männer und sieben Frauen zur Zeit in Cleveland (Ohio) darauf, vielleicht die ersten Menschen zu werden, die, durch die Spende eines Toten, ein verlorenes Gesicht zurückgewinnen. Ihre Hoffnung heißt Maria Siemionow, Direktorin der Forschungsabteilung für plastische Chirurgie an der Cleveland Clinic, eine der weltweit fähigsten ihrer Zunft. Sie weiß, daß man sie, wenn es so weit ist, Dr. Frankenstein schimpfen - und ihr heimlich Glück wünschen wird.

Die Regenbogenpresse wird mit ihren Horrorszenarien nicht einmal allein sein. Mediziner in Deutschland und Frankreich verzichten aus ethisch-moralischen Erwägungen auf eine Gesichtstransplantation, selbst wenn sie technisch zu schaffen wäre. Die Risiken einer Operation, die nicht Leben retten, sondern "nur" die Lebensqualität verbessern würde, stehen nach dieser Lehrmeinung in keinem Verhältnis zum Gewinn. Das Organ Haut wird, wie selbst Maria Siemionow erwartet, viel höhere Abstoßungseffekte auslösen. Bei 50 Prozent Wahrscheinlichkeit liegt die Chance, daß abstoßungshemmende Medikamente - die Krebs erregen und die Nieren ruinieren - nicht wirken, und daß die Unglücklichen ihr Gesicht ein zweites Mal verlieren, mit schier unvorstellbaren Folgen.

Eher in den Bereich der Science Fiction gehört die Wiedergängervision, der Empfänger werde dem verstorbenen Spender so ähnlich sehen, daß der Segen für die eine Familie eine unerträgliche Tragödie für die andere bedeute. Zu schweigen von ödipalen Dorian-Gray-Phantasien, was geschähe, wenn ein Vater in die Haut seines toten Sohnes schlüpfte. Während in Frankreich und England Pläne für Gesichtstransplantationen am hohen Risiko der Abstoßung scheitern, erlaubt das deutsche Transplantations-Gesetz keinen Eingriff, der ein Wiedererkennen des Spenders erlaubt. Wohl mit guten Gründen. An solchen Barrikaden prallt auch das Argument ab, ein Gesicht sei nicht nur Haut, sondern auch Knochen, einmalig bei jedem Menschen, und ein Gesichtsausdruck, ein Lächeln etwa, sei vom Gehirn gesteuert, nicht von Nervenenden, kurz: das neue Gesicht werde etwas Drittes sein, geboren aus den Eigenschaften des lange verlorenen und des verpflanzten Gesichts. Und die Empfänger dieses unvergleichlich elastischen Stoffs könnten endlich schaffen, was das höllisch mühsame Flickwerk aus Eigenhaut vom Gesäß oder vom Rücken über Jahre in 30 oder mehr Operationen über Jahre nicht bewerkstelligen kann: ihre Augenbrauen hochziehen, Lider und Mund schließen, lächeln, lachen, küssen vielleicht.

Maria Siemionow, 55, versteht nicht, wie ihre Kritiker, Kollegen oder Politiker die Kühnheit haben können, Patienten, die ihre Identität lange verloren haben, vor Identitätsverlust schützen zu wollen und ihnen vorzuschreiben, welche Risiken sie eingehen dürfen. In Polen, Finnland und in den USA ausgebildet, hat die Mikrochirurgin in 30 Jahren ihre Technik vervollkommnet. Auch die Verächter der Gesichtsverpflanzung räumen ein, daß sie an Tieren und an Dutzenden von Leichnamen die Grundlagen für die Operation wohl besser trainiert hat als jeder andere. John Barker eingeschlossen, der im Wettlauf mit Siemionow an der Universitätsklinik von Louisville (Kentucky) dasselbe plant. Dort gelang 1999 erstmals - und seither mehr als zwei Dutzend Mal - die Transplantation einer Hand. Solche Erfolge gaben den Ärzten den Mut ein - oder die Hybris - für ihre von Krebs oder schrecklichen Brandverletzungen um ihr Antlitz gebrachten Patienten eine Chance zu suchen. Zehn bis 20 Stunden wird die Operation von rotierenden Teams erfordern. Und das wäre, aus Sicht der Patienten, der leichtere Teil.

Kollegen beschreiben Siemonow als demütig und bar jeder Frivolität, zu der ein "face race" mit John Barker verführen könnte. "Wir werden Patienten auswählen", erklärte sie vor wenigen Wochen, "die wirklich entstellt sind, nicht jemanden mit ein paar Narben." Keine Kinder beim ersten Mal, das Risiko ist zu hoch. Kein Krebspatient, wegen der abstoßungshemmenden Medikamente. Der Patient müsse auch über ausreichend gesunde Haut für traditionelle Verpflanzungen verfügen, falls die Gesichtstransplantation scheitere. Gesucht wird ein Mensch ohne Gesicht, der verzweifelt und zugleich psychologisch stark genug ist, ein Experiment zu wagen, das einer Mars-Mission gleicht.

Der Patient, so das Anforderungsprofil, sollte von der Sache fast so viel verstehen wie sein Arzt. Er kann sich keinen Mißbrauch von Alkohol oder Drogen leisten. Auch eine Mitsprache bei der Auswahl des neuen Gesichts verbietet sich natürlich, so verständlich der Wunsch wäre: "Dies ist kein Einkaufszentrum", sagt Maria Siemionow, "sie müssen sich auf unser Urteil verlassen, sonst sind sie keine geeigneten Kandidaten."

Der Film war immer fasziniert von maskierten und doppelgesichtigen Männern. In "Zorro", "Batman", "Star Wars" tanzt man auf dem Maskenball. Gruseliger ging es Jahrzehnte vor dem Gesichtertausch von John Travolta und Nicolas Cage in "Face/Off" (1997) zu, genauer gesagt 1959: Damals spielte der französische Regisseur Georges Franju in dem Horrorfilm "Les yeux sans visage" (leidlich notorisch als "Schreckenskammer des Dr. Faustus" übersetzt) mit der Gesichtsverpflanzung. Ein verrückter Arzt sammelt gesunde Mädchenkörper, um seine behinderte Tochter zu erlösen. In "Das Schweigen der Lämmer" (1991) wurden endlich beide Varianten zusammengeführt: der maßschneidernde Mörder und Transvestit und der Psychiater und Kannibale Hannibal Lecter üben sich in blutiger Transplantation. Das abgelöste Gesicht eines getöteten Bewachers als Maske ermöglicht dem Serienmörder die Flucht aus dem Gefängnis auf einer Trage. Der Moment, da sich Anthony Hopkins im Krankenwagen aufrichtet und die Haut von seinem wahren Gesicht zieht, dürfte vielen vor Augen aufsteigen, wenn sie von einer Gesichtstransplantation lesen.

Das wird sich nicht vermeiden lassen. Für die Seriosität der beteiligten Mediziner und ihre anständigen Beweggründe kann man durchaus werben wie für das Recht von Gesichtslosen, auf Flucht aus ihrem Leben als Aussätzige zu sinnen. Der Preis wird enorm hoch sein. Nicht zuletzt zu entrichten durch den Verlust ihrer Anonymität; die Medien werden nicht ruhen, bis sie dem Patienten ins Gesicht sehen können. Weitere Komplikationen (wie sie Bewerbern in Fragebögen beschrieben werden): Infektionen könnten das neue Gesicht schwarz färben und unbrauchbar machen. Nach der Operation könnten Reue, Enttäuschung, Trauer, Schuldgefühle gegenüber dem Spender überwältigend sein. Immerhin: die Behandlungskosten, kaum zu beziffern, aber sicher ein Betrag in zweistelliger Millionenhöhe, werden nicht in Rechnung gestellt.

Es heißt, Maria Siemionow sei eine offene, fast fröhliche Frau und eine begabte Amateurfotografin. Porträts, Gesichter, gute Gesichter, fast durchweg. Sie hat die Ethikkommission ihrer Klinik überzeugt, ihr freie Hand zu lassen. Es war ein mühseliger Kampf. Am Abend vor ihrer entscheidenden Präsentation in der Kommission lieh sie sich das Video von "Face/Off" aus. Immer wieder hatte man sie auf den Film und ihr Projekt angesprochen. "Es war okay, wenn man Travolta mag", sagt sie. "Aber eben doch nur Science Fiction."

Artikel erschienen am Mi, 16. November 2005 in der welt, www.welt.de

LaraNotsil
16.11.2005, 11:24
Die ganze Sache hat meiner Meinung nach eine positive und eine negative Seite. Allerdings bin ich persönlich nicht sicher, welche nun meiner Ansicht nach überwiegt.

Positiv ist sicherlich, dass Menschen, die durch einen Unfall, durch Krieg oder ne entstellende Krankheit ein neues Gesicht erhalten können. So toll diese komischen Gesichtsmasken auch mittlerweile sind, sie ersetzen beiweitem sicherlich nicht das normale Gesicht. Also ein Gesicht, mit dem man all die Dinge macht, die jeder von uns tagtäglich macht. Im Text wurde es so schön als runzeln, säuben, schmicken, zupfen usw ausgedrückt.
Und ja, ein Gesicht gehört zur Identität. Natürlich ändert sich an dieser auch nichts, wenn es nicht mehr oder nur noch teilweise vorhanden ist, aber seelisch nimmt man sicherlich gewaltige Einbußen hin. Denn wo bleibt dann die Identifikation von außen, zumal man wirklich zugeben muss, dass bestimmte Gesichtsentstellungen auch den Härtesten von uns Abschrecken. Auch wenn es nur ne Sekunde ist, unser Gegenüber merkt es sicherlich. Und diese Enttäuschung dann noch zum sicherlich auftretenden seelischen Problem beim Gesichtsverlust summieren, erzeugt in so manchem sicherlich zuweilen den Willen zum Selbstmord.
Da ist es doch schon positiver, dass die Möglichkeit bestünde, ein neues Gesicht zu erhalten. Immerhin wertet das sicherlich die Seele und das Selbstbewusstsein auf. Man erhält gleich wieder ein neues Auftreten, selbst wenn das Gesicht nicht das Eigene ist.

Negativ ist dabei dann sicherlich, dass man auf gewisse Weise eine Art "Zombie" darstellt. Zumindest für die Angehörigen des Verstorbenen, der der Gesichtsspender war. Auch da würde es sicherlich, bei einem sehr zufälligen Treffen, entsetzte Blicke geben.
Ich könnte mir auch nicht vorstellen, in das Gesicht eines Verwandten zu blicken und dabei zu wissen, dass dieser Verwandte eigentlich schon tot ist.
Dann wäre da auch noch das Prob mit der Abstossung der Haut. In dem Artikel steht ja, dass die Medikamente, die diese verhindern sollen, zu Nierenversagen und Tumoren führen können. Zusätzlich besteht weiterhin immer noch das Prob der Abstossung des neuen Gesichts. Und das eigene Gesicht ein weiteres Mal zu verlieren... Ich weiß ja nicht.
Dann kommt noch der wirklich Face/Off-Aspekt dazu. Sobald diese Methode wirklich möglich ist... Wie leicht ist es für nen gesuchten Verbrecher, sich das Gesicht so zu entstellen, dass er in die Schiene der zukünftigen Patienten rutscht? Dieser bekommt dann wohlmöglich ein neues Gesicht und ist erst mal auf der sicheren Seite. Das halte ich für sehr problematisch.

Zwar zähle ich hier mehr negative Seiten auf, aber ein gewisses Überwiegen liegt auf der positiven Seite.
Hätte ich das Problem... wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich so eine OP auch durchführen lassen.
Allerdings ist da dann sogleich ein weiterer negativer Aspekt.
Man erhält zwar mit dem Gesicht die Identität zurück, die man verloren glaubt, aber... schaut man in den Spiegel, sieht man nicht sich, sondern eine/einen Fremde(n). Ob das so zuträglich und auf lange Sicht hin erstrebenswert ist, ist fraglich.
Am Anfang ist man sicherlich erleichtert, aber ich bin mir fast sicher, dass ab einem bestimmten Punkt der Moment kommt, an dem man das neue Gesicht verflucht, weil man einfach nicht mehr man selbst ist. Das stelle ich mir auch problematisch vor, wenn man alte Bilder anschaut, sein altes Ich sieht und im Spiegel dann das Neue... Das sorgt bestimmt wieder für nen Knacks.

Das Ganze ist meiner Meinung nach auf alle Fälle reichlich problematisch.
Verdammen sollte man es sicherlich auf keinen Fall. All die, die ein normales Gesicht haben und dagegen wettern, sind sich sicherlich nicht darüber klar, was es für einen betroffenen Menschen bedeutet, gesichtslos zu sein. Deswegen sollte man den Willigen, die diese OP wagen wollen, sicherlich nicht zu große Steine in den Weg legen.

Das Einzig wirklich große Prob ist einfach der ethische Aspekt. Wobei ich nur (bzw so ziemlich) den Punkt etwas arg kompliziert finde, dass die Verwandten oder Bekannten des verstorbenen Spenders wahrscheinlich per Zufall (der aber immerhin eintreten kann), in das Gesicht eines verlorenen und lieben Menschen blicken müssen, könnten oder dergleichen.

Und ja, ich fühle mich etwas arg hin und her gerissen. Aber ich glaub, das merkt man.