Tombow
22.12.2005, 10:45
Hi @ll,
Schon länger wollte ich das alles aufschreiben, jetzt tu ich es (aus aktuellem Anlaß). Die Kritiken, die Witten-Herdecke im Sommer einstecken mußte, waren sehr hart und teilweise gerechtfertigt, teilweise unbegründet. In meinem damaligen PJ-Klinikum (chirurgisches Lehrstuhl der Uni Witten) wurde die Sache heiß diskutiert. Auch durch den Kontakt mit Wittener mit-PJ-ler und Studenten in diversen Praktika könnte ich ein Einblick gewinnen und den Eindruck, daß die Uni Witten ist doch nicht so gut wie ihr Ruf.
PoL extrem
Damit waren schon einige Studenten dort unzufrieden. In Witten gibt es gar keine klassische Lehre, schon vom ersten Semester wurde man "gePoLt", und zwar schon vom Anfang mit Krankeitsbildern, etc. Nichts gegen problemorientiertes Lernen, aber es ist einfach unverantwortlich, jemanden so auf die Materie loszulassen, wo derjenige noch nicht die entsprechenden Basiskenntnisse(Anatomie, Physiologie, etc.) besitzt. Man kann es zwar schaffen, sich diese im Alleingang anzueignen, aber muß das sein? Ganz ohne Ein- und Anleitung? Meiner(und auch der Meinung einiger Wittener Studenten nach) wird damit eine Denkweise gelehrt, die später mehr als hinderlich ist. Außerdem - würden sie einem erstsemester trauen, daß er sich in einem eher kurzen PoL-Tutorium zum Thema Myokardinfarkt wirklich alle relevanten Kenntnisse aneignet, von anatomischen Grundlagen über Symptomatik erkennen, EKGs befunden bis zur Therapie? O-Ton eines Wittener Studenten: "uns hat selten einer was gelehrt oder erklärt".
PoL-basiertes Lehrkonzept nicht mehr zeitgemäß
Es mag sein, daß diese extreme PoL-Ausrichtung zu den Anfangszeiten der Uni Witten eine gute alternative zur damaligen traditionellen Hochschullehre gewesen ist. Heute aber nicht mehr. Nicht zuletzt, weil die "normalen" Unis nachgezogen haben und an den meisten sich eine gesunde Mischung aus klassischer Lehre und PoL entwickelt hat, die das beste aus beidem mitnimmt. Ob man ein extremes PoL-basiertes Konzept unter den Umständen verantworten kann? An manchen Unis(z.B. Köln) wird versucht, unter der Form eines Modellstudienganges sowas durchzusetzen. Mit(das habe ich aus erster Hand erlebt) verheerenden Ergebnissen.
Keine eigene Uniklinik
Das war eins der stärksten Kritikpunkte, die im Sommer aufkamen. Ein durchaus berechtigtes - abgesehen von dem Zeit- und Geldaufwand ist es einfach nervig, für Neuro- und Urologie nach Wuppertal zu müssen, für Chirurgie und Anästhesie nach Köln, etc. Was dabei gewaltig auf der Strecke bleibt - daß man nur 1-2 Fächer an die jeweiligen Krankenhäuser macht, lernt man kaum die Interaktion mit anderen Fachrichtungen. Es ist nunmal viel leichter als Student im Innere-Praktikum einen "internistischen" Einblick in die Neurologie(oder umgekehrt) zu gewinnen, wenn vielleicht ein lieber Kollege oder eine liebe Kollegin zur gleichen Zeit im gleichen Krankenhaus Praktikum macht. Das schafft eine Basis, um interdisziplinäre Kommunikationsfähigkeiten zu entwicklen. Witten kommt da in meinen Augen schlecht weg.
Wenig Forschung
Auch eins der Kritikpunkte, die im Sommer aufkamen. Zurecht. Selbst wenn man als Student oder zukünftiger Mediziner nicht in die Forschung gehen will, sollte eine Uni doch die Möglichkeit bieten, in die Forschung reinzuschnuppern. Egal, ob es um eine Doktorarbeit geht oder nur darum, Einblicke in klinische und/oder experimentelle Forschung zu gewinnen. Sonst bleibt einem die Forschung auch als möglicher Berufsweg eher versperrt oder als Klinikarzt/niedergelassener ein Buch mit 7 Siegeln. Dementsprechend steht man danach der Forschung zu mißtrauisch, nichtwissend oder gar feindlich gegenüber. Man kennt es einfach nicht. Daß man, ausgestattet mit der Einstellung wenig Verständnis und Möglichkeiten hat, aktuelle Forschungsergebnisse zu beurteilen, mit einer gesunden Kritik zu hinterfragen oder die Nützlichkeit für den klinischen Alltag zu sehen, liegt auf der Hand.
Man gewinnt den Eindruck, daß der Medizinstudiengang in Witten nicht so gut organisiert ist und da eher eine bestimmte Gattung Mediziner gezielt ausgebildet wird und einem weniger Entscheidungs- und Entwicklungsfreiheit für seine zukünftige Laufbahn gelasen wird. Fest steht für mich zumindest, daß Witten-Herdecke nicht für jeden geeignet ist und hinter dem angeblich innovativen und eher locker gestalteten Studiengang sich doch eine unterschwellige Stringenz versteckt. Jeder andere darf sich da eine andere Meinung bilden.
In diesem Sinne wünsche ich auch alles gute an diejenigen, die im Auswahlverfahren in Witten abgelehnt worden sind und freue mich auf Feedback.
Schon länger wollte ich das alles aufschreiben, jetzt tu ich es (aus aktuellem Anlaß). Die Kritiken, die Witten-Herdecke im Sommer einstecken mußte, waren sehr hart und teilweise gerechtfertigt, teilweise unbegründet. In meinem damaligen PJ-Klinikum (chirurgisches Lehrstuhl der Uni Witten) wurde die Sache heiß diskutiert. Auch durch den Kontakt mit Wittener mit-PJ-ler und Studenten in diversen Praktika könnte ich ein Einblick gewinnen und den Eindruck, daß die Uni Witten ist doch nicht so gut wie ihr Ruf.
PoL extrem
Damit waren schon einige Studenten dort unzufrieden. In Witten gibt es gar keine klassische Lehre, schon vom ersten Semester wurde man "gePoLt", und zwar schon vom Anfang mit Krankeitsbildern, etc. Nichts gegen problemorientiertes Lernen, aber es ist einfach unverantwortlich, jemanden so auf die Materie loszulassen, wo derjenige noch nicht die entsprechenden Basiskenntnisse(Anatomie, Physiologie, etc.) besitzt. Man kann es zwar schaffen, sich diese im Alleingang anzueignen, aber muß das sein? Ganz ohne Ein- und Anleitung? Meiner(und auch der Meinung einiger Wittener Studenten nach) wird damit eine Denkweise gelehrt, die später mehr als hinderlich ist. Außerdem - würden sie einem erstsemester trauen, daß er sich in einem eher kurzen PoL-Tutorium zum Thema Myokardinfarkt wirklich alle relevanten Kenntnisse aneignet, von anatomischen Grundlagen über Symptomatik erkennen, EKGs befunden bis zur Therapie? O-Ton eines Wittener Studenten: "uns hat selten einer was gelehrt oder erklärt".
PoL-basiertes Lehrkonzept nicht mehr zeitgemäß
Es mag sein, daß diese extreme PoL-Ausrichtung zu den Anfangszeiten der Uni Witten eine gute alternative zur damaligen traditionellen Hochschullehre gewesen ist. Heute aber nicht mehr. Nicht zuletzt, weil die "normalen" Unis nachgezogen haben und an den meisten sich eine gesunde Mischung aus klassischer Lehre und PoL entwickelt hat, die das beste aus beidem mitnimmt. Ob man ein extremes PoL-basiertes Konzept unter den Umständen verantworten kann? An manchen Unis(z.B. Köln) wird versucht, unter der Form eines Modellstudienganges sowas durchzusetzen. Mit(das habe ich aus erster Hand erlebt) verheerenden Ergebnissen.
Keine eigene Uniklinik
Das war eins der stärksten Kritikpunkte, die im Sommer aufkamen. Ein durchaus berechtigtes - abgesehen von dem Zeit- und Geldaufwand ist es einfach nervig, für Neuro- und Urologie nach Wuppertal zu müssen, für Chirurgie und Anästhesie nach Köln, etc. Was dabei gewaltig auf der Strecke bleibt - daß man nur 1-2 Fächer an die jeweiligen Krankenhäuser macht, lernt man kaum die Interaktion mit anderen Fachrichtungen. Es ist nunmal viel leichter als Student im Innere-Praktikum einen "internistischen" Einblick in die Neurologie(oder umgekehrt) zu gewinnen, wenn vielleicht ein lieber Kollege oder eine liebe Kollegin zur gleichen Zeit im gleichen Krankenhaus Praktikum macht. Das schafft eine Basis, um interdisziplinäre Kommunikationsfähigkeiten zu entwicklen. Witten kommt da in meinen Augen schlecht weg.
Wenig Forschung
Auch eins der Kritikpunkte, die im Sommer aufkamen. Zurecht. Selbst wenn man als Student oder zukünftiger Mediziner nicht in die Forschung gehen will, sollte eine Uni doch die Möglichkeit bieten, in die Forschung reinzuschnuppern. Egal, ob es um eine Doktorarbeit geht oder nur darum, Einblicke in klinische und/oder experimentelle Forschung zu gewinnen. Sonst bleibt einem die Forschung auch als möglicher Berufsweg eher versperrt oder als Klinikarzt/niedergelassener ein Buch mit 7 Siegeln. Dementsprechend steht man danach der Forschung zu mißtrauisch, nichtwissend oder gar feindlich gegenüber. Man kennt es einfach nicht. Daß man, ausgestattet mit der Einstellung wenig Verständnis und Möglichkeiten hat, aktuelle Forschungsergebnisse zu beurteilen, mit einer gesunden Kritik zu hinterfragen oder die Nützlichkeit für den klinischen Alltag zu sehen, liegt auf der Hand.
Man gewinnt den Eindruck, daß der Medizinstudiengang in Witten nicht so gut organisiert ist und da eher eine bestimmte Gattung Mediziner gezielt ausgebildet wird und einem weniger Entscheidungs- und Entwicklungsfreiheit für seine zukünftige Laufbahn gelasen wird. Fest steht für mich zumindest, daß Witten-Herdecke nicht für jeden geeignet ist und hinter dem angeblich innovativen und eher locker gestalteten Studiengang sich doch eine unterschwellige Stringenz versteckt. Jeder andere darf sich da eine andere Meinung bilden.
In diesem Sinne wünsche ich auch alles gute an diejenigen, die im Auswahlverfahren in Witten abgelehnt worden sind und freue mich auf Feedback.