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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frostige Stimmung



Pünktchen
10.01.2006, 21:01
"Guten Morgen, wir haben den 23.12.2005. Es ist 9.00Uhr und hier sind ihre Nachrichten..." so tönte der schwarze Radiowecker am Bettrand. Verschlafen findet Anna ohne ihre Augen zu öffnen nach mehreren Versuchen, die Snooze-Taste, die ihr hilft in 10 Minuten vielleicht doch aus dem wärmenden Bett zu steigen.
Müde und unruhig sich von links nach rechts drehend in ihrem kuschelig warmen großen Bett, macht Anna doch ihre Augen auf vor Ablauf der 10 Minuten. Gequält findet sie frierend den Weg zum geöffneten Fenster, schließt es und öffnet die weißen Jalousien. Draußen hat es geschneit heute Nacht und noch immer tanzen die Schneeflocken zu Boden. Noch müssen die orangenen Straßenleuchten die Helligkeit auf das glitzernde Weiß zaubern. Doch die Schönheit des Winters hält Anna nicht an ihrem Fenster.
In kleinen energiesparenden Schritten wackelt sie ins Bad. Frisch geduscht, jedoch wieder in ihren Pyjama mit den kleinen süßen Teddybärchen, führt sie der Weg von dort in die Küche, wo sie wie jeden Morgen alleine ihren Kaffee kocht um wach zu werden. Das mit Heidelbeermarmelade beschmierte Brötchen schmeckt auch nicht mehr, aber irgendwas muss man ja essen. Müde kaut Anna für andere eine Ewigkeit auf einen Bissen. Der schwarze Kaffee ist das einzige Highlight des Tages.
Anschließend schlürft Anna zurück in ihr Zimmer. Nach dem sie sich in eine warme schwarze Trainingshose und zwei Wollpullover gezwängt hat, macht sie das Licht an ihrem Schreibtisch an. Unter dem warmen gelben Licht erscheinen die Buchstaben in ihrem vom gestrigen Abend geöffneten Buch wie eine heilige Schrift. Der große Schreibtisch ist mit 2 dicken für Laien unverständlichen Büchern bedeckt. Man findet tausende von beschriebenen Blättern mit Tabellen und Zeichnungen, die Anna säuberlich angelegt hat. Textmarker in Neongelb und leuchtendem Rosa liegen nehmen dem mit einem Teddybären geschmückten Bleistift, den sie letztes Jahr von ihrer Freundin bekommen hatte. An der Wand über dem Schreibtisch hängen verschiedene bunte Zettel, solche die ihre Mutter immer schreibt damit sie Dinge nicht vergisst. Die weiße Wand gegen das Nicht-Vergessen ist schon ziemlich voll. Den Kopf verzweifelt auf die kalten Hände gestützt erblicken ihre Augen das einzige nicht-fachliche Dokument auf ihrem Schreibtisch. Ein Bild in einem blauen Rahmen, ein Farbfoto von ihrem Freund aus dem letzten Sommer, genauer gesagt ihrem Ex-Freund seit 2 Wochen. Wieder geistern die Gedanken nur um ihn. Entschlossen packt Anna ihr Chirurgie-Buch und beginnt ihren knappen Lernplan fortzusetzen. Denn er war es der ihr immer wieder gesagt hat, dass sie es schaffen wird. Er hatte ihr den Mut gegeben nicht aufzugeben, wenn sie nicht mehr weiter wusste. Noch 14 Tage bis zum wichtigsten Tag in ihrem bisherigen Leben. Nichts kann sie jetzt stören. Die meisten Nachbarn sind zur Arbeit gegangen. Die unbegabte Sängerin aus der Wohnung unter ihr scheint wohl erkältet zu sein, denn gestern abend hatte sie seit Wochen einmal nicht zur gewohnten Zeit ihre 2 gequälten Stunden geübt. Langsam schafft es Anna über die Seite 10 in ihrem Buch hinwegzukommen. Sie sieht ein kleines Licht am Ende des Tunnels des Wissens und hofft den Weg zu schaffen. Doch es währt nicht lange. Die Zeilen verschwimmen, Krankheitsbilder mischen sich mit Zweifeln. Diesen Absatz begann sie schon 3 Mal. Anna faucht leise vor sich hin, während sie weiter liest. Schon wieder stützt Anna ihren Kopf auf ihre Hände und beendet somit ihr Pseudolesen. Ihre Gedanken kreisen. Wie soll sie das alles nur schaffen?
Sie erlaubt sich einen Blick auf die Wand gegen das Vergessen. Solche Dinge soll sie vor ein paar Wochen mal geschrieben haben? Ungeduldig rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr müder Blick fällt vom Schreibtisch auf ihr Bett, das zerwühlt und mit Klamotten bedeckt, in der Zimmerecke steht. Der Boden ist bedeckt mit Kleidungsstücken sauber oder dreckig. Bücher aller Fachrichtungen liegen offen oder geschlossen dazwischen. Falls ihr beim Laufen durch ihr Zimmer ein Gedanke kommt und sie nachschlagen muss ob das stimmt. Anna muss dies oft tun.
Aus einem Winkel erblickt Anna ihren straffen Lernplan an der Zimmerwand hängen. Da klingelt ihr rotes Telekom-Telefon, denn ein Handy ist wie ihr Freund nicht mehr existent. Geklaut, aber mittlerweile ist Anna egal. Aufgeregt ruft ihre Mutter ins Telefon: „Anna? Anna bist du dran? Anna schläfst du noch?“ Aus den Gedanken gerissen antwortet Anna genervt: „Ja Mama ich bin am Telefon. Was gibt es?“ „Dein Bruder hatte einen Unfall mit deinem Corsa.“ Anna musste schlucken, bevor sie ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube übermannte und eine Träne aus ihrem linken Auge zu kullern versuchte. „Was ist kaputt?“ „Anna? Es ist nur der linke Kotflügel kaputt. Eine Beule und ein paar weiße Schrammen im schwarzen Lack. Aber mach dir keine Sorgen Alexander geht es gut.“, erklärte ihr Mutter verständnisvoll.



Was wird Anna tun? Was denkt ihre Mutter über Annas Reaktion?

Kackbratze
10.01.2006, 22:55
Ich kann das nicht beantworten.
Ich erfahre von Familienunfällen (z.B. mein Vater vom Auto angefahren auf dem Zebrastreifen und 2 Wochen Im KH) erst so nach 3-4 Wochen und auch nur wenn ich Nachfrage...bei mir ist frostige Stimmung in der Familie....

Giant0777
11.01.2006, 08:49
Was wird Anna tun? Was denkt ihre Mutter über Annas Reaktion?

Was wird Anna tun? Vielleicht ist die Frage nur zu beantworten, wenn man sich vorstellt, was mit Anna los ist:

Anna ist einsam. Die Familie ist nicht unmittelbar bei ihr, den Freund, den sie geliebt hat, hat sie verloren und die Zeit, die sie für die Prüfungsvorbereitung braucht, isoliert sie von den alltäglichen Dingen des Lebens ( die ja bekanntlich auch dazu gehören ).

Anna hat kein Feedback zu dem, was sie tut und wie sie es tut. Das läßt häufig an einem zweifeln, wenn nicht ab und an mal eine Hand die Schulter klopft und sagt, weiter so, es wird schon. Die Zweifel kommen natürlich langsam und schleichend. Sie nagen am Selbstbewußtsein und ziehen alles in Zweifel, was sonst leicht und schaffbar war. Sie drücken auf die Stimmung, dass dunkle, kalte und frostige Wetter unterstützt den Sturz in die Tiefe noch. Wo ist die aufmunternde Sonne und Wärme des Frühlings hin, der nicht nur die Bäume, sondern auch die Seele neu aufblühen läßt?

Anna hat keine Perspektive - sie kann sich bei all dem was sie tut nicht vorstellen, dass es ein gutes Ende nimmt. Die Selbstzweifel machen nicht nur das Hier und Jetzt schwer, sondern trüben auch den Blick für morgen. Die Träume von einst sind weg und zerbrochen.

Anna empfindet den Unfall IHRES AUTOS als konsequente Fortführung ihrer so mißlichen Situation. Wenn es schief geht, dann aber auch richtig... Wenn schon, dann aber auch komplett... Ein Unglück kommt selten allein...
Und immer mir....

Was wird Anna also tun ? Nichts ! Oder sich vielleicht doch aufrappeln ?
Keine Ahnung, denn sich selbst am Schopf packen und aus dem Treibsand ziehen, können wohl nicht alle. Und Anna mußte ja auch gut einstecken.
Die Frage, die für mich eigentlich entsteht, nämlich ob Anna sich für ihre Reaktion schämen sollte, dass sie erst an die "alte Karre", statt an die Gesundheit ihres Bruders, beantworte ich für mich so: Ich halte es für normal in einer solchen psychischen Situation ( egal, wie auch immer sie konstruiert wurde ), dass man sich so verhält. Es sind die kleinen Dinge, die einem auf einmal so leid tun und das Genick brechen. Man denke an den Wanderer in der Wüste, der aus einem alten Brunnen mit einer Tonscherbe ein wenig Wasser heraufholt und es bei seinem mühsamen Weg vergießt. Wie elendig ist ihm zu mute !

Ich den das unsere Anna in ihrem inneren nicht frostig ist, sie brauch nur wieder ein wenig Sonnenschein !

Und was die Mutter angeht, ich hoffe sie denkt das gleiche, wie ich, sonst braucht Anna, wenn es denn Vorwürfe gibt noch viel mehr Zeit und Sonnenschein, um dem Treibsand zu entfliehen!

In diesem Sinne - laß die Sonne rein ....

Pünktchen
16.01.2006, 13:21
Anmerkung der Autorin:
Die Geschichte ist frei erfunden! Ich bin nicht die Protagonistin. Diese geschichte sollte als Spielerei im Sinne des alten Medpen-Forums dienen, in dem es um das Schreiben an sich, das Ausdrücken und das Vermitteln eines bestimmten Inhaltes ging.

Als Anregung diente ein Vorfall im Forum, der mich zum Nachdenken gebracht hat, da viele Menschen Situationen verkennen, in denen man zwischen den Zeilen lesen sollte.



Gruss
Pünktchen

Tse Tse
16.01.2006, 17:08
Ich glaub auch, dass es völlig normal in Situationen des angespannt-seins ist, in dem Moment auf bestimmte Sachverhalte nicht immer "angemessen" reagieren zu können oder wie du sagst, das Verkennen der Situation.

Hat jetzt nicht unbedingt was mit zwischen-den-Zeilen-lesen zu tun, aber
die Situation wurde auch hier irgendwie verkannt:
mein Bruder ist letztens im Aufzug von einem Hund ins Bein gebissen worden, hat den Halt verloren und ist mit einem Krachen gegen die geschlossene Aufzugtür gefallen. Die mitfahrende Frau hat sich dann mächtig über den Lärm beschwert und dass doch die Tür kaputt gehen könnte.
Später in ner ruhigen Minute hat sie sich möglicherweise auch noch andere Gedanken darüber gemacht, wer weiß. Aber in dem Augenblick fand ich das als einzige Reaktion nichtsdestotrotz daneben.