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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Idealismus oder Heuchelei?



Tombow
24.01.2006, 11:01
Angelehnt an eine aktuelle Diskussion, hier meine Gedanken zum Thema und die Begründung, wieso ich den meistens so stolz vorgetragenen oder auch (im aktuellen Falle als Kritikstandpunkt genommenen) Idealismus nicht akzeptiere.

Was ist ein Ideal in diesem Falle? Jeder versteht Idealismus auf seine eigene Art, das Wort Ideal kommt aber in den Beschreibungen eines jeden vor, wenn man sein eigenes Verständnis für den Idealismus erklärt. Ideal als eine Chimäre, als etwas Unerreichbares, so wie es schon Plato definiert hat. Aber, ist wirklich das Ideal, worauf jeder hinaus will, ist es wirklich die Perfektion und das Wahre, was auf dem unerreichbaren Podest steht und alles andere nur Abbild? Nein, dem ist nicht so. Und ich denke, keiner fängt das Medizinstudium an, weil man nach diesem Ideal strebt. Viel eher ist das Ideal der innere Wille, das unbewußte, was einen zu der Entscheidung bewegt. Die Entscheidung selbst, das Studium danach, die Arbeit als Arzt sind das Abbild. Und das Ideal, so definiert, bedarf keinerlei Verteidigung oder Rechtfertigung, darf aber ebenso nicht als Angriffswaffe oder Argument benutzt werden.

Wieso soll denn das das Ideal sein? Man merkt es, wieso. Weil man als (mehr oder weniger) Idealist einfach seinen inneren Trieb und seinen Willen dadurch auf die bestmöglichste Art kanalisiert und zum Ausdruck gebracht hat. Weil man in seinem Element ist, etwas tut, womit sich nicht nur Geld verdienen läßt, sondern auch Glücksmomente, ein Gefühl der Zufriedenheit und auch ein Gleichgewicht. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß oberflächlich gesehen, die Widrigkeiten beiweitem über das gesagte dominieren (kenne es auch selbst so), aber es geht eben nicht nur darum, sondern um den Rest. Mehr oder weniger ist man im Einklang mit seinem Ideal, und das reflektiert auf einen selbst zurück.

Widrigkeiten, geht dabei einem nicht das Idealismus zwangsweise verloren? Nein. Wenn überhaupt, nur ganz wenigen. Aber selbst der gefühlsmäßig total abgestumpfteste, auf dem ersten Blick absolut idiotisch vorkommende (zukünftige) Arzt hat schon seine Sternstunden und Momente der Menschlichkeit gehabt. Und fast jeder hat sie mehr als einmal. Seine Gefühlswelt soweit abzutöten, daß man nichts mehr fühlt oder alles von sich weist, ist gegen die Natur des Menschen, daher schaffen es nur wenige wirklich soweit.

Also kann Idealismus auch das überdauern? Ja, kann es und tut es. Hier ist das Weitermachen im Beruf fast alleine Beweis dafür, daß Ihnen der Idealismus nicht abhandengekommen ist. Und auch jede Aussage, daß man doch erstaunlich "zufrieden und glücklich" mit seinem Beruf ist, trotz aller Widrigkeiten (nachzulesen hier, im letzten Posting auf der Seite (http://www.medi-learn.de/medizinstudium/foren/showthread.php?t=26576&page=9&pp=5)), ist schon ein ultimatives Beweis, daß einem der Idealismus immer noch hold ist.

Abfällige Bemerkungen über Patienten, lästern, sich aufregen, ist das noch mit Idealismus zu vereinbaren? Ja. Gerade solche Momente zeugen davon, daß man auch die Widrigkeiten wahrnimmt und sich damit auch innerlich auseinandersetzt. Mit dem Guten wie mit dem Schlechten. Mit den feinen Sachen wie mit denen, von denen es einem kotzübel wird. Einfach so es in sich reinzufressen oder nur schweigend zur Kenntnis nehmen ist da viel eher beunruhigend und viel eher ein Zeichen für gefühlsmäßige Abstumpfung - man reflektiert es einfach nicht, man versucht nicht, es auf irgendeine Weise zum Ausdruck zu bringen. In diesem Sinne ist das "über Patienten herziehen" vor Kollegen sogar eine sehr menschliche Art, damit umzugehen - man teilt sich mit denjenigen gegenüber, die auch dafür Verständnis haben, man tauscht einafch alles aus. Wer sich als Arzt hiergegen vehement sperrt oder dies als "unwürdig" und "untragbar" bezeichnet, klebt entweder zu sehr an der äußeren Form oder eifert einem ziemlich mißverstandenen Ideal nach. Und diese Art von Idealismus ist ungefähr so echt wie ein 3-Euro-Schein. Genuiner Idealismus braucht seine Zeit um zu reifen und wird auch hart auf die Probe gestellt, die es (zum Glück) meistens überdauert.

Gibt es auch falschen Idealismus? Ja. Und, nüchtern betrachtet für mich eine Einstellung, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Nämlich, die Form zu Ideal zu machen und von dem Willen zu entkoppeln ("ich möchte Medizin studieren, weil ich mich gerne für andere engagiere, anderen helfen will"). Das ist doch fast selbstverständlich. An sich keineswegs verwerflich, für den Anfang ist der Satz schon eine Verbalisierung des Willens, eine in Wörtern gefaßte Entscheidung. Wird aber daraus das Streben und Nacheifern dem Bild vom "perfekten Arzt" (oder ist es schon vorher so), dann wird Form von Inhalt und Impuls vom Handeln abgekoppelt. Und damit tut sich keiner ein Gefallen. Genuin ist das nicht. Hier wird das Abbild zum Ideal gemacht und manchmal sogar instrumentalisiert (wie in dem Thread, wo genau dies zur Begründung einer Kritik diente, wo sich jemand eine abfällige Bemerkung über Patienten erlaubt hat). Tut mir leid, Idealismus ist KEINE Begründung für Kritik an jemanden oder für das Verkennen von seinen menschlichen Schwächen und ein Ideal auch KEIN Instrument. Dennoch so zu tun, ist schwer entschuldbar und grenzt hart an Heuchelei.

Damit müßte man aber mindestens die Hälfte der Erstsemester zu Heuchlern erklären? Ganz und garnicht. Viele gehen mit Vorerfahrungen in das Studium, sehr viele haben auch schon vorher dieses falshe Idealismus abgelegt. Manche gehen doch mit diesem falschen Idealismus ins Studium und erleiden dann den berühmten heilsamen Schiffbruch. Darin sehe ich nichts schlechtes und es ist ein normaler Entwicklungsschritt, den (fast) jeder Mediziner durchmacht, solange man diese Erfahrung nicht schon vorher gemacht hat.

Soviel von mir zum Thema.

funny
24.01.2006, 15:49
Ich glaube ich weiß, anhand welcher Diskussion du dieses Thema eröffnest :-)

Meine Meinung: "Idealismus" ist ein ziemlich abgedroschenes, zu oft mißbrauchtes Wort für alle möglichen Einstellungen von Herrn Hinz und Herrn Kunz. Bei Medizinern gerne angeführt, wenn es um "Menschen helfen" und "Schmerzen lindern" geht. Das ist kein Idealismus, das ist persönliches Interesse am Sozialen Miteinander, am menschlichen Körper oder Altruismus. Außerdem dient das arme Wort schon lange als Totschlagargument für böse Menschen, denen es zu 65% ums Geld geht und die somit keine reinen Idealisten sind, sondern schlechte Materialisten. Ziemlich nervig das Ganze.

Ghandi mag ein Idealist gewesen sein oder Martin L. King oder Greenpeace, aber irgendein xyz, dem die Argumente und/oder das Geld ausgegangen sind, würde ich nicht so ettiketieren.

Mir persönlich hat Idealismus zuviel mit Ideologie zu tun und die verstellt die Sicht erfahrungsgemäß ohnehin recht stark. Pragmatische Fall-zu-Fall-Entscheidungen-und-Einstellungen (natürlich inklusive der Anerkennung der Menschenrechte und des fairen Miteinanders :-stud ) finde ich am erträglichsten.

tpa
24.01.2006, 17:55
Impliziert Idealismus nicht auch, dass man selbstlos handelt? Demnach wären für mich vor allem ehrenamtliche Streetworker, Entwicklungshelfer usw. wahre Idealisten. Andererseits bedeutet Idealismus auch, dass man die Wirklichkeit ein wenig außer Acht lässt. Dass trifft auf die oben genannten nicht zu, und wohl noch weniger auf (fertige) Mediziner!

Wenn man "Menschen helfen" möchte, ist dann das wahre Motiv zur Ergreifung des Arztberufes nicht Egoismus? Schließlich befriedigt man nur sein eigenes Bedüfnis, Menschen zu helfen. Ist vielleicht etwas sehr philosophisch, jedenfalls handelt man nicht selbstlos und somit auch nicht aus Idealismus.

Dennoch ist das "Menschen-helfen-Wollen" für mich ein ehrbares Ziel und sollte nicht als Heuchelei stigmatisiert werden.
Es wundert mich auch, dass dieses "Menschen-helfen-Wollen" scheinbar nur mit Sozial- und Gesundheitsberufen assoziiert werden darf. Objektiv betrachtet hilft fast jeder Beruf irgendwelchen Menschen (edit: ok, Bombenentwickler o.ä. sind wohl ausgenommen). Eine Prostituierte hilft auch Menschen. Würde sie aus idealistischer Selbstlosigkeit handeln und den Menschen unentgeltlich 'helfen', würde man sie als 'Schlampe' titulieren.

Merke: Idealisten sind Schlampen.

Ob die Befriedigung nun durch die Orgasmen (im Fall des Mediziners vielleicht Anerkennung) oder Verwirklichung der Ideale erfolgt, muss, wie funny schon gesagt hat, in jedem Fall individuell diskutiert werden.

Jedenfalls würde ich lieber von einem Realisten, als einem Idealisten behandelt werden :-top

Gichin_Funakoshi
24.01.2006, 18:52
Also so, wie ich es in dem Thread verstanden habe, ging es um den Respekt gegenüber Patienten. Meiner Meinung nach kann man schon sagen, wie die Realität ist. Nämlich, dass es Patienten gibt, die ganz einfach übel riechen. Aber nicht in einer Art und Weise, die einfach respektlos rüberkommt. Hier lesen sicherlich viele Patienten mit und durch solche Aktionen, rückt ihr die Ärzteschaft in ein kein sonderlich gutes Licht. Glaubt mir, ich lese in einem Laienforum und man könnte sich den ganzen Tag damit beschäftigen die ganzen Hassbeiträge gegen Ärzte zu entkräftigen.
Ich verstehe jetzt nicht ganz, was dieser Respekt mit Idealismus zu tun hat? Darum schien es mir jedenfalls nicht zu gehen. Unter Kollegen kann man das ja sicherlich auch mal kräftiger ausdrücken, aber eben nicht in einem Forum, wo man eine Berufsgruppe repräsentiert.
:-meinung

Evil
24.01.2006, 19:09
Ich bevorzuge es, wenn sich der Idealismus in Taten statt Worten äußert ;-)

Werwolf
24.01.2006, 20:06
Idealismus ist ein großes Wort, was man lange diskutieren kann.
Tatsache ist meines Erachtens, daß Medizin (und Zahnmedizin vielleicht auch?) doch irgendwie ein sozialer Beruf ist. Wenn man sich entschließt, einen derartigen Beruf ausüben zu wollen, nimmt man in Kauf, daß man halt auch mit Menschen zu tun hat, die vielleicht ein bißchen "anders" sind als man selbst. Wenn aber der Ekel und die Abscheu größer sind als das eigene soziale Engagement / Idealismus/ Nächstenliebe/ wie auch immer man das Gefühl bezeichnen möchte, das einen dazu veranlaßt, sich auch mit einem "Siff-Patienten" zu beschäftigen, dann sollte man sich nach einem anderen Betätigungsfeld umsehen.
Übertreiben muß man´s mit dem "ich habe für alles Verständnis, der arme Mensch ist bestimmt nur durch widrige Umstädne und eine schlechte Kindheit....) aber natürlich auch nicht, und ich kann auch gut abfällige Bemerkungen verstehen und mache auch selber gelegentlich mal welche.
Ich bin weit entfernt davon, ein "Gutmensch" zu sein, der jeden Siff "versteht"! Aber meine Berufswahl bringt es nunmal mit sich, daß ich mich auch damit auseinandersetzen muß. Und das ist auch OK so. Auch Siff-Patienten haben ein Recht darauf, anständig behandelt zu werden. Dann muß ich halt mal meinen Ekel überwinden.
Der eine ist halt "sozialer" eingestellt, der andere weniger. Und man muß sich vielleicht rechtzeitig über die "praktischen" Aspekte des Arzt/Zahnarztberufes im Klaren sein. (An dieser Stelle könnte ich jetzt Mutmaßungen über die Motive für ein Zahnmedizinstudium und die Gründe für eine derartige Frustration anstellen, aber das lasse ich lieber bleiben... :-D)

DrSkywalker
25.01.2006, 09:33
Auch Siff-Patienten haben ein Recht darauf, anständig behandelt zu werden.

Nichts als die Wahrheit. Schade aber, dass man das in diesem Forum überhaupt aussprechen muss.


Und man muß sich vielleicht rechtzeitig über die "praktischen" Aspekte des Arzt/Zahnarztberufes im Klaren sein. (An dieser Stelle könnte ich jetzt Mutmaßungen über die Motive für ein Zahnmedizinstudium und die Gründe für eine derartige Frustration anstellen, aber das lasse ich lieber bleiben... :-D)

:-top :-wow :-))

Logo
25.01.2006, 18:28
Auch Siff-Patienten haben ein Recht darauf, anständig behandelt zu werden...

Mir fällt trotz Thread-Lektüre das sachliche Verständnis gerade schwer... Ging es nicht darum, daß "Arzt" sich da auch mal drüber lustig macht und nicht um eine Behandlungsverweigerung?

Klärt mich auf! ;-)

Gruß
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surfsmurf
25.01.2006, 19:05
Für mich ist Idealismus, einen "Idealzustand" vor Augen zu haben - in diesem speziellen Falle eventuell auch einen "Idealarzt" - und danach zu streben, seine Handlungen entsprechend auszurichten bzw. rückwirkend zu überprüfen. Das ist nicht mehr und nicht weniger, als Kant in seinem kategorischen Imperativ fordert. Dass Idealismus teilweise von Euch so negativ gesehen wird, kann ich nur teilweise nachvollziehen:

Natürlich kann sich die Realität nie am "Ideal" messen lassen, dafür sind wir Menschen einfach zu menschlich, mit Fehlern und Schwächen. Deswegen aber Ideale als nichtig oder irrelevant darzustellen (nach dem Motto: "Nützt nix, kann man ja sowieso nicht erreichen"), finde ich falsch. Ist doch das Streben danach das Entscheidende, nicht das Erreichen.

Und in diesem Zusammenhang kann man m.E. auch andere kritisieren, auch mit der Berufung auf Ideale. Ich denke, keiner findet es "wünschenswert" oder "ideal", auch mal über Patienten herzuziehen und deswegen kann man solches Verhalten auch durchaus kritisieren. Wohlwollend im Hinterkopf behalten sollte man allerdings, dass wir dann doch nur Menschen sind. Und entsprechend wohlwollend sollte dann auch die Kritik ausfallen. Zudem: Niemand muss sich das Recht auf Kritik erst verdienen, nicht durch Erfahrung oder sonstwie. Dass Erfahrungen Menschen verändern, klar. Aber Beiträge nach dem Motto:"Komm du erst ins xte Semester, dann darfste mitreden." --> unterste Schublade. :-meinung

Kurz: Ideale - wie ich sie verstehe - haben sehr wohl eine Existenzberechtigung, nämlich als Handlungsziel oder (wers lieber moderner mag) Guideline.

Werwolf
26.01.2006, 19:03
Mir fällt trotz Thread-Lektüre das sachliche Verständnis gerade schwer... Ging es nicht darum, daß "Arzt" sich da auch mal drüber lustig macht und nicht um eine Behandlungsverweigerung?

Klärt mich auf! ;-)

Gruß
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Ich schrieb: ..."anständig behandelt zu werden..."
Das beinhaltet für mich, daß einen Patienten, vor dem man sich aus irgendwelchen Gründen vielleicht ekelt, nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Griffin
26.01.2006, 20:45
Wie viele hier schon bemerkten sind Ärzte auch Menschen. Die wenigsten von uns sind wirklich Idealisten, die den Arzt als den guten perfekten Halbgott in Weiß sehen, der nie irgendwas negatives sagt, tut oder auch nur DENKT. Wir haben diesen Beruf nicht gewählt um unser Leben der Allgemeinheit zu opfern oder besser gesagt nicht nur. Dem Menschen zu helfen ist, formt einen Teil der Motivation, die uns dieses Studium und den harten Alltag durchstehen läßt, aber nur EINEN Teil. Motivation ist etwas zu vielschichtig um sie auf eine Wortgruppe oder Satz zu reduzieren. Glaubt es oder nicht, doch wir haben alle auch irgendwo egoistische Motive Arzt zu werden. Der Arzt aus Bilderbüchern oder Märchen existiert nicht. Der reale Arzt hat eine Nase und kann Eckel empfinden, doch er unterdrückt es, behandelt auch auch den dreckigsten Patienten nach bestem Wissen und Gewissen (naja wie ich hoffe zumindest die meisten) aber er kann diese Patienten nunmal nicht lieben wie seinen eigenen Sohn oder Tochter, wie es sich so einige anscheinend vorstellen. Er darf immernoch denken was er will und man glaube es kaum, aber ich finde man darf solche Gedanken im geeigneten Rahmen auch äußern und sich ein wenig Luft machen, denn diese Patienten existieren und diese Gedanken existieren und keinem ist damit geholfen, wenn man sie nicht offen ausspricht und immer so tut als liebe man jeden und alles auf dieser rosa Blümchenwelt.

Bemerkung am Rande: Ersteller müde, Beitrag konfus :-)