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surfsmurf
22.02.2006, 20:47
Ich denke, ein "Aufrechnen" von Schuld bringt uns hier nicht wirklich weiter. Worum es mir im wesentlichen geht, ist eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung der gesamten Situation, wie auch schon von mik zu Recht eingefordert:

1. Der Islam. Natürlich ist vieles bisher Angebrachte richtig: Es gibt bisher keine so deutlich formulierte Trennung von Kirche und Staat, es gibt eine eindeutige Benachteiligung von Frauen, es gibt Zwangsheiraten. Aber es gibt eben auch:
- 400 VerlegerINNEN im Iran
- insgesamt 149.000 StudentINNEN in Saudi-Arabien
- 60 % weibliche Professoren in Saudi-Arabien (in D 12%)
(Quelle: aktuelles Dossier der ZEIT:"Wir sind Pionierinnen. Der islamische Weg der Emanzipation")
Und solche Fakten gehören genauso in eine Betrachtung des Islam wie der Fanatismus, wie Scharia und Dschihad. Eine ganze Religion und mit ihr 1,3 Mrd Menschen in zwei Sätzen abzuhandeln (wie z.B. bei flopipop) ist nicht meine Vorstellung von kritischer Auseinandersetzung.

2. Die USA.
Dann beziehen wir aber bitte auch Fanatiker oder Personen ein, die unter dem Schleier von "Freiheit" und "Demokratie" eine neue Weltordnung nach ihren Maßstäben ausdrücklich auch mit Gewalt errichten wollen. Auch das muss mal gesagt werden. Ist es denn nicht auch kritisch, dass die Regierung der USA sich selbst und den Kampf gegen den Terror von Gott legitimiert sieht:
I understand freedom is not America's gift to the world; freedom is an Almighty God's gift to each man and woman in this world. Quelle (http://www.whitehouse.gov/news/releases/2005/08/20050824.html)
Und dann kann man sich schon mal fragen, ob ein "heiliger Krieg" im Namen der Freiheit nicht auch fanatisch ist. Und man kann sich auch fragen, was es bedeutet, dass laut Umfrage des Time Magazine 59% der Amerikaner glauben, dass sich die apokalyptische Prophezeiung des Johannes erfüllen wird und die Gläubigen in den Himmel auffahren.

Zudem sollte man sich mal über folgendes Gedanken machen:
- Wieso wollen die USA 2007 505,9 Milliarden Dollar (!) für ihre Verteidigung ausgeben? Das entspricht knapp 60 % ihres eigenen Haushalts (!), dem Doppelten (!) des Gesamthaushalts Deutschlands und mehr als die Verteidigungsausgaben der nachfolgenden 15 (!) Staaten.
- Wieso werden für Verteidigung 24% mehr ausgegeben, während "Labor, Health, Education" mit 4% weniger auskommen müssen?
- Wieso haben die USA insgesamt über 250.000 Soldaten in 130 Ländern stationiert, obwohl sie mit den meisten dieser Länder keinen Krieg führen?

Staatlicher Terror und Angriffskriege auf souveräne Staaten werden auch durch durchaus hehre Ziele wie Freiheit und Demokratie nicht gerechter. Ob man diese nämlich "herbeibomben" kann, ist wohl die zweite Frage. Zugleich ist es wohl auch etwas schwierig, dann auch das Ergebnis von demokratischen Wahlen (wie in Palästina) nicht anerkennen zu wollen: "Das Volk soll wählen, aber bitte das Richtige....."

Wie gesagt, ich stimme in vielen Punkten überein, islamistischer Terror muss bekämpft werden, zur Not auch mit Waffengewalt. Aber: Islam=Terror und Westen=super, so leicht ist das Leben nun einmal nicht und so leicht sollte man es dann doch auch nicht machen. Aber das hat selbst George W. Bush erkannt:
The terrorists practice a fringe form of Islamic extremism that has been rejected by Muslim scholars and the vast majority of Muslim clerics -- a fringe movement that perverts the peaceful teachings of Islam. Quelle (http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010920-8.html)

Gruß, surfsmurf, der sich doch sehr wundert, wie lang der Text im Endeffekt geworden ist :-nix

Recall8
23.02.2006, 10:44
Vielen Dank surfsmurf.
Schon dein erster Satz hat mir sehr gut gefallen:
Ein "Aufrechnen" von Schuld bringt uns hier nicht wirklich weiter. "

Ein besonders wichtiger Punkt in der Diskussion, finde ich.

Interessant îst dein Beispiel: Saudi Arabien.
Anbei bemerkt war SaudiArabien sehr lange enger Verbündeter der USA...
Was ich als wichtig ansehe:
In SaudiArabien sind Menschenrechtsverletzung an der Tagesordnung,
natürlich mag es Professorinnen, Ärztinnen usw. geben, besitzen aber keinerlei politische Rechte (kein Wahlrecht z.B.) UND stellen keinerlei wichtige Positionen in der Regierung. So viel nur zur "Emanzipation"...
Ohne einen männl. Vormund darf noch nicht einmal das Land verlassen werden. Desweiteren gibt es lustige Sachen wie ein "Frauenfahrverbot.

Allen in allem eine extrem konservative Gesellschaft, und da lasse ich mich von
ein paar Fakten zu Professorinnen nicht irre leiten.
Das zu SaudiArabien.
Ich selbst stehe auch extrem kritisch gegenüber der USA.
Finde es immer wieder höchst lächerlich von "Angriffen gg. die zivilisierte Gesellschaft", einer "Achse des Bösen" zu hören und zu lesen..
Was/Wer ist Souverän, was Böse?

Aber ich glaube langsam sprengt das Alles das eigtl. Topic...

Jeder möge seine Religion frei ausüben, aber Staat bleibt Staat.

superkan
24.02.2006, 20:50
hmmmmm... :-notify

schon interessant, wie sehr die funken über eine eigentliche lapalie springen können. dabei rede ich nicht nur vom (ursächlich erscheinenden) karikaturenstreit an sich, sondern über die meinungsmache in den medien und der offensichtlichen wirkung dieser in vielen, vielen köpfen.

dass man normalerweise zb in syrien nicht einfach so demonstrieren kann, weil big-syrian-brother-watches-you-everywhere, sollte man eigentlich wissen; dass man allerdings allen ernstes 'glaubt', da entlüde sich der reine volkszorn, ja gar die seele des islams oder der muslime... und ein zerfallender staat würde da nicht gezielt die massen lenken, ist in meinen augen schlicht naiv. schlimmer: das ist genau das kognitive verarbeitungsschema, dass fundamentalisten auf beiden seiten haben wollen.

dass genauso im iran der staat, bzw ein innenpolitisch in druck geratener ahmedineschad diese sache als große politische chance wahrnimmt und auch hier die leute in bussen zu veranstaltungen scharrt bestätigt die rein profane absicht dieser, die sakralen (sprich religiösen) gefühle von abertausenden, ja millionen von menschen für ihre zwecke zu missbrauchen.

wenn vor geraumer zeit millionen (!) in havanna, cuba, für die ’freilassung’ (man könnte es auch auslieferung nennen) des achtjährigen elian gonzalez aus florida demonstrieren, spricht keiner von einem volkszorn, keiner von irgendwelchen kulturkonflikten o.ä.; man erkennt und unterstreicht in diesem fall ohne mit den augen zu zwinkern die staatliche rolle cubas bzw. die politische instrumentalisierung dieses persönlichen dramas für innenpolitische zwecke der kp in cuba.

tja. anscheinend wollen immer mehr leute eine spaltung der welt; anders kann man sich sinn und zweck dieser karikaturen auch nicht erklären. besonders perfide die ablehnung eines redakteurs dieser dänischen zeitung, karikaturen über jesus zu veröffentlichen, weil ja 'die leser in ihren gefühlen verletzt werden könnten'.

diese erreichen erstaunlicherweise genau das, was die politischen strippenzieher auf der anderen seite sich so sehnlich wünschen: ein klima der gegenseitigen anfeindungen, ein klima des hasses. ein gefundenes fressen auch für die politischen eliten der doch so säkularen länder wie ägypten oder syrien; hauptsache man kann innenpolitische versäumnisse gezielt aus dem fokus der aufmerksamkeit der öffentlichkeit auf diese sachen lenken.

dass der islam eine kriegsreligion ist, ja gar von den anderen religionen 'einen auf den deckel bekommen hat' (zitat eines users hier) ist in meinen augen schlicht lächerlich; was der islam ist oder nicht, werde ich nicht und kann ich auch nicht hier ausführen. nur soviel: diese religion lässt sich in alle möglichen richtungen (pazifismus bis zum warmongering) ziehen, weil sie in politischen dingen keine eindeutigen vorgaben gibt. so wechseln sich in der geschichte so ruhmreiche epochen wie zb al-andalus (das heutige andalusien; eine blüte der zivilisation aller drei großen weltreligionen; selbst heute ist dieser einfluss im spanischen alltag und in der sprache noch zu erkennen: zb 'ojála', spanisch für 'hoffentlich', ethymologisch von 'o Allah' abstammend; oder auch vergebene islamische namen wie Ismael oder Ibrahim an katholische kinder!) mit eher düsteren epochen wie in der neuzeit ab.

das abgesehen von den politischen streitereien der islam bzw die islamische kultur große verdienste für die wissenschaft geleistet hat, sollte v.a. uns medizinern spätestens im 1. semester in den lehrveranstaltungen der terminologie klargeworden sein; begriffe wie alkohol, alchemie oder benzol (um mal nur drei zu nennen) sind arabische wörter; lange zeit wurde in europa das werk namens 'kanon' (al qanun) eines persisch-muslimischen gelehrten, avicenna oder ibn sina, als standardwerk der medizin betrachtet (zitat wikipedia: "Der Kanon wurde im 12. Jahrhundert von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt und war bis ins 17. Jahrhundert das Hauptwerk der medizinischen Wissenschaft."; http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna); sogar, und das mag viele überraschen, ist es arabischen gelehrten wie ibn rushd bzw averroes zu verdanken, dass die werke antiker philosophen wie aristoteles und sokrates das finstere mittelalter 'überlebt' haben (http://de.wikipedia.org/wiki/Averroes); u.v.m.

das soll kein ausdrückliches plädoyer für den islam sein; ich möchte lediglich durch diesen langen beitrag ein wenig das denken in all' unseren köpfen anregen. zumal wir als mediziner uns vor zu einfachen schlüssen als eine der ersten hüten sollten.

wir menschen sind nunmal in unterschiedliche völker, nationen, rassen, religionen, konfessionen, kulturkreisen und kulturen usw gegliedert; jeder hat für sich 'red lines', tabus, die der andere besonders achten sollte. das ist für gläubige menschen nunmal das, woran sie glauben, was sie verehren, was sie anbeten. gewalttätige exzesse sind in imho in keinster weise rechtzufertigen, wie sie jetzt passiert sind und leider immer noch (aktuell in nigeria) passieren, oder aber auch das quasi-terroristische vorgehen christlicher fundamentalisten in den usa. naja, man sieht vielleicht, wie verzwickt die lage ist; am besten man stellt sich als der/die klügere heraus und gibt bei evtl konfliktsituationen im vorfeld nach.

so in diesem sinne, hoffen wir mal, dass uns solche ereignisse wie dieser eigentlich lächerliche streit in zukunft erspart bleiben, und wir in diesem forum nie, nie wieder über solche sachen uns gegenseitig unsere so kostbare zeit stehlen müssen.

grüße,
erkan