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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Innere Medizin: Durchschnittsalter der Patienten=100Jahre?!



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Gwendoline
03.06.2006, 10:26
aber Shem hat auch viel Unsinn reingepackt. Glaub' da einfach nichts aufs Wort, hinterfrag' lieber jede Zeile

Habt ihr nicht auch ständig Sexorgien in den Patientenzimmern?? :-))

SidVicious
03.06.2006, 11:16
Hi,

@Neely
selbst "alte dahinvegetierende" Patienten sind Menschen. Hört jemmand, weil er Dement ist auf mensch zu sein? Vllt versuchst du einfach mal mit den Patienten zu reden. Ich kann von meiner Erfahrung nur sagen, dass viele ältere Demente Personen mit ein wenig Zeit durchaus in der Lage sein können mit dir zu reden. Wenn du aber jedes mal total verschreckt oder aus Angst dich mit diesen nicht auseinandersetzen willst, wirst du auch immer nur das Schreien und Stöhenen hören.Warum hat ein alter Mensch nicht das gleiche Grundrecht, wie zB. die Kinder, die keine Antibiotika haben?Wer darf denn darüber entscheiden, wann eine behandlung zu Ende ist (PEG usw)? Eigentlich nur der Patient.In jedem Halbwegs gut geführten KH, wird IMHO immer sehr ausgiebig darüber diskutiert, ob jemmand eine PEG bekommt oder nicht.


Gruß
SidV.

PS: Möchte nochmal auf die HP meines ersten Postings hinweisen:
Handeln statt Misshandeln:
http://www.hsm-bonn.de/

Evil
03.06.2006, 11:17
Allein die Möglichkeit so zu werden hat auch noch den letzten Funken an Angst vor dem Tod in mir ausgelöscht. Für mich ist das eine so krasse Horrorvorstellung, was wohl auch der Kern meines Schockes ist: Erst denkt man, sie seien normal und das schafft eine Identifikationsbasis, aber dann kommt der Schock.
Darin liegt also Dein Problem, die Arbeit konfrontiert Dich mit der Vorstellung Deines eigenen Todes.
Tut mir leid, aber damit zurechtzukommen gehört zum Erwachsenwerden...

Bille11
03.06.2006, 12:22
neely,

geh mal in die plastische chirurgie & du wirst feststellen, dass es ganz anders ist.

leute, die sich wünschen, wieder besser auszusehen, weil sie aufgrund von unfällen "verunstaltet" sind, & ihr glück & ihre freude manchmal nicht ausdrücken können oder so überschäumend glücklich sind, dass du dich wie ein schneekönig mitfreust.

leute, die sich wünschen, noch besser auszusehen, & denen man es entweder aus ganzem herzen gönnt oder sich an den kopf fasst, wie bescheuert es denn sei.

leute, die dringend hilfe benötigen, weil sie nicht mehr für sich selbst sprechen können & bei denen du dir sicher an den kopf fasst, weil es sich doch gar nicht mehr lohnt, aber auch denen wird letztendlich ganz viel geholfen werden, weil sie auf einmal in dem bereich eine erheblich besser lebensqualität kennenlernen mit der sie nicht mehr gerechnet haben..

arrogante patienten. und aber auch sehr bescheidene patienten.

die alterstruktur ist sehr gemischt.

alternative:

geh mal in der gynäkologie und geburtshilfe praktikum machen..

da wirst du bei geburten dabei sein können & feststellen, dass es "echt" toll ist. ich fands vorher eklig und bäh, aber es ist in der tat so, dass alle mit solch einem grinsen da raus kommen, dass du dich fragst, wieso solch ein geschrei um dieses ereignis, es aber "irgendwo" verstehen kannst.

da wirst du in der gynäkologie sehr kranke frauen und ziemlich gesunde frauen kennenlernen, die krebserkrankungen haben oder schwanger sind & evtl. eine abtreibung vor sich haben. das ganze gefühlskarussel ist dabei.

pflegetechnisch ist in beiden bereichen eine menge dabei :-)

ich glaube, das wird dir ein ganz anderes bild von medizin zeigen als das deiner bisherigen erfahrung.

sibylle

Fino
03.06.2006, 12:26
Blödsinn.
Ersetz das Wort Gomer in deinem Eingangsposting mit einer Religionsgemeinschaft deiner Wahl und die Verachtung die in den Worten liegt wird noch offensichtlicher.

Ich bin mir nicht so sicher, ob das hier einen Aufschrei ausloesen wuerde.
Es sind schon mal in einigen threads Auesserungen ueber Auslaender, die schlecht deutsch sprechen, gemacht worden, die vom Ton auch schon hart an der Grenze des Akzeptablen sind oder schon darueber hinweg, und es ist als freie Meinungsaeusserung erstaunlich ruhig/positiv aufgenommen worden. Da durfte z.B. schon mal ein user unwiderprochen heraustrompeten, dass er solchen Patienten deutlich zeige, was er von ihnen halte...
Das ist genauso wenig mit aerztlicher Ethik zu vereinbaren.

Aber zum eigentlichen Thema zurueck. Ich denke, Neely war/ist geschockt von einigen Patienten in der Inneren. Ich habe als AiP ein paar Monate in der Geriatrie gearbeitet, und es hat auch da Situationen gegeben, wo ich angenervt war, manches auch eklig gefunden habe. Meinen Kollegen ging es nicht anders. Manchmal musste ich mir vor Augen fuehren, dass auch ich mal so werden koennte. Ich dachte auch oft, dass diese Patienten Kinder, Enkel etc. haben und dass ich als Angehoerige wollen nicht akzeptieren wuerde, dass meine Grossmutter schlecht/respektlos behandelt wird.
Das war meine Art, mit der Geriatrie umzugehen.
Wem die Geriatrie zu schaffen macht, soll's frei von der Leber weg sagen und sich ein anderes Fach aussuchen.
Es gibt ja auch Kollegen, die Kinder nicht ausstehen koennen - bitte, solange sie nicht in die Paediatrie gehen und sich auch sonst "Kinderpatienten" gegenueber zusammenreissen, seh ich da kein grosses Problem.
Es gibt jedenfalls keinen Grund, derart aggressiv ueber jemanden herzufallen. Da ist eine ganze Portion Verlogenheit mit von der Partie.

Evil
03.06.2006, 12:55
Es gibt jedenfalls keinen Grund, derart aggressiv ueber jemanden herzufallen. Da ist eine ganze Portion Verlogenheit mit von der Partie.
Nö, wie ich schon sagte, etwas Zynismus ist in dem Job nötig, aber Verachtung steht einem Arzt nicht zu.

Auch nicht bei dementen Patienten oder bei unseren Intensivpatienten, wenn das beispielsweise 180kg-Diabetiker sind oder gewalttätige Junkies, denen man durchaus eine Eigenverantwortung an ihrer Situation unterstellen kann.

Neely
04.06.2006, 10:39
Mitleid impliziert Geringschätzung, Geringschätzung bedeutet Verachtung.

Das stammt nicht von mir, sondern einem der größten Denker des 20.Jahrhunderts. Sollten alle scheinheiligen Heilsapostel vielleicht auch einmal berücksichtigen.

Mich wundert es auch nicht mehr, warum scheinbar nur in Deutschland Ausbeutung herrscht und Ärzte deshalb protestieren müssen oder auswandern. Hier nimmt man unkritisch die Ideologie des Systems an, nämlich grenzenlosen Altruismus und Aufrechterhaltung unseres kranken Systems und seiner kranken sogenannten Ideale. Man meckert höchstens. Aber selbst da muss man aufpassen, dass man politisch korrekt bleibt. Meine Prognose ist jedoch, dass genau so wie der McCarthyismus, Stalinismus, Kommunismus und jeder andere -ismus auch der politische Korrektismus irgendwann an der Realität scheitern wird.

Auch macht sich deutlich, wie sehr wir von Hierarchien regiert werden: Shem darf als jemand, der deutlich weiter oben ist, viel krassere Dinge schreiben als ein kleiner Praktikant, obwohl Shem sehr viel mehr Macht über den Patienten besitzt und ergo sehr viel mehr falsch machen kann. Es geht also nicht mehr um objektive Wahrheiten, sondern nur noch um die Position desjenigen, der es sagt. Ein relatives Ideal ist kein Ideal.

Mir wurde auch schon von klein auf beigebracht, dass der einzige wahre Lebenssinn die künftigen Generationen sind. Alle Lebewesen, auch der Mensch, sind sterblich, damit sie ihr Leben auf die zukünftigen Generationen richten, an ihrem "Vermächtnis" interessiert sind: Nur in diesem können sie weiterleben, nicht im krankhaften Klammern an weltliche Dinge. Sobald die Menschheit jedoch aufhört, an der Zukunft interessiert zu sein, wird sie so nicht lange fortbestehen.

Wahren Altruismus gibt es nicht: Jeder Versuch scheitert an der Realität. Die vergesst ihr leider allzu gerne.

Pünktchen
04.06.2006, 10:57
@neely
Ok...das System ist krank und überaltert. Deine Aussagen implizieren, dass dem System geholfen wird, wenn man alle alten kranken Menschen sterben lässt. Das spart Geld. Krankenkassen werden gesünder. Die Renten, wenn man sie den noch braucht, sind gesichert.
Ich glaube, dass hier viele geantwortet haben, die das System schon kennen und ihre Möglichkeiten kennen. Und in vielen Situationen muss man eben "improvisieren" und das bestmögliche herausholen.

Ich bleibe bei meiner Meinung, dass man ohne zwischenmenschliches Feingefühl weder im Kleinen noch im Grossen was ändern wird und wer sich so verächtlich über alte Menschen äussert, nur weil die Überalterung im deutschen Staate ein Problem ist, der muss noch lernen was es heisst Probleme zu betrachten. Aber so bitte nicht!


Ich sage auch nicht zu meiner Oma, dass sie lieber sterben solle, damit der deutsche Staat wieder finanziell besser da steht irgendwann. Meine Oma ist ein Mensch und nur weil die morbide ist und den Krankenkassen Geld kostet, ist sie nciht weniger Wert. Und all die Omas und Opas auf den Inneren Stationen in den deutschen Krankenhäusern sind Menschen! Sie sollten als solche gesehen werden und auch als solche behandelt werden.




Mein Wort zum Pfingstsonntag!

Tse Tse
04.06.2006, 11:35
Ich kenne das Buch und den Charakter Shem nicht. Es geht darum was DU schreibst
Das ist schon nicht mehr mangelndes zwischenmenschliches Feingefühl wie Pünktchen das beschreibt, sondern Volksverhetzung (http://alexanderkoch.de/laWWW.de/Library/stgb/130.htm).
Du kannst nicht erwarten, dass dir da niemand widerspricht. Und wenn es trotzdem jemand macht, besitzt du auch noch die Arroganz es als Willkürakt gegen dich abzutun oder als Beschränkung deiner Meinungsfreiheit.

Unkritisch, krank und überkommen soll es also sein mit einer humanistischen Einstellung durchs Leben zu gehen?
Unkritisch und billig ist es vielmehr dem Zeitgeist hinterher zuhecheln und bei allem die Kostenfrage zu stellen. Auch dabei, wer wert ist zu leben.
Wer sind die nächsten gegen die du hetzen wirst? Patienten mit psychischen Erkrankungen?

Ich wüsste nicht, was ich in diesem Thread noch schreiben sollte.
Ich dachte zwischendurch einmal, dass dich dein Stationsalltag zur Zeit fertig macht - und es hier um den Umgang mit der dich belastenden Situation ginge bzw. um die Altersstruktur auf den Stationen oder wie man den alten Menschen ein lebenswertes Leben bereiten kann.
Tatsächlich scheint es aber um die Darlegung deiner traurigen Philosophie zu gehen.

Neely
04.06.2006, 11:36
Nein, es ist eher umgekehrt: Das System braucht diese Menschen, ein ganzer Industriezweig hängt daran: Pharmaindustrie, Hersteller medizinischer Technik. Dieser Zustand ist demütigend und bloßstellend, aber man muss die Menschen am organischen Weiterlaufen halten, damit die Industrie Kohle macht, das ist unser System. Wir denken, wir seien Altruisten, aber habt ihr euch schon einmal darüber Gedanken gemacht, ob ihr wolltet, dass sie das mit euch persönlich machen, wenn ihr eure Autonomie verliert? Für mich persönlich wäre das unerträglich. Sie hatten ein Leben lang ein gewisses Selbstbild und eine gewisse Würde, aber die wird auf einmal weggenommen.

Ich spreche nicht von den alten Leuten, die nur ein wenig Hilfe brauchen. Ich habe neulich lange mit einer alten Frau gesprochen, die nie ein Wort gesagt hat und nach etwa einer halben Stunde begann sie, mir zu antworten. Ich mache alles, was man mir sagt, bin auch alles andere ist unkritisch. Andererseits habe ich die Erfahrung gemacht, dass die schlimmen Fälle schreien, wenn jemand ins Zimmer kommt, vor Wut schnauben, wenn man versucht, sie zu füttern und ähnliches. Das sollte einem schon zu denken geben.

Ihr habt Recht, dass meine anfängliche Wortwahl etwas provokant war, wie immer, aber wem soll ich das alles sonst sagen? Ich verdränge es den ganzen Tag komplett und abends zermartert es mich, das ist einfach so und ich kann das nicht vermeiden. Für solche Dinge sind Foren wie dieses auch da, nicht nur dafür, um zu diskutieren, welche Filme man am besten findet. Allgemein finde ich es fast unmöglich, schwere und kritische Dinge hier anzusprechen. Ich nehme niemandem ab, dass er solche Gedanken nie hatte, besonders am Anfang, nur werden sie niemals offen ausgesprochen.

Es wird extrem schwer, aber ich will es um jeden Preis durchhalten und verspreche mir auch eine charakterliche Entwicklung davon. Aber kein Meister ist vom Himmel gefallen und keine Erfahrung ist angeboren. An meiner Familie kann ich keinen psychischen Druck abladen, ich muss selbst damit klarkommen, bzw. das Internet muss das manchmal für mich.

Neely
04.06.2006, 11:47
Ich dachte zwischendurch einmal, dass dich dein Stationsalltag zur Zeit fertig macht - und es hier um den Umgang mit der dich belastenden Situation ginge bzw. um die Altersstruktur auf den Stationen oder wie man den alten Menschen ein lebenswertes Leben bereiten kann.
Tatsächlich scheint es aber um die Darlegung deiner traurigen Philosophie zu gehen.

Ach, ich kann jede Philosophie theoretisch begründen, die Welt ist beliebig und absurd genug um das möglich zu machen.

Deshalb habe ich nur eine Philosophie: Ich halte das Leben nicht mehr aus. Mehr weiß und glaube ich auch nicht.

ehemaliger User 05021
04.06.2006, 11:56
ich glaube schon dass sie ausgesprochen werden, nur der Punkt ist wie sie ausgesprochen werden und was dahinter steht.
In deinem Fall ist ja nicht unbedingt die Tatsache, dass du schockiert bist der Grund warum sich alle aufregen, sondern die Art und Weise wie du es deutlich gemacht hast und was da an Ideologie hintersteht. Ich kann deine politischen Idealen, die du da so schön formuliert hast nicht ganz zustimmen, muss ich ja nicht, ist ja deine sache ...
Aber ich finde es hart, dass du so urteilst über Menschen, über das "kranke" System obwohl du es eigentlich doch gar nicht kennst. Du hast jetzt wahrscheinlich dein Praktikum gemacht, kennst den Alltag und Situation die du so bemängelst erst sehr kurze Zeit und bist trotzdem schon so verbittert ...
Ich denke du solltest dir einige Sachen, die hier von Leuten geschrieben wurden, die schon einige Jahre aufm Buckel haben in diesem "kranken" System zu Herzen nehmen, weil es schadet nie drüber nachzudenken, Denkanstöße zu bekommen und über den Tellerrand zu gucken ...
Außerdem möchte ich noch erwähnen, dass ich nciht glaube, dass hier viele sind die blind diesem System folgen, nicht nachdenken, nicht hinterfragen und den Dingen kritisch gegenüber stehen. ich glaube du solltest einfach mal davon abkommen, zu denken, dass du immer anders musst als alle anderen oder als das böse System, denn darum geht es nicht. Die Diskussion geht bei dir persönlich wahrscheinlich viel weiter und über diese "Gomer-Problematik" weit hinaus ... ich denke auch dass es dir sehr viel spaß macht zu provozieren und dann richtig die literarische Keule auszupacken
:-)) Provokation ist ja ok, aber ich wünsche mir doch, dass es auf einem angemessenen und vor allem würdigen Niveau bleibt ...

Tse Tse
04.06.2006, 12:24
Ich halte das Leben nicht mehr aus. Mehr weiß und glaube ich auch nicht.
Ich weiß nicht was es in deinem Leben ist, was dich es "nicht aushalten" lässt.
Vielleicht kannst du versuchen dir darüber klar zu werden, was es ist, was dich belastet.
Wenn es "nur das Altenproblem" und die Arbeit auf der Inneren ist, denk dran, das geht schnell vorüber.
Und auch wenn es nach einer Floskel klingt: als Ärztin wirst du später bestimmt einen Bereich finden in dem du glücklich wirst und der dich auf Dauer weniger belastet. Oder wie du bereits sagtest, du findest im Lauf der Zeit eine Einstellung, eine Verhaltensweise und einen Ausgleich in deinem Leben, die dich gelassener mit der Situation umgehen lassen.


Es wird extrem schwer, aber ich will es um jeden Preis durchhalten und verspreche mir auch eine charakterliche Entwicklung davon. Aber kein Meister ist vom Himmel gefallen und keine Erfahrung ist angeboren. An meiner Familie kann ich keinen psychischen Druck abladen, ich muss selbst damit klarkommen, bzw. das Internet muss das manchmal für mich.
Du musst damit selbst klar kommen, aber du musst das nicht alleine durchstehen.
Vielleicht meldet sich ja noch jemand, der die Erfahrungen die du gerade machst, auch als "Horror" empfunden hat und dir hier Zuspruch oder einen Rat geben kann. Wenn nicht, hör' dich doch einmal unter deinen Kommilitonen um, wie es denen ergeht.
Oder informiere dich über die Angebote die es an deiner Klinik dazu gibt.
Auch wenn man am Anfang eine Scheu davor hat, Themen wie Burnout, psychische Belastungen während der Arbeit, Mobbing etc. betreffen viele die im Krankenhaus tätig sind!!

Evil
04.06.2006, 14:05
Mitleid impliziert Geringschätzung, Geringschätzung bedeutet Verachtung.

Das stammt nicht von mir, sondern einem der größten Denker des 20.Jahrhunderts. Sollten alle scheinheiligen Heilsapostel vielleicht auch einmal berücksichtigen. Das mag von einem großen Denker (oder jemandem, der sich dafür hielt) stammen, auch wenn ich nicht weiß, von wem (doch nicht etwa Adorno?).
Deshalb stimmt es trotzdem nicht :-)) Mitleid impliziert keinesfalls Geringschätzung, das ist Schwachsinn.


Wahren Altruismus gibt es nicht: Jeder Versuch scheitert an der Realität. Die vergesst ihr leider allzu gerne.
Das hat alles rein gar nix mit Altruismus zu tun.
Ein Arzt versucht, Menschen zu heilen oder zumindest zu helfen. Wenn er Menschen als solche aber verachtet, kann er seinen Job nicht vernünftig machen. Was ist daran so schwer zu kapieren?

Miss
04.06.2006, 14:22
Ich wollte auch noch mal zu bedenken geben, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen Mitleid und Empathie (sprich Mitgefühl) gibt (in jedem besseren Psychologiebuch o.ä. erläutert), und es ist halt gerade wichtig, daß man sich nicht innerlich aufreißt, dadurch daß man mit jedem einzelnen Patienten mitleidet. Das schließt Empathie allerdings keineswegs aus -und jeder ist da sicherlich anders, aber wie schon gesagt, ohne Empathie finde ich, diesen Job zu machen ziemlich...sagen wir mal schwierig.

Und klar, die Realität sieht ein bißchen anders aus als wir es uns idealerweise erträumen. Aber wenn Du schon immer von Realität sprichst, dann vergiß einmal dieses Buch (HoG). Ich habs auch gelesen, ich fands auch unterhaltsam, da sind auch ein paar wahre Aspekte bei, ABER das ist auch nicht Realität!
Andere Zeit (und das macht ne ganze Menge aus, das spielt vor ein paar Jahrzehnten!), anderes Land (auch das, obwohl ich das System in den USA nicht persönlich kenne).

Tse Tse
05.06.2006, 00:23
Neely, vielleicht noch ein Aspekt, der noch nicht angesprochen wurde.
Bei der Arbeit im Krankenhaus kann man leicht den Blick verlieren, dass die Patienten dort aus ihrer gewohnten Lebensumgebung herausgerissen sind.
Manche erlebt man vielleicht als apathisch-schreiend, ihre Körperfunktionen nicht mehr unter Kontrolle habend, unkooperativ, beängstigend oder was auch immer.

Im Zivildienst, sowie später im Beruf während des Einsatzes in der häuslichen Krankenpflege hab ich eine andere Erfahrung machen können.
Vielleicht liegt's an der gewohnten Umgebung, der vertrauten Stimme eines Angehörigen oder dessen Körperkontakt, aber der Umgang mit anfänglich schwierigen Patienten wurde oftmals bedeutend einfacher, wenn Angehörige bei der Lagerung, dem Waschen, der Wundversorgung, dem Katheterwechsel etc. mitgeholfen haben.

Die glücklichen und zufriedenen Momente eines Patienten oder sein Verhalten nur aus dem Blickwinkel seines Krankenhausaufenthaltes zu beurteilen und darauf zu reduzieren wird ihm sicherlich nicht gerecht werden.
Das hilft dir jetzt im Krankenhaus leider auch nicht viel weiter, aber vielleicht kannst du darüber eine neue Sichtweise oder Einstellung zu deinen Patienten erhalten.

Feuerblick
05.06.2006, 10:00
*seufz* Genau, Neely, die bösen Ärzte behandeln ihre alten und multimorbiden Patienten nur, damit die Wirtschaft am Laufen gehalten wird. Sei mir nicht böse, aber diese Ansicht ist schon sehr schwarz-weiß gehalten. Ich bin sicher jemand, der zu seiner Zeit in der Chirurgie und auch im Rettungsdienst eher mal gesagt hat "Warum diesem alten Menschen die ganze Qual einer Behandlung und/oder OP noch antun und nicht in Würde sterben lassen?", aber du kannst das nicht alles über einen Kamm scheren. Die multimorbiden Alten, die nur noch schreien und nicht mehr leben wollen, sind wirklich in der Minderheit. Es sei denn, du würdest in der Geriatrie arbeiten und somit sozusagen in einem "Ballungsgebiet" für besagte Menschen. Als Arzt hat man die verdammte Pflicht abzuwägen, was sinnvoll und was Quälerei ist. Dazu gehört aber eben auch, sich in den Patienten UND in seine Angehörigen in gewissem Maße einzufühlen und sich klar zu machen, dass jeder einmal in der gleichen Situation sein könnte.
"House of God" ist nichts weiter als ein Roman. Er spiegelt sehr, sehr überspitzt wieder, was ein Anfänger sehen könnte und was er daraus als Weltbild aufbaut. Mit der Realität hat diese Erzählung nur insofern etwas zu tun, dass einzelne Teile einem bei der Arbeit im Krankenhaus bekannt vorkommen könnten. Rezept: Lies das Buch, ziehe die Hälfte als Übertreibung ab, halbiere das Ganze noch einmal und nimm davon ein Viertel als bare Münze.

Neely
05.06.2006, 16:30
Dass ich gerne provoziere dürfte wohl langsam auch noch der letzte gemerkt haben, auch dass ich zu Höchstform auflaufe, sobald ich Widerstand spüre und alle wie wild darauf anspringen. Es sei gesagt, dass meine Theorien meiner Praxis extrem widersprechen, bzw sehr viele Theorien gleichzeitig unvereinbar in meinem Kopf existieren, was das Leben mitunter schwer macht. Man kann nur Widerstand in seinem Leben suchen bzw Bestätigung, einen anderen Sinn gibt es nicht, was aber jeder mehr oder weniger in seinem Leben umsetzt.

Was mir seit Ewigkeiten in meinen Gedanken kreist: Leben wir in unseren Industrieländern nicht auf Kosten der anderen Länder? Bezahlen nicht die anderen unseren hohen Lebensstatus mit allem was dazu gehört? Wir haben nur begrenzte Ressourcen und beschränken deren Einsatz auf unsere entwickelten Länder, also wenige Inseln der Glückseligkeit. Wenn man über alle Zusammenhänge nachdenkt, zum Beispiel dass ich allein durch den Kauf einer Packung Aspirin einen Pharmakonzern unterstütze und seine Lobby stärke, die lieber an Haarwuchsmitteln statt Medikamenten gegen Tropenkrankheiten forschen, bzw auf ersteres wesentlich mehr Forschungsmittel verwenden, und die Hersteller von Generika in Entwicklungsländern mit eben jener Lobby unterdrücken. Dass man nicht einmal mehr guten Gewissens Turnschuhe kaufen darf. Dass man eigentlich nicht mehr Autofahren darf, weil das klimaverändernd wirkt und die ärmsten Regionen der Welt noch stärker austrocknet.

Und dann nimm zu diesen generellen Gedanken noch schwere Lebenssituationen hinzu. Ich frage mich, worauf diese Welt steuert oder ob noch ernsthaft jemand glauben kann, dass diese Menschheit in ihrer jetzigen Form noch lange Bestand haben wird. In Angola ist die Lebenserwartung halb so hoch wie bei uns: Wäre sie das nicht, so hätten wir schon längst den Totalkollaps erreicht. Aber diese Menschen dort haben scheinbar kein so hohes Lebensrecht wie wir, bzw nur praktisch ist das so, damit es uns gut geht, theoretisch will das aber noch keiner so richtig einsehen. Es geht darum, dass man kein spezielles Wissen braucht, um zu sehen, dass die Welt von Grund auf schlecht ist und dass die Natur das, was wir nicht sehen eben doch erledigt, nur still und anderswo. Genau genommen bin ich schon allein dadurch, dass ich am Leben bin eine Belastung für die Welt, trotzdem gibt es mich und ich führe ein Leben, das absolut sinnlos ist und niemandem, am allerwenigsten mir selbst, überhaupt irgendwas bringt. Ich reihe mich ein und trage dazu bei, dass die Welt zerstört wird, obwohl ich mir natürlich gerne vorlügen will, dass das, was ich tue, obwohl es mich belastet, einen Sinn hat. Den hat es aber nicht, nichts hat einen Sinn, wir leiden um nur alles schlimmer zu machen. Das ist Leben. Versteht ihr in etwa, was ich meine?

Ich quäle mich, um alles nur schlimmer zu machen. Man macht immer alles schlimmer, und je mehr man macht, desto schlimmer wird es. Solange man in einer Lage lebt, die Ausgeglichenheit zulässt, geht alles noch einigermaßen gut, zumindest meistens. Sobald aber alles aufeinanderprallt, ist das Resultat stärker als Dynamit.

Neely
05.06.2006, 16:38
Und noch um das Thema Shem abzuschließen: Mir ging es vor allem darum, dass wenn er es schreiben darf, es jeder andere auch darf. Er trägt schließlich auch eine größere Verantwortung als "jeder", was ihn stärker in die Pflicht nimmt. Ich habe niemals bestritten, dass es Übertreibungen gibt, auch bin ich nicht der Meinung, dass ständig Orgien auf der Intensivstation zelebriert werden. Dennoch, selbst wenn man nur ein Fünftel für bare Münze nimmt ist es schockierend: Eigentlich sollte alles im Buch falsch sein, damit alles in der Realität richtig ist. Allein der Gedanke daran, dass selbst ein Teil wahr ist sollte schon die Alarmglocken läuten lassen. Das übersieht man vielleicht, wenn man schon zu lange in der Branche war. Gewohnheit verändert die Sicht immer ein wenig.

Hoppla-Daisy
05.06.2006, 17:38
Sorry, das ist mal wieder Neely at its (sorry, her) worst! :-meinung