PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Über Medizin und Selbstzweifel



Seiten : [1] 2

ClooneyGeorge
08.07.2002, 17:58
Hallo,


ich wollte euch um eure ehrliche Meinung zu folgendem Problem bitten.

Und zwar kommen in den letzten Tagen arge Zweifel in mir auf, ob Medizin das richtige Fach für mich ist.
Ihr müßt wissen, dass ich momentan (seit Mai) Zivildienstleistender in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung bin, und bisher einen 48 jährigen MS-Kranken betreut habe.
Natürlich war anfänglich der Schock groß, er hat permanent Schmerzen und an schlechten Tagen ist die psychische Belastung besonders hoch.
Ich dachte mir aber, dass mir dieser schwierige Dienst wertvolle Erfahrungen bringt...was er dann auch letztendlich in vielerlei Hinsicht tat. (Geduld, Einfühlsamkeit etc.)
Nur leider kam es am Samstag zum Eklat.
Die letzte Woche war SEHR anstrengend, da er unter sehr starken Schmerzen und Krämpfen litt, die Pflegeaufgaben waren besonders strapaziös und im großen Umfang notwendig. (Bett jeden Morgen vollgemacht, ins Bad ihn Waschen, viel hin und her tragen).
Samstag war ich dann absolut am Ende...ich meldete mich krank, ging ins Krankenhaus wegen starker Überlastungserscheinungen...und siehe da, die wollten mich gar nicht gehen lassen.
Mein Blutdruck lag bei 180/100, (noch nie Probleme gehabt) mal abgesehn von meinen enormen Verspannungen, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen.
Wurde EKG etc. alles gemacht, jedoch ohne Befund.
Einweisen wollte ich mich nicht lassen, da Ruhe und Schlaf ich in meiner Wohnung bevorzuge.
Naja, am Wochenende kam der Appetit dann wieder, Schlafen geht so...ich bemerke das ich erst jetzt nach über 2 Monaten anfange, mir über meinen Dienst so richtig bewußt zu werden, was ich dort alles mache, wie der MS-Kranke leidet...hab alles in mich reingefressen, und nun das...
Heute war ich wieder beim Arzt, Blutdruck immernoch sehr hoch (180/130)...allerdings konnte ich bei den Idioten auch über 2 Stunden warten, da sie mich zuerst ohne "blauen Schein" von der Zivildienststelle nicht behandeln wollten.
Nachdem ich dann ziemlich ausfallend der Arzthelferin gegenüber wurde, meinte gottseidank eine andere Frau, dass die Zivistelle es einfach faxen soll.
Naja, somit hatte ich dann wieder enormen Stress am morgen.
Nun krieg ich morgen ein Gerät zum Dauer-EKG messen für den Tag...


Das alles nimmt mich jedoch besonders mit weil ich nun starke Selbstzweifel habe, was meinen Studienwunsch angeht...ich habe mich für wesentlich stärker gehalten, und jetzt dieser Mist.
Man schau sich mal den Krankenhausalltag an, wie soll ich denn das bitte Überstehen ?
Dort kriegt man ganz andere Sachen zu sehen...wobei natürlich in meiner Dienststelle ich permanent mit derselben Person zusammen bin (war).

Auf jeden Fall werde ich meinen Dienstbereich wechseln, da ich das einfach nicht mehr packe.

Kerstin18
08.07.2002, 22:02
Hallo George!

Ich kann Dich echt super gut verstehen. Ich war mal ein halbes Jahr in den USA und habe da ein tetraplegisches Mädel betreut. Also praktisch Mädchen für alles gespielt, von der Pflege angefangen, über rumkutschieren, einkaufen, Haushalt etc.
Die Arbeit an sich wäre zu packen gewesen, auch wenn's pflegerisch manchmal ziemlich heftig war (und ich darin nicht ausgebildet bin)...eben auch mit voller Hose etc.
Das Problem lag eher daran, dass ich eben permanent mit der Person zusammen war, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.

Ich denke, da ist es normal, wenn man sich ab einem bestimmten Punkt auf die Nerven geht, aber man sich halt trotzdem zusammenreissen muss, da man den anderen ja nicht allein lassen kann mit sich und seiner Krankheit. Nee, im Gegenteil, der andere ist sogar völlig von einem abhängig. Man kann nicht einfach sagen, okay, ich brauch mal 'ne Stunde Pause...und dann muss er grad aufs WC oder hat Hunger oder es ist zu warm...

So krasse Symptome wie Du hatte ich allerdings nicht. Aber ich hab auch gemerkt, wie's mir von Tag zu Tag schwerer fiel, mich aufzuraffen.
Ich glaub schon, dass Du das Zeug zum Medizinstudium hast. Alle Achtung auch davor, dass Du vor so einer schweren Aufgabe, wie Du sie hattest, nicht zurückgeschreckt bist.
Sicher, Du bist auch extremen Situationen, vielleicht noch nicht ganz so im Studium, aber dann als Arzt, ausgesetzt. Der Unterschied ist dann aber, dass Du ständig mit anderen Menschen zu tun hast. Und das sind Menschen, zu denen Du in aller Regel keine Beziehung hast.
Ich denke, dadurch, dass Du halt ständig um Deinen MS-Patienten rum warst, ist das alles viel persönlicher und man baut halt nach und nach 'ne persönlichere Beziehung auf wie in 'nem Krankenhaus es zwischen Arzt und Patient der Fall ist.

Ich kann Dir jetzt schwer raten, ob Du studieren sollst oder nicht. Das musst letztendlich Du selber für Dich entscheiden.
Nimm Dir zunächst aber erstmal Zeit für Dich. Ruh Dich aus, erhol Dich und versuch aufzuarbeiten, was Du in den letzten Wochen runtergeschluckt hast. Du hast doch sicher 'nen Freund oder sonst jemanden zum Reden. Dann siehst hinterher vielleicht auch wieder besser aus.

Ich wünsche Dir alles gute und lass Dich nicht unterkriegen!
Viele Grüsse,
Kerstin

Dr.Dolor
09.07.2002, 07:36
Hi,

ich kann mich Kerstin nur anschliessen - meine Erfahrungen im Zivildienst waren trotz Rettungsdienst bei weitem nicht so schwerwiegend wie bei Dir. Trotzdem musst Du Dir darüber im Klaren sein, dass die intensive Betreuung Deines Patienten nichts, aber auch gar nichts mit den Anforderungen und Ansprüchen eines Medizinstudiums zutun haben.
Du befindest Dich zweifelslos in einer Extremsituation und solltest den Mut nicht verlieren, Medizin zu studieren.
Darüberhinaus sollte für Dich jetzt erstmal Entspannung angesagt sein: RR 180syst. ist deutlich zu hoch und auch Deine psychische Verfassung scgheint angespannt zu sein; Beantrage Urlaub und schlimmstenfalls eine Versetzung - lass Dich nicht verheizen, das MedStudium ist zwar nicht so schlimm wie der Ruf aber auch kein kindergeburtstag.
Ich bin mir ziemlich sicher, Du packst das; etwas Zuversicht und Entschlossenheit aber auch ständige Reflektion Deiner Situation sind jetzt wichtig. Du musst Dich immer voll&ganz mit dem auseinandersetzen, was Du tust, sonst wächst Dir irgendwann irgendwo ´n fettes Geschwür :-)

Ist der Tag auch noch so trübe, immer hoch die alte Rübe! :-))

Viele Grüsse,
Daniel.

Heinz Wäscher
09.07.2002, 08:37
Hallo,
auch wenn mir einige den Kopf abreißen würden:
Du erlebst jetzt eine ganz schwere Zeit,weil Du Dich sehr stark auf einen Menschen und sein Schicksal konzentrierst.
Als Arzt hat man schon etwas mehr Abstand,da man nicht mit der direkten Pflege betraut ist.
Natürlich siehst Du als Arzt auch,wie schlimm das Leben für viele Menschen ist,aber Du hast nicht einen derartig engen Bezug zu ihnen wie Du ihn jetzt hast.
Als Arzt hast Du außerdem die Gewißheit,das Du Deine Patienten BEHANDELN kannst,sowohl therapeutisch als auch palliativ!
Gerade in der Pflege kam ich mir deshalb oft auch so ohnmächtig vor,irgendwelche Mediziner lassen Patienten verrecken anstatt ihnen mit einer sinnvollen Schmerztherapie einen würdevollen Tod zu bereiten(um mal ein Beispiel zu bringen)
Außerdem find ich es super,daß Du Dich anderen mitteilst,Du verarbeitest jetzt das Verdrängte,es stürzt Dich in Tiefen,es wird Dir aber auch zeigen,daß Du daraus etwas lernen kannst
Nimm DEINE Bedürfnisse ernst und sprich Dich mit anderen Betroffenen aus
Mit Deiner Einstellung wirst Du bestimmt ein guter Arzt!
Heinz

ClooneyGeorge
10.07.2002, 08:20
Danke für eure netten Worte Leute, dass hat wirklich gut getan.
:-blush
Mir geht es seit gestern wieder was besser, der Blutdruck liegt im grünen Bereich...ansonsten werd ich wohl nächste Woche noch Urlaub nehmen, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen.

:-winky

Festus
10.07.2002, 19:05
Ich will ja nicht negativ erscheinen, aber wenn Du den Stress und die Belastung durch die Arbeit mit Kranken nicht aushältst, such dir lieber einen anderen Studiengang aus !

:-dagegen

Lion
10.07.2002, 19:16
Sorry, aber bei der Größe des Betätigungsfeldes halte ich das einfach nur für blanken Unsinn.

Bastian
10.07.2002, 19:49
Wenn man die Arbeit mit Patienten nicht erträgt kann man immer noch Radiologe werden. so etwa?

Lion
10.07.2002, 20:36
Das zum einen.
Zum anderen kann man doch nicht sagen, daß jemand, der Probleme mit der alleinigen Pflege eine MS-kranken (ohne jegliche Vorausbildung) hatte, von vorne herein für Patientenkontakt ungeeignet ist.
Hallooo? Meint das jetzt wirklich jemand ernst?
Dolor hat vollkommen recht. Was da teilweise im Zivildienst abläuft (bezüglich Verheizen) ist unter aller Sau.
Mein Bruder z.B. hat in einer Behindertenschule Zivi gemacht. Die Eltern waren froh ihre Kinder los zu sein und haben sie selbst mit übelsten Krankheiten hingeschickt.

Sebastian1
11.07.2002, 08:17
Jop, das mit dem Zivi kann ich bestätigen. Ich hab damals angefangen in einem mobilen sozialen Hilfsdienst - von der Arbeit her war das relativ lkau, wenn auch miserabel von der Planungg her. Gewechselt hab ich die Stelle, nachdem ich mich übel von einem Vorgesetzten habe beschimpfen lassen müssen in ein Altenpflegeheim. Das hat mir zwar wirklich Spaß gemacht und mich eigentlich auch erst auf den Weg über die Pflegeausbildung zur Medizin gebracht, aber die Arbeitsbelastung war - für eine völlig ungelernte Person - doch recht hoch; abgesehen davon habe ich retrospektiv ne Menge Fehler in der Pflege im Zivi gemacht - dabei ist zwar nie jemand zu Schaden gekommen, aber es hätte schnell passieren können. Woher soll der Durchschnittszivi so etwas auch wissen? Nichtsdesztotrotz war der Zivi für mich durchaus eine positive Erfahrung (in der zweiten Stelle).

Zum Problem des Ursprungsposters: Bekomm erstmal ein wenig Distanz zu der Problematik, atme tief durch und überlege dir in aller Ruhe, was du möchtest. Mach nach dem Zivi einfach mal ein Praktikum im Krankenhaus, vielleicht gar nicht mal zuerst das Pflegepraktikum, sondern lauf mal ein paar Tage mit nem Doc mit, bekomme Einblick in seinen Arbeitsalltag. Und dann kannst du deine Entscheidung immmer noch treffen.
Ich glaube, fast jeder hier im Forum dürfte schonmal ne Erfahrung gemacht haben, wo er oder sie an seine Grenzen gelangt ist oder arg ins Zweeifeln gekommen ist, was die Berufswahl betrifft :)

Gruß,
Sebastian

Nico
11.07.2002, 09:01
"Ich glaube, fast jeder hier im Forum dürfte schonmal ne Erfahrung gemacht haben, wo er oder sie an seine Grenzen gelangt ist oder arg ins Zweifeln gekommen ist, was die Berufswahl betrifft :) "


Oh ja......bin gerade wieder mal am Zweifeln.
Jetzt erhöhen sie sogar noch die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin. *grummel*

Jahrelanges Studieren und dann noch jahrelange Weiterbildung.

Kann es das denn wirklich sein???
*zweifel*

Nico

airmaria
11.07.2002, 13:05
@Nico:
Du mußt doch nicht in Deutschland bleiben?!
Grüße, "Mary" :-???

Nico
11.07.2002, 16:47
Wenn ich alleine wäre, würde ich das auch nicht - aber mit zwei kleinen Kindern sieht alles schon ganz anders aus. :-???
Hier habe ich meine Eltern als Unterstützung.

hobbes
11.07.2002, 21:44
Wohin würdest du denn gehen?? Letztlich musst du doch hier bleiben! Man wartet ja nicht an allen Ecken und Enden auf Deutsche Ärzte.

Zum eigentlichen Posting: Ich kann wie meine Vorredner bestätigen, dass die Belastung durch die Betreuung einer Einzelperson wohl psychisch grösser ist, als die Betreuung mehrerer Patienten mit einem gewissen Abstand.
Schlussendlich muss man sich aber immer vor Augen halten, dass es zwar gut, wenn man sich in die Patienten einfühlen kann. Mit den Patienten aber emotional völlig unterzugehen und in einer depressiven Stimmung zu landen, das bringt dem Patienten nichts und dem Arzt schon gar nicht.
Der erwähnte MS-Patient ist ja ein chronisch Kranker. Er hat im Verlaufe seiner Erkrankung sicherlich in gewissem Sinne gelernt mit seiner Krankheit umzugehen (coping) und kann sie so einigermassen ertragen (was nicht ausschliesst, dass er belastet ist). Dieses coping muss wohl auch der Pflegende durchmachen.

airmaria
11.07.2002, 21:59
@Nico: erschwert die Sache natürlich, aber macht sie nicht unmöglich (Mein Cosin war z.B. mit zwei kleinen Kinder und Ehefrau für 4 Jahre in den Staaten)

@hobbes: gesucht wird nach deutschen medizinern vor allem in England, Schweden und in der Schweiz hat man auch ganz gute Chancen!

Grüße, Mary

Nico
11.07.2002, 22:49
Naja, dein Cousin hatte aber seine Frau mit, die auf die Kinder aufpassen konnte.
Was mach ich ohne Mann? :-???

12.07.2002, 13:41
Na, das hätte sich die Puppe doch vorher denken können, das man wenn man Medizin macht, besser aufpasst mit dem Kinderkriegen. Weiss doch jedes Kind, dass die Arbeitszeiten beschissen sind und man Beruf und Familie nur schwer kombinieren kann.
Und sich dann auch noch beschwere, man könne nicht ins Ausland, blabla, weil in Deutschland alles so ******** ist. Wie naiv ist denn das ?

Nico
12.07.2002, 13:47
Aufpassen????
Wie kann man Wunschkinder bekommen, wenn man aufpasst?

Besser ist es, wenn manche Leute keine Kinder in die Welt setzen - ich denk doch nicht nur an Karriere und Geld.....

:-love


Komischerweise scheint es immernoch ein Frauenproblem zu sein, Beruf und Familie vereinbaren zu können.....
Die Kinder scheinen keine Väter zu haben, die sich um sie kümmern. :-???

Heinz Wäscher
12.07.2002, 14:01
Meine Güte!
Warum können manche Menschen es nicht einfach hinnehmen,daß sich junge Leute BEWUSST für ne Familie entscheiden?
Ich persönlich bin noch viel zu unreif für ne family,aber trotzdem kann es doch bei anderen klappen,oder?
Heinz

hobbes
12.07.2002, 15:09
@airmaria: Der Ausweg über das Ausland ist dennoch nicht so einfach wie hier dargestellt. England: Die Saläre in England sind wohl nicht gerade grandios. Schweden: Kannst du schon schwedisch oder willst du dich mit deinen Patienten mit Händen und Füssen verständigen? Schweiz: Ok, die Frage ist bloss ob ihr alle in der Psychiatrie o. ä. arbeiten wollt.

Eigentlich darf es ja nicht sein, dass Deutschland bei einem aufkeimenden Ärztemangel, die eigenen für teueres Geld ausgebildeten Leute davon laufen müssen. Aber das ist ein politisches Problem, das in diesem Forum schon an anderer Stelle diskutiert wurde.

zu Kind und Familie: ich denke es gibt immer Wege sich zu organisieren. Man sollte jedoch nicht Probleme hochstilisieren, die wir gar nicht haben. Jeder muss sich mit Kindern organisieren, das ist in allen Berufen so, nicht nur bei Ärzten.