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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : SVV und Medizinstudent bzw. Arzt?



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04.08.2002, 17:05
Hi!

Was würdet ihr davon halten wenn jemand, der an selbstverletzendem Verhalten (SVV) leidet/litt, in Therapie war, und sehr stabil ist, Arzt wird? Mich würde eure Meinung mal interessieren, schließlich verletzt man ja höchstens sich selber und nicht andere, also dürfte der Arztberuf ja kein Problem sein, oder? Wie würdet ihr reagieren wenn ihr z.b. bei Seminaren wie "Anatomie am Lebenden" bemerkt, dass sich einer eurer Kommilitonen selbst verletzt? Würdet ihr ihn sofort als unfähig erklären? Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr erfahrt, dass einer eurer Kollegen sich selbst verletzt/verletzte?

Vielen Dank schon mal im Voraus für eure Antworten.

Festus
05.08.2002, 08:36
Also ganz ehrlich, ich würde das -vor allem wenn es vorbei ist- garantiert nicht überbewerten.

Das geht so in die Richtung meines vielgescholtenen Beitrags im Dogenthread: Warum sollen wir zukünftigen Ärzte so viel besser, stabieler und moralisch wertvoller sein als das Rest ?

05.08.2002, 16:30
Das geht so in die Richtung meines vielgescholtenen Beitrags im Dogenthread: Warum sollen wir zukünftigen Ärzte so viel besser, stabieler und moralisch wertvoller sein als das Rest ?


Der Dogenthread. Spannend!!!
Genau, Ärzte sind auch nicht stabiEler.
Und Rechtschreibung können sie anscheinend auch nicht mehr.

Lion
05.08.2002, 17:00
Um auf das Thema zurückzukommen. Ich halte das für sehr problematisch. Meine Meinung: ungeeignet (unverantwortlich?) für alle Heilberufe. Was heißt denn stabil? Dafür gibt es doch keine Gewissheit, oder? Siehe Beispiel Präpkurs. Ob jemand eine Gefahr für sich selber darstellt will ich nicht beurteilen, allerdings stellt diese Person zu jeder Zeit eine Gefahr für die Versorgung der Patienten dar. Am besten wir diese Person später mal Chirurg und anstatt dem Patienten den Appendix herauszuschneiden, schnibbelt er lieber ein bischen an sich selber rum.
Hört sich evtl. etwas heftig an, aber meiner Meinung nach hat so eine Person in einem Beruf mit so viel Verantwortung nichts zu suchen.

05.08.2002, 18:23
Lion, hast du Erfahrung mit psychisch Kranken und ehemaligen psychisch Kranken? Oder sind das doch nur irgendwelche Vorstellungen, die du hier kundtust?
Wie kommst du zu der Behauptung, daß ein Mensch, der früher einmal sich selbst verletzt hat, nie wieder stabil werden kann?
Psychische Krankheiten - ein Stigma auf immer und ewig?
Und was soll das bedeuten: "Ob jemand eine Gefahr für sich selber darstellt will ich nicht beurteilen, allerdings stellt diese Person zu jeder Zeit eine Gefahr für die Versorgung der Patienten dar." Wenn du so eine Theorie aufstellst, solltest du auch Belege oder zumindest eine nachvollziehbare Begründung dafür geben.
Ich bin auf jeden Fall der Meinung, daß ein Arzt über eine gewisse psychische Belastbarkeit verfügen sollte, aber diese einem Menschen abzusprechen, der in der Vergangenheit eine labile Phase hatte und sie mit Hilfe einer Therapie überwunden hat, halte ich doch für abenteuerlich.
Die June

June
05.08.2002, 18:26
ups - der war von mir der letzte Beitrag... :-blush
Die June

Festus
05.08.2002, 18:38
Da denk ich allerdings in die selbe Richung wie June !

Warum sollen Menschen mit psychischen Problemen die nicht überwinden können ?
Das keiner, der mal Probleme hatte Arzt werden kann ist doch etwas sehr hart (siehe deinen fragwürdigen Appendix-Kommentar), oder sollten z.B. alle die mal Esstörungen oder Depresionen oder z.B. post-traumatische Störungen hatten auch die Approbation verweigert bekommen ?

Bastian
05.08.2002, 20:22
Ärzte sind leider nicht stabiler bzw. seelisch gesünder als der "Normalbürger". Ganz im Gegenteil: die Statistik weiß zu berichten, dass Ärzte eine doppelt so hohe Suizidrate aufweisen wie die Durchschnittsbevölkerung. Auch die Suchtrate ist signifikant erhöht, besonders unter den Chirurgen und Anästhesisten.

Und ganz unter uns: man braucht schon eine kleine Neurose, um sich überhaupt in diesen Beruf zu stürzen.

Gruss

Bastian

PS: auf Grund meiner Famulatur- und PJ-erfahrungen finde ich schon, dass ein grosser Teil der Anästhesisten permament bekifft wirken. Oder sind vielleicht nur die Anästhesiegeräte etwas undicht? ;-)

UofM
05.08.2002, 20:36
Also, ich bin der Threadurheber, und hab mich jetzt erst mal registriert, um die Verwirrung gar nicht erst herbeizuführen, werd jetzt also weiter als UofM schreiben.

Danke erstmal für die Antworten, ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass zu dem Thema eine Diskussion zustande kommen würde.

@Festus: "Warum sollen wir zukünftigen Ärzte so viel besser, stabieler und moralisch wertvoller sein als das Rest ?", gute Frage, dass frag ich mich auch, ich mein, mir ist klar das bei Ärzten einfach die Verantwortung dahinter steht, aber allein durch oder aufgrund dieser sind sie ja auch nicht frei von Problemen jeglicher Art, also kurzum, kann mich deiner Meinung voll anschließen.

@Lion: "Siehe Beispiel Präpkurs. Ob jemand eine Gefahr für sich selber darstellt will ich nicht beurteilen, allerdings stellt diese Person zu jeder Zeit eine Gefahr für die Versorgung der Patienten dar. Am besten wir diese Person später mal Chirurg und anstatt dem Patienten den Appendix herauszuschneiden, schnibbelt er lieber ein bischen an sich selber rum.", ich kann deine Meinung, dass jemand der an SVV leidet keinen Heilberuf ergreifen sollte, verstehen, schließlich ist das deine Meinung, um die ich ja auch gefragt habe, allerdings finde ich dein Bespiel/Begründung um mal mit June´s Worten zu sprechen doch sehr abenteuerlich. Was ich beim besten Willen nicht verstehe ist wie derjenige eine Gefahr für den Patienten darstellen soll wenn er stabil ist, und es ist ja auch SELBST- und NICHT Fremd-verletzendes Verhalten. Was ich damit sagen will, ist, dass ich mir nicht vorstellen kann,dass ein SVV´ler andere verletzen würde, denn das ist ja grad Sinn und Zweck der Sache, sich selbst aber keinesfalls andere zu zerstören. Jetzt kommt sicher der berechtigte Vorwurf, wie man anderen helfen kann, wenn man sich selbst zerstört, aber es ist sehr gut möglich, und falls man so labil ist, dass man anderen schaden würde, da man sich SELBST zerstört hat, denk ich sollte man vorher, bzw. würde ich auch vorher die Notbremse ziehen, und den Beruf an den Nagel hängen. Dass "rumschnibeln" bei der Appendix-OP ist wohl auch etwas extrem übertrieben, erstens kenne ich keinen einzigen SVV´ler, der sich in der Gegenwart anderer verletzten würde, und zum 2. schneidet man sich ja nicht aus Spass an der Freude mal so nebenbei bei ner Appendix OP, sondern weil man Gefühle zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht anders regulieren kann, oder um z.B. aus einem dissoziativen Zustand rauszukommen. Da solche Geühle oder Zustände allein schon aufgrund der gebotenen Konzentration bei einer OP nie (ich weiss, nie gibt es nicht, aber ich meine es trotzdem ;-) ) auftreten werden, dürfte logisch sein.

@June: "Ich bin auf jeden Fall der Meinung, daß ein Arzt über eine gewisse psychische Belastbarkeit verfügen sollte, aber diese einem Menschen abzusprechen, der in der Vergangenheit eine labile Phase hatte und sie mit Hilfe einer Therapie überwunden hat, halte ich doch für abenteuerlich", genau das meint ich, müssen Menschen doppelt, erst mit den seelischen Folgen, und dann mit einer verbauten Zukunft, für etwas bestraft werden, obwohl sie keine Schuld an der Ursache tragen? Dass man nicht in der labilsten Phase Medizin studiert ist logisch, und ich denk mal, jemand der labil ist würde kaum ein Medizinstudium anstreben, also kurzum, bin wie bei festus voll deiner Meinung


:-meinung

@all: Sorry, dass es so lang wurde, und Danke erstmal, würde mich echt freuen wenn die Diskussion noch etwas weiter gehen würde.

UofM

05.08.2002, 20:40
Hallo ratsuchender "unregistered",

bei einem so sensiblen Thema würde ich mich nicht auf die hier teilweise (Betonung: nicht alle) schreibenden selbsternannten Experten verlassen.


Meine Meinung: ungeeignet (unverantwortlich?) für alle Heilberufe.
Hier schreibt ein Student aus dem dritten Semester!
Würde er vorsichtig seine Meinung vertreten, wäre es in Ordnung, aber er posaunt lautstark eine unhaltbare These heraus. Wäre er Prof. Dr. Dr. Dr. für Psychiatrie mit 30 Jahren Berufserfahrung, könnte man einer solchen Meinung mehr Achtung abgewinnen.
Laß Dich durch solche Ferndiagnosen bitte nicht verunsichern.

Da ich auch erst im vorklinischen Studium bin, kann ich Deine Lage ebenfalls nicht beurteilen.
Ist der Fall, den Du schilderst, eigentlich rein hypothetisch, oder bist Du der/diejenige, der/die an SVV leidet und jetzt Medizin studieren möchte?

Ein Philosoph (Platon, laut philosophischer Tertiärliteratur) hat gesagt :
"Ein wahrer Arzt muß alle Krankheiten, die er heilen will, und alle Umstände und Wechselfälle, deren Beurteilung ihm aufgegeben ist, am eignen Leib erfahren haben."
Warum also nicht SVV & Medizinstudium?
Aber wie gesagt....das Thema ist zu sensibel für Laienratschläge.

Bettina

UofM
05.08.2002, 20:56
Hallo Bettina!

Der Fall ist (leider) nicht hypothetisch, ich wollte seit ich denken kann, und möchte immer noch Medizin studieren, allerdings stellt sich da halt obiges Problem aus Sicht mancher (nicht aus Sicht der Therapeuten, welche eindeutig zum Studium raten) dar. Aufgrund dessen wollte ich halt gerne die Meinung einiger Studenten selber hören.
Dass mit Platon ist gar nicht so schlecht, ich mein genau betrachtet kann das ganze doch bei einer hohen Stabilität des Arztes doch wirklich hilfreich sein. ZB.: stelle ich es mir für einen Chirurgen, der kaum etwas von dem Thema bisher gehört hat, und nun jemand mit einer tiefen Schnittwunde versorgen soll, doch sehr schwer vor, einfühlsam oder beruhigend mit dem Patienten umzugehen, wenn er absolut nicht nachvollziehen kann warum sich jemand selber verletzt. Ich denke also durchaus, dass erfolgreich überstandene psychische Krankheiten auch dazu beitragen können Patienten effektiver, und vielleicht auch etwas humaner zu helfen (es gibt da zahlreiche sehr negative Beispiele wie Ärzte auf eine selbst herbeigeführte Schnittwunde reagieren, und diese Reaktion würde sicher etwas anders ausfallen wenn man die Hintergründe/Ursachen verstehen oder nachvollziehen, oder zumindest tolerieren könnte).

Schönen Abend noch....UofM

Epsilon
05.08.2002, 21:04
Da du ja annonym bist...
Würde es dir was ausmachen uns etwas über die Hintergründe
von SVV aufzuklären? Bzw. eigene Erfahrungen, soweit das nicht zu privat wird.
Ich denke da ist bei den meisten noch Bedarf.

Gruss
Epsilon

05.08.2002, 21:10
Würde es dir was ausmachen uns etwas über die Hintergründe
von SVV aufzuklären?

Würde mich auch interessieren.

UofM
05.08.2002, 21:56
"Würde es dir was ausmachen uns etwas über die Hintergründe
von SVV aufzuklären? Bzw. eigene Erfahrungen, soweit das nicht zu privat wird."

Das macht mir natürlich nichts aus, im Gegenteil, bin höchstens froh wenn ich etwas Klarheit schaffen oder nen paar Vorurteile ausräumen kann.

Der Text besteht aus dem Hauptteil, in "..", diese Infos stammen von der Seite www.rotetraenen.de, da die Infos 1. da ziemlich gut sind, und es 2. doch einige Tipparbeit erspart :-blush . Alles was nicht in ".." steht, sind dann eigene Erfahrungen bzw. Kommentare von mir.

SVV


Was ist SVV?

"SVV heisst SelbstVerletztendes Verhalten und tritt in verschiedenen Formen auf.

- schneiden mit scharfen Gegenständen wie z.B. Rasierklingen und Messern
- mit Scherben die Haut einritzen
- Wiederholtes Kopfschlagen
- Ins-Gesicht-schlagen
- In-die-Augen-bohren
- Beißen in Hände, Lippen oder andere Körperpartien
- oberflächlichen Hautverletzungen
- Verbrühungen
- sich mit Zigaretten oder einem Bügeleisen Verbrennungen zufügen
- Abbeißen von Fingerkuppen
- Verletzungen durch Kopfschlagen
- exzessiver Sport
- ungesunde Ernährung
- zuwenig Schlaf "

auf mich trifft ersteres zu, aber wie ihr seht ist die Spannbreite doch recht groß, und die Übergänge fließend, z.b. zählen einige (exzessives) Fingernägelkauen zum SVV, also die Zuordnung ist nicht immer ganz klar.


Wer macht es?

SVV » Wer macht es?


"Das Gesamtbild zeigte sich bei Menschen, die:

- sich selbst nicht leiden können und sich verneinen
- sehr empfindlich auf Ablehnung reagieren
- chronisch ärgerlich sind, normalerweise auf sich selbst
- dazu neigen, ihre Angst zu unterdrücken
- einen hohen Grad aggressiver Gefühle besitzen, was sie sehr stark mißbilligen und dann häufig unterdrücken, oder nach innen lenken
- impulsiver sind und es an Impulskontrolle mangelt
- dazu neigen nach ihrer momentanen Stimmungslage zu handeln
- dazu neigen, in den Tag hinein zu leben und nicht weiterzuplanen
- die depressiv und selbstmordgefährdet/selbstzerstörerisch sind
- unter chronischen Angstzuständen leiden
- leicht reizbar sind
- die sich selbst als nicht fähig erachten, mit Situationen und Emotionen umzugehen
- keine vielfältigen Möglichkeiten der Verarbeitung und Bewältigung besitzen
- glauben, daß sie nicht die Fähigkeit besitzen, ihr Leben zu meistern
- dazu neigen, "den Kopf in den Sand zu stecken", vermeiden Probleme
- kein Selbstvertrauen besitzen
- sich als machtlos empfinden
- sich überall, wo sie sind, allein fühlen
- sich emotional niemandem anvertrauen, sich auf niemanden verlassen können


Genaue Zahlen, wie viele Menschen sich in Deutschland selbst verletzen gibt es nicht, nach Schätzungen sind es ca. 800.000 Mädchen, mit Sicherheit sind es aber mehr. Daten über Jungen gibt es kaum, die Zahl wird aber als deutlicher geringer eingestuft, das Verhältnis ist etwa 5:1.
Das sich hauptsächlich Mädchen ritzen wird darauf zurückgeführt, dass sie nach gesellschaftlichen Normen ruhiger und fürsorglicher als Jungen sein sollen, ihre Aggressionen oft nicht ausleben dürfen. Schon in der Erziehung haben sie Angst vor Liebesentzug, da sich ihre Agressionen als erstes gegen die Mutter richten, dies führt zu einem nach Innen richten der Aggressionen, Jungen agieren eher fremdaggressiv.
SVV beginnt häufig in der Pupertät, sie ist eine schwierige Phase in der es ein grosses Aggressionspotential gibt, dass Mädchen schlecht nach aussen bringen können. Sie suchen die Fehler oft bei sich selbst, wenn sie einen Verlust von Liebe und Anerkennung erfahren, nachdem sie versucht haben ihre Interessen durchzusetzen, aus diesem Konflikt resultiert oft eine depressive oder autoaggressive Reaktion."

Dem obigen kann ich größtenteils zustimmen, allerdings sollte man doch auch differenzieren, da SVV´ler nicht gleich SVV´ler ist.

"einen hohen Grad aggressiver Gefühle besitzen "-trifft auf mich persönlich und auf viele SVV´ler die ich kenne nicht zu, nur, dass wenn wirklich Agressionen aufkommen diese (natürlich?) gegen sich selber gelenkt werden

" dazu neigen nach ihrer momentanen Stimmungslage zu handeln"- kann passieren, aber würde ich nicht umbedingt als charakteristisch ansehen

" dazu neigen, in den Tag hinein zu leben und nicht weiterzuplanen"- trifft auf viele, und auf mich ebenfalls nicht zu, ich mein, nur mit in den Tag hinein leben, schafft man vielleicht nicht unbedingt nen gutes ABI trotz chronischer Post-traumatischer Belastungsstörung und diverser anderer Probleme, oder?

"leicht reizbar sind, die sich selbst als nicht fähig erachten, mit Situationen und Emotionen umzugehen", im akuten Stadium wahrscheinlich ja, bei einiger Stabilität kaum

" keine vielfältigen Möglichkeiten der Verarbeitung und Bewältigung besitzen "- das hängt wohl sehr stark mit den Ursachen des SVV wie z.B. Deprivation oder Traumata, zusammen

" sich als machtlos empfinden
- sich überall, wo sie sind, allein fühlen
- sich emotional niemandem anvertrauen, sich auf niemanden verlassen können"- wohl auch alles größtenteils Ursachen-bedingt


Ursachen

"Um die Ursachen für SVV herauszufinden, betrachtet man die Zeit von Kindheit bis Pubertät. Verschiedene Gegebenheiten während dieser Zeit können zuverlässige Indikatoren für die Häufigkeit wie auch die Schwere der Verletzungen sein.
... Vernachlässigung ist der stärkste Auslöser für SVV. Dieses deutet darauf hin, daß obwohl ein Kindheitstrauma ein starker Auslöser für den Beginn des selbstverletzenden Verhaltens ist, die Vernachlässigung dieses Verhalten aufrechterhält. Die, die sich nicht erinnern konnten, sich als Kind als etwas besonderes gefühlt zu haben oder von geliebt zu sein, waren am wenigsten fähig ihre Selbstverletzung unter Kontrolle zu bekommen.
Opfer von sexuellem Missbrauch neigen am ehesten von allen zum Schneiden. Je früher der Missbrauch anfing, desto eher griffen die Betroffenen zum Messer und desto tiefer waren die Schnitte.
Obwohl sexueller und physischer Missbrauch und Vernachlässigung SVV offensichtlich stark begünstigen, hält die Umkehrthese diesem nicht stand. Viele von denen die sich selber verletzen, haben in der Kindheit keinen Missbrauch erlebt.
Linehan (1993a) spricht darüber, dass Leute mit SVV in krankmachender Umgebung aufgewachsen sind. Während natürlich Missbrauch ganz sicher krank macht, so gibt es jedoch auch andere, ganz "normale" Situationen, die auch krank machen können. Sie sagt:"
"Eine Umgebung, in der der Mensch nicht beachtet und geachtet wird ist eine, welche persönliche Erfahrungen unstet, unangemessen oder extrem spiegelt. In anderen Worten ist das Formulieren von eigenen Erfahrungen nicht erwünscht; anstatt dessen wird es oft bestraft und/oder ins Lächerliche gezogen. Das Formulieren von schmerzvollen Erfahrungen wird abgelehnt. Die persönliche Auslegung des eigenen Verhaltens, inklusive der Erfahrung, mit welcher Absicht und Motivation etwas getan wurde, werden abgewertet..."
"Das was krank macht, hat zwei primäre Charakteristiken. Erstens sagt es dem Individuum, dass es falsch liegt, in der Beschreibung wie auch der Analyse der eigenen Erfahrung. Speziell die Sicht dessen, was seine Gefühle, seinen Glauben und seine Handlung hervorruft. Zweitens werden ihre Erfahrungen als von der Gesellschaft unakzeptable Charakteristika oder unakzeptable persönliche Züge eingestuft."

spricht glaub ich für sich, aber falls nicht, beantworte ich gerne eventuell anfallende Fragen.


SVV und ....



"Es werden verschiedenste klinische Diagnosen im Zusammenhang mit Selbstverletzendem Verhalten gestellt. Die wichtigsten, allgemein anerkannten Diagnosekriterien sind im DSM (Diagnostisches Statistisches Manual) und dem ICD (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) zu finden.
Oft ist es auch gar nicht möglich, die Diagnose so klar zu stellen bzw. PatientInnen haben mehrere Diagnosen gleichzeitig oder nacheinander:
"Die Leitsymptomatik SVV steht nie isoliert. Sie ist stets verbunden mit weiteren selbstschädigenden Verhaltensweisen und Symptombildungen." (Sachsse, 1989a, 32)"

UofM
05.08.2002, 22:04
SVV » SVV & ... » Borderline-Persönlichkeitsstörung


"Von AutorInnen wie Gardner & Cowdry und Walsh & Rosen werde die offene Selbstverletzung als Manifestation einer Borderline - Persönlichkeitsstörung angesehen, so Herpertz und Saß. (Herpertz & Saß, 300)
Offensichtlich ist auf jeden Fall die hohe Anzahl an Borderline - Persönlichkeitsstörungs - Diagnosen bei PatientInnen mit Selbstverletzendem Verhalten.
Herpertz fand in ihrer Untersuchung mit Selbstverletzungs - PatientInnen 50% mit Borderline - Persönlichkeitsstörung. (Herpertz, 119)
Sachsse, Eßlinger und Schilling fanden in einer explorativen Studie mit der unter anderem der Zusammenhang vom Kindheitstrauma und späterer schwerer Persönlichkeitsstörung erklärt werden sollte, bei der leitfadengeleiteten Durchsicht von 43 Krankenakten von PatientInnen mit Selbstverletzendem Verhalten, die zwischen 1977 und 1992 im niedersächsischen Landeskrankenhaus behandelt wurden, 28 mit der Diagnose Borderline - Persönlichkeitsstörung. (Sachsse & Eßlinger & Schilling, 16)
Die Borderline - Persönlichkeitsstörung wird, ebenso wie Selbstverletzendes Verhalten, überwiegend (zu 75 %) bei Frauen diagnostiziert. (DSM - IV, 737)
Aktuelle Publikationen weisen immer wieder auf den Zusammenhang zwischen Borderline - Persönlichkeitsstörung und Sexuellem Mißbrauch in der Anamnese hin. (Shearer et al.; Herman et al.; Dulz & Schneider; Bryer et al. und Stauss, zitiert nach Sachsse et al.)
Auch in Hinblick auf den Zusammenhang mit Sexuellem Mißbrauch gibt es Entsprechungen beim Selbstverletzendem Verhalten. (vgl. Kapitel 6.3.4.) Eine gute Übersicht über Studien zum Zusammenhang zwischen Borderline - Persönlichkeitsstörung und Sexuellem Mißbrauch geben Sachsse et al., die von ihnen genannten Prävalenzen reichen von 19% - 73% BorderlinerInnen, die sexuell mißbraucht worden sind. (Sachsse et al., 15)
Herman et al. berichten aus ihren Forschungen, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ein Opfer Sexuellen Mißbrauchs Symptome einer Borderline - Persönlichkeitsstörung entwickele, stiege mit einem frühen Beginn und besonderer Schwere des Mißbrauchs. (Herman et al., 491)
Hänsli meint, daß sich im automutilativem Verhalten viele Facetten der Borderline - Persönlichkeitsstörung kristallisieren würden. Selbstverletzendes Verhalten werde als ein Zeichen für eine schwere Form der Borderline - Persönlichkeitsstörung betrachtet. (Hänsli, 80)
Selbstverletzendes Verhalten ist auch eines von neun diagnostischen Kriterien des DSM - IV, von denen mindestens fünf für die Diagnose Borderline - Persönlichkeitsstörung zutreffen müssen."

Wie schon oben erwähnt wurde, nicht alle SVV´ler sind auch Borderliner! (ich z.B. nicht). Leider werden diese zwei Probleme allzu oft gleichgesetzt, aus Unwissen, oder aus welchen Gründen auch immer


SVV » SVV & ... » PTS D


"Die Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" (PTSD) beinhaltet zunächst kein Selbstverletzendes Verhalten als Kriterium, jedoch wird selbstschädigendes Verhalten als mögliches zugehöriges Merkmal oder zusätzliche Störung dieses Krankheitsbildes genannt. (DSM - IV, 489)

Zahlreiche AutorInnen stellen einen Zusammenhang zwischen Sexuellem Mißbrauch und Posttraumatischer Belastungsstörung her. (vgl. u.a. Wenninger, 22 ff. ; Wirtz, 85; Woltereck, 108)
Herman hält die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung für nicht ganz zutreffend für Opfer Sexuellen Mißbrauchs, da Opfer eines langandauernden, wiederholten Traumas häufig eine sehr viel komplexere Symptomatik zeigen würden, sie schlägt ein Syndrom mit dem Namen "Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung" vor, bei dem sie - im Gegensatz zur Posttraumatischen Belastungsstörung - unter dem Kriterium "Störung der Affektregulation" auch Selbstverstümmelung fassen würde. (Herman, 165 ff) Sachsse et al. weisen auf die phänomenologischen Ähnlichkeiten zwischen der Borderline - Persönlichkeitsstörung und der Posttraumatischen Belastungsstörung hin und zeigen, daß auch die Borderline - Symptomatik sich psychodynamisch als Traumafolge verstehen und konzeptionalisieren lassen könne. (Sachsse et al. , 17)"



SVV » SVV & ... » Eßstörungen


Eßstörungen sind ein sehr weit verbreitetes Phänomen, auch hierbei sind vor allem Frauen betroffen. (DSM - IV, 623) Es gibt drei große Formen von Eßstörungen:
Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimie (Eß - / Brechsucht) und Adipositas (Eßsucht).
Hänsli schreibt, daß die Koexistenz von Eßstörungen und Selbstverletzendem Verhalten augenfällig wäre. (Hänsli, 97)
Hänsli versucht anhand der Durchsicht der Literatur zu diesem Thema Analogien zwischen Selbstverletzendem Verhalten und Eßstörungen deutlich zu machen. Hier nennt er als Gemeinsamkeiten unter anderem:
Den vornehmlichen Beginn in der Pubertät; das unwiderstehliche, zwanghafte, fast suchtartige Bedürfnis zu Schneiden, bzw. zu Verschlingen, zu Erbrechen oder zu Fasten; die emotional kathartische, selbstreinigende Funktion, die entlastende Wirkung; die appellative Wirkung des dargebotenen Marterbildes; den pathologischen Konflikt zwischen Körper und Selbst, unter anderem die Entfremdung vom Körper, ein negatives Körperbild; denVersuch, den Körper zu beherrschen; denVersuch, sich selbst und der Umgebung Macht, Autonomie und Unabhängigkeit zu beweisen; sexuelle Konflikte und den Suchtcharakter (die Handlung übernimmt längerfristig selber die Kontrolle). (Hänsli, 102 ff.)
Die Patientinnen von Sachsse hatten alle Eßstörungen, gegenwärtig, oder in der Vergangenheit. (Sachsse, 1995a, 48)
Der Zusammenhang zwischen Sexuellem Mißbrauch in der Kindheitsgeschichte und Eßstörungen im Jugend - und Erwachsenenalter ist empirisch belegt. (vgl. Teegen)
Einen Zusammenhang zwischen Eßstörungen und Selbstverletzendem Verhalten fanden viele AutorInnen. (Goldney; Favazza & Conterio; Favazza et al.; Croß; Lacey; Herpertz & Saß; Teegen)
Teegen wollte mit ihrer Studie "Sexuelle Kindesmißhandlung und die Entwicklung von Eßstörungen" (1998) zur Klärung der Häufigkeit traumabezogener Eßstörungen beitragen. Sie gab 541 Frauen, die sich über sexuelle Mißhandlung in der Kindheit bewußt waren und sich 1991 auf eine Fragebogenaktion in Frauenzeitschriften hin bei dem psychologischen Institut der Universität Hamburg gemeldet hatten, einen umfangreichen, vorstrukturierten Fragebogen mit 1315 Variablen mit Fragen zu allgemeinen Sozialdaten, Belastungen in der Ursprungsfamilie, Aspekte der sexuellen Traumatisierung, psychosoziale Folgen,somatische Viktimisierungsfolgen und Bewältigungsstrategien der Frauen. Sie unterteilte die Antworten in drei Untersuchungsgruppen:
1. ohne Angaben zu Eßstörungen
2. überwundene Eßstörung
3. chronische, aktuelle Eßstörung

47 % der Frauen machten Angaben zu Eßstörungen, 28 % litten noch zum Zeitpunkt der Untersuchung daran, diese machten hochsignifikant häufiger Angaben zu Depersonalisation und Selbstverletzendem Verhalten und waren in der Kindheit signifikant häufiger schwerwiegender Traumatisierung ausgesetzt und inzestuöser Mißhandlung durch mehrere TäterInnen. Teegen vermutet, daß Depersonalisation, Substanzmißbrauch, Störungen des Eßverhaltens - u.U. auch Selbstverletzendes Verhalten - automatisierte Strategien seien, die zur Stabilisierung des Selbstgefühls bei erhöhter Erregung einsetzen würden. (Teegen, 27)"



SVV » SVV & ... » Depressionen


"Frauen mit Depressionen können oftmals Wut nicht angemessen ausleben und sind gehemmt in der Fähigkeit, sich durchzusetzen. Ihre Konfliktlösung oder versteckte Auflehnung ist gekennzeichnet durch Vermeidung offener Konflikte aus Angst vor einer Trennung oder Verlust. Zu betrachten ist diese depressive Konfliktlösungsstrategie auf dem Hintergrund der Macht - und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Männern und Frauen in dieser Gesellschaft. (vgl. Crowley Jack, 1993, 69 ff.)
Dieser erlernte, typisch weibliche Weg der Konfliktbewältigung führt nicht zu nach außen gerichteten Aggressionen, sondern zu innengerichteten Symptomen (vgl. Hurrelmann, 1988, 106), folglich werden dann Aggressionen gegen sich selbst gewendet.
Crowley Jack beschreibt, wie sich eine negative Selbsteinschätzung bei Frauen mit Depressionen auswirkt:
"Diese beeinflußt Selbstwahrnehmung und Selbstachtung, führt dazu, daß die Wut gegen sich selbst gerichtet wird, bringt das Gefühl von Wertlosigkeit und Hoffnungslosigkeit hervor und bewirkt eine tiefgreifende Lähmung." (Crowley - Jack, 118) Herpertz fand bei klinischen Beobachtungen, daß von 60 PatientInnen mit Selbstverletzendem Verhalten 58 % aktuell depressive Symptome hatten, 73 % hatten dies früher, 85% waren früher suizidal. (Herpertz, 120)"



So, das wäre das ganze nun, einigermaßen gekürzt, aber wahrscheinlich trotzdem zu lang. Ich hoffe trotzdem, dass der Text einigermaßen verständlich ist.

Ich schätze es ist relativ schwer eigene Erfahrungen einzubringen, wenn man nicht genau weiss, was jemand wissen möchte, deshalb einfach der Hinweis, falls jemand irgendwelche weiteren Fragen hat, kann er gerne nachfragen, und ich werde natürlich versuchen diese so gut wie möglich zu beantworten.


UofM

Lion
05.08.2002, 22:11
Leute kommt bitte mal wieder von den Bäumen runter.

Um mal eins klarzustellen:

@Festus:
Leg mir keine Worte in den Mund, die ich niemals geschrieben habe. Ich habe meine Meinung nicht auf alle psychischen Krankheiten bezogen. Schalte Dein Hirn ein bevor Du die Tastatur benutzt.

@Bettina:
Ich halte mich nicht für einen pseudopsychologisch gebildeten Menschen. Ich habe meine persönliche subjektive Meinung geschildert, nicht mehr und nicht weniger. Deine dämlichen Sprüche bezüglich lautstarker Thesen und Prof. Dr.... kannst Du Dir sonstwohin stecken.

@Bastian, UofM:
Ich gebe zu, daß ich meine Meinung vermutlich nicht gut genug begründet habe. Daher danke ich Euch, daß ihr nicht gleich mit themafremden, teils beleidigenden Postings geantwortet habt.

Da offensichtlich wenige an einer Begründung meiner Meinung interessiert sind, sondern sie lieber kategorisch in den Boden stampfen, erspare ich mir weitere Antworten in diesem Thread.

Das Recht auf freie Meinung scheint wirklich noch nicht in alle Hirne vorgedrungen zu sein.

Epsilon
05.08.2002, 23:10
Hallo Lion,

ein grundsätzliches Problem an diesen Foren ist halt, daß man nicht realtime diskutieren kann. Außerdem kennt man die anderen nicht persönlich aber dafür ist es leichter persönlich zu werden...
Also sieh das ganze doch als Herausforderung und bleib im Spiel...

Schönen Gruss

Epsilon :-)

UofM
06.08.2002, 09:47
Hi Lion,

wenn du nix dagegen hättest, mich würde deine Begründung aber wirklich interessieren, schließlich kann man ja nur draus lernen, bzw. 1 oder 2 Leute mehr verstehen.


Gruß

UofM

Festus
06.08.2002, 10:00
@Lion:

Sorry, da hab ich dich echt leicht falsch verstanden ;-)

Aber ganz abwegig ist mein Gedanke eigentlich trotzdem nicht: Wie sieht es mit den anderen psychischen Krankheiten aus ? Ich kann da keinen prinzipiellen Unterschied zu SSV erkennen.

Was für mich halt nur die Folgerung zulässt, das jeder der therapiert oder zumindest selbst-kontrolliert ist auch Arzt werden kann und sollte.

Nico
06.08.2002, 10:11
Das "rote Tränen"-Forum gibt es zur Zeit nicht mehr.

Zum SVV meine Meinung:

Es ist Ausdruck verschiedener Gefühle - nicht nur eines Gefühls.
Wenn jemand lernt, einen anderen Weg für sich zu finden, als sich selbst zu verletzen, sehe ich kein Hindernis auf dem Weg zum Arzt mittels Medizinstudium.

Nur, der Arztberuf stellt doch eine Menge Anforderungen an einen selbst, ist recht belastend.
Wenn dann innere Spannungen auftreten, oder man sich selbst nicht mehr spürt, wie will man dann reagieren? Ohne SVV?

Ich finde es ein zweischneidiges Schwert, welches jeder für sich allein entscheiden muss.


Liebe Grüsse
Nico