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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Neurobio und der freie Wille



Gichin_Funakoshi
16.11.2006, 21:03
So, ich habe mittlerweile sehr bescheidene LK Kenntnisse über die Neurobiologie.
Jedoch gibt es etwas, was mich beschäftigt.
Die Integration von Erregungen, zum Teil ausgelöst durch einen Reiz,geschieht im Gehirn und funktioniert mittels Konvergenz. Geh ich beispielsweise in ein italienisches Restaurant und habe einen riesen Hunger, dann ist es mir egal, ob ich normalerweise italienisches Essen mag oder nicht.
Das bedeutet, dass die Erregung "Ich habe Hunger" größer war als der hemmende Einfluss "Ich mag italienisches Essen nicht". Ich stelle mir das jetzt so vor, dass bei starkem Hunger von dem Neuron eine hohe Frequenz zu erwarten ist und der hemmende Einfluss "Schmeckt nicht" nicht groß genug ist, um meine Entscheidung etwas italienisches zu essen zu beeinflussen. Also wird eine Erregung an unsere Muskeln weitergeleitet und wir essen den Kram.
Zusammenfassend ist das also eine Entscheidung, die wir getroffen haben. Aber wo bleibt da der freie Wille? Wir wurden von unseren Trieben (Hunger) und von unserer Erfahrung (schmeckt nicht) beeinflusst. Aber es gibt nix, was für einen willentlichen Prozess spricht.
Ich hoffe mein Problem ist verständlich und vielleicht gibt es ja jemand, der mir etwas aushelfen kann ;-D

Grüße

surfsmurf
16.11.2006, 22:53
Die Antwort ist in meinen Augen relativ simpel, jedoch wenig zufriedenstellend: Dein Denkmodell ist zu simpel. Bei geschätzten 100 Milliarden Neuronen und einer Synapsenzahl im Bereich der Billiarden kannst Du sicher sein, dass Neurobiologen nicht mal annähernd Willensbildung verstanden haben; tappen sie doch beispielsweise (wenn ich noch richtig informiert bin) immer noch bei der vergleichsweise einfachen Frage im Dunkeln, warum der Mensch eigentlich schläft.

Und selbst wenn dein Denkmodell auch im Großen zuträfe: Wie erklärt man dann irrationales Verhalten, das bei Menschen ja auch durchaus vorkommt? Die ganze Diskussion basiert auf einigen wenigen Erkenntnissen, die bei weitem nicht so bahnbrechend sind, dass man deswegen gleich den Glauben an den freien Willen ablegen sollte (was im übrigen wohl dramatische Konsequenzen in jedem Bereich des Lebens hätte, man denke nur an das Rechtssystem).

Kurzum: Nur weil man den freien Willen mit dem derzeitigen Modell nicht wirklich erklären kann, ist dies kein Beweis für dessen Abwesenheit. Momentan gibt es also immer noch nur philosophische und keine neurobiologischen Antworten auf die Frage nach dem freien Willen......

Gichin_Funakoshi
16.11.2006, 23:20
Dein Denkmodell ist zu simpel.
Zweifelsohne... Hat jemand zufällig noch wissenschaftliche Infos zu der Willensfreiheit?


Und selbst wenn dein Denkmodell auch im Großen zuträfe: Wie erklärt man dann irrationales Verhalten, das bei Menschen ja auch durchaus vorkommt?
Ich würde sagen, dass Emotionen uns zu irrationalem Verhalten verleiten.

Dr. Hyde
17.11.2006, 00:49
definiere "emotionen" (aber bitte molekularbiologisch...) :-D

test
17.11.2006, 14:26
Im großen und ganzen bleibt trotz allem die Frage wo in einem System aus Neuronen und Synapsen der freie Wille entstehen soll.
Im Grunde ist das ganze ein großer, komplex vernetzter Schaltkreis. Kann es sein, dass uns der freie Wille nur vorgegaukelt wird und alles was wir tun im Grunde nur das Ergebnis unserer Schaltkreise ist, die wir angeboren und insbesondere durch unsere weitere Entwicklung und Erfahrungen moduliert haben, somit jede Entscheidung nur auf dem Muster unser vorgefertigten Schaltkreisen(Sprich der durch Erfahrungen/Lernen modulierten Schaltkreise) beruht.
Für einen freien Willen müßte es ja irgendwo ein "Männchen" geben, das de novo Erregung erzeugt oder hemmt, bisher gibt es aber sowas in der Neurobiologie nicht.
NIcht wenige Neurowissenschaftler glauben daher nicht an den wirklich freien Willen, wie man ihn sich so vorstellt. :-nix

surfsmurf
17.11.2006, 14:41
NIcht wenige Neurowissenschaftler glauben daher nicht an den wirklich freien Willen, wie man ihn sich so vorstellt. :-nix

Wie stellt man ihn sich denn vor? Wovon muss der Wille frei sein, dass man ihn als freien Willen bezeichnet? Frei von Gehirnaktivität?

Das ist das eigentliche Problem. Dass es kein Männchen im Kopf gibt, ist auch klar. Und dass Erfahrungen usw eine Rolle spielen auch. Freier Wille ist für mich, wenn man zwei Handlungsoptionen hat und daraus durch Abwägen beider Optionen eine aussucht, wohlwissend, dass man ohne Probleme auch die andere hätte aussuchen können. Das Gehirn funktioniert, denke ich, eben nicht wie ein Computer (input = output), sondern ist in der Lage zu bewerten.

Wenn man bei dem Italienerbeispiel bleibt: Sonst nehme ich immer Pizza, aber heute möchte ich mal Spagetthi. Woher soll denn dieser Antrieb kommen in diesem neuronalen System? Genauso wenig wie es Männchen für freien Willen gibt, gibt es ein Männchen für "heute mal Spagetthi". Das Denkmodell hält momentan einfach der Realität nicht stand. Punkt. Ende der neurobiologischen Diskussion. Alles andere ist Fischen im Trüben.

test
17.11.2006, 14:57
Wie stellt man ihn sich denn vor? Wovon muss der Wille frei sein, dass man ihn als freien Willen bezeichnet? Frei von Gehirnaktivität?

Das ist das eigentliche Problem. Dass es kein Männchen im Kopf gibt, ist auch klar. Und dass Erfahrungen usw eine Rolle spielen auch. Freier Wille ist für mich, wenn man zwei Handlungsoptionen hat und daraus durch Abwägen beider Optionen eine aussucht, wohlwissend, dass man ohne Probleme auch die andere hätte aussuchen können. Das Gehirn funktioniert, denke ich, eben nicht wie ein Computer (input = output), sondern ist in der Lage zu bewerten.

Wenn man bei dem Italienerbeispiel bleibt: Sonst nehme ich immer Pizza, aber heute möchte ich mal Spagetthi. Woher soll denn dieser Antrieb kommen in diesem neuronalen System? Genauso wenig wie es Männchen für freien Willen gibt, gibt es ein Männchen für "heute mal Spagetthi". Das Denkmodell hält momentan einfach der Realität nicht stand. Punkt. Ende der neurobiologischen Diskussion. Alles andere ist Fischen im Trüben.

Naja und die Bewertung erfolgt wodurch?

He-Man
17.11.2006, 18:18
Schon Nietzsche und Freud haben - fast ganz ohne Neurobiologie - den freien Willen mit beeindruckender Introspektion stark angezweifelt. Da finde ich derartige Holzhammer-Neuromechanik wie vom OP beschrieben doch etwas versimpelnd. Anspruchsvollere Erklärungsansätze leiten sich aus systemtheoretischen Interpretationen von neurobiologischen Prozessen ab.
Woran sich Neurobiologen und Philosophen die Zähne ausbeißen, ist das Qualia-Problem: wie kann es sein, daß dieselbe neuronale Kodierung (mit der einzigen Differenz des Verlaufs der Bahnen) so unterschiedliche Phänomene hervorbringt wie das Sehen der Farbe Blau, das Hören eines Tones, das diffuse Gefühl eines Wollens?

Moorhühnchen
18.11.2006, 16:03
Zweifelsohne... Hat jemand zufällig noch wissenschaftliche Infos zu der Willensfreiheit?


Hmmm, ich hab nix. Aber dieses (oder letztes Jahr) war im Wissenschaftsteil der FAZ (Sonntagszeitung) ein sehr interessanter Artikel über den "freien Willen"... Vielleicht haben die ja ein Internet-Archiv?
Dort müßtest Du dann ja auch auf die Quellen des Artikels stoßen.

Ich weiß nur noch, daß es in dem Artikel um die Messung von Aktionspotenzialen bei gleichzeiter Ableitung von EEG's ging (glaub ich).
Mein Senf.... :-micro

surfsmurf
18.11.2006, 16:22
Naja und die Bewertung erfolgt wodurch?

Naja, wenn du schon so fragst, willst Du bestimmt Neuronen hören, wa? Aber glaubst Du (oder irgendjemand hier), dass das Gehirn folgendermaßen einfach gestrickt ist:
"Habe hier 42.342 Stimmen (= Neuronen) für ja und 32.103 Stimmen für nein. Noch jemand? Ne. Gut. Ja hat gewonnen!"

Ne, ne, dat kann mir keiner vertellen......

@He-Man: da sachste was.

test
19.11.2006, 13:53
Das Thema wird natürlich kontrovers diskutiert, es gibt aber nicht wenige, die so argumentieren wie ich. Hier ein paar interessante Links zu Wolf Singer, einem der "Vorreiter" auf diesem Gebiet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Singer

http://www.mpih-frankfurt.mpg.de/global/Np/Staff/singer_d.htm

http://www.nida-ruemelin.de/docs/fr_singer.pdf

surfsmurf
04.12.2006, 23:08
Um diesen schönen und interessanten Fred mal nicht einschlafen zu lassen, habe ich jetzt mal eine Frage an unsere Neurobiologen:

Wie erklärt man mit dem neuropbiologischen Gedankenmodell eigentlich Motivation? Ich brainstorme einfach mal: AP bilden sich in vielen Neuronen, bis es schließlich genug APs sind, um irgendeine Form von Aktion in Gang zu setzen. Aber wer sagt denn den Neuronen, dass sie doch jetzt bitte APs feuern sollen? Andere Neuronen? Und wer sagt denen das?

Das ist doch das eigentliche Problem. Den freien Willen gibt es nicht, weil er ja nur Produkt neuronaler Aktivität ist, sagt ihr. Aber wodurch wird denn diese neuronale Aktivität initiiert?

Gespannt, surfsmurf

Gichin_Funakoshi
07.12.2006, 11:26
Aber wer sagt denn den Neuronen, dass sie doch jetzt bitte APs feuern sollen? Andere Neuronen? Und wer sagt denen das?
Genau das ist mein Problem! Ich glaube aber auch das Problem der Neurobiologen... :-((

Logo
07.12.2006, 13:25
Hm... Habe bisher nur mitgelesen.
Als Idee/Ansatz Klick mich! (Bild) (http://img91.imageshack.us/img91/4512/motivationgu6.jpg)
Dazu muß ich noch hinzufügen, daß ich nicht davon ausgehe, daß Neuronen erregt werden müssen - sondern Erregung dauerhaft vorhanden sind indem sie als Art perpetum-mobile-Schleife "kreisen" und eine Art gerichtetes Erregungsfeld bilden, welche sich gegenseitig verstärken und inhibitieren - ganz ähnlich wie elektromagenetische Felder - dabei dient dann die enorm enge Vernetzung sozusagen zur (Strahlungs-)Feldbildung, da ohne sie die Erregungsschleifen ja quasi isoliert wäre...

Zum "freien Willen" noch ein Nachtrag:
Auch hier gleiches Modell, allerdings mit mind. zwei Motivationen/Antrieben. Einer davon zum Teil inhibitiert (bspw. von einer "negativen Erfahrung"-Schleife). Zur Entscheidungsfindung addiert sich eine Schleife aus einem "höher geordnetem" Schleifensystem (bspw. die eigene Selbsrepräsentation zusammengesetzt aus Wünschen und Erfahrungen im Leben) hinzu --> Erregung überwiegt bei einer Motivationsvariante.
Demnach fällt es auch so schwer sich zwischen zwei gleichwertigen Antrieben (zusammengesetzt aus gleich "starken" Schleifen-Feldern) zu entscheiden, da die "Bewertung" durch Feldstärke ausbleibt...
Sozusagen der hungernde Esel zwischen den beiden Strohhaufen :-)

Nach dieser verqueren "Theorie" würde ich auch d'accord gehen mit dem Konzept, daß es "den" freien Willen nicht gibt - sondern nur eine unterschiedlich geprägte und stetig modifizierende Selbst-Vorstellung die mal mehr/mal weniger interveniert.

Zerreißt mich ;-)

Gruß
LOGO

He-Man
11.12.2006, 13:18
Auch ohne mich bisher ordentlich eingelesen zu haben (leider!): ich meine auch, daß man von einer intrinsischen Basis-Aktivität ausgeht, die durch externe und interne Stimuli moduliert wird. Die Transduktoren nehmen externe Energieveränderungen in Form von Licht, Druckschwankungen usw auf und wandeln sie in neurale Aktivitätsdifferenzen um. Ein Prozeß, welcher im Übrigen mehr Energie verbraucht als die detektierten (Kleinst-)Energiemengen.
Da die Neurone des ZNS durchgängig reziprok verschaltet sind, sind zirkuläre System-Modelle meines Wissens wirklichkeitsnäher denn die traditionellen mechanistischen linearen Kausalmodelle.
Problematisch finde ich folgendes: in der Neurobiologie wird versucht, positivistisch, also explizit auf die Innenperspektive, das Subjekt, verzichtend, etwas vorgängig umgangssprachlich aus eben der Innenperspektive Abgeleitetes, nämlich den "freien Willen", das "Bewußtsein", zu widerlegen bzw. zu bestätigen. Der Positivismus ignoriert das grundlegende Subjekt-Objekt-Verhältnis des Erkennens und findet nur Objekte.
(so jedenfalls meine laienhafte Interpretation der Lektüre von Habermas' "Erkenntnis und Interesse")

Niki
13.12.2006, 17:22
Diese Frage des freien Willens ist doch völliger Schwachsinn! Es wäre für uns alle besser, nicht darüber nachzudenken!

Was machen denn die Professoren, die wissenschaftlich belegt zu haben scheinen(ihrer Meinung nach), dass der freie Wille de facto nicht existiert, sondern ein Produkt neurophysiologischer Prozesse ist? Die kommen abends auch nach hause und hauen ihren Kindern auf den Ar-rsch, weil sie zu viel Fernsehen geguckt haben...dabei können die doch nichts dafür!

Selbst wenn man den freien Willen sicher negieren könnte, so täte sich wohl jeder recht schwer auf dieser Welt, dies anzuerkennen, ist ja auch ein komisches Gefühl!

Ob man irgendwann GENAU klären kann,wie es genau zu einem bewussten Erleben und dem freien Willen kommt, wage ich zu bezweifeln.
Gibt aber ein paar Interessante,wenn auch nicht unanfechtbare Experimente, die einen kleinen Funken Beweis in Richtung freier WIlle liefern.

ICH jedenfalls hab dies grade mal ganz spontan ohne Zwang geschrieben ;-)

Übrigens, an alle Juristen:

Wenn die MEdiziner irgendwann mal den freien WIllen als nicht vorhanden beweisen sollten, dann können die einpacken...wie soll man da vor Gericht irgfendwem Schuld zusprechen?
Außerdem ist so eine Debatte auch dahingehend gefährlich, dass man allzuleicht in Fatalismus verfallen könnte, das kann hier wohl keiner mehr gebrauchen in der BRD.


:peace: :peace:

Logo
13.12.2006, 20:59
ICH jedenfalls hab dies grade mal ganz spontan ohne Zwang geschrieben
Natürlich. Triebzwänge sind auch unterbewußt ;-)

He-Man
15.12.2006, 12:37
Ist es nicht schwieriger, die Freiheit des Willens nachweisen zu wollen denn seine Bedingtheit? Wie sollte denn eine solche Freiheit aussehen? Müßte man nicht ein unberechenbares chaotisches Alles-ist-möglich annehmen, welches der alltäglichen Erfahrung der Konstanz menschlichen Handelns widerspräche?
Seine eigene Verstricktheit und Abhängigkeit von der persönlichen und kollektiven Geschichte zu sehen ist gerade die Voraussetzung dafür, die Verstricktheit verändern zu können. Ein Nicht-nachfragen hingegen das sicherste Mittel zur Persistenz des vergesellschafteten Ichs in einem selbst, des allgemeinen "man" in einem selbst.