PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : "Drive-Through-Medizin" - Mentalität und Erwartungshaltung mancher Patienten



Tombow
30.12.2006, 10:28
Neulich mit dem Phänomen konfrontiert worden:

Patientin hatte wahrscheinlich der Anamnese nach am Vortag eine TIA erlitten. Am nächsten Tag kommt sie dann in der Notaufnahme, weil sie sich Sorgen macht, hätte auch ein Schlaganfall sein können, gehört abgeklärt. Soweit, so gut.

Als es um das Thema stationäre Aufnahme ging (hier waren Oberarzt und meine Wenigkeit uns einig), ruderte die Patientin heftigst zurück und wollte und wollte nicht. Im Gespräch meinte sie, wieso denn stationär aufnehmen, könne man nicht denn alles einfach in ein Paar Stunden an Ort und Stelle abklären und sie wieder nach hause gehen lassen? Von einer eingehenden Aufklärung über Risiken, notwendige Untersuchungen und alles drumherum lies sie sich nicht umstimmen. Nach einem Gespräch mit dem Oberarzt und wieder einer eingehenden Aufklärung wollte sie immer noch nicht, hat die Erklärung unterschrieben und ist nach Hause gegangen.

Was mich bei dem Fall stutzig macht ist diese "drive-through-Medizin"-Erwartungshaltung so mancher Patienten. Beobachtet habe ich das schon früher, bin aber immer noch am Grübeln, woher es kommt, was die Patienten zu so einer Einstellung bewegt? Es kommt nicht nur bei harmlosen Wehwehchen, sondern oft genug auch bei richtig kranken Patienten. Wie geht man richtig damit um?

In meinem Fall habe ich den Oberarzt zu Hilfe gerufen (war auch mein allererster Tag in der Notaufnahme), damit es von allen Seiten Hand und Fuß hat, wenn die Patientin auf eigenem Wunsch nach Hause geht.

Wie sind eure Erfahrungen, Vorgehensweise und Gedanken zu dem Phänomen? Ist es etwas neues oder eher seit Urzeiten bestehend? Ursprünge? Auswüchse? Schonmal Probleme damit gehabt?

hiddl
30.12.2006, 11:29
Nun ja, in diesem ganz speziellen Fall hat die Dame ja nicht Unrecht.
Die TIA war 24 h her, damit das Re-Schlaganfall-Risiko schon mal deutlich gesenkt. Ein Doppler extra-und intrakranieller Gefäße, ein Herz-Echo, ein EKG, wenn man gutes will vielleicht noch ein cMRT, sowie ein ambulantes Langzeit-EKG bis zum nächsten Tag - dafür muß man (bei unauffälligem Befund) eigentlich niemanden stationär aufnehmen, das ginge theoretisch ambulant noch am gleichen Tag. Das funktioniert natürlich organisatorisch nicht und läßt sich für's KH auch gar nicht abrechnen, aber das ist ja nicht die Schuld der Patientin.

Aber prinzipiell gebe ich Dir schon recht, man fragt sich schon immer mal wieder, warum Patienten eigentlich in die Klinik kommen, wenn sie dann jede Form der Diagnostik und Therapie ablehnen. Ich habe mir in solchen Fällen das Diskutieren abgewöhnt und lasse einfach gegen ärztlichen Rat nach Hause gehen, wenn ich keine absolute Notwendigkeit sehe (und die besteht ja - zumindest in der Neurologie - wenn man ehrlich ist, selten).

Gruß, Ute

teletubs
30.12.2006, 12:55
meine erste frage ist immer: na wieso haben sie dann den notarzt gerufen??? :-( meistens sind es ja dann auch die leutz, die mit tatütata in die klinik kommen, den service "durchchecken" in anspruch nehmen wollen bei beschwerden, die ja schon seit vier wochen bestehen...und so kurz vor den feiertagen kann es ja ganz schnell mal gemacht werden! :-( :-kotz dann wird man schräg angeschaut, wenn man die damen und herren darüber aufklärt, dass nachts um 1uhr nur noch die rufbereitschaft da ist und man nicht unbedingt das rund-um-servicepaket-programm durchlaufen kann. naja, wenn sie gehen wollen, dann gehen sie, aber erst, wenn sie mir den reverse-schein unterschrieben haben...zumindest mache ich das bei denen, die wirklich bleiben sollten. die andere sorte hat´s ja meistens nur im kopf! :-)) naja...unterschrift ist das A&O! :-meinung

ich kann es nicht beurteilen, ob es ein neuer trend ist oder nicht...aber manchmal kotzt es mich schon an sich um leute zu kümmern, wo du eigentlich weisst, dass sie gleich wieder gehen, obwohl es andere nötiger haben! :-kotz

naja, es gibt solche und solche leutz! :-?

Lava
30.12.2006, 17:07
Das liegt meiner Meinung nach an der Erwatungshaltung, die bei den Patienten heutztage sehr hoch ist. Und das ständige Gerede vom Arzt als Dienstleister tut da sein übriges. Der Patient erwartet einfach, dass er im Mittelpunkt und man nur springt, um ihn zufriedenzustellen. Ich habe das oft genug erlebt, dass Patienten um 15Uhr in die Klinik kommen und dann völlig überrascht sind, dass sie nicht gleich am nächsten Tag opreriert werden. "Dann wär ich erst morgen gekommen" heißt es dann immer. "Schön, dann hätten wir sie NOCH einen Tag später operiert". Oder es fällt jemandes OP aus. Was dann los ist! Man muss sich regelrecht als Arzt dafür entschuldigen! Und dann darf man sich so Sachen anhören wie (O-Ton): "Ich war ja mit dem Service ganz zufrieden und hätte ihnen 8 von 10 Punkten gegeben, aber der Arzt, der gestern da war, war ja SOO unfreundlich, da gebe ich Ihnen nur 5 von 10 Punkten." :-(

Hellequin
30.12.2006, 17:27
In meinen letzten Sonntagsdienst in der Blutzentrale hat sich zu uns ein Patient verirrt, der wollte in die Ambulanzsprechstunde der Gefäßchirurgie. Der konnte garnicht glauben, das die am Sonntag nicht besetzt ist. :-D

Doktor_No
30.12.2006, 17:27
ich mach mir da "keen kopp", wie ballack sagen würde. wenn eine aufnahme indiziert wäre und abgelehnt wird, schreibe ich das so in den notfallbericht, kläre über risiken auf, lass mir das alles schön unterschreiben und sag zum abschied leise servus...

außerdem melde ich es dem oberarzt, wenn es nicht grade nachts um 3 ist, dann gebe ich es aber bei der übergabe weiter.

oft genug stehen die ja dann ein paar stunden später wieder auf der matte, meist so klein mit hut...

schwieriger finde ich es, wenn ein patient partout aufgenommen werden will, ich aber keine indikation dazu sehe.

turinep
30.12.2006, 17:54
schwieriger finde ich es, wenn ein patient partout aufgenommen werden will, ich aber keine indikation dazu sehe.

Stimmt! Manche Patienten können da extrem aufdringlich werden, mit dem Rechtsanwalt drohen und die Kompetenzen ihres Gegenüber unverschämt in Frage stellen.

sassi80
30.12.2006, 18:17
Naja, so ganz einfach ist das ja bei den TIAs nicht, die haben schließlich ein deutlich erhöhtes Risiko, in den nächsten Tagen oder Wochen noch einen großen Infarkt zu kriegen. Und diese TIA-Patienten sind dann auch echt die schlimmsten. Ich sage dann immer kategorisch, das komplette Durchschecken dauert eine Woche, aber wir sind ja kein Gefängnis... Mir fällt es relativ schwer, mich nicht aufzuregen, wenn Patienten nachts um 3 in der Notaufnahme auftauchen und dann überhaupt nicht damit gerechnet haben, dass man sie jetzt aufnehmen will. Da könnte ich echt austicken. Die Coolness kommt wohl noch mit der Zeit, sagt jedenfalls mein OA. :-dagegen

Sackbauer
30.12.2006, 18:50
Lol, also als ein in Großbritannien arbeitender Arzt hab ich überhaupt keine Ahnung, wovon ihr hier redet. Ernsthaft. Bei uns gibts für jedes freie Bett zwei Kandidaten, und jeder hier weiß, daß, wenn man aufgenommen wird, es einen vernünftigen Grund dafür gibt. Und es erwartet auch kein Mensch, daß man um 3 Uhr morgens einen vollständigen TÜV bekommt. Ich hab den Eindruck, daß die Patienten hier viel realistischer sind, Hierarchien und übertriebene Weisskittelehrfurcht gibts auch net. Es wird halt ganz klar und professionell respektvoll (und ich glaub hier haperts manchmal bei Kollegen in Europa) gesagt, was Sache ist, das wird alles auf Punkt und Beistrich im Beisein des Patienten schriftlich dokumentiert (da kann schon mal ein Aufsatz von einer ganzen Seite entstehen), und dann, wenn der Patient trotzdem heimgehen will, dann unterschreibt er halt einen Zettel und baba. Das läßt mich völlig kalt, die nächsten 3 Patienten warten schon, die wirklich behandelt werden wollen.

Ach ja, die meisten Patienten für elektive Operationen kommen hier entweder am Vortag um 20h, oder am selben Tag um 7h morgens.

hiddl
30.12.2006, 22:31
Naja, so ganz einfach ist das ja bei den TIAs nicht, die haben schließlich ein deutlich erhöhtes Risiko, in den nächsten Tagen oder Wochen noch einen großen Infarkt zu kriegen. Und diese TIA-Patienten sind dann auch echt die schlimmsten. Ich sage dann immer kategorisch, das komplette Durchschecken dauert eine Woche, aber wir sind ja kein Gefängnis...

Naja, aber wenn man nix findet im Doppler und am Herzen, dann würde man ja doch nur ASS geben. Dafür muß man nicht im Krankenhaus liegen.
Und dass das Durchchecken eine Woche dauern muß, ist nun wirklich nicht einzusehen (auch wenn es das bei uns natürlich auch tut).

Anspruchshaltung hin oder her, vieles dauert einfach zu lange im (deutschen?) Gesundheitswesen. Da kann man als Patient schon auch mal ungeduldig werden.


schwieriger finde ich es, wenn ein patient partout aufgenommen werden will, ich aber keine indikation dazu sehe.
Oh ja, das kann schon echte Probleme machen. Und kommt nach meiner Erfahrung häufiger vor als ungeduldige Sofort-wieder-nach-Hause-Geher.

Gruß, Ute

Thomas24
31.12.2006, 00:07
Mir fällt es relativ schwer, mich nicht aufzuregen, wenn Patienten nachts um 3 in der Notaufnahme auftauchen und dann überhaupt nicht damit gerechnet haben, dass man sie jetzt aufnehmen will. Da könnte ich echt austicken. Die Coolness kommt wohl noch mit der Zeit, sagt jedenfalls mein OA. :-dagegen

Ruuuhig Brauner, ganz ruhig :-D
Wieso aufregen? Davon wird´s auch nicht besser- und nachts um 3.00 sollte man sich als AvD sowiso nicht allzu sehr aufregen, dann fällt das hochgradig indizierte wieder einschlafen nämlich echt schwer :-))

Fazit: Aufregen macht alt und Falten, und Botox ist teuer- Patienten den Wisch unterschreiben lassen, und den eigenen Blutdruck immer schön im normotensiven Bereich halten. Wir werden nachts echt nicht gut genug bezahlt, um die eigene Lebenserwartung zu verkürzen oder ein Stressulcus zu riskieren, oder? Just my 2 cents.

Dedi
31.12.2006, 09:35
Ich hab schon Patienten mit Hemiparesen (!) gesehen, die sich gegen ärztlichen Rat nach Hause tragen (!!) ließen... Was soll man da machen??

Oder Patienten, die um Mitternacht (!) aufkreuzen und sagen "Ich glaube ich habe epileptische Anfälle, ich möchte JETZT ein EEG, ich bin privat versichert..." Ohne Worte. Original so passiert.

Sackbauer
31.12.2006, 12:16
Oder Patienten, die um Mitternacht (!) aufkreuzen und sagen "Ich glaube ich habe epileptische Anfälle, ich möchte JETZT ein EEG, ich bin privat versichert..." Ohne Worte. Original so passiert.

...na da würd mir dann aber schon das Lachen auskommen.

eatpigsbarf
03.01.2007, 12:20
... bei mir auch mittlerweile ganz beliebt sind die, die am Folgetag einfach "keine Zeit" haben, um zum niedergelassenen Arzt zu gehen:
rufen nachts um 3h an: "Frau Dr. mir zieht´s im Unterleib und ich hab Angst, daß sich da grad meine Eierstöcke auflösen". Ich (noch im Halbschlaf):"Dafür sind sie aber sehr ruhig, so schlimm scheinen die Schmerzen nicht zu sein". Sie: "Nö, die kommen und gehen, aber ich hab sie seit 4 Wochen mit Schmerzmitteln unter Kontrolle (alle 3-4 Tage 1 Tbl. Ibuprof.); aber ich dachte, ich rufe mal an". Ich "Dann gehen sie doch morgem zu ihrem Frauenarzt". Sie: "Neeeee, da hab ich nun wirklich gar keine Zeit, wissen Sie, sie sind ja sowieso da und wach, ich komm dann jetzt einfach mal vorbei, bin so in 1 Std. da" und legt sofort den Telefonhörer auf (ich kann natürlich nicht in diesen 45-60 Min. wieder einschlafen...).
Sorry, aber da bin ich dann nicht mehr freundlich und hege den starken Wunsch, den Vaginalschallkopf als Waffe einzusetzen... -und der kann weh tun! :-kotz

Feuerblick
03.01.2007, 12:28
Besonders nett in diesem Zusammenhang Menschen, die im Dienst mit einer seit einer Woche bestehenden Konjunktivitis angeschlappt kommen und einem auf die freundliche Nachfrage, warum sie denn nicht zu einem Niedergelassenen gegangen seien KACKENDREIST auch noch ins Gesicht sagen, dass sie dort ja hätten warten müssen während sie im Dienst in der Klinik sofort drankämen... abends hätten sie ja auch mehr Zeit für sowas. Wenn ich dürfte, wie ich wollte, würde ich solchen Leuten liebend gerne eine Privatrechnung überreichen!!! Natürlich mit entsprechendem Notdienstzuschlag! :-kotz

San Pellegrino
04.01.2007, 17:35
Bekannter in der Psychiatrie hat da ein ganz einfaches Mittelchen (Vorteil der Psychiatrie): "Notfall" (laut Eigendefinition Patient) im Dienst = SO akut, daß Geschlossene nötig. Entweder türmen die Spezialisten dann aus der Ambulanz, weil das als Folge einer ambulanten Konsultation denn doch etwas "viel" für sie wäre oder sie lassen sich einbuchten.
Bingo !

Thomas24
06.01.2007, 13:30
Besonders nett in diesem Zusammenhang Menschen, die im Dienst mit einer seit einer Woche bestehenden Konjunktivitis angeschlappt kommen und einem auf die freundliche Nachfrage, warum sie denn nicht zu einem Niedergelassenen gegangen seien KACKENDREIST auch noch ins Gesicht sagen, dass sie dort ja hätten warten müssen während sie im Dienst in der Klinik sofort drankämen... abends hätten sie ja auch mehr Zeit für sowas. Wenn ich dürfte, wie ich wollte, würde ich solchen Leuten liebend gerne eine Privatrechnung überreichen!!! Natürlich mit entsprechendem Notdienstzuschlag! :-kotz

Lass dir doch von der Schwester telefonisch kurz durchgeben, was das Problem ist... und wenn die Antwort nicht "Schmerzen, akute Erblindung o.ä." sondern eher "seit zwei Wochen bestehendes Fremdkörpergefühl mit Rötung" lautet, dann können die "Notfälle" meines Erachtens ruhig ein bischen warten und sich währenddessen in kontemplativen Übungen in Demut versuchen. :-keks

Mich beschleicht ohnehin das Gefühl, dass der "Alles, jetzt, sofort" Service der Uniklinikambulanzen dazu verleitet, wegen jedem banalen ***** dort aufzutauchen, nur weil es einem zeitlich gerade passt. Anderenfalls kann ich mir die Massen, die bei uns an einem gwöhnlichen Samstag mit gefüllten Einkaufstaschen auftauchen "und mal eben vor dem Wochenende doch lieber mal eben nachschauen lassen wollen" nicht erklären.

Egal, nicht aufregen...
LG

okulix
06.01.2007, 13:46
Lass dir doch von der Schwester telefonisch kurz durchgeben, was das Problem ist... und wenn die Antwort (.........) "seit zwei Wochen bestehendes Fremdkörpergefühl mit Rötung" lautet, dann können die "Notfälle" meines Erachtens ruhig ein bischen warten und sich währenddessen in kontemplativen Übungen in Demut versuchen. :-keks
Die mediterrane Todessicca ist wohl nicht auszurotten? :-))

Gute Neues an die Sicca-Spezialisten!

Feuerblick
06.01.2007, 15:02
Lass dir doch von der Schwester telefonisch kurz durchgeben, was das Problem ist... und wenn die Antwort nicht "Schmerzen, akute Erblindung o.ä." sondern eher "seit zwei Wochen bestehendes Fremdkörpergefühl mit Rötung" lautet, dann können die "Notfälle" meines Erachtens ruhig ein bischen warten und sich währenddessen in kontemplativen Übungen in Demut versuchen. :-keks

Naja, ab einer gewissen Uhrzeit würde ich gerne mal aufs Dienstzimmerchen verschwinden und meine Ruhe haben - hat man bei uns ja manchmal. Und wenn mich die Todeskonjunktivitis nachts um halb drei aus den Federn schmeisst, dann will ich die einfach nur noch loswerden. Wenn die Leutchen aber am frühen Abend aufschlagen und ich gut auch noch andere Dinge tun könnte, dann warten sie auch ein wenig auf mich... Sind ja ausreichend Zettel zum Ausfüllen da... :-D:-))