PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : und plötzlich ist er tot



Seiten : [1] 2

ep-befunderin
01.10.2007, 21:45
Mein letzter Samstag auf Station. Aufnahme von Freitag nacht. 46-jähriger Patient mit Epilepsie hatte einen Anfall. Bis vor einer Woche im LKH wegen Depression und Angststörung.
Sehr heruntergekommener Mann, freundlich, schüchtern und etwas affektiv abgeflacht, riecht unangenehm.
Neurologische Untersuchung unauffällig auf TN, bei mir und auch beim OA..ist halt wieder mal ein Epilepsiepatient mit einem Anfall und Z.n. Benzoabusus.
So denke ich.
Weiter: Wieder so einer aus der Psych. Warum kommen die immer zu uns?
Ausgerechnet am Samstag.
Ich untersuche ihn, mache alles fertig, frage nach Suizidalität, erhöhe die AEM und gehe nach Hause.
"Bis Montag!" sage ich und denke, dann ist das nicht mehr mein Patient, können sich andere mit ihm beschäftigen.
Montag ist er plötzlich tot!!!!
Was ist passiert? Niemand weiß es. Lag einfach tot im Bett, 46 Jahre.
Und ich denke: Habe ich alles richtig gemacht? Hätte ich mehr machen können? Alle fragen: Warum? Was hast du getan?
Nichts, denke ich, war das falsch? Nein, ich hätte alles von den Befunden genauso getan.
Trotzdem: habe ich wirklich gedacht, dass er streng riecht??? Dass ich eigentlich kein Lust hatte, ihn zu untersuchen?
Das schlechte Gewissen ist da, schlecht über ihne gedacht zu haben und das kann mir niemand abnehmen.

Fino
01.10.2007, 22:27
unauffällig auf TN
erhöhe die AEM und gehe nach Hause.


Was heisst TN bzw. AEM?

Flemingulus
01.10.2007, 23:12
AEM müsste antiepileptische Medikation sein.
Zu TN fällt mir nur Trigeminus-Neuralgie ein. :-nix

Erinnert mich aber an eine Patientin, die ich im PJ aufgenommen hatte. Bekanner langjähriger Benzo- und Alkohol-Abusus. Kam zum stat. Entzug. Aufnahme durch den Pjottler. 2 Stunden nach Aufnahme liegt die Patientin (ende 30) tot im Bett. Todesursache bleibt letztlich auch autoptisch unklar. Der Pathologe stellt eine beginnende dilatative Kardiomyopathie (alkoholisch?) fest, die aber als primäre Todesursache vom Pathologen ausgeschlossen wird. Ödematöse Veränderungen im Pankreas (pathologisch aber keine Hinweise für eine akute -itis, auch bei Aufnahme keine entsprechende Klinik, Lipase negativ). Ein Krampfanfall kann ausgeschlossen werden. Kein Hinweis auf Lungenembolie.

Insofern hat mein Erlebnis wohl leider keine befriedigende "Moral von der Geschicht". Und ob "alles schon mal dagewesen" ein Trost für Dich ist?

Also was soll man sagen: trink ein Bier & bleib am Ball! :-keks

EDIT:
Vielleicht gibt es doch so eine Art Moral. Es ist ein Beispiel, dass im Laufe der ärztlichen Tätigkeit so ein paar Patienten im Gedächtnis hängen bleiben. Einige Höhepunkte und einige Tiefpunkte. Und das sorgt im besten Fall dafür, dass man im Job weiterhin als Mensch "funktioniert" und nicht als Maschine.

FataMorgana
02.10.2007, 03:48
Was heisst TN?

Ich würde meinen, es handelt sich um einen "Göttingen-Insider". Die TN ist die zentrale Notaufnahme des Göttinger Uniklinikums. Steht für "Tagespflege - Nachtaufnahme", glaube ich.

Liebe ep-befunderin,

ich kann Deine Gedanken nachfühlen, und sie berühren mich sehr. Ich finde es gut, dass Du sie zulässt und rauslässt. Schuldgefühle gehören zum ärztlichen Beruf einfach dazu. Bedenklich wird es nur, wenn Du sie nicht wieder loswirst.

Halt die Ohren steif!

hennessy
02.10.2007, 06:50
woran ist er denn eigentlich letztendlich verstorben?

Eilika
02.10.2007, 07:25
Es deckt sich nicht ganz, aber lies mal hier (http://www.medi-learn.de/medizinstudium/foren/showthread.php?t=27658&highlight=tot). An den Thread musste ich denken, als ich das gerade gelesen habe...

Raphefrau
02.10.2007, 13:22
Sorge doch dafür, daß er obduziert wird. Dann hast Du Gewißheit über die Todesursache weißt sicher, daß Du nichts übersehen hast :-meinung :-dafür .

hennessy
02.10.2007, 13:26
Sorge doch dafür, daß er obduziert wird. Dann hast Du Gewißheit über die Todesursache weißt sicher, daß Du nichts übersehen hast :-meinung :-dafür .
ob das so leicht zu bewerkstelligen ist?

Christoph_A
02.10.2007, 13:42
@ EP Befunderin:
Du hast alles professionell gemanaged, hast auf den Anfall reagiert, wie Dir wohl auch Deine Vorgesetzten bestätigt haben, und alles andere liegt nicht in Deiner Gewalt. So hart das jetzt klingen mag: Mund abputzen und weitermachen. Wenn Du bei jedem Patienten, wo etwas nicht nach Plan läuft, ne Krise bekommst, läufste echt Gefahr, in dem Job kaputt zu gehen. Kurz reflektieren, ob man was übersehen hat, wenn nicht, dann abhaken!

jemand
02.10.2007, 13:51
Kurz reflektieren, ob man was übersehen hat, wenn nicht, dann abhaken!

...und wenn doch?
:-angel

hennessy
02.10.2007, 13:52
genau deswegen würde mich z.B. die Todesursache interessieren.

Gersig
02.10.2007, 13:54
Dann ist wäre es eben so. Es ist unrealistisch, keine Fehler zu machen. Letztens habe ich mit meinem Hausarzt, der schon ganz viele Betriebsstunden auf dem Buckel hat, ne nette Unterhaltung zum Thema Fehlbehandlung. Seine Meinung: in 30 Jahren Medizin bringt man den einen oder anderen ungewollt um die Ecke, während man auf der anderen Seite dem größten Teil hilft. Ich finde, da ist schon was dran :-meinung

Hoppla-Daisy
02.10.2007, 14:02
Am Ende seines Arztlebens hat bestimmt jeder mind. eine Leiche im Keller :-meinung

Man muss sich nur davon verabschieden, immer alles perfekt machen zu können. Das Leben und der menschliche Körper ist zu komplex, um dies alles in jeder Hinsicht kontrollieren zu können.

Wie mein Vorredner schon sagte: Man verliert vielleicht mal ein Menschenleben, auf der anderen Seite bewahrt man aber auch viele vor dem vorzeitigen Ableben.

Man ist nun mal nicht Herr über Leben und Tod, auch wenn man uns das immer irgendwie glauben machen möchte.

Und wenn ein Mensch stirbt und man weiß nicht warum, sucht man wahrscheinlich naturgemäß erstmal den Fehler bei sich und seiner Behandlung, und ob man etwas übersehen hat. Das ist per se kein Fehler, denn daraus kann man lernen. Ein Fehler wäre es, daran festzuhalten.

Christoph_A
02.10.2007, 14:06
Wenn doch, dann hast Du einen Fehler gemacht, der Dir in der Form sicher kein zweites Mal passieren wird. Wie meine Vorredner schon so schön sagten, JEDER hat seine Leichen im Keller, wir alle machen Fehler, da ist nix schlimmes dran. Schlimm ist nur, wenn man so doof oder auch ignorant ist, nix draus zu lernen.

Hoppla-Daisy
02.10.2007, 14:08
Ich glaube auch, dass Angehörige eher ein Problem damit haben, wenn man einen Fehler zu vertuschen versucht, anstatt ihn zuzugeben - sofern man defintiv einen gemacht hat!

Aber selbst WENN man Leichen im Keller liegen hat, dann meist bestimmt aufgrund der Verkettung unglücklicher Zustände.

Raphefrau
02.10.2007, 14:27
ob das so leicht zu bewerkstelligen ist?

Klar. Jede große Klinik hat eine Patho und wenn es eine Uniklinik ist, gibt es immer noch eine Rechtsmedizin.

hennessy
02.10.2007, 14:35
Klar. Jede große Klinik hat eine Patho und wenn es eine Uniklinik ist, gibt es immer noch eine Rechtsmedizin.
schon klar. Nur: wer begründet die Obduktion? Ist die Threadstellerin mit dieser Kompetenz ausgestattet? Ich denke nicht, dass man so mir nichts, Dir nichts eine Obduktion durchführen kann ohne eindeutige Verdachtsmomente. Oder täusche ich mich da?

Gersig
02.10.2007, 14:37
Die AGB des Krankenhausvertrages geben es her, jedoch wird Rücksicht auf die Angehörigen genommen, wie sie einer Obduktion nicht zustimmen

ep-befunderin
02.10.2007, 16:14
Es gibt eine Obduktion bei den Kollegen der Rechtsmedizin, da natürlich richtigerweise im Totenschein ein ungeklärter Tod vermerkt ist.
Das wird natürlich dauern.
Ich bin auch nicht schrecklich fertig und kann meinem Beruf nicht mehr nachgehen. Es ist nur der Gedanke, dass man manche Patienten so in Schubladen steckt (Epipatient mit neuem Anfall) und dabei etwas verloren gehen könnte.
Ich habe alles rekapituliert und weiss, dass ich es wieder genauso getan hätte, also mache ich mir keinen Vorwurf (habe ich auch von niemanden gehört), trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack, weil ich nunmal diejenige war, die in mit dem OA zuletzt gesehen habe.

alley_cat75
02.10.2007, 17:32
Liebe ep-befunderin,
jeder, der bereits als Arzt tätig ist, wird Dir eine ähnliche Geschichte erzählen können. Ich wurde letzte Woche im Dienst zu einem 51jährigen Patient gerufen, der wegen einer Pneumonie bei uns im Haus lag. War bis dato mobil, versorgte sich selbst. Ehefrau war am Nachmittag da gewesen und hatte mit dem zuständigen Stationsarzt die Entlassung für den nächsten Tag abgesprochen. Abends wird der Patient völlig durchgängig, sieht Tiere und merkwürdige Personen in seinem Zimmer. Schnell wird anamnestisch klar, chron. Alkoholabusus - bekommt Haldol und Diazepam. Alles chic! 5 Stunden später liegt der Mann tot in seinem Bett. Wir haben 60 Minuten reanimiert, erfolglos. Der Mann war vorher noch nie krank gewesen, keine Medikamente, leere Anamnese... Zum Glück hat die völlig geschockte Frau einer Obduktion zugestimmt. Bei uns ist es usus, dass die Assis daran teilnehmen. Ursache: der Mann hatte eine fortgeschrittene (alkoholtox.) Kardiomyopathie. Hatte mit Haldol/Diazepam an sich nichts zu tun. Falsche Zeit, am falschen Ort. Für mich war das schlimm, aber wie gesagt: das wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass man an seinem ärztlichen Handeln zweifelt, vielleicht auch zu Recht. Nimm es als Gelegenheit, beim nächsten Mal noch aufmerksamer zu sein und es noch besser zu machen. :peace: