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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Paradoxe Reaktion von Benzodiazepinen



Blauer Engel
31.01.2008, 21:25
Hallo,

kann mir jemand sagen, ob es einen Zusammenhang gibt mit der Halbwertszeit von Benzodiazepinen und dem Auftreten von sog. paradoxen Reaktionen?
Treten diese nur bei kurzwirksamen auf? Oder nur bei Langwirksamen?

Besteht da überhaupt ein Zusammenhang?
Ich finde keinen Hinweis in den gängigen Lehrbüchern, nur eine mir unklare Altklausurfrage...

Tombow
31.01.2008, 22:12
Die meisten beschriebenen Fälle sind mit Midazolam. Hängt aber sicherlich damit, daß es am ehesten erkannt wurde, denn selbst die Entdecker der Substanzklasse paradoxe Reaktionen auf Chloriazepoxid beobachtet haben und es über die Zeit paradoxe Reaktionen auf fast alle Benzodiazepine gegeben hat. Man könnte sich streiten, ob es eine Dukelziffer an unentdeckten paradoxen Reaktionen gibt (die Möglichkeit ist ja da, daß eine paraxode Reaktion nicht erkannt/erfaßt wird, wenn man ambulant ein Benzodiazepin verschrieben bekommen hat). Darauf relativiert muß nicht unbedingt Midazolam der "Spitzenreiter" sein.

In der Pathogenese wird genetischer Polymorphismus des GABA-Rezeptors (Subtyp der am Rezeptoraufbau beteiligten Einzeiten) und besonders der Alpha-Untereinheit. Insofern ist nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Halbwertszeit und Gefahr einer paradoxen Reaktion gegeben. Sehr wohl aber (wenn man die Literatur durchgeht) ein Zusammenhang mit der Anflutungsgeschwindigkeit.

Sebastian1
31.01.2008, 22:34
Es wird ja aber (nicht nur für Benzos, sondern auch zB für Amphetamine wie zB das BTM-pflichtige Ritalin) nicht nur eine individualabhängige, sondern auch eine altersabhängige Komponente postuliert. Die liesse sich ja nicht mit einem genetischen Polymorphismus erklären. Wie schauts denn da aus?

Tombow
31.01.2008, 22:36
nicht nur eine individualabhängige, sondern auch eine altersabhängige Komponente postuliert. Die liesse sich ja nicht mit einem genetischen Polymorphismus erklären. Wie schauts denn da aus?

Epigenetik, würde ich sagen. Oder altersspezifische Eigenschaften des ACh- und Serotoninstoffwechsels in der ZNS.

Blauer Engel
31.01.2008, 22:48
In der Pathogenese wird genetischer Polymorphismus des GABA-Rezeptors (Subtyp der am Rezeptoraufbau beteiligten Einzeiten) und besonders der Alpha-Untereinheit. Insofern ist nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Halbwertszeit und Gefahr einer paradoxen Reaktion gegeben. Sehr wohl aber (wenn man die Literatur durchgeht) ein Zusammenhang mit der Anflutungsgeschwindigkeit.

Und wovon hängt die Anflutungsgeschwindigkeit ab? Ist dort die chemische Struktur, Lipophilie, eine Komponente?

hmg
01.02.2008, 15:52
In der Pathogenese wird genetischer Polymorphismus des GABA-Rezeptors (Subtyp der am Rezeptoraufbau beteiligten Einzeiten) und besonders der Alpha-Untereinheit. Insofern ist nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Halbwertszeit und Gefahr einer paradoxen Reaktion gegeben. Sehr wohl aber (wenn man die Literatur durchgeht) ein Zusammenhang mit der Anflutungsgeschwindigkeit.

Dieser GABA-Rezeptor ist ja der Angriffspunkt aller Benzodiazepine. Kann man dann verallgemeinern, daß jemand, der auf Midazolam paradox reagiert hat, auch keine sedierende/anxiolytische Wirkung durch andere Benzodiazepine erfährt?

Praktisch gefragt: Wie würde man jemanden prämedizieren, der auf Midazolam schon einmal paradox reagiert hat? Mir fällt auf Anhieb keine andere Substanzklasse ein, die man stattdessen verwenden könnte.

DanielOliver
02.02.2008, 12:15
Praktisch gefragt: Wie würde man jemanden prämedizieren, der auf Midazolam schon einmal paradox reagiert hat? Mir fällt auf Anhieb keine andere Substanzklasse ein, die man stattdessen verwenden könnte.

Prämedizieren oder sedieren?

Clonidin, Atosil, Niederpotente Neuroleptika, Propofol i.v., Opiate, Sedierende Antidepressiva...

Hängt ganz vom Patienten und der Indikation ab

hmg
02.02.2008, 13:43
Prämedizieren oder sedieren?


Prämedizieren - ich dachte insbesondere an die Anxiolyse. Ist häufig ja auch erwünscht bei OPs in Lokalanästhesie, von Dormicum habe ich sogar schon bei manchen Zahnärzten gehört.



Clonidin, Atosil, Niederpotente Neuroleptika, Propofol i.v., Opiate, Sedierende Antidepressiva...
Hängt ganz vom Patienten und der Indikation ab

Propofol i.v. zur Sedierung als Alternative bei Untersuchungen wie Gastroskopie oder Coloskopie war mir geläufig, die anderen Substanzen hatte ich nicht so im Blick.

Beim Lernen für mein Examen hatte ich im Striebel gelesen, daß man Neuroleptika heutzutage zur Prämedikation bzw. zur Neuroleptanalgesie/-anästhesie nicht mehr gerne einsetzt, weil die Patienten nur nach außen hin ruhig wirken - innerlich besteht aber wohl ein Zustand sehr großer Anspannung. Da man bei der Prämedikation ja doch in erster Linie eine Anxiolyse anstrebt, hätte ich das also eher ausgeschlossen - aber in der Praxis wird es eingesetzt? Wie sind denn Deine Erfahrungen damit?

Blauer Engel
02.02.2008, 14:25
Wisst ihr denn zufällig wodurch diese paradoxe Reaktion zustande kommt? Also auf Rezeptorebene?

Tombow
02.02.2008, 16:13
Benzodiazepine binden nicht nur am GABA-Rezeptor, sondern auch auf dem Serotonin- und ACh-Stoffwechsel in der ZNS, nur wird sie im Normalfall von der "Hauptwirkung" maskiert. Es sind sowohl mehrere Mutationen in der Alpha-Untereinheit des GABA-Rezeptors bekannt als auch normal vorkommende Subtypen Alpha-Einheiten, die die Bindungsaffinität von Benzodiazepinen drastisch herabsetzen. Aus Tierversuchen ist auch eine vollständige Aufhebung der sedierenden Wirkung bekannt, falls die Tiere nur "defekte" Versionen der Alpha-Untereinheit besitzen.

Interessant wäre es nachzuschauen, ob solche paradoxe Reaktionen auch bei den neueren Hypnotika (Zolpidem, Zopiclon, etc.) vorkommen, die zwar am GABA-Rezeptor (und teilweise auch an der Alpha-Untereinheit), aber an ganz anderer Stelle binden und eine ganz andere Affinität zu den unterschiedlichen Subtypen Alpha-Untereinheiten haben als Benzos.

DanielOliver
02.02.2008, 19:05
Prämedizieren - ich dachte insbesondere an die Anxiolyse. Ist häufig ja auch erwünscht bei OPs in Lokalanästhesie, von Dormicum habe ich sogar schon bei manchen Zahnärzten gehört.

Zur Prämed wären die klassischen Alternativen Atosil und Clonidin, zur (Analgo-)Sedierung +/- Regional- oder Lokalanästhesie Remifentanyl, Sufentanyl und/oder Propofol, auf Intensiv manchmal auch noch 4-Hydroxybutansäure(Somsanit).