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Rene_Weller
25.03.2008, 17:18
Das Argument zieht nicht, weil es bei den olympischen Spielen in China nicht nur um den Sport geht und man bei einem Boykott die Politik ins Spiel würde, sondern es geht China in erster Linie darum, ein gutes Bild abzugeben, die weltoffene und fortschrittliche asiatische Supermacht, die im Gegensatz zu sagen wir den USA auf Kooperation und friedliche Konfliktlösungen aus ist. Das wäre die Botschaft, die die chinesische Führung gern in der Welt verbreitet sehen möchte. Und daher ist das Argument "kein Boykott, sonst wirds politisch", sehr kurzsichtig.

synosoph
25.03.2008, 17:24
Das Problem, was ich grundsätzlich bei jetzigen Empörung sehe ist folgendes: Seit Jahren, Jahrzehnten ist das "Problem Tibet" bekannt. Der Dalai Lama setzte sich in seinem Exil seit jeher für ein friedliche Lösung dieses ungelösten Konfliktes ein. Wo waren die Eliten dieser Welt bisher, als es darum ging die Stimme zu heben? Sie saßen am Verhandlungstisch und buhlten fleißig um die Gunst der Chinesen, um einerseits Autos, Eisenbahnen oder ganze Fabriken zu exportieren und andererseits billig Produkte einzukaufen. In China knüppeln Millionen von Menschen, damit der Durchschnittsamerikaner sich seine Dosis Konsum leisten kann. (Die virtuellen Dollarmilliarden, die die Chinesen dafür versprochen bekamen, lösen sich ja nun zunehmend in Luft auf.)

Aber jetzt, wo die Gefahr einer gelungen Olympiashow heraufzieht und einige Tibeter sich nicht mehr von der Gewalt zurückhalten können - ausgerechnet jetzt sind sie alle wieder ganz auf Menschenrechte eingestellt.

Eine Boykott zu fordern, noch bevor überhaupt geklärt werden konnte, wie die Ereignisse in Tibet, Gansu und Sichuan eigentlich abgelaufen sind, halte ich für nicht gerecht.

Das Gewaltmonopol des Staates existiert auch in Deutschland. Auf alle Fälle ist hierzulande dessen Missbrauch wesentlich seltener und schwieriger. Aber staatsgefährdende Unruhen würden auch in Deutschland mittels Ausrufung eines inneren Notstandes gegebenenfalls durch Hinzuziehen der Streitkräfte niedergeschlagen werden. In L.A. rückte Anfang der 90er Jahre die Nationalgarde ein, um die Revolten einzudämmen, die nach einem verheerenden Freispruch für einen rassistischen Polizisten tagelang die Stadt verwüsteten.

Was in China genau passiert ist, weiß doch bisher keiner wirklich. Ich wünsche mir einfach ein bißchen mehr Zurückhaltung und Vorsicht bei voreiligen Schlüssen. Wenn auf CNN oder ntv alle halbe Stunde die gleiche 10-Sekunden-Sequenz brennender Geschäfte in Lhasa abgespult wird, emotionalisiert das vielleicht, hilft aber überhaupt nicht, um die Lage dort fair beurteilen zu können. Im Übrigen: In Rostock auf der G8-Demonstartion wurde auch immer wieder das eine brennende Auto eingespielt. Eine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse fand ebenfalls nicht statt. Schnell waren die Urteile gefällt: Polizei gut, Demonstrant böse. In Tibet: Demonstrant gut, Polizei böse.

Das ist mir zu schwarz-weiß. Wirklich. Wir urteilen doch alle viel zu schnell bzw. - wie richtig gewarnt - trauen den Quellen zu leichtfertig. Schön wäre es, wenn wenigstens mit gleichem Maßstab gemessen wird: Die unmenschliche Assimilierungspolitik des NATO-Verbündeten Türkei in Kurdistan, die menschenverachtende Blockadepolitik Israels in Gaza, die von den USA entfachten Bürgerkriege in Mittelamerika, die immer noch nicht rehabilitierte Urbevölkerung Nordamerikas usw. Wie kam eigentlich Pinochet an die Macht? Und weshalb wird eigentlich Saudi-Arabien mit Waffen beliefert?

Und noch eine Sache ist problematisch in meinen Augen: Wenn jahrzehntelanger gewaltloser Protest keinen Widerhall in der Weltöffentlichkeit findet, Bilder von Bränden, Plünderungen und mutwilliger Zerstörung aber schon, welches Signal wird damit eigentlich ausgesendet? Was sollen zum Beispiel die 300000 Bahai im Iran sagen, die seit Jahrzehnten vom Mullah-Regime bitter unterdrückt werden, aber nicht im Ansatz bereit sind mit Gewalt dagegen zu rebellieren? Und was ist mit den Millionen von Menschen die durch ein ungerechtes Wirtschaftssystem nicht wirklich am öffentlichen Leben partizipieren können? Sollen die jetzt alle blutige Revolution machen, um gehört zu werden? Damit liefert man doch all jenen Verblendeten, die das linksextremistische Konzept einer roten Stadtguerillia oder einen rechtsextremistischen nationalen Widerstandkampf vertreten, nur beste Bestätigung. Überlegt doch mal was für Signale da ausgesendet werden!

Wenn es der führenden Klasse ins Konzept passt, beruft sie sich gerne auf AI oder andere NGOs. Wenn es um den Schmutz im eigenen Stall geht, ist man plötzlich wieder schwerhörig. Deutschland, ein großer Waffenexporteur? Ist doch gut für die Arbeitsplätze. Internationaler Strafgerichtshof? Nicht für die USA. Die afghanischen Gotteskämpfer aufrüsten? Damals ging es aber doch gegen die Sowjets.

Kurz gesagt: Ja, internationaler Druck auf Regierungen, um sie zur Achtung und Förderung der Menschenrechte anzuhalten, ist notwenig, mehr denn je. Aber dann bitte mit gleichem Maßstab messen! Nationale Regierungen sind dazu partiell unfähig. Wir brauchen starke globale Institutionen mit entsprechenden legislativen, judikativen und exekutiven Zuständigkeiten. Die UN reformieren, wird aber nur dann durchzusetzen sein, wenn eine starke Weltzivilgesellschaft - das sind wir alle - Druck ausübt auf die machtpolitisch fixierte Politik.

Auf China bezogen: Möglichst viel Austausch und Umgang pflegen, versuchen die Geschichte, die Kultur, das Land wirklich zu verstehen, davon zu lernen und wiederum zu lehren. Deshalb bin ich absolut gegen ein Boykott. Solches würde nur zu weiteren Kränkungen, Spaltungen und Abbruch von Verständigung führen.

Rene_Weller
25.03.2008, 17:31
Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob die chinesische Führung nicht in Wirklichkeit einen sehr guten trockenen Humor hat. Denn gegenüber Japan wird immer sehr darauf gepocht, dass man sich doch endlich der Geschichte stellen müsse, Stichwort japanische Besetzung Chinas während des zweiten Weltkriegs inklusive Kriegsverbrechen und so weiter. Da sieht die Welt fest gedrückte Tränendrüsen. Nur wenn man chinesische Maßstabe anlegt und sich chinesische Argumente bezüglich Tibet aneignet, dann war die japanische Besatzung Chinas nur eine Wohltäter- und Befreiungsaktion bei der zwar auch manchmal ein paar unangehme Dinge passiert sind, die unterm Strich aber eigentlich ganz toll war. Kein Wunder dass die Japaner sich diese chinesischen Moralpredigten nicht sonderlich zu Herzen nehmen.

Rene_Weller
25.03.2008, 17:35
Hör doch endlich einmal mit diesen lächerlichen G8-Vergleichen auf. Das ist wirklich sehr peinlich. Bürgerkinder-Krawalltouristen mit Leuten zu vergleichen, die aus Verzweiflung durchdrehen, weil ihr Land seit Jahrzehnten von einer fremden Macht besetzt und kolonisiert wird, ist frech und dumm.

Tombow
25.03.2008, 17:37
Bürgerkinder-Krawalltouristen mit Leuten zu vergleichen, die aus Verzweiflung durchdrehen, weil ihr Land seit Jahrzehnten von einer fremden Macht besetzt und kolonisiert wird, ist frech und dumm.
Ausweichen von der Diskussion auf ein Nebenschauplatz genauso dumm (oder eine Verzweiflungstat). Wenn du synosoph's Post richtig gelesen hättest, ging es in dem Vergleich um die selektive Berichterstattung. Und mit dem Argument hat er recht.

synosoph
25.03.2008, 17:44
Hör doch endlich einmal mit diesen lächerlichen G8-Vergleichen auf. Das ist wirklich sehr peinlich. Bürgerkinder-Krawalltouristen mit Leuten zu vergleichen, die aus Verzweiflung durchdrehen, weil ihr Land seit Jahrzehnten von einer fremden Macht besetzt und kolonisiert wird, ist frech und dumm.
Du nicht verstanden, was ich damit sagen wollte.

Bürgerkinder-Krawalltouristen ist übrigens fast die gleiche Kategorie Worte, wie sie die chinesische Regierung gerade wählt.

Tombow
25.03.2008, 17:44
...sondern es geht China in erster Linie darum, ein gutes Bild abzugeben, die weltoffene und fortschrittliche asiatische Supermacht, die im Gegensatz zu sagen wir den USA auf Kooperation und friedliche Konfliktlösungen aus ist...

Der Zug ist abgefahren. Schon 1971. Wenn es darum ginge, den Chinesen das nicht abzukaufen, hätte man nie Kissinger heimlich von Tokio nach Peking lassen müssen.

funny
26.03.2008, 11:28
Du nicht verstanden, was ich damit sagen wollte.

Bürgerkinder-Krawalltouristen ist übrigens fast die gleiche Kategorie Worte, wie sie die chinesische Regierung gerade wählt.


Ja, aber "Wir sollten nicht auf selektive Berichterstattung reinfallen und nicht vorschnell das Schlimmste annehmen" kann auch mal nach hinten losgehen. Ausserdem ist die Berichterstattung nicht nur selektiert, sondern zensiert, also ist es nicht völlig abwegig, tendenziell Schlimmeres anzunehmen als uns selektiert gezeigt wird. Deshalb kann ich schon verstehen, dass der G8-Vergleich aufregt. Wurde dort jemand der Schädel eingeprügelt? glaube nicht.

Dein Vorschlag mit China im Dialog zu bleiben ist allerdings auch meine Meinung. Andere Meinungen gab es ja bisher nicht mit: Wie soll man in Zukunft mit China umgehen? Was alles in der Vergangenheit (schief) gelaufen ist, kann man ja nachlesen bzw. sieht man am jetzigen IST-Zustand.

synosoph
26.03.2008, 15:13
Mal eine andere Sicht der Dinge:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27526/1.html

funny
26.03.2008, 15:31
Mal eine andere Sicht der Dinge:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27526/1.html


Was ist falsch daran, wenn eine Region (vor allem eine unterdrückte und völlig unfreie, kontrollierte Region) nach Unabhängigkeit und einem eigenen Staat strebt? NICHTS. ABSOLUT NICHTS. Der Mensch/die Menschen streben nunmal nach Freiheit. Das ist unser Naturell. Umso mehr, je mehr man kontrolliert und eingeschränkt wird. Ich lehne Gewalt in jedweder Form gegenüber ALLEN Menschen ab. Aber so langsam reicht es den Tibetern nunmal.

Falsch daran ist nur, dass die ehemaligen vermeintlichen "Eigentümer" mit Gewalt darauf reagieren, weil sie diese Region aus Machtgründen nicht "hergeben" wollen. Und desto mehr wächst dann der Drang der massiv Unterdrückten nach völliger Freiheit. Ein sich verstärkender Kreis. Einfachste Psychologie eigentlich.

Wenn sich biespielsweise Sachsen als eigener Staat unabhängig von Deutschland etablieren will - bitte. Ich als Bayer bzw. Deutsche würde nicht wie die Serben im Falle Kosovo prügelnd herumschreien: "Sachsen den Deutschen etc." Mir wäre das völlig schnurz. Wer Freiheit will, soll sie haben.

:peace:

synosoph
26.03.2008, 16:08
Das ist grundsätzlich richtig: Keine Unterdrückung! Gegen niemanden! Jeder hat das Recht friedlich zu demonstrieren! Jeder das Recht auf staatlichen Schutz und Gleichbehandlung. Volle Zustimmung.

Aber heiligt der Zweck die Mittel? Ist es deshalb weniger verwerflich, die Dinge falsch darzustellen und zu desinformieren - und seien die Ziele noch so edel?

Hier eine kleine Zusammenstellung falsch verwendeter Bilder in westlichen Medien. (Und NEIN, NEIN und nochmals NEIN: damit sage ich NICHT, dass es keine unverhältnismäßige Gewalt seitens der chinesischen Sicherheitskräfte gab. Nur muss man bitte mal bei den Tatsachen bleiben.)

http://www.youtube.com/watch?v=uSQnK5FcKas

funny
26.03.2008, 16:24
Das ist grundsätzlich richtig: Keine Unterdrückung! Gegen niemanden! Jeder hat das Recht friedlich zu demonstrieren! Jeder das Recht auf staatlichen Schutz und Gleichbehandlung. Volle Zustimmung.

Aber heiligt der Zweck die Mittel? Ist es deshalb weniger verwerflich, die Dinge falsch darzustellen und zu desinformieren - und seien die Ziele noch so edel?

Hier eine kleine Zusammenstellung falsch verwendeter Bilder in westlichen Medien. (Und NEIN, NEIN und nochmals NEIN: damit sage ich NICHT, dass es keine unverhältnismäßige Gewalt seitens der chinesischen Sicherheitskräfte gab. Nur muss man bitte mal bei den Tatsachen bleiben.)

http://www.youtube.com/watch?v=uSQnK5FcKas

Und vor allem hat jeder Mensch und Staat das Recht auf FREIHEIT.

synosoph
26.03.2008, 16:32
Und vor allem hat jeder Mensch und Staat das Recht auf FREIHEIT.
Genauso wie die indigene Bevölkerung Guatemalas oder die Aborigines Australiens.

Und wenn schon denn schon: FREE America, give it back to the Red Indians!

(Ironie muss ich hoffentlich nicht erklären. ;-) )

Gast26092018
26.03.2008, 16:36
Die Palästinenser kämpfen seit mehr als 60 Jahren für Freiheit und zahlen täglich mit Blut dafür...aber an die denkt ja kaum jemand! :-?

Hoppla-Daisy
26.03.2008, 16:36
Und weil wir gerade dabei sind, dann auch bitte den Basken das Baskenland, den Katalanen Katalonien, den Nordiren ihr Nordirland zurück...

Daisy, die sich freut, den Synosophen synosophieren zu lesen :-)

funny
26.03.2008, 16:37
Genauso wie die indigene Bevölkerung Guatemalas oder die Aborigines Australiens.

Und wenn schon denn schon: FREE America, give it back to the Red Indians!


Ersterem Satz stimme ich voll zu. Die Versklavung dieser Bevölkerungen ist ebenfalls menschenverachtend.
Beim 2. Satz bin ich etwas pragmatischer als du. Fürchte, das wird nicht mehr möglich sein.

Hoppla-Daisy
26.03.2008, 16:47
Ersterem Satz stimme ich voll zu. Die Versklavung dieser Bevölkerungen ist ebenfalls menschenverachtend.
Beim 2. Satz bin ich etwas pragmatischer als du. Fürchte, das wird nicht mehr möglich sein.
Zumindest ist in Australien ja bereits ein Umdenken im Gange. Cathy Freeman als Fahnenträgerin ihres Landes zur Olympiade in Sydney war mehr als nur ein Symbol für ein friedlicheres und respektvolleres Miteinander.

Wenn eine Aneignung fremder Länder durch "Eroberer" nicht rückgängig zu machen ist (und dies vom Eroberer ja auch in der Regel nicht gewünscht wird), so sollte man sich doch bemühen, den "Eroberten" ihre Gepflogenheiten und Religion zu lassen, ohne ständig zu provozieren und zu demütigen - und um den Schwenk wieder auf China/Tibet zu bekommen: keine Funkmaste auf Heiligtümer/heilige Berge setzen. Man stelle sich vor, hier würde jemand versuchen, auf eine Kirche/Moschee/Tempel etc. Reklame oder ähnliches zu installieren. Da würden ebenfalls alle - zu Recht! - auf die Barrikaden gehen.

funny
26.03.2008, 16:58
Die Palästinenser kämpfen seit mehr als 60 Jahren für Freiheit und zahlen täglich mit Blut dafür...aber an die denkt ja kaum jemand! :-?


Stimmt doch gar nicht. Auch hier gibt es Kritik und immerwährende Versuche, die Parteien an einen Tisch zu kriegen.

Israel hat allerdings auch ein Existenzrecht!


Ziemlich schlimm eigentlich wie sehr die Menschen einandern hassen und sich Freiheit und Frieden nicht gönnen können. :-(

Wenn man sich das mal im kleinen Rahmen ansieht: Es gibt Nachbarn, die um ihre verrotete Gartenmauer seit Jahrzehnten teure, anstrengende Rechtsstreitigkeiten führen, sich beschimpfen oder sogar tätlich werden. UNVORSTELLBAR. Aber es kann nunmal der Friedlichste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbar nicht gefällt, womit wir wieder bei Tibet wären.

Evil
26.03.2008, 18:34
Aber gut für die Welt, daß es diesen Thread hier gibt, denn von hier aus werden bestimmt alle Probleme gelöst werden :-))

synosoph
27.03.2008, 10:41
Journalist Blume über die schwere Wahrheitsfindung

Mit der Ausweisung der letzten ausländischen Journalisten aus Tibet geht die Chance verloren, den Ursachen der schweren Ausschreitungen in Lhasa auf den Grund zu gehen.

«Letztlich weiß man doch noch gar nicht, was passiert ist», sagte der deutsche Korrespondent Georg Blume vor seiner Abschiebung aus Lhasa am Donnerstag in einem Telefongespräch mit der Deutschen Presse Agentur dpa in Peking. «Es muss hier vor Ort mit den Augenzeugen geredet werden, um die Wahrheit herauszufinden. Denn jede Information, die aus Peking oder Dharamsala kommt, ist doch letztendlich verdächtig.» Blume ist China-Korrespondent der Wochenzeitung «Die Zeit» und der Berliner «taz».

Gerade sei es in Lhasa möglich gewesen, auch ausführlicher mit Augenzeugen und Teilnehmern an den Demonstrationen zu sprechen. Auch Aussagen von chinakritischen Tibetern, die das Vorgehen der Polizei gegen den plötzlichen Gewaltausbruch auch durchaus in einem positiven Licht dargestellt hätten, habe er gehört. «Solche Berichte kommen jetzt eben auch nicht mehr an die Öffentlichkeit», sagte Blume. Ein Tibeter, der sich als Unterstützer des Dalai Lama und scharfer Chinakritiker erwiesen habe, habe ihm gegenüber eingeräumt: «Ehrlich gesagt, mit der Gewalt sind wir zu weit gegangen.» Dieser Augenzeuge habe ferner berichtet, dass die Polizei nicht geschossen habe.

«Aber wenn die Behörden dich dann ausweisen, bist du dir wieder nicht sicher, ob sie nicht doch etwas zu verbergen haben», sagte Blume, der auch gesehen hat, wie bewaffnete paramilitärische Polizisten von Haus zu Haus gingen, um verdächtige Tibeter festzunehmen. Auch die tieferen Ursachen der Gewalt wie wirtschaftliche und soziale Diskriminierung könnten nicht weiter ergründet werden, wenn China ausländische Journalisten aus Tibet ausweise. «Es geht viel verloren. Es wäre eine Chance aufzuklären», sagte Blume, dem es mit der Journalistin Kristin Kupfer, die in Peking für das österreichische Magazin «Profil» akkreditiert ist, gelungen war, am Tag nach Ausbruch der schweren Unruhen am Freitag ohne die sonst für Tibet erforderliche Genehmigung nach Lhasa zu reisen. «Es ist hoch interessant, was hier an Leid zu erfahren ist.»

Seit ihrer Ankunft in Lhasa habe die Ausländerpolizei sie aufgefordert, das Hochland wieder zu verlassen. «Seit Samstag sind sie jeden Tag ins Hotel gekommen», sagte Blume. Die entsandten Beamten seien immer hochrangiger geworden. Schließlich sei ihre Weigerung auch als Verstoß gegen die Vorschriften für Journalisten in China gewertet worden, weil sie keine Genehmigung für Tibet gehabt hätten. «Man sagte uns, dass wir schon lange bevorzugt behandelt worden seien, dass wir aber Probleme bekommen, wenn wir jetzt nicht gehen», sagte Blume, der von einem «einschüchternden» Ton sprach. «Es wurde mit dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis generell gedroht.» Auch das Hotel habe ihnen am Donnerstag mitgeteilt, die Polizei habe verboten, sie weiter als Gäste zu beherbergen.

http://www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/welt/tagesthema/China-Unruhen-Tibet;art7325,2337087