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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Praxisfrage: Alkoholabhängigkeit und Delir



Lava
13.05.2008, 20:47
Beim Lernen von o.g. Thema sind mir einige Fragen gekommen zu Dingen, die einem später man als Jung-Assi passieren können.

1.) Wie wird Alkoholanhängigkeit in der Realität gehandhabt? Ich weiß ja, dass der Süchtige, meinetwegen der typische Delta-Trinker (Spiegeltrinker), seinen Alk auf Station bekommt. Macht ja auch wenig Sinn, jemanden zu einem Entzug zu zwingen, wenn der gar nicht will. Wie sieht das perioperativ aus? Wie lang bekommt er seinen Alk und ab wann darf er wieder? Gibt man während einer OP z.B. trotzdem Clomethiazol oder reichen z.B. Benzos aus, um den Kreislauf im Griff zu behalten?

Daraus ergibt sich schon

2.) Nehmen wir an, jemand rutscht tatsächlich in ein Entzugsdelir. Gibt man ihm in jedem Fall Clomethiazol? In einem Fallbeispiel in der Lerngruppe hatten wir einen Fall, in dem jemand postoperativ ein Delir hatte und Distra, ein Benzo und Haldol bekam. Nach einigen Tagen ging es ihm besser. In dem Fallbeispiel ging die Geschichte dann so weiter, dass der Mann in die Psychiatrie zu einer Entgiftung und anschließender Entwöhnung verlegt wurde. Wie realistisch ist das? Muss man das mit jedem machen, der ein Delir hatte? Ruft man ein psych. Konsil oder handelt man das allein mit einem erfahrenen OA? Kann man jemandem nach der Entgiftungsphase und ausgeschlichenem Distra entlassen im Wissen, dass er sofort wieder mit dem Trinken anfangen wird?

3.) Durchgangssyndrome haben ja eine sehr ähnliche Klinik und kommen sicher sehr viel häufiger vor. Insbesondere nach Thorax- und orthopädischen Eingriffen gehen die Zahlen ja bis 20 oder gar 40%. Wie leicht ist es, ein Alkoholdelir fälschlicherweise für ein Durchgangssyndrom zu halten (da würde man ja nur Haldol und kein Distra geben)? Ich nehme an, im Idealfall sollte eine Alkoholabhängigkeit vorher bekannt sein. Aber nehmen wir an, der Pat hat mir das bei der Anamnese verschwiegen. Wie gehe ich vor, um bei einem Delir zwischen beidem zu entscheiden?

Lava
14.05.2008, 12:23
*verschieb* Ist vielleicht hier besser aufgehoben, die Frage.

Hellequin
14.05.2008, 14:50
1.) Wie wird Alkoholanhängigkeit in der Realität gehandhabt? Ich weiß ja, dass der Süchtige, meinetwegen der typische Delta-Trinker (Spiegeltrinker), seinen Alk auf Station bekommt. Macht ja auch wenig Sinn, jemanden zu einem Entzug zu zwingen, wenn der gar nicht will.
Das dürfte auf das Haus bzw. auf die Regelungen in den Einzelnen Abteilungen ankommen. Hier bei uns in der Neuro erhalten die Patienten keinen Alkohol. Vorallem ist halt auch die Frage wie das ganze rechtlich ausschaut. Was passiert haftungsrechtlich wenn der Patient unter Alkoholsubstitution einen Unfall im KH hat?



2.) Nehmen wir an, jemand rutscht tatsächlich in ein Entzugsdelir. Gibt man ihm in jedem Fall Clomethiazol? In einem Fallbeispiel in der Lerngruppe hatten wir einen Fall, in dem jemand postoperativ ein Delir hatte und Distra, ein Benzo und Haldol bekam. Nach einigen Tagen ging es ihm besser. In dem Fallbeispiel ging die Geschichte dann so weiter, dass der Mann in die Psychiatrie zu einer Entgiftung und anschließender Entwöhnung verlegt wurde. Wie realistisch ist das? Muss man das mit jedem machen, der ein Delir hatte? Ruft man ein psych. Konsil oder handelt man das allein mit einem erfahrenen OA? Kann man jemandem nach der Entgiftungsphase und ausgeschlichenem Distra entlassen im Wissen, dass er sofort wieder mit dem Trinken anfangen wird?
Hier bei uns wird es so gehandhabt, das jedem Pat. mit C2-Abusus die Entgiftung und Entwöhnung angeboten wird. Wird aber nur von einem geringen Prozentsatz der Leute angenommen. Und wir haben hier auch Stammgäste die in regelmäßigen Abständen wegen Krampfanfällen oder Stürzen in Zusammenhang mit C2-Abusus kommen. Und die gehen auch alle wieder nachdem das Distra ausgeschlichen ist. Rechtlich hast du ja keine Handhabe um eine weitere Behandlung zu erzwingen.


3.) Durchgangssyndrome haben ja eine sehr ähnliche Klinik und kommen sicher sehr viel häufiger vor. Insbesondere nach Thorax- und orthopädischen Eingriffen gehen die Zahlen ja bis 20 oder gar 40%. Wie leicht ist es, ein Alkoholdelir fälschlicherweise für ein Durchgangssyndrom zu halten (da würde man ja nur Haldol und kein Distra geben)? Ich nehme an, im Idealfall sollte eine Alkoholabhängigkeit vorher bekannt sein. Aber nehmen wir an, der Pat hat mir das bei der Anamnese verschwiegen. Wie gehe ich vor, um bei einem Delir zwischen beidem zu entscheiden?
Beim Durchgangssyndrom ist ja eher die psychische Störrung und Desorientiertheit führend, während beim Delirium tremens ja noch die neurologischen Auffälligkeiten und vegetativen Störrungen dazukommen.

apple
14.05.2008, 19:16
Also ich hab das Gefühl, dass bei jedem Entzügigen ein Psych-Konsil angefordert wird ;-), aber keine Ahnung wie viele da "draußen" noch so rumschwirren ohne zu uns zu kommen :-nix Also beim Delir gibt man eigentlich immer Haldol + Faustan, beim "normalen" Entzug, also ohne Halluz. + extreme vegetative Symptome, gibt man Distra ab < 1 Promille nach dem Banger-Score. Meistens werden die Delire zu uns verlegt, ist selten dass woanders Haldol gegeben wird, ist zumindest bisher meine Erfahrung.

John Silver
15.05.2008, 10:01
Beim Lernen von o.g. Thema sind mir einige Fragen gekommen zu Dingen, die einem später man als Jung-Assi passieren können.

1.) Wie wird Alkoholanhängigkeit in der Realität gehandhabt? Ich weiß ja, dass der Süchtige, meinetwegen der typische Delta-Trinker (Spiegeltrinker), seinen Alk auf Station bekommt. Macht ja auch wenig Sinn, jemanden zu einem Entzug zu zwingen, wenn der gar nicht will. Wie sieht das perioperativ aus? Wie lang bekommt er seinen Alk und ab wann darf er wieder? Gibt man während einer OP z.B. trotzdem Clomethiazol oder reichen z.B. Benzos aus, um den Kreislauf im Griff zu behalten?

Wie ein Alki perioperativ versorgt wird, sollte ein Betäubär sagen, jedenfalls würde ich im Zweifelsfall nichts geben. Entzugssymptome stellen sich so schnell nicht ein, das ist normalerweise ein postoperatives Problem.


2.) Nehmen wir an, jemand rutscht tatsächlich in ein Entzugsdelir. Gibt man ihm in jedem Fall Clomethiazol?

Als Jungassi würde ich eine solche Entscheidung nie alleine treffen, sondern immer einen Facharzt konsultieren oder ein Notfall-Psych-Konsil erbitten. Einem Alki im Delir kann man mit falscher Therapie die Lichter ausblasen, deswegen ist da Vorischt geboten.


In einem Fallbeispiel in der Lerngruppe hatten wir einen Fall, in dem jemand postoperativ ein Delir hatte und Distra, ein Benzo und Haldol bekam. Nach einigen Tagen ging es ihm besser. In dem Fallbeispiel ging die Geschichte dann so weiter, dass der Mann in die Psychiatrie zu einer Entgiftung und anschließender Entwöhnung verlegt wurde. Wie realistisch ist das?

Nicht besonders realistisch. Meistens stellt man ein Psych-Konsil aus, und der zustädige Psych findet schon heraus, ob der Patient eine Entgiftung und Entwöhnung wünscht. Anschließend gibt der Psych eine Empfehlung heraus, und Du als Chirurgin handelst nach dieser Empfehlung.


Kann man jemandem nach der Entgiftungsphase und ausgeschlichenem Distra entlassen im Wissen, dass er sofort wieder mit dem Trinken anfangen wird?

Ja. Wir können den Patienten die Entwöhnung etc. nur anbieten. Wenn der Patient ablehnt, und das passiert häufig, dann dokumentiert man es fein säuberlich und läßt den Patienten ziehen.


Wie leicht ist es, ein Alkoholdelir fälschlicherweise für ein Durchgangssyndrom zu halten (da würde man ja nur Haldol und kein Distra geben)? Ich nehme an, im Idealfall sollte eine Alkoholabhängigkeit vorher bekannt sein. Aber nehmen wir an, der Pat hat mir das bei der Anamnese verschwiegen. Wie gehe ich vor, um bei einem Delir zwischen beidem zu entscheiden?

Theoretisch ist es relativ einfach. Wenn anamnestisch C2-Abusus nicht bekannt ist bzw. vom Patienten verschwiegen wird, dann schaut man sich die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung und die Laborwerte an, vor allem das Blutbild. Hat er eine makrozytäre Anämie, dazu Granulozyten mit hypersegmentierten Kernen, und dann vielleicht noch neurologische Symptome, die zu einem B12- bzw. B1-Mangel passen, und eventuell noch eine Hepatomegalie bzw. sonstige Zeichen einer Leberzirrhose, die da wären Östrogenüberschuß (Palmarerythem, Spider etc.) bzw. portale Stauungszeichen bei beiden Geschlechtern, kannst Du mit recht hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß der Patient säuft, wenngleich man mögliche andere Erkrankungen wie M. Crohn (kann B12-Mangel machen) beachten muß.
So ist es aber nur im "Idealfall", in der Praxis sind die Zeichen oft wesentlich diskreter und schwieriger zu entdecken. Dann ruft man den Hausarzt an, und/oder Ehefrau/Ehemann, oder wer sonst als Angehöriger aufgeführt wird. Oder man ruft einen Psych, falls man die Möglichkeit hat, und überläßt die Entscheidung dem Psych :-))

Lava
15.05.2008, 15:20
Vielen Dank erstmal. Offenbar ist das kein Thema, das bei einer mündlichen Prüfung wie aus der Pistole geschossen kommen muss. "Konsil anfordern" und "OA rufen" klingt nach ner Diskussionsgrundlage ;-)