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hobbes
08.10.2002, 16:33
Bekanntlich steigen die Kosten im Gesundheitssystems permanent und ohne Aussicht auf eine Besserung. Die Kosten werden den Versicherungsnehmern (also den Patienten) und dem Staat auferlegt. Gleichzeitig steigert sich der Druck auf Ärzte und Kliniken zur Kostensenkung. Dabei geraten immer mehr diejenigen unter die Räder, welche keine Schuld an der Entwicklung trifft.

Daher hier eine kleine Provokation meinerseits: Es ist doch ein Faktum, dass Gesundheitskosten auch aufgrund von fährlässigem Gesundheitsverhalten vieler Patienten steigen. Dazu zähle ich u.a. Risikosportarten in der Freizeit, Rauchen, Alkohol und unsere exzessive Esskultur. Müssten nicht die Verursacher dieser Gesundheitsprobleme und damit Kosten zur Kasse gebeten werden, also: Zwangszusatzversicherungen für risikoreiche Sportarten, Tabakfirmen, Alkoholproduzenten, Restaurateure und Fast-Food-Ketten?

Über eine differenzierte Diskussion zu diesem nicht ganz ernstgemeinten Posting freue ich mich.

hobbes

Dr.Dolor
08.10.2002, 16:57
Hi Hobbes,

interessantes Thema, wenn auch nahezu unergründlich.
Im Grunde diskutieren wir als junge Ärzte/Ärztinnen ja viel zu wenig über diese essentielle Sache.
Bei der von Dir erwähnten "provokativen" These kann ich Dir zwar zustimmen, denke aber das sowas nicht kontrollierbar ist. Natürlich könnte man die Preise von Alkohol & Tabak um 50% raufsetzen und diese Gelder dem Gesundheitssystem zukommen lassen, aber wie lässt sich schon definieren, was eine "Risikosportart" ist?
Grundsätzlich stellt sich doch die Frage, Quo vadis? Das derzeitige Gesundheitssystem ist im Vergleich zu unseren europäischen (und globalen) Nachbarn gar nicht so schlecht - das wird sich aber in den nächsten 10 Jahren deutlich ändern. Wenn jeder ein Maximum an Behandlung & Therapie erwartet und gleichzeitig nicht bereit ist, zusätzlich zu investieren dann ist ein Ende abzusehen.
Hier mein Vorschlag: Klare Leistungsdefinition für eine gesundheitliche Grundversicherung und entsprechend gestaffelt nach privater Zuzahlung auch höhere medizinische Leistungsangebote. Das ist natürlich die Mehrklassen-Medizin aber gegen das Standard-Argument: "Wer Kohle hat, ist gesünder" halte ich ganz klar: "Wer nicht bereit ist, in seine Gesundheit zu investieren oder auf selbige zu achten, der kann eben nicht eine optimale Behandlung erwarten" Auch das mag einigen provokativ erscheinen aber wenn zukünftig nicht deutlich mehr Geld in unser Gesundheitssystem fliesst, dann wird der Standard für alle sinken. Bestes Beispiel: Ärztemangel aufgrund jahrelanger massiver Einsparung an den Personalkosten.

:-meinung
Gruss, Daniel.

Lion
08.10.2002, 16:58
Ich sehe das Problem eher darin, daß sich die meisten Patienten nicht darüber bewußt sind welche Kosten sie verursachen, wenn sie gemütlich drei mal in der Woche zum Arzt gehen, ihre nette Plastikkarte auf den Tisch legen und ihr Säckchen Medikamente mitnehmen.

Erlaubt mir bitte den Vergleich zur Veterinärmed. Dort ist es ganz selbstverständlich, daß man nach der Behandlung seines Wuffi die Kohle auf den Tisch legt und nicht anfängt rumzumeckern, daß die Behandlung nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.

Es rennen einfach viel zu viele Menschen unsinnig zum Arzt. Ergo, Selbstbeteiligung. Genau hier sehe ich das Problem Krankenkasse. Als Privatversicherter bekommt man eine Rechnung des Arztes, sieht wieviel Geld die Behandlung gekostet hat und muß oftmals die Rechnung zunächst aus eigener Tasche bezahlen. Als gesetzl. Versicherter klatscht man seine Plastikkarte auf den Tisch und es hat sich die Sache.

Aber hatten wir dieses Thema nicht schon ziemlich häufig?

Fazit: Deinen Ansatz, Hobbes, halte ich für falsch. :-))

Lion
08.10.2002, 17:02
Original geschrieben von Dr.Dolor
Hier mein Vorschlag: Klare Leistungsdefinition für eine gesundheitliche Grundversicherung und entsprechend gestaffelt nach privater Zuzahlung auch höhere medizinische Leistungsangebote.


Mensch Dolor, hättest Du nicht noch ne Minute warten können mit Deinem Posting? :-(

Jedenfalls sehe ich das auch so. :-))

hobbes
08.10.2002, 17:25
Hier mein Vorschlag: Klare Leistungsdefinition für eine gesundheitliche Grundversicherung und entsprechend gestaffelt nach privater Zuzahlung auch höhere medizinische Leistungsangebote

Ich sehe das auch so. Weshalb deshalb mein Ansatz falsch sein soll, Lion, bedarf noch einer Zusatzerklärung. Denn ein einzelner Ansatz wird das Gesundheitssystem nicht kurieren. Zudem wird es wohl ewige Streitereien geben, welche Leistungen jetzt unbedingt in die Grundversicherung gehören und welche nicht.


Es rennen einfach viel zu viele Menschen unsinnig zum Arzt. Ergo, Selbstbeteiligung. Genau hier sehe ich das Problem Krankenkasse.

Klar, in meinen Augen ist die Krankenversicherung eben eine Versicherung gegen unvorhergesehene hohe Krankheitskosten, die sicherstellen soll, dass ich mir als Patient immer eine Behandlung leisten kann. Hier gehört eine Zwangsselbstbeteiligung für die ersten 700 EUR hin. Wer sich das nicht leisten kann, ist ja wohl so oder so auf staatliche Zuwendungen angewiesen.
Diejenigen Ärzte, welche Patienten alle zwei Tage herbestellen und eine Stunde unterhalten, sollten aber auch mal auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Sind hier Pauschalbeitrage für eine Indikation angebracht? Ich empfinde diese weil unflexibel eigentlich als ungerecht für den Arzt; aber vielleicht kommen wir darum herum.


Als Privatversicherter bekommt man eine Rechnung des Arztes, sieht wieviel Geld die Behandlung gekostet hat
Ich denke nicht, dass das besonders viele gesetzlich Versicherte beeindruckt.


wie lässt sich schon definieren, was eine "Risikosportart" ist?
Das ist doch nicht sonderlich schwierig: Motorradfahrer (obligatorische zusatzliche Versicherung zur Erlangung der Fahrzeugbewilligung), Fallschirmspringen, Paragleiten, Bungee-Jumping, Skifahrer: obligatorische Versicherung als Bestandteil der Ticketpreise von entsprechenden Veranstaltern.
Oder dann Ausschluss der Bezahlung von typischen Sportverletzungen aus der gesetzlichen Versicherung.

Lion
08.10.2002, 17:34
@Hobbes:

Der Effekt mit der Rechnung liegt darin, daß man (außer Krankenhausaufenthalte) zunächst seine Rechnung bezahlen muß. Außerdem gibt es da Selbstbeteiligungen und man erhält am Ende des Jahres den Überschüssigen Betrag zurück. Jetzt verstanden?

Nun meine Zusatzerklärung. Ich würde die Krankheitsursache herauslassen. Ist mir doch egal, ob sich jemand sein Bein beim Motorradfahren oder beim Einkaufen gebrochen hat.
Außerdem war mein letzter Zusatz nicht ganz ernst gemeint und mit den Streitereien hast Du wohl zweifelsfrei recht.

Den Ansatz mit der Mindestbeteiligung halte ich für sehr gut. Ist doch bei der Autoversicherung auch nicht anders.

airmaria
08.10.2002, 17:35
Also Raucher müßten dann schonmal einen Risikoabschlag bekommen und weniger bezahlen!
Siehe dazu die Ausführungen in Kernenergie....

"Mary" airmaria

Lion
08.10.2002, 17:44
Sehe ich auch so. Herr Eichel sollte jedem Raucher ein Dankeschön-Päckchen schnüren und ein Ostbürger mehr kann sich über seine Rente freuen obwohl er nie einen Pfennig einbezahlt hat.

michiwolfskin
08.10.2002, 18:23
Original geschrieben von hobbes

Hier gehört eine Zwangsselbstbeteiligung für die ersten 700 EUR hin. Wer sich das nicht leisten kann, ist ja wohl so oder so auf staatliche Zuwendungen angewiesen.

Das verursacht meiner Meinung nach nur eine größere Kluft zwischen den Behandlungsweisen und die Spaltung in eine
Zwei-(oder dogar drei)-klassenmedizin wird so noch gestärkt:
Wer privat versichert ist, der ist sowieso König, derjenige, der die Selbstbeteiligung bezahlen kann kommt auch noch ganz gut weg.
Aber ich glaube kaum, dass der Staat teure Untersuchungen für Sozialschwächere so einfach bezahlen würde.

Natürlich kann es nicht so weitergehen wie bisher. Warum nicht ein medizinisches Budget einführen, das jedem Einzelnen für ärztl. Untersuchungen etc. zur Verfügung steht. Wer dieses überschreitet, der muss den Rest eben aus eigener Tasche oder über eine Zusatzversicherung dazubezahlen.
:-meinung

Viele Grüße,

Michi

hobbes
08.10.2002, 23:33
Aber ich glaube kaum, dass der Staat teure Untersuchungen für Sozialschwächere so einfach bezahlen würde.
Über die Höhe einer Selbstbeteiligung ist zu diskutieren. Doch wer seine Selbstbeteiligung wirklich nicht leisten kann, der ist doch schon vor seiner Erkrankung auf staatliche Fürsorge abhängig. Es wäre entsprechend gesetzlich zu regeln, dass alle Krankheitskosten übernommen werden.
Übrigens zum Thema Kluft: heute gibt es eine solche sicherlich nicht. Jeder kommt in den Genuss der besten Medizin wenn es um Lebensrettung geht. Dies möchte ich nicht in Frage stellen. Aber dennoch: wer die Kosten, die er verursacht auch selbst spürt, der achtet mehr darauf, den Arzt nur dann aufzusuchen, wenn dies auch notwendig ist.
Keine andere Versicherung ausser der Krankenversicherung kennt dieses System ohne jegliche Selbstbeteiligung und ohne Bonus-Malus.


Warum nicht ein medizinisches Budget einführen, das jedem Einzelnen für ärztl. Untersuchungen etc. zur Verfügung steht. Wer dieses überschreitet, der muss den Rest eben aus eigener Tasche oder über eine Zusatzversicherung dazubezahlen.
Das hingegen halte ich dann für eine Zwei-Klassenmedizin. Eine unverhofft (und so ist das immer) diagnostizierte Krebserkrankung, eine Querschnittlähmung, eine Oberschenkelhalsfraktur verursacht Kosten, die nur sehr wenige Personen aus ihrem Vermögen bezahlen können. Alle diese sähen sich mit unbezahlbaren Krankenhausforderungen konfrontiert.
Die Krankenversicherung sollte doch zur Deckung der grossen Risiken da sein und nicht für die Alltagsproblemchen wie einem konventionellen Schnupfen, welcher jeder auch mit seiner Hausapotheke lösen kann.


Also Raucher müßten dann schonmal einen Risikoabschlag bekommen und weniger bezahlen!
Ich kenne deine Argumentation airmaria. Ich bin aber davon nicht wirklich überzeugt. Zwar ist es richtig, dass Raucher früher sterben. Ihr früher Tod ist aber durch die damit verbundene schwere Erkrankung dermassen teuer, dass der Kostenbenefit durch das frühe Ableben überstiegen wird.
Dass die Tabaksteuern der Rente zugute kommen und nicht dem Gesundheitssystem verstehe ich nicht und empfinde dies als Unfug. Es fehlt hier der Kausalzusammenhang, der einer Lenkungssteuer eigentlich zugrunde liegen sollte.
Übrigens ich plädiere nicht für noch höhere Tabaksteuern.


Nun meine Zusatzerklärung. Ich würde die Krankheitsursache herauslassen. Ist mir doch egal, ob sich jemand sein Bein beim Motorradfahren oder beim Einkaufen gebrochen hat.
Damit bin ich nicht einverstanden. Der Motorradfahrer setzt sich einem Zusatzrisiko aus und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass er sein Bein bricht - oder als Querschnittgelähmter im Rollstuhl landet - um ein Vielfaches. Dadurch werden Gesundheitskosten, die - weil defizitär - von der Allgemeinheit - via Prämien oder Steuern - bezahlt werden müssen. Er müsste doch dieses Zusatzrisiko welche Otto Normalverbraucher nicht eingeht, durch eine Risikoversicherung abdecken.

:-meinung

Falls dieses posting den Eindruck eines Rundumschlages erwecken sollte, so ist dieser Eindruck falsch. Ich wollte nur auf eure Antworten eingehen - nichts ist persönlich zu nehmen. Es ist sehr interessant mit euch zu diskutieren. Vielen Dank

hobbes

Sebastian1
08.10.2002, 23:35
Ich schreib auch mal wieder was aus meiner Sicht:

- KV/Selbstbeteiligung: Ich bin durchaus dafür zu haben, bei einem gesundheitsgefährdenden Lebenswandel entsprechende Zuzahlungen von diesen "Risikopatienten" zu verlangen. Wer schonmal beteiligt war, wenn exzessive Raucher geweant wurden (im Vergleich zu einem NR mit vergleichbarer Diagnose), weiß, was ich meine....die Inzidenz für (in der Folge kostenintensive) diverse Krankheiten brauche ich glaube ich nicht extra aufzuführen?!

- Kosteneinsparung im Gesundheitssystem: Ich beziehe mich mal nur auf KH, weil ich mich im Bereich der niedergelassenen Ärzte nicht aureichend gut auskenne, um mir darüber wirklich eine diskussionswürdige Meinung zu erlauben.
Ganz klammheimlich, ohne großen Presserummel, ist übrigens inzwischen Fakt, daß das DRG-System bereits zum 1.1.03 eingeführt wird. Wie groß das Problembewußtsein ist, wird man alleine daran sehen, daß selbst in einem Medizinstudentenforum wahrscheinlich viele Mitleser und -schreiber IMO nicht wissen, was das überhaupt ist und wie es sich auswirkt. Meine Prognose: Wir werden in den nächsten 10-15 Jahren diversen Schließungen von KH, Zusammenlegung von Stationen und Fachbereichen etc. entgegensehen. Desweiteren wird das Kostenbewußtsein noch weiter in alle Bereiche durchdringen. Und dann wird knallhart gerechnet (wird ja jetzt schon....). Da können wir dann auch ganz schnell erleben, wie aufgrund wirtschaftlicher Faktoren die EBM einen regelrechten Boom erleben wird. Das jedenfalls ist meine Prognose. Da könnte man sich jetzt auch diverse Beispiele zu aus den Fingern saugen....

Bevor ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin weiß Gott kein Experte auf diesem Gebiet (oder auch nur annähernd dran...), das sind nur meine persönlichen Überzeugungen....könnte zu dem Thema noch viel schreiben und bin aber erst mal gespannt, was von euch noch so kommt ;)

Gute N8 wünscht,
Sebastian

hobbes
08.10.2002, 23:47
Richtig. Der Kostendruck wird zunehmend intensiver und wird m.E. auch die falschen treffen. Rationierungen finden bereits heute in Graubereichen statt. Wir sollte falsche Entwicklungen in diesem sehr delikaten Gesundheitssystem zu verhindern wissen.

Bevor irgendwelche unwissenden Bürokraten (ich weiss, es ist bereits zu spät) das Gesundheitssystem zerstören, sollten die Ideen zur Kosteneindämmung und zur Finanzierung eben gerade von der Ärzteschaft kommen.

eva_luna
09.10.2002, 00:02
hi,

interessante diskussion zu einem leider viel zu wenig beachteten thema! war übrigens sehr verärgert, dass kürzlich im wahlkampf keine einzige partei eine großangelegte initiative zur gesundheitsreform vorgelegt hat, bis jetzt sind das alles nur "reförmchen" => siehe generika, es glaubt wohl hoffentlich niemand, dass man mit wirkstoff-verschreiben das gesundheitssystem retten kann.

meine meinung ist ganz klar, dass man nicht alles auf die patienten abwälzen darf, die kostenexplosion wird nicht nur von den netten omis verursacht, die jede woche zum kaffeeklatsch in die sprechstunde kommen. der riesige bürokratie-apparat darf in der rechnung auf keinen fall vernachlässigt werden! das ganze gesundheitswesen ist eine exorbitante bürokratie-anhäufung, die noch dazu absolut unproduktiv arbeitet. erinnert einen fast schon an die arbeitsämter, die ebenfalls hauptsächlich damit beschäftigt sind, sich selbst zu verwalten. meine lösung (zumindest für diese problematik): liberalisierung, selbstverantwortung, vernünftiges controlling.

viele grüße
eva_luna

airmaria
09.10.2002, 09:44
Original geschrieben von hobbes
Ich kenne deine Argumentation airmaria. Ich bin aber davon nicht wirklich überzeugt. Zwar ist es richtig, dass Raucher früher sterben. Ihr früher Tod ist aber durch die damit verbundene schwere Erkrankung dermassen teuer, dass der Kostenbenefit durch das frühe Ableben überstiegen wird.
Dass die Tabaksteuern der Rente zugute kommen und nicht dem Gesundheitssystem verstehe ich nicht und empfinde dies als Unfug. Es fehlt hier der Kausalzusammenhang, der einer Lenkungssteuer eigentlich zugrunde liegen sollte.
Übrigens ich plädiere nicht für noch höhere Tabaksteuern.


... dann werd ich mir jetzt nochmal die Mühe machen, und versuchen es für die anderen zu erklären:

man hat, durch die Medien, durch die Eltern, durch diverse Politiker und gegebenenfalls durch merkwürdige Statistiken im Kopf: der Raucher verursacht mehr Krankenkosten und belastet die Krankenkassen stärker, als ein Nichtraucher.

Dies ist aber meines Erachtens nicht richtig, da der Raucher immer nur mit dem "Gesunden" verglichen wird, der dann irgendwann mal glücklich tot umfällt.


Betrachten wir erstmal den Raucher:

der beste und kostengünstigste Raucher für den Staat ist derjenige, der irgendwann um die 60 herum seinen Lungenkrebs entwickelt:
er hat fast bis zur Rente gearbeitet, verbraucht null Sozialleistungen (Rente...), hat brav täglich seine Tabaksteuern abgeliefert und fleißig gearbeitet... und er verstirbt recht schnell und zügig, ohne großartig Krankenkosten zu verursachen.

der weniger günstige Verlauf ist die Entwicklung von KHK- oder pAVK-Krankheiten, wobei aber zum einen einige davon immerhin noch extrem günstig am HI versterben und die anderen zumindest auch nicht so alt werden, daß sie lange an den Sozialleistungen rumknabbern.


Der vorbildliche Nichtraucher:

er wird ca um die 80 Jahre alt und liegt damit schonmal 20 Jahre lang dem Staat auf der Tasche! Mit zunehmendem Alter steigt aber auch die Inzidenz anderer Krebse, die er dann womöglich entwickelt und diese sind meist wesentlich langwieriger und kostenintensiver als der gute Lungenkrebs!
Außerdem steigt die Gefahr der Entwicklung chronischer Krankheiten, oh Schreck!!! ... chronisch, das übelste Wort in der Gesundheitspolitik.
Schließlich übersteigt seine Lebenszeit die Tragfähigkeit seiner Gelenke: er braucht hier eine Knieprothese, da eine Hüftprothese... und die sind glücklicherweise ja total im Angebot *g*
Zuguterletzt wird der arme Nichtraucher auch noch dement, weil er immer schön beim Arzt war, seine "Zwischenkrankheiten" behandeln ließ... und somit das körperliche Lebensalter langsam das geistig vorgesehene überschreitet. Das ist besonders günstig: aber wir haben ja die Pflegestufe 3...


Sind natürlich nur eineige wenige Beispiele, mit denen ich diese Problematik "Raucher sind teuer" verdeutlichen möchte:
aber solange mir keiner eine Studie aufweisen kann, wo folgendes für die durchschnittlichen Raucher und Nichtraucher berücksichtigt ist:

- staatliche Einnahmen durch Tabaksteuer
- Ersparnis an Sozialleistungen durch geringere Lebenserwartung
- Verhältnis Krankenkosten zum durchschnittlichen (nicht gesunden!) Nichtraucher

... kann ich das nicht glauben, daß der Raucher "teurer" ist!

"Mary" airmaria

Lion
09.10.2002, 10:13
Original geschrieben von hobbes

Dass die Tabaksteuern der Rente zugute kommen und nicht dem Gesundheitssystem verstehe ich nicht und empfinde dies als Unfug. Es fehlt hier der Kausalzusammenhang, der einer Lenkungssteuer eigentlich zugrunde liegen sollte.
Übrigens ich plädiere nicht für noch höhere Tabaksteuern.


Damit bin ich nicht einverstanden. Der Motorradfahrer setzt sich einem Zusatzrisiko aus und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass er sein Bein bricht - oder als Querschnittgelähmter im Rollstuhl landet - um ein Vielfaches.


1. Da ich diesen Punkt nicht für sonderlich diskussionswürdig erachte, mache ich es kurz. Ich habe keine Kausalität zwischen Tabaksteuer und Rente hergestellt. A. g. der niedrigeren Lebenserwartung erhalten Raucher einfach weniger Rente.

2. Der Aspekt mit dem Risokopotential geht mir zu weit. Ist ja nicht schlimm wenn wir da untersch. Auffassungen haben, aber m.E. nach sollte eben die Behandlung im Vordergrund stehen. Was die Menschen in ihrer Freizeit machen geht mich doch nichts an. Man kann doch nicht einerseits der Gesellschaft vorwerfen, daß alle zu dick sind und nicht genug Sport getrieben wird, andererseits sie dafür aber zahlen lassen. Jede Sportart bringt eine Verletzungsgefährdung mit sich. Außerdem, wo bleibt denn dann der Spaß im Leben?

airmaria
09.10.2002, 11:14
... hatte ich ja noch gar nicht mitbekommen: da wird also auch noch auf den moppedfahrern rumgehackt?!

Fakt ist erstens: über 70% der Motorradunfälle werden von Autofahrern verursacht! Demnach müßte der einen höheren Zuschlag zahlen *g*

Fakt ist zweitens: immerhin kann der Moppedfahrer beim Fahren unterm Helm schonmal nicht rauchen...

Was lernen wir daraus? Risikozuschläge führen irgendwann immer ins Absurde und zu Ungerechtigkeiten!

Was ist mit kongenitalen Krankheiten und Fehlbildungen?
Was ist mit venerischen Infektionskrankheiten? (Risikozuschlag für Homos oder was?)
Was ist mit leuten, die in "schlechtere luft" oder in mit Schwermetallen kontaminierten Gegenden wohnen?
Was ist mit Arbeitern, die vorwiegend sitzende Tätigkeiten ausführen?
...
...
...

"Mary" airmaria

Lion
09.10.2002, 12:04
Original geschrieben von airmaria
... Was lernen wir daraus? Risikozuschläge führen irgendwann immer ins Absurde und zu Ungerechtigkeiten!


Genau meine Rede.

Risikozuschläge sind bestimmt eine gute Idee und einer Überlegung wert, halte ich aber auch für nicht durchführbar, bzw. bin ich nachwievor eher dagegen.

hobbes
09.10.2002, 13:43
Ich danke airmaria und Lion für euere Ausführungen. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass wir den Leuten nicht vorschreiben sollten, wie sie zu leben haben. Dieses gesellschaftlich goutierte Risikoverhalten führt aber zu höheren Gesundheitskosten, das ist nun mal nicht wegzudiskutieren. Es ist wahr, dass durch Rauchen u.ä. anderswo wohl Kosten gespart werden (Altersvorsorge, Fürsorge). Dann aber muss die Konsequenz gezogen werden und dem Gesundheitssystem höhere Finanzmittel zugesprochen werden, die dann anteilsmässig bei der Altersvorsorge gestrichen werden müssten. Seid ihr sicher, dass das aufgeht.
Man kann Kosten nicht nur verursachen, man muss sie auch bezahlen.

Den Raucher/ Nichtraucher-Kosten werde ich gerne nachgehen. Ich will nichts behaupten, was ich nicht belegen kann.

hobbes
09.10.2002, 15:34
Aus Gründer der Leserfreundlichkeit kann ich nicht auf alle Aspekte eingehen.
Da du, airmaria, wohl Raucher bist und ich Nichtraucher, werden wir uns bei diesem Thema wohl nie einig werden.

Bevor ich zu den volkswirtschaftliche Kosten komme, möchte ich die Krankheitskosten durchleuchten:


Der vorbildliche Nichtraucher: er wird ca um die 80 Jahre alt und liegt damit schonmal 20 Jahre lang dem Staat auf der Tasche! Mit zunehmendem Alter steigt aber auch die Inzidenz anderer Krebse, die er dann womöglich entwickelt und diese sind meist wesentlich langwieriger und kostenintensiver als der gute Lungenkrebs!

Du behauptest, der Nichtraucher sei mehr chronisch krank, weil er älter wird und entwickle kostenintensivere Krankheiten.
Nun zu den Fakten:
Die Lebenserwartung eines Nichtrauchers ist gerade mal 6.5 Jahre höher als diejenige eines Rauchers. Es ist also nicht so, dass der typische Raucher mit 60 Jahren ohne grosse Kosten stirbt und der Nichtraucher mit 95 nach 10-jährigem Krankenhausaufenthalt total verblödet wegen Alzheimer grausam an einem Multiorganversagen eingeht.
Raucher leiden mehr an: (keine abschliessende Auflistung)
- COPD (chronisch)
- KHK, pAVK (also durchaus chronisch)
- Krebsinzidenz erhöht bei Lungen-Ca, Mamma-Ca, Larynx-Ca, Hirnmetastasen bei Lungen-Ca (ich glaube nicht, dass das kostenarme Erkrankungen sind).
- perinatale Todesfälle, d.h. Fehlgeburten von Raucherinnen
- Brandverletzungen
- chron. Bronchitis, Asthma bronchiale
- Pneumonien
- Grippe
- Aneurysma der Aorta abdominale
- Magen- und Duodenalulcera
- Katarakt
Wie man sieht, sind eine Menge dieser Erkrankungen chronischer Art und verursachen keine kurzen kostenarmen Tod.
Raucher haben 30% mehr Krankenhausaufenthalte als Nichtraucher.


- Verhältnis Krankenkosten zum durchschnittlichen (nicht gesunden!) Nichtraucher

Gemäss einer holländischen Studie (NEJM 337:1052-7, Oct. 97) verursachen Raucher im Alter von 40 Jahren praktisch die gleichen Krankheitskosten wie Nichtraucher. Dann aber tut sich die Schere auf und mit 60 Jahren verursachen Raucher durchschnittlich 40% höhere Krankheitskosten als Nichtraucher.

Nun zu den volkswirtschaftlichen Kosten: (Quelle Zeitschrift für Rechtspolitik 7/99)
Pro Raucher fielen in Deutschland 1993 817.56 EUR an Kosten für Arbeitsausfall und Krankheitskosten zusammen an. Es ist nämlich so, dass Raucher eben nicht erst im frühen Pensionsalter erkranken, sondern früher im Erwerbsalter invalidisieren. Dabei zerren sie dann von den Sozialleistungen und nehmen nicht mehr teil an der Erwirtschaftung des Bruttosozialproduktes.
Das Sterben von Rauchern im erwerbsfähigen Alter mindert das BSP in Deutschland jährlich um 7.5 Mrd EUR.
- Raucher haben mehr Unfälle als Nichtraucher
- Raucher werden früher invalide
- es gibt mehr arbeitslose Raucher als arbeitslose Nichtraucher
- Raucher haben mehr Krankheitstage als Nichtraucher (30% mehr!). Dadurch werden Lohnfortzahlungskosten verursacht.
- Zigarettenpausen gehen auf Kosten der Arbeitszeit. Dadurch entstehen kumuliert betriebswirtschaftliche Kosten im zweistelligen Mrd-Bereich.


- staatliche Einnahmen durch Tabaksteuer


- Ersparnis an Sozialleistungen durch geringere Lebenserwartung

Du argumentierst nun mit der Tabaksteuer. Die Tabaksteuer ist eine Lenkungsabgabe zur Reduktion der Anzahl Raucher, also eigentlich eine staatliche Gesundheitsforderungsmassnahme. Zumindest war dies die (vordergründige) Intention bei Schaffung derselben. Über die Steuereinahmen aus der Tabaksteuer sollten wir uns also nicht riesig freuen, sondern eher bedauern wieviele abhängige Raucher mit uns leben.

Ich möchte zu den eingesparten Sozialleistung in Erinnerung rufen, dass der durchschnittliche Raucher nur 6.5 Jahre früher stirbt und dass er früher invalidisiert. Abschliessend möchte ich noch den Gesundheitsökonomen Robert Welte zitieren:

Der deutsche Fiskus habe zwar 1993 rund 9,20 Mrd. Euro an Tabaksteuern eingenommen. Aber: "Aus volkswirtschaftlicher Sicht handelt es sich bei allen Steuern, also auch der Tabaksteuer, nur um eine Verschiebung von Werten innerhalb der Gesellschaft." Soll heißen: Was der Staat einnimmt, geht den Bürgern verloren. Unterm Strich also ein Nullsummenspiel, dem die finanziellen Einbußen durch das Rauchen entgegenstehen.
Und das frühere Sterben? In den Augen des Ulmer Gesundheitsökonomen ist das ein zynischer Denkansatz. Zu Ende gedacht würde das bedeuten: "Jedes Kind, das früh stirbt, erspart dem Staat Millionen an Gesundheits- und Ausbildungskosten."

:-meinung

hobbes

Lava
09.10.2002, 15:52
Nicht schlecht, Hobbes! :-notify

Ich mach mir nicht die Mühe, sowas durch Zahlen zu beweisen. Sollen die Krankenkassen doch fragen: "Raucher? Wieviele am Tag? Extremsportler?..." Ist sicher alles schwer belegbar und einige Kriterien kann man gar nicht erst messen oder einfach mit ja/nein beantworten. Trotzdem einen Versuch wert!

Übrigens glaube ich gerne, dass Autos in die meisten Motorradunfälle verwickelt sind. Die karren halt die Motorradfahrer um, wenn die mit 180 km/h auf der Landstraße angebraust kommen oder mit 70 km/h in der Ortschaft usw.