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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kunstfehler und Schadenersatzforderungen



hobbes
09.10.2002, 01:20
Ich möchte mal das Thema der Prozesse gegen "fehlbare" Ärzte aufnehmen. Dieser aus den USA stammende Trend setzt sich auch in Deutschland immer mehr durch. Patienten in Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten setzen Schadenersatzforderungen gegen Ärzte durch, von denen sie glauben geschädigt worden zu sein.

Es hat durchaus seine Richtigkeit, dass Ärzte, die gegen Wissenschaft und Sorgfalt verstossen zur Rechenschaft gezogen werden müssen und ein gegebenenfalls ein Berufsverbot erhalten sollten.

Jedoch nimmt diese Mode, zumindest in den USA, lächerliche und absurde Ausmasse an. In den USA hat ein chromosomal während der Schwangerschaft Geschädigter eine Millionensumme erhalten, weil er geboren wurde. Er hat den Gynäkologen dafür eingeklagt, dass ihn dieser vor 22 Jahren nicht abgetrieben hatte.
Dann gibt es immer mehr Patienten, die ihren Arzt einklagen, auch dann wenn kein grober Fehler vorliegt und meist aus einem Vergleich Geld erhalten.

Diese ganze Klagerei bedroht jeden Arzt in seinem täglichen handeln. Die Ausübung der Medizin könnte dadurch Schaden nehmen, dass sich Ärzte sehr strikte als Richtlinien halten müssen und ihre "Kunst" nicht mehr gemäss ihrer akademischen Überzeugung ausüben können. Letztlich also zum Schaden der Patienten.

Wie seht ihr das?

airmaria
09.10.2002, 13:30
Wieder schwierige Geschichte Hobbes!
Abgesehen von den in den Medien ausgeschlachteten Extrembeispielen, halte ich ehrlichgesagt die Schadensersatzzahlungen in Deutschland bei Kunstfehlern eher für zu nierig!
Oder würdest Du dein Bein fü 20.000 Euro "opfern" oder Die die bleibende Schädigung Deines Kindes für 200.000 Euro inkaufnehmen?

Ist das überhaupt bezahlbar?

Wie gesagt, ich rede hier von Kustfehlern: das heißt, daß der Arzt gegen die Sorgfaltspflicht grob verstoßen hat und nachgewiesener Maßen die Folgen verschuldet.

Wir dürfen uns nicht einer gewissen Qualitätskontrolle entziehen und irgendwie "über den Dingen schweben".

Daß der ein oder andere daraus nun versucht, Kapital zu schlagen ist nicht nur Problem des Arztberufes, sondern hat sich heute in der Gesellschaft in fast allen Bereichen breit gemacht.
Allerdings werden über 80% der eingereichten Kunstfehlerklagen bereits im Vorfeld nicht zugelassen.

Es werden die Tage kommen, da wir der Patient vor der Behandlung den Wissensstand und die apparative Ausstattung seines Arztes überprüfen und mit anderen vergleichen... hat er nicht das Recht dazu?

"Mary" airmaria

hobbes
09.10.2002, 14:54
Es werden die Tage kommen, da wir der Patient vor der Behandlung den Wissensstand und die apparative Ausstattung seines Arztes überprüfen und mit anderen vergleichen... hat er nicht das Recht dazu?

Solange er dies vor der Behandlung tut und sich in einem sog. freien Markt für seinen richtigen Arzt entscheidet, wäre mir das sogar hochwillkommen. Das ist viel besser als hinterher klagen.


Was ich mit meinem thread aufgreifen wollte, sind eigentlich nicht die heutigen Zustände in Deutschland. Diese sind v.a. dank einer viel besseren Rechtsordnung als in den USA recht gut.
Ich gehe aber sicherlich nicht falsch, wenn ich einen Trend zu "amerikanischen Verhältnissen" ausgemacht habe.
Die Geschichte mit der Klage gegen das "Geboren-worden-sein" gab es auch schon in Frankreich, ist aber dort durch die oberste Gerichtsinstanz anulliert worden.

Mescalera
09.10.2002, 21:53
Hallo!!

Ich sehe auch in den steigenden Kunstfehlerprozessen eine große Gefahr. Als junger Arzt traut man sich dann ja kaum noch, irgendetwas zu machen, um nicht sein ganzes Leben dafür auch noch die "finanzielle" Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.

Besonders beängstigt hat mich das Beispiel einer Frau, die geklagt hat, weil ihr bei einer Blinddarm-Op die Arterie verletzt worden ist > Folge war ein Hämatom.

Bei ihrer späteren Klage hat sie dann angeführt, dass die ganze OP ja sowieso sinnlos gewesen sei, da man auf den Videos erkennen könne das der Blinddarm nicht entzündet sei.

Dabei ist gerade eine Appendizitis so schwer zu diagnostizieren und im zweifelsfall würde ich auch jederzeit die Appendektomie vorziehen, bevor ich eine Perforation riskiere..

Schließlich kommen die Patienten doch zu uns, weil wir ihnen helfen sollen, da muß ihnen doch klar sein, dass da immer auch ein gewisses Risiko vorhanden ist. Aber wenn man nicht bereit ist, das in Kauf zu nehmen, sollte man sich am besten einfach nicht behandeln lassen, oder wie seht ihr das??

Klar, Fälle wo eindeutig grob fahrlässig oder ähnlich gehandelt worden ist - wie der Fall in Kassel wo einem krebskranken Patienten die falsche Lunge entfernt worden ist - , sollten auf jeden Fall geahndet werden, das will ich auch gar nicht verbieten. Aber der Rest??

Schließlich verlieren so doch die Patienten noch mehr das Vertrauen in die Ärzte, haben Angst falsch behandelt zu werden und müssen nur von Bekannten erfahren, die anders behandelt worden sind, schon rennen sie zum Anwalt...

Ich sehe das wirklich als bedrohliche Entwicklung die später vielleicht noch mehr Ärzte davon abhält in die Klinik zu gehen und sie in alternative Berufsfelder treibt, was dann wiederum den Ärztemangel verstärkt, was zu überarbeiteten Ärzten führt, die wiederum mehr Fehler und daher auch mehr Kunstfehler-Prozesse verursachen.....


Viele Grüße

Mescalera :-meinung

hobbes
10.10.2002, 00:26
Wow, danke Mescalera du sprichst mir aus der Seele. Ich hatte einfach nicht die Worte es so gut auszudrücken. Genau das habe ich mit meinem thread gemeint.

:-winky

airmaria
10.10.2002, 11:26
Original geschrieben von Mescalera
Klar, Fälle wo eindeutig grob fahrlässig oder ähnlich gehandelt worden ist - wie der Fall in Kassel wo einem krebskranken Patienten die falsche Lunge entfernt worden ist - , sollten auf jeden Fall geahndet werden, das will ich auch gar nicht verbieten. Aber der Rest??

Was für ein Rest?

Wir müssen immer noch zwischen Kunstfehlern und Komplikationen unterscheiden!

Mache ich einen Kunstfehler, muß ich (bzw meine Versicherung) dafür geradestehen!

Über die nicht immer vermeidlichen Komplikationen muß ich aufklären. Mache ich dies nicht, oder nur unzureichend (und das ist die Masse der Klagen!!!) hab ich ein Problem.
Das weiß ich aber und muß dementsprechend sorgfältig aufklären... auch wenn es zum hunderttausendstenmal dasselbe ist.

Es ist der Lauf der Zeit, daß man nicht wie früher alles einfach grob "über den Daumen gepeilt" erledigen kann, sei es in der Medizin, der Architektur, dem Fahrzeugbau... oder sonstwo.

"Mary" airmaria

Froschkönig
10.10.2002, 21:21
Mary hat recht, was die unterscheidung kunstfehler - komplikation angeht. aber mit amerikanisierung der verhältnisse ist wahrscheinlich gemeint, daß einem in Zukunft Prozesse ins haus stehen, weil der patient nach der behandlung immernoch rückenschmerzen hat oder weil die vorsichtige prognose eines unerfahrenen assistenzarztes eben nicht zutraf. die entdeckung der juristen, daß die medizin ein ausgezeichnetes schlachtfeld birgt, ist auf der grundlage des ungeschriebenen amerikanischen rechts zu sehen. da es bei uns ein festgeschriebens recht gibt, wird es - so hoffe ich - niemals diese dimensionen annehmen, aber es geht in die richtung. bei mir in der uniklinik klebte letztes semester an JEDEM schwarzen brett die visitenkarte einer kanzlei...was soll man sich bei sowas denken ???

klar, es gibt berufsversicherungen, die kunstfehler abdecken, aber wenn die rate der klagen in die höhe schnellt, wird sich keiner außer den chefärzten mehr die monatlichen raten leisten können.

ein zentrales problem bei den "wirklichen"kunstfehlern ist doch, daß sie meistens aus übermüdung und konzentrationsschwäche resultieren. ergo : irgendwer sollte die grundlage für vernünftige arbeits- und schichteinteilungen schaffen, und dann sehen wir weiter, wie oft noch ein falsches körperteil entfernt wird.

alle "leichteren" fehler wie die erwähnte überflüssige apendektomie sollten als kunstfehlerprozesse im keim erstickt werden, wenn ein arzt alle risiken ausschließen wollte und einfach nur das der situation angemessene für den patienten tut. schließlich versaut einem ein entfernter blinddarm ja genauso die lebensqualität, als wenn man ein Bein statt den mandeln entfern :-D

Vystup
11.10.2002, 18:57
Ich habe diesen Sommer mit einigen Medizinern und Nicht-Medizinern in den USA und Kanada gesprochen. Speziell in den USA stellt sich inzwischen für manche Ärzte das Problem, dass die Haftpflichtversicherungsbeiträge inzwischen so horrende Summen bedeuten, dass sie ihre Praxis schließen oder auf eine entsprechende Versicherung verzichten müssen, was bei US-Gerichtsprozess-Geldern wohl vollkommen absurd ist. Ein solche Situation darf in Deutschland nicht entstehen, dann fangen nämlich auch hier die Anwälte an, sich zu einem großzügigen Teil im Gesundheitsetat zu bedienen.
Es muß klar sein, daß Ärzte keine Götter in Weiß darstellen, daß diese genauso fehlbar sind, wie jeder andere Mensch. Mit diesem Bewußtsein sollte eigentlich eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeiten logische Konsequenz sein. Wie jeder andere Mensch soll auch ein Arzt zu seinen Fehlern stehen müssen, das soll aber nicht bedeuten, dass er aus Angst vor Fehlern seinen Beruf nicht mehr ausüben kann.