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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bildung - Elite - kein Zutritt für Nicht-mitglieder?



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Lava
09.10.2002, 16:34
Hi,

irgendwie ist mir letztens mal wieder eine Ausgabe des allseits beliebten Intellektuellenblättchens "Zeit" in die Hände gefallen. Ich weiß nicht mehr, in welchen Zusammenhang das war, aber da war die Rede davon, dass man später bei einer Bewerbung oder dem Erklimmen der Karriereleiter eben mehr braucht als nur gute Zeugnisse. Wer mit seinem Chef nicht über Shakespeare reden könne, werde nie dessen Nachfolger. Menschen aus einfacheren Verhältnissen hätten da eben sehr viel aufzuholen und deshalb immer schlechtere Chancen als Bewerber aus gebildeten Schichten. Dann musste ich an eine Frage denken, die mir beim Auswahlseminar einer Studienstiftung gestellt wurde: "Was halten Sie von 'Elite'?" Etwas überrumepelt habe ich nur rumgerudert und Blödsinn gelabert. Jetzt wird mir langsam klar, was Elite bedeutet und dass ich wohl trotz eines sehr guten Zeugnisses wohl nie "dazu" gehören werde. Ich spiele kein Instrument, lese keine Zeitung, habe kaum Ahnung von Politik und Wirtschaft und lese keine tausend Bücher im Jahr. Ein Nachteil?
In einem anderen Artikel habe ich wiederum gelesen, die viel angepriesene Bildung der Ärzte sei nicht viel wert. Man liest die Klassiker und das, was in der Spiegel Bestsellerliste steht und tut überhaupt immer nur so, als sei man gebildet - alles nur zur Schau und um den Schein zu wahren. Wirkliches Interesse sei nicht weit verbreitet.
Was sagt ihr dazu?

hobbes
09.10.2002, 16:46
Das ist ein sehr interessantes Thema.


viel angepriesene Bildung der Ärzte sei nicht viel wert. Man liest die Klassiker und das, was in der Spiegel Bestsellerliste steht und tut überhaupt immer nur so, als sei man gebildet - alles nur zur Schau und um den Schein zu wahren. Wirkliches Interesse sei nicht weit verbreitet.

Das stimmt nun wahrlich nicht. Es nutzt dem Patienten reichlich wenig, wenn der Arzt die Spiegel-Bestsellerliste kennt. Ich jedenfalls kenne sie nicht und kenne eigentlich auch keinen Arzt, von dem ich glaube, dass er sonderlich viel darauf gibt.
Meine Erfahrung wiederspricht dem obigen Zitat.


Ich spiele kein Instrument, lese keine Zeitung, habe kaum Ahnung von Politik und Wirtschaft und lese keine tausend Bücher im Jahr. Ein Nachteil?

Dazu wäre anzumerken: Die sogenannten Elite-Kinder müssen den Shakespeare auch erst mal selbst lesen und erhalten dieses Wissen ja nicht vererbt.
Ich könnte auch nicht über Sheakespeare diskutieren. Doch: wer in der Lage ist bei einem Vorstellungsgespräch sich darüber zu unterhalten, der beweist immerhin, dass er in der Lage ist Sheakespeare zu verstehen und seinen medizinischen Horizont immerhin so erweitert hat.
Dass ein Arzt auch hin und wieder in die Zeitung guckt, weiss was in der Politik läuft, finde ich gehört schon zum Standart. Das hat nichts mit Elite-Getue zu tun, sondern zeugt vom Charakter eines wachen und interessierten Zeitgenossen.

Ich bin vielleicht naiv, aber ich glaube schon, dass jeder, der sich
a) zu benehmen weiss und
b) ein gutes medizinisches Wissen und Interesse hat
seinen Weg durch die Institutionen machen kann. Dies auch ohne mafiöse Beziehungsstrukturen u.ä., also mit reinem Gewissen.

hobbes

Lava
09.10.2002, 17:01
Ja, ja, das ist ja alles richtig. Vielleicht ist nicht so gut rübergekommen, was ich meine.

Klar muss man die Bücher und Zeitungen erstmal lesen, bevor man darüber reden kann. Aber meiner Erfahrung nach beeinflussen zum geringsten Teil die Schule, zu einem mit stiegendem Alter wachsender Teil eigenes Interesse und zum größten Teil (bis zum - sagen wir - 18. Lebensjahr) die Erziehung und die Familie die "Bildung" eines Menschen. Wenn du zuhause ein gut gefülltes Bücherregal hast und siehst, dass deine Eltern regelmäßig lesen, tust du das vielleicht auch. In anderen Familien ist das einzige Buch das mit den Telefonnummern drin. Da ein Interesse für Kunst und Kultur zu entwickeln ist nicht leicht!

Kann übrigens gut sein, dass "elitäres Getue" in anderen Berufen eher vorkommt.

Lion
09.10.2002, 17:10
Wo haben wir in Deutschland denn bitte die Elite?

Schwimmen wir nicht alle in irgendeinem Einheitsbrei? Das nervt mich ja gerade so.

Wenn man sich irgendwie hervortuen möchte, muß man sehen, daß man sich auf anderen Wegen Zusatzqualifikationen aneignet.

Ansonsen denke ich eigentlich, daß man aus einem Ackegaul kein Rennpferd machen kann. Zu glauben, daß alle Menschen die gleichen intellektuellen (evtl. auch familiären??) Voraussetzungen haben ist doch einfach nur dumm.

Lava
09.10.2002, 17:30
Ich dachte daran, dass zwei Personen vielleicht das gleiche geistige Potential haben, aber dem einen bessere Chancen es zu nutzen zur Verfügung. Ups! Das klingt schon wieder so nach Kommunismus... :-blush

Lion
09.10.2002, 18:01
Original geschrieben von Janine
Ich dachte daran, dass zwei Personen vielleicht das gleiche geistige Potential haben, aber dem einen bessere Chancen es zu nutzen zur Verfügung.

That's life. :-D

Nein, Du hast vollkommen recht. Ist es nicht immer so? Wenn auch manchmal nur in minimalen Nuancen.

Es gibt immer einen größeren Fisch im Wasser und manchmal zieht man eben die Ar***karte.
(Ok, 3 EUR ins Phrasenschwein :-)) )

Lava
09.10.2002, 18:16
Ich finde das unfair MIR gegenüber, weil ich zu der nicht-gebildeten Sorte gehöre! :-))

Lion
09.10.2002, 18:28
Naja, weißt Du, es gibt zum Glück auch noch genug Menschen, die sich von einem übertrieben hochintelektuellen Geschwafel angekotzt fühlen. :-))

Man muß halt wissen wann was angebracht ist.

P.S.: Ich würde mir jedenfalls niemals etwas aneignen oder mich mit etwas beschäftigen was mich überhaupt nicht interessiert, nur um bei irgenjemand oder irgendetwas bessere Chancen zu haben.

Lava
09.10.2002, 18:35
Richtig so! Kampf der herrschenden Oberschicht! ;-)

Ach, wenn ich nicht so faul wäre, würde ich auch mehr lesen...

hobbes
09.10.2002, 18:39
Ich dachte daran, dass zwei Personen vielleicht das gleiche geistige Potential haben, aber dem einen bessere Chancen es zu nutzen zur Verfügung. Ups! Das klingt schon wieder so nach Kommunismus...

Das ist doch nicht wahr! Alle haben schon die gleichen Chancen, nur kostet es das Arbeiterkind vielleicht etwas mehr Mühe, diese Chancen wahrzunehmen und es erhält weniger Unterstützung durch sein Umfeld!
Wem willst du das anlasten? Wessen Schuld soll das sein? Das ist nun einfach mal so und wir sollten uns endlich damit abfinden. Es kann schliesslich auch nicht angehen, dass wir die Ausbildung vereinfachen, die Bild-Zeitung in der Schule lesen, nur weil dadurch die Ausbildungschancen von Arbeiterkindern erhöht werden. Ein Standard muss einfach erreicht werden - aber alle haben die Chance ihn zu erreichen.

airmaria
09.10.2002, 18:52
... wer will denn schon zu denjenigen gehören, die ihre Bücher nach einer Bestseller- oder In-Liste lesen... oder in die dementsprechenden Kinofilme rennen... nur um mitreden zu können?

Ich nicht! :-))

"Mary" airmaria

PS: sollte mal Klavier und Klarinette lernen... oh mann, was hab ich das gehaßt: der Tennisplatz, die Turnhalle, das Freibad und die Kumpels im Park waren da einfach die bessere Alternative - und man hat nebenbei auch noch was fürs Leben gelernt!

Medizinmännchen
09.10.2002, 21:50
Was mir bei der Diskussion bisher fehlt, ist die Frage, was eigentlich überhaupt "Elite" bedeutet. Meiner Ansicht nach habt Ihr bisher nur über die "Bildungselite" gesprochen. Aber der Elitebegriff ist doch sehr viel vielschichtiger als diese Gruppe gebildeter Akademiker. Es gibt auch noch andere Milieus, die sich sicher als Eliten fühlen, wie die Elite von Herkunft (Adel oder alter "Geldadel") oder auch die reine "Geldelite" (wobei es sich häufig um bildungsferne neureiche "Selfmademen" handelt). Zudem überschneiden sich diese Gruppen wiederrum häufig. Sogesehen gibt es heute im Gegensatz zu früheren Gesellschaften eigentlich für die verschiedensten Menschen die Möglichkeit, sich als Mitglied einer "Elite" zu fühlen. Teilweise ist der Aufstieg sogar sehr schnell möglich, wie man z.B. an den Mitgliedern der Medienprominenz sehen kann. Es gibt soviele verschiedene Gruppen, daß es mir schwerfällt da noch klar zu sagen, wen man als Elite ansehen will oder nicht. Nur mal ein Beispiel: Ist ein geisteswissenschaftlicher Uniprofessor mit normalem Beamtengehalt eher ein Mitglied der "Elite" als ein millionenschwerer und bekannter Fußballnationalspieler ? Sehr schwierig, wie ich finde.

Froschkönig
10.10.2002, 14:23
Seien wir mal ehrlich, es gab doch schon immer Leute, die den Durchschnitt überragt haben, vielles wäre sonst unentdeckt oder unerfunden geblieben (mal abgesehen von den zufällen, wäre Newton der Apfel nicht AUF den Kopf gefallen, gäbe es Schwerkraft vielleicht gar nicht :-D ).
Das dem so war und ist, ist ja auch gut so, hätten wir alle einheitsgehirne, wäre der Kommunismus wahrscheinlich erfolgreicher gewesen...

Die Tatsache, daß das Elitethema, ob hier, in den Medien oder am Biertisch immer wieder diskutiert wird, ist wahrscheinlich der Grunde, daß es einem "sauer aufstößt" nicht dazuzugehören (gell Janine ;-) ).
"Dazugehören" spielt aber auch deshalb nur eine Rolle, weil in Wirtschaft und Politik immer wieder ansätze auftauchen, Elite in speziellen Bildungsanstalten zu "züchten", und in solche Programme rutscht halt der normalsterbliche nur auf grund seiner Leistungen nicht mal eben so rein, da spielen in unseren breiten immernoch Papi´s mit Vit. B die größere Rolle.
Das bedeutet aber jetzt nicht, daß man deswegen in seinem Leben immer unglücklich bleiben wird oder nicht doch in der Lage sein kann, auf Grund eigener anstrengung irgendwann größeres zu Leisten als diese "Elite".

hobbes
10.10.2002, 14:47
...wobei Newtons und andere Überragende nicht unbedingt Mitglieder der Vitamin-B-Elite sein müssen. Derjenige, der nämlich Vitamin B für seine Karriere zum essentiellen Bestandteil macht und darauf noch stolz ist (und das sind viele), dem fehlt es dann wohl an wirklich "Überragendem". Somit hat er sich doch etwas ungerechtfertigt in die (Bildungs)elite eingeschlichen.

condorito
10.10.2002, 17:46
Als Arbeiterkind möchte ich auch mal was dazu sagen:
1.Mir standen zumindest die meisten geistigen Chancen zur Verfügung,und die hab ich auch ausgenutzt....
2.Was das Studium angeht:Ausland war nich drin,da meine Eltern mich nich unterstützen konnten...
3.Wer nicht sieht,daß sehr viel über Vitamin B geht,ist schlicht und ergreifend blind
4.Elite sollte sich auf Können gründen,und nicht auf irgendwas anderem wie sozialem Status
5.Geld(in unserer Altersklasse ja häufig das der Eltern) macht nicht intelligent,bei uns hier gut zu belegen bei einem Besuch einer Zahnmedizin-Vorlesung
So das war mein Sermon dazu
Greetz
Condo

Lion
10.10.2002, 17:57
Original geschrieben von condorito
4.Elite sollte sich auf Können gründen,und nicht auf irgendwas anderem wie sozialem Status


Hypothetisch gesehen stimme ich Dir zu.
Vielleicht ist es in Deutschland nicht ao heftig, aber in anderen Ländern benötigt man nunmal Geld und/oder Vit.B um gute Bildung zu erlangen. Ohne die wird es wohl nichts mit dem Können.

Lava
10.10.2002, 18:28
Vielleicht stößt mir das nur so sauer auf, wenn ich mich mit anderen in meiner Altersgruppe vergleiche, die tatsächlich einem anderen Kreis angehören als ich und das nur, weil sie Geld oder was auch immer von Mami und Papi haben. Das Beispiel mit dem Schuljahr im Ausland ist gar nicht so schlecht! Zwar gibt es Stipendien und Förderungen für die, die sich sowas nicht leisten können, aber sein wir mal ehrlich: wieviele profitieren davon? Eine handvoll. Es gibt auch nicht wenige Studenten, die von Bafög und selbst Verdientem leben müssen und sich so auch etliche Dinge, die sich schick auf einem Lebenslauf machen, nicht leisten können. In der Medizin betrifft einen das nicht so sehr, aber mir fällt eine Freundin ein, die Geographie studiert. Sie sagt, man kann jedes Semester die ein- oder andere Exkursion machen. Da man sie selbst bezahlen muss, bekommen nur die wenigsten die Chance, nach Brasilien, Australien, Kanada oder den Philippinen zu fliegen. Die anderen nehmen Vorlieb mit dem Vulkan und dem Regenwald vor der eigenen Haustür...

Froschkönig
10.10.2002, 18:36
Original geschrieben von Janine
Vielleicht stößt mir das nur so sauer auf, wenn ich mich mit anderen in meiner Altersgruppe vergleiche, die tatsächlich einem anderen Kreis angehören als ich und das nur, weil sie Geld oder was auch immer von Mami und Papi haben. Das Beispiel mit dem Schuljahr im Ausland ist gar nicht so schlecht!...

Ich weiß genau, was Du meinst, ich tröste mich immer damit, daß von diesen Leuten ohne ihr Geld meist überhaupt nichts bleibt...

Lava
10.10.2002, 18:49
Ich weiß genau, was Du meinst, ich tröste mich immer damit, daß von diesen Leuten ohne ihr Geld meist überhaupt nichts bleibt...

Schön, dass mal jemand zugibt, dass es ihm auch so geht. Mich bedrückt es halt manchmal, dass ich bisher scheinbar so wenig vorzuweisen habe an Leistungen. Das Abi interessiert keinen mehr und die bestandenen Klausren erst recht niemanden. Sowas nennt man Minderwertigkeitsgefühle. Wir haben darüber in Psycho in der Schule diskutiert. Im Grunde hat jeder Mensch Minderwertigkeitsgefühle (-komplexe sind was anderes!), weil er sich mit anderen vergleicht und eigentlich immer feststellen muss, dass es jemanden gibt, der besser ist. Nur wenn man sich vollkommen akzeptiert, sich seiner Fähigkeiten bewusst ist und zufrieden ist, lässt das nach. Aber wer kann das schon mit 20 Lenzen? :-D

Froschkönig
10.10.2002, 19:09
Ich will Dir ja nicht den Mut nehmen, aber ich kann das mit 25 immer noch nicht :-D
Unsere Ausbildung ist einfach ein langer weg, auch ohne "sperenzchen" wie Promotion oder Habilitation, man muß einfach die Ruhe in sich selbst finden. Möglich, daß ich irgendwann auf einen Konkurenten treffe, der in Harvard und Co. zig auslandssemester gemacht hat, aber viel wichtiger ist doch, daß man begeistert dabei bleibt und sich weiterhin fortbildet. Selbst wenn mich die Welt nicht für Superman hält, möchte ich ein guter Arzt werden und bleiben, und gerade bei dem "bleiben" hapert es bei so manchen renommierten Köpfen.
Manche so genannten Koryphäen auf dem Gebiet der Medizin sitzen schon so lange auf Ihrem tollen ruf, daß sie gar nicht mitbekommen haben, daß wir das mit den Blutegeln abgeschafft haben :-D

Nur nicht verzagen, wir werden unseren weg schon auch machen.