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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frage zur Gerichtsmedizin



huely
22.09.2008, 16:58
Ein Angehöriger eines Bekannten ist in der JVA erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden. Angehörige schließen Selbstmord aus. Obduktion geht von Tod durch Erhängen aus. Unten aufgeführt sind Auszüge aus dem Obduktionsbericht. Frage: Könnte dieser Befund auch auf Ersticken zurückzuführen sein?

Halsweichteile: Der große Kopfnickerlmuskel sowie die unmittelbar daruntergelegenen Muskelschichten und die Mundmuskulatur sind frei von Blutungen. Lediglich rechtsseitig sind unmittelbar neben dem oberen Kehlkopfhorn auf etwa Kleinfingerendgliedgröße dunkelrote gallertrote Einblutungen festzustellen.

Das Zungenbein weist beidseits im Bereich der Verknöcherungsgröße eine dunkelrote gallertartige Einblutung auf. Das Kelhlkopfgerüst zeigt in den hinteren Anteilen auf beiden Seiten, rechts etwas mehr als links, dunkelrote gallertartige Umblutungen.

Kehlkopfeingang, Luftröhre und Bronchien sind weit aufgestellt und führen schmutzig rotbraunes Material, welches von feinen Bröckchen durchsetzt ist und an Mageninhalt erinnert.

Linke Lunge ist zweigeklappt. Auf der Schnittfläche sind Blut- und Flüssigkeitsgehalt etwas vermehrt bei regelrechtem Luftgehalt. Rechte Lunge ist dreigeklappt und verhält sich ansonsten wie die linke Lunge.

Ergebnis der Obduktion:
Hauptbefund Zeichen der Halsweichteilkompression in Form von Einblutungen, Brüche hatten sich nicht ausgebildet. Augenbindehäute waren frei von punktförmigen Blutungen. Vor der Bandscheibe zwischen dem 12. Brustwirbel- und 1. Lendenwirbelkörper hatte sich eine sog. Simonsche Blutung ausgebildet.
Als Zeichen stumpfer Gewalteinwirkung gegen die rechte Hüfte war hier ein frisches Hämatom mit darüberliegender Hautvertrocknung anzutreffen. Am rechten Handrücken lagerte eine Venenverweilkanüle. (Anmerkung: Wieso sollte der Rettungsdienst einem Toten noch eine Kanüle anlegen?)
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roger rekless
22.09.2008, 17:58
Simonsche Blutungen sind ja ein Anzeichen für Erhängen bei lebendigem Leibe. D.h. vorher ist er nicht erstickt. Und beim Erhängen wohl auch kaum, da der ausgelöste Mechanismus der Blutunterversorgung des Hirns schneller zum Tode führt. Die fehlenden punktförmigen Blutungen sprechen auch für typisches Erhängen und nicht für andere Gründe (Erwürgen, Erdrosseln).

Der Mageninhalt in den Luftwegen kann durch die Reanimationsversuche kommen. In dem Rahmen wurde wohl auch die Kanüle gelegt.

Moorhühnchen
22.09.2008, 18:06
Ein Angehöriger eines Bekannten ist in der JVA erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden. Angehörige schließen Selbstmord aus. Obduktion geht von Tod durch Erhängen aus. Unten aufgeführt sind Auszüge aus dem Obduktionsbericht. Frage: Könnte dieser Befund auch auf Ersticken zurückzuführen sein?

Halsweichteile: Der große Kopfnickerlmuskel sowie die unmittelbar daruntergelegenen Muskelschichten und die Mundmuskulatur sind frei von Blutungen. Lediglich rechtsseitig sind unmittelbar neben dem oberen Kehlkopfhorn auf etwa Kleinfingerendgliedgröße dunkelrote gallertrote Einblutungen festzustellen.

Das Zungenbein weist beidseits im Bereich der Verknöcherungsgröße eine dunkelrote gallertartige Einblutung auf. Das Kelhlkopfgerüst zeigt in den hinteren Anteilen auf beiden Seiten, rechts etwas mehr als links, dunkelrote gallertartige Umblutungen.

Kehlkopfeingang, Luftröhre und Bronchien sind weit aufgestellt und führen schmutzig rotbraunes Material, welches von feinen Bröckchen durchsetzt ist und an Mageninhalt erinnert.

Linke Lunge ist zweigeklappt. Auf der Schnittfläche sind Blut- und Flüssigkeitsgehalt etwas vermehrt bei regelrechtem Luftgehalt. Rechte Lunge ist dreigeklappt und verhält sich ansonsten wie die linke Lunge.

Ergebnis der Obduktion:
Hauptbefund Zeichen der Halsweichteilkompression in Form von Einblutungen, Brüche hatten sich nicht ausgebildet. Augenbindehäute waren frei von punktförmigen Blutungen. Vor der Bandscheibe zwischen dem 12. Brustwirbel- und 1. Lendenwirbelkörper hatte sich eine sog. Simonsche Blutung ausgebildet.
Als Zeichen stumpfer Gewalteinwirkung gegen die rechte Hüfte war hier ein frisches Hämatom mit darüberliegender Hautvertrocknung anzutreffen. Am rechten Handrücken lagerte eine Venenverweilkanüle. (Anmerkung: Wieso sollte der Rettungsdienst einem Toten noch eine Kanüle anlegen?)

Hier erst einmal der Hinweis, daß dies hier ein STUDENTEN-Forum ist!!
Der Tote wurde von einem Gerichtsmediziner untersucht und dieser hat definitv mehr Ahnung als wir alle hier zusammen...

Zur letzten Aussage, warum der Rettungsdienst noch eine Kanüle gelegt hat: es hätte ja auch sein können, daß dieser Mensch noch lebt! Sofern nicht ein Notarzt mit dabei war, der den Tod mit SICHERHEIT feststellen kann (zB. weil der Kopf in einer anderen Ecke des Raumes liegt), wird primär erst einmal versucht zu RETTEN.

Falls Du mit "Ersticken" erdrosseln oder erwürgen meinst, so wären in den Augenbindehäuten meines Wissens punktförmige Einblutungen zu finden gewesen, was der Rechtsmediziner ja eindeutig in seinem Bericht verneint!
Auch die beschriebene Simonsche Blutung (http://de.wikipedia.org/wiki/Simonsche_Blutung) weist auf einen Tod durch Erhängen hin. Sie ist ein sogenanntes vitales Zeichen, d.h. der Mensch hat beim Erhängen noch gelebt und wurde nicht vorher erstickt und dann erst aufgehängt!!

Meiner studentischen Meinung nach sind die Schlußfolgerungen des Rechtsmediziners also korrekt.

Warum vermuten die Angehörigen eine Fremdeinwirkung?
EDIT: Roger war schneller...

huely
23.09.2008, 14:13
Vielen Dank für Eure Antworten, die für uns Laien sehr hilfreich waren. Fremdeinwirkung wird vermutet, da ihn seine Angehörigen am Todestag besucht haben und einen jungen Mann vor sich hatten, der voller Pläne war, etc.
Es wird stark angenommen, dass er dazu gezwungen wurde, aber das gehört nicht in das medizinische Forum.

Alles Gute Euch und nochmals vielen Dank.

Blue Sky
10.06.2011, 14:39
Hallo!

Ich wäre an folgender Frage interessiert, und hoffe, jemand kann mir weiterhelfen:

Tritt die Leichenstarre auch auf, wenn die Blutgefäße der Leiche völlig (!) blutleer sind (zB. durch extremes ausbluten)?
Die Leichenstarre fällt ja umso schwächer und kürzer aus, je geringer die Muskelnährung mit ATP ist und desto geringer die Glycogenspeicher sind … deshalb meine Unsicherheit, ob die Starre dann überhaupt noch eintritt.

Bitte nur antworten, wer sich völlig sicher ist. Vielen Dank!

LieberInvasiv
10.06.2011, 20:52
Jop, gibt trotzdem eine Totenstarre. Das mit dem ATP und dem Glykogen ist ein wenig anders. ATP wird benötigt, damit sich die Muskelfilamente wieder von einander lösen können. D.h. es kommt erst dann zum Rigor Mortis wenn kein ATP mehr in der Muskelzelle ist und auch über Kreatinkinasereaktion/anerobe Glykolyse kein (neues) ATP mehr synthetisiert werden kann. Meine ab einem ATP Spiegel von <80-85% kommt es zur Totenstarre...
Hat also nichts mit dem (fehlenden) Blut im Gefäßsystem zu tun. Was da dann allerdings fehlen könnten sind die Totenflecken. Muss allerdings auch nicht, da hier hauptsächlich Blut aus den Kapillaren beteiligt ist - und die bluten ja (meines Wissens nach) nicht komplett aus... müsste man mal einen Gerichtsmediziner fragen... :-lesen

KoelnerMedizin
11.06.2011, 18:54
Bitte nur antworten, wer sich völlig sicher ist. Vielen Dank!

Affig

Blue Sky
12.06.2011, 10:18
Vielen Dank für deine schnelle Antwort, LieberInvasiv!

dr.acula88
12.06.2011, 11:53
Wir hatten letzte Woche den Kurs Rechtsmedizin und uns wurde erklärt, dass die frühere Meinung, Simonsche Blutungen würden nur beim Erhängen bei lebendigem Leibe auftreten, sei falsch bzw. veraltet. Heute wisse man, dass diese auch beim Erhängen eines Toten eintreten können.
Dies wurde einmal vom Chef der Rechtsmedizin in der dazugehörigen Vorlesung, als auch vom FA im Kurs Rechtsmedizin erklärt.
Was meint ihr dazu?