PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Elektrokrampftherapie - EKT - eine differenzierte Diskussion



Seiten : [1] 2 3 4 5

Relaxometrie
31.10.2008, 19:23
und Elektroschocks gibbet auch nicht mehr, nur noch EKT :-))
Stimmt.
Wobei die EKT nach allem, was ich bisher beobachtet habe, wirklich ihre Berechtigung hat.
In der Suchtabteilung, wo ich ja das letzte Jahr arbeitenderweise verbracht habe, spielte die EKT keine Rolle. Aber die Psychiater in meinem PJ-Haus (ich hatte als Wahlfach zwar Anästhesie, aber die Anästhesisten haben die Kurznarkosen für die EKT gemacht), und auch einige andere, von denen ich gehört habe, wenden die EKT erfolgreich an.

apple
02.11.2008, 12:34
Bei uns wird 3 mal pro Woche EKT gemacht und die Erfolgsquote bei Depressiven ist sehr hoch. Auch wenn`s gruselig klingt, aber die EKT ist bei schweren Depressionen sehr effektiv und wird meistens sehr gut vertragen :-top

agouti_lilac
02.11.2008, 12:58
Als ich in der Psychiatrie war, durfte ich auch extra mal einen Morgen auf der Gerontopsychiatrie bei den EKTs zuschauen (und bei der Anästhesie :-love ).... war wirklich sehr beeindruckend, auch was der Arzt über den Krankheitsverlauf der Patienten berichtet hatte (anfangs katatone Depression, nach ~ 7 EKTs ein Belastungs-Wochenende daheim mit Backen etc. verbracht) !

Antracis
02.11.2008, 13:27
Die EKT ist ein typisches Beispiel dafür, aus welchen Quellen sich der durchschnittliche Informationsstand über die Psychiatrie und Psychotherapie speziell in Deutschland speist: Amerikanische Filme, Boulevardmedien und Scientology. :-nix
Dazu kommt natürlich, dass das Verfahren "Strom durch den Kopp" Assoziationen mit dem elektrischen Stuhl weckt. Trotzdem bei richtiger Indikation eines der wirksamsten Verfahren, dass wir bei einigen Krankheiten haben.

Gruß
Anti

lala
02.11.2008, 13:49
Naja,
ich stehe der EKT trotz allem kritisch gegenüber. Ich selber habe bestimmt 40-50 EKT gemacht und kenne solche Verläufe natürlich auch, käre immer gewissenhaft auf und versuche auch Patienten und Angehörigen die Angst davor zu nehmen. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass durch viele EKT nicht "irgendwie" ein Schaden am Hirn entsteht. Man weiß nicht wirklich wie und warum EKT funktioniert und ich glaube, man weiß auch nicht wirklich, inwiefern Langzeitfolgen absehbar sind. Die kurzfristigen Nebeneffekte (Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen)ok - aber kann ein Hirn wirklich 50-100 EKT (kenne einige solche Fälle!) so ohne weiteres wegstecken?
Spannendes Thema - wenn jmd Literaturhinweise hat immer her damit!
Aber vlt sollte man das Thema lieber in die Fachsimpelei verschieben...
LG,
lala

Antracis
02.11.2008, 14:27
@lala:

Sagen wirs so: Hochwirksame Methoden ohne ernsthafte Nebenwirkungen sind bekanntlich die blaue Mauritius in der Medizin, ich glaube deshalb auch nicht an eine vollkommen unbedenkliche Methode. Es geht aber schlicht darum, das bei bestimmten Krankheitsbildern die EKT durchaus eine Option ist. Vor allem, wenn die Entwicklung fulminant ist, wie beispielsweise bei einer wahnhaften Depression, wo medikamentös nichts zu löten war.
Dem "EKT-Tourismus" (Privatpatientin kommt wieder in der Klinik vorbei, weil sie sich morgens mal wieder "depri" fühlte und holt sich ihre Serie ab...) stehe ich auch sehr skeptisch gegenüber. Auch ist ja die Frage, wie man den kurzfristigen EKT-effekt langfristig wirksam stabilisiert, ein heikler Diskussionspunkt in der aktuellen Forschung.
Aber der gegenwärtige Aufklärungsstand des Verfahrens ist halt in der Allgemeinbevölkerung noch bei Nichtfachärzten einfach unbefriedigend.
Wenn ich Zeit habe, mache ich mal heut abend ein EKT-Thema in der Fachsimpelei auf.

Gruß
Anti

Pünktchen
02.11.2008, 15:26
Ich hab das aus dem Treffpunkt für Assistenzärzte herausgetrennt und hierher verschoben. Viel Spaß bei weiterdiskutieren... :-dance

Gruß
pünktchen :-)

papiertiger
02.11.2008, 15:47
Auch ist ja die Frage, wie man den kurzfristigen EKT-effekt langfristig wirksam stabilisiert, ein heikler Diskussionspunkt in der aktuellen Forschung.

Wo man aber auch gleich wieder bei der Frage ist, was denn in der Psychiatrie bei einem nicht unerheblichen Teil der Krankheitsbilder auf lange Sicht (und ich meine jetzt nicht mittelfristig ;-) ) überhaupt befriedigende Ergebnisse erzielt, von einer "Heilung" mal ganz zu schweigen.


Ansonsten, da ich es ja war, die das Stichwort in den Raum geworfen hat... denke (aus meiner einigermaßen laienhaften Perspektive heraus) auch, dass die EKT in bestimmten Fällen durchaus ihre Berechtigung hat.
Aber es ist eben nichtsdestoweniger eine Methode, die nicht nur von Außenstehenden als etwas unheimlich empfunden wird, sondern auch bei beteiligtem Fachpersonal hin und wieder einen seltsamen Nachgeschmack hinterlässt; habe das zumindest subjektiv bei meiner Arbeit im Patientenbegleitdienst so empfunden (also, dass es nicht nur mir so ging, sondern durchaus auch qualifizierteren Beteiligten). Begründungen wurden ja hier bereits angeführt.

Lava
02.11.2008, 17:58
in Schaden am Hirn entsteht. Man weiß nicht wirklich wie und warum EKT funktioniert und ich glaube, man weiß auch nicht wirklich, inwiefern Langzeitfolgen absehbar sind.

Ja gut, aber von sehr vielen Psychopharmaka weiß man das genausowenig und da sind die Bedenken beim Einsatz nicht so groß. Das eine ist eine physikalische Maßnahme und das andere eine chemische. Ich verstehe nicht, wieso da mit zweierlei Maß gemessen wird. Außerdem gib es doch die EKT schon lange genug, dass da genügend Langzeitdaten vorhanden sein müssten!

Keenacat
02.11.2008, 18:21
zum thema "schaden am hirn":
auch hier gilt die verhältnismäßigkeit der mittel. nutzen vs. risiko. Wenn die alternative zu ekt darin besteht, den patienten in einer anders nicht behandelbaren, schweren depression dahinvegetieren zu lassen, dann kann man die theoretische möglichkeit von langzeitschäden in kauf nehmen. die ekt wird zumindest schon so lange angewendet, dass man davon ausgehen kann, den menschen damit nicht zu menschlichem gemüse zu machen. wenn ich mich recht erinnere, beschränken sich die dokumentierten nebenwirkungen weitgehend auf amnesien einige stunden rund um den applikationszeitpunkt (die info ist aber schon was älter).
chemo ist ja nun auch alles andere als gesund und trotzdem macht man sie - wenn die verhältnismäßigkeit der mittel stimmt. ich denke der hauptteil des unbehagens kommt von der scheinbar martialischen methode gegen eine erkrankung, die nicht so richtig greifbar (und vllt. deshalb auch etwas unheimlich) ist. dagegen ist die applikation einer chemo ja regelrecht elegant und den tumor kann man auch sehen.

ich leide seit jahren an rezidivierenden, mittelschweren depressionen. wenn die schlimmer würden und anders nicht mehr kontrollierbar wären, würde ich mich jederzeit für eine ekt entscheiden - bzw. ich will, dass andere für mich zustimmen, wenn ich nicht mehr dazu in der lage wäre.
psychiatrische erkrankungen rauben einem unbeschreiblich viel lebensqualität. selbst wenn man nicht heilen kann und nur wenig, für außenstehende vielleicht unzureichende besserung erreicht ist das besser als nichts. ich für mich persönlich würde das durchaus auch mit erheblichen nebenwirkungen erkaufen (für die es jetzt speziell bei der ekt ja keine überaus überwältigenden anhaltspunkte gibt).

Skalpella
02.11.2008, 18:21
Ich kenne die EKT auch aus anästhesiologischer Sicht und hab abgesehen von der unbestrittenen Wirkung (auch selbst gesehen) in letzter Zeit ab und zu mitbekommen, dass laut den Psychiatern die Indikation nicht ganz stimmte (tatsächlich gerne bei Privatpatienten...)
Und das macht halt die beste Therapie kaputt, wenn es öfter nicht wirklich was bringt. Weil dann auch das Personal nicht mehr davon überzeugt ist. Gerade bei einem Verfahren, das doch zugegebenermaßen relativ rabiat wirkt.

Evista
02.11.2008, 19:46
Es gab auch mal in den 20ern die sogenannte Lobotomie. Hat auch sehr gut gewirkt. Allerdings die individuellen Merkmale, zumindest was das Beobachtbare anging, zerstört und wurde wieder verboten. Selbst bei schlimmster Symptomatik darf sie nicht mehr durchgeführt werden, da es heute als eine extreme Verletzung der Menschenwürde gesehen wird. Die Patienten waren zwar schmerzfrei und verhielten sich nicht mehr auffällig, waren aber leider auch komplett apathisch. Hat ihre "Persönlichkeit" und das bis dahin bekannte, nicht nur das pathologische(!), total "weggeblasen".

Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als dass die EKT langfristig dasselbe Schicksal ereilen wird. Bis dahin wird sie wohl leider durchgeführt werden. Aber die Medizin hat wohl auch schon gravierendere Fehler begangen als diese. Kann man nichts machen, im Lauf der Geschichte gabs schon schlimmeres.

Antracis
02.11.2008, 19:52
Es gab auch mal in den 20ern die sogenannte Lobotomie. Hat auch sehr gut gewirkt. Allerdings die individuellen Merkmale, zumindest was das Beobachtbare anging, zerstört und wurde wieder verboten. Selbst bei schlimmster Symptomatik darf sie nicht mehr durchgeführt werden, da es heute als eine extreme Verletzung der Menschenwürde gesehen wird. Die Patienten waren zwar schmerzfrei und verhielten sich nicht mehr auffällig, waren aber leider auch komplett apathisch. Hat ihre "Persönlichkeit" und das bis dahin bekannte, nicht nur das pathologische(!), total "weggeblasen".


Interessant wäre schon, welche negativen Auswirkungen man denn bisher bei der EKT beobachtet hat. Denn wie Du ja selbst schreibst, waren die bei der Lobotomie gravierend. Wenn Du also schon so einen gewagten Vergleich ziehst, sollte schon Gemeinsamkeiten bestehen, um diesen zu rechtfertigen. Ansonsten scheint Dein Einwand nämlich eher der Emotion als wirklicher Sachkenntnis zu entspringen.
Nebenbei gibt es mittlerweile tatsächlich differenzierte neue Ansätze in der Psycho-Chirurgie. Dabei wird ähnlich den Schrittmachern bei Parkinson ein Hirnareal reversibel beeinflusst. Der große Unterschied liegt natürlich darin, dass man diese Verfahren wieder rückgängig machen kann. Ich habe aber keinen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, es gibt aber einige Projekte gerade im Hinblick auf affektive Erkrankungen.

Lava
02.11.2008, 20:06
Hier vergleichst du aber Äpfel mit Birnen, Evista :-nix

Strodti
02.11.2008, 20:13
Ich finde da jetzt auch keine Gemeinsamkeiten... Bitte begründe deinen Einwand mal etwas ausführlicher. Die Lobotomie ist ein grausames Stück Psychiatriegeschichte und mit falschen Analogien schürt man nur Angst. Die EKT wurde in den Anfängen der Psychiatrie sicher auch missbraucht (wie übrigens fast alle Therapien in der Psych.), aber die moderne EKT mit anästhesiologischer Begleitung damit wenig gemeinsam...

Antracis
02.11.2008, 20:37
Man muss die unrühmliche Geschichte der Psychiatrie auch immer differenziert vor dem jeweils aktuellem historischen Hintergrund betrachten. Für die Lobotomie gab es immerhin vor noch nicht ganz 60 Jahren einmal den Nobelpreis für Medizin (!). Das macht es aus Sicht der unzähligen Opfer dieses Verfahrens nicht besser, zeigt aber doch einiges ganz deutlich: Die Verzweiflung, mit der man damals vor Entdeckung der ersten Antipsychotika bestimmten schweren Erkrankungen gegenüber stand. Weiterhin aber auch die Stellung der Wissenschaft und vor allem auch der Gesellschaft gegenüber psychisch kranken Menschen. Offenbar sah man es nicht nur als tolerierbar, sondern sogar als fortschrittlich an, aus kranken Menschen funktionsfähige Roboter zu machen. :-nix
Vor diesem Hintergrund ist sicher auch die führende Rolle der deutschen Psychiatrie zu sehen, wenn es um Grausamkeiten der Medizin im Nationalsozialismus geht. Das lag nicht nur an der Unmenschlichkeit der Psychiater, sondern auch am gesellschaftlichen Status der psychisch Kranken.

Der EKT hat man nun aber vieles ausgetrieben: Als Sanktionselement taugt sie nicht mehr, Nebenwirkungen wie Wirbelkörperfrakturen wurden ausgeschaltet und irreversible Gedächtnisverluste weitestgehend eliminiert durch die unilaterale Stimulation. Langfristige Persönlichkeitsänderungen sind meines Wissens nach nicht beobachtet worden.

Insofern ist sie sicher ein Mittel bei schwersten Depressionen, speziell, wenn diese mit fulminantem Wahnerleben, akuter Suizidalität oder Stupor einhergehen und medikamentös nicht in den Griff zu bekommen sind. Bei febriler, perniziöser Katatonie keine EKT durchzuführen, dürfte vermutlich ein ärztlicher Kunstfehler sein - allerdings zugegeben ein seltenes Krankheitsbild.

Interessant ist, dass sich andere Länder offenbar mit der EKT deutlich leichter tun, sprich die EKT-Indikation großzügiger stellen. Manche, vermutlich Italien, sicher auch schwerer. Wahrscheinlich aber ein Hinweis darauf, dass psychiatrische Medizin immer noch zu einem großen Teil eher "Emotion based" als "evidenz based" durchgeführt wird... :-nix

Gruß
Anti

lala
02.11.2008, 20:49
Der EKT hat man nun aber vieles ausgetrieben: Als Sanktionselement taugt sie nicht mehr, Nebenwirkungen wie Wirbelkörperfrakturen wurden ausgeschaltet und irreversible Gedächtnisverluste weitestgehend eliminiert durch die unilaterale Stimulation. Langfristige Persönlichkeitsänderungen sind meines Wissens nach nicht beobachtet worden.
Gruß
Anti

Ich bin absolut nicht gegen EKT - habe ja wie erwähnt etliche selber durchgeführt und hier die Indikationen gestellt. Ich habe bisher in 2 Psychiatrien gearbeitet die im deutschlandweiten Vergleich sicher sehr viele EKT machen ;-) und bei vielen war das gut so!
Meine eigenen Beobachtungen bei Patienten mit sehr vielen (> 20) EKT war aber, dass kognitive Defizite bzw. Verhaltensauffälligkeiten im Verlauf auftraten (klar kann das jetzt auch durch die Erkrankung per se oder Medikamente kommen....).
EKT ist im Prinzip ja ein gut kontrollierter epileptischer Anfall. Aber mich interessiert, ob jmd zB Untersuchungen kennt über strukturelle Veränderungen (vergleichbar der Hippocampussklerose) oder Persönlichkeitsveränderungen (auch bei langjährigen Epileptikern zu beobachten)?

Medicus_bonus
03.11.2008, 00:12
Ist das Thema jetzt Zufall? Habe gerade "A Beautiful Mind" geschaut. Da wurde "nur" die Insulinschocktherapie eingesetzt, aber aus neugierde bin ich dann auch auf die EKT gestoßen...dachte immer diese Therapien wären praktiken der Vergangenheit; scheinbar nicht.
Weiß noch im Moment nicht wie ich diese Therapieform finde, da ich zu wenig einblick habe, speziell auf die Patienten, die sich solch einer Therapie unterwerfen.

Hauke83
03.11.2008, 03:51
Gibt es denn wissenschaftliche Studien in denen die positive Wirkung der EKT nachgewiesen wird?


Jemandem 0,9 Ampere bei 480 Volt für ichweissnichtwielange durch den Kopf fliessen zu lassen ist schliesslich etwas anderes als zum Beispiel eine heiss-kalte Wechseldusche.

Lava
03.11.2008, 12:06
Gibt es denn wissenschaftliche Studien in denen die positive Wirkung der EKT nachgewiesen wird?


Ähm.... hast du dir den Thread mal durchgelesen? Ich kann hier jetzt nicht mit einer pubmed Recherche aufwarten, aber die EKT ist eine etablierte Methode, die in anderen Ländern noch deutlich häufiger eingesetzt wird als bei uns. Sie wird in jedem Lehrbuch erwähnt und ist Teil der Therapiekonzepte in den Leitlinien. Dass man Bedenken hat, jemandem Elektroschocks zu verpassen, ist verständlich, aber wenn man schlichtweg keine Ahnung von dem Thema hat, sollte man sich mit seinen Aussagen zurückhalten.