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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Patienten mit Unsicherheiten konfrontieren?



papiertiger
03.11.2008, 15:22
Mich beschäftigt gerade ein Thema, das hier sicherlich in der einen oder anderen Form schonmal aufgetaucht ist. (auch wenn die SuFu mir gerade nichts ausspucken mag ;-) )

Und zwar soll es um Ungewissheiten, die ja im Rahmen der Diagnosefindung/Behandlung etc. zweifelsohne immer wieder eine Rolle spielen (Pferde sind häufiger als Zebras, Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten, aber könnte/wäre/hätte, blabla, letztlich weiß man ja nie, usw. ) gehen, und speziell darum, inwieweit man Patienten damit konfrontieren sollte. Und ggf. in Entscheidungen diesbezüglich mit einbeziehen. (weitere Abklärung oder nicht, etc. pp.)

Ich habe da zB in diversen Praktika immer wieder mitbekommen, dass sehr wohl massive Unsicherheiten über die Diagnose und die richtige Behandlung bestanden, die innerhalb des "Behandlungsteams" zwar kontrovers diskutiert wurden, aber der Patient bekam davon letztlich nichts mit.
Geht das aber nicht letztlich gerade ihn etwas an? Oder ist es besser, ihn außen vor zu lassen, weil er mangels Fachwissen die Wahrscheinlichkeiten dahingehend eh nicht richtig einschätzen kann, etc.?
Sollte man sich bemühen, eben dieses mangelnde Fachwissen durch genaue Aufklärung/Erklärungen auszugleichen, oder ist es legitim, die bequemere Variante zu wählen und über den Kopf des Betroffenen weg Entscheidungen zu treffen? Dass ersteres der Idealfall wäre, versteht sich, denke ich - aber ist das im Alltag zu verwirklichen?

Auf der anderen Seite habe gerade ich selbst das auch schon anders erlebt, gerade im Rahmen einer Situation vor einigen Monaten, die diese Frage für mich nun ganz konkret aufgeworfen hat.
Kurz umrissen, es ging darum, dass ich - am Vortag erst nach einer Reihe von invasiven Untersuchungen (Links- und Rechtsherzkatheter, EPU) aus dem Krankenhaus entlassen - abends zuhause mit einigermaßen extremen Bauchschmerzen und Kreislaufproblemen kollabiert bin und von meinem damaligen Freund zum ärztlichen Notdienst geschleift wurde, welcher dann das unschöne Stichwort "Dissektion" (durch die vorangegangen Untersuchungen) in den Raum warf und mich postwendend an die Notaufnahme verschickte. Dort war dann eine Dissektion glücklicherweise schnell vom Tisch, da es sonographisch keine Hinweise darauf gab, D-Dimer zwar leicht, aber nicht signifikant erhöht war - ich selbst bekam von alledem nicht so besonders viel mit, aber mein Begleiter hat sich danach sehr aufgeregt, dass der diensthabende Arzt ihm erklärte, dass er jetzt im Ultraschall keine Hinweise finden würde und besagter Laborwert im Rahmen sei, hieße eben nicht, dass es auf garkeine Fall eine Dissektion ist sondern nur, dass es wahrscheinlich etwas anderes ist aber. Im MRT könne man das dann genauer sehen, aber das wäre jetzt in der Nacht einfach nicht mehr zu kriegen. Also hundertprozentig könne er das nicht sagen.
Grundsätzlich fand ich das schon korrekt so, natürlich sind Unsicherheiten unschön, aber.. so ist das Leben, manches muss man einfach aushalten, und mir persönlich ist das lieber, als "angelogen" zu werden.
Aber.. beispielsweise besagter Freund sah das ganz anders, und meinte, man hätte uns das nicht auf die Nase binden dürfen, dass man sich nicht sicher ist, man sollte den Leuten doch die Angst nehmen und wenn etwas unwahrscheinlich ist, sollte man lieber sagen, ne, es ist alles in Ordnung, als von Wahrscheinlichkeiten zu reden.. mh.

Wie seht ihr das? Wieviel sollte man da dem Patienten zumuten/zutrauen? Macht ihr das auch davon abhängig, wie der Patient auf euch wirkt?

hennessy
03.11.2008, 15:31
Du hast da eine der schönsten, aber auch schwierigsten Künste des Arztberufes angesprochen. Wie weit soll der Patient mit in die Diagnosefindung und Therapieplan eingeweiht werden?
Ich würde sagen, man sollte (wenn möglich) den Patienten dort abholen, wo er sich befindet. Wir werden keinen renitenten Alkoholiker in eine schwierig zu treffende Planung einbeziehen können, wohl aber einen aufgeschlossenen Akademiker.
Es ist wie so oft im Leben, besonders im Ärzteleben: Die goldene Mitte finden. Wobei es oft ein Tanz auf des Messers Schneide sein wird.

qwert
03.11.2008, 15:47
Ich kann zwar nicht mit einem großen Erfahrungsaustausch aufwarten, sondern nur mit meinem Erlebten im PJ, aber vielleicht hilft das weiter. Ich wohne vielen Diagnoseergebnisgesprächen mit Patienten und angehörigen bei und staune, was da alles erzählt wird (pulmologische Station = viele Brocas). Die Docs erzählen meist über alle Eventualitäten und deren Konsequenzen. Patient wird vorher gefragt was er glaubt zu haben. Finde ich eine gute Strategie. Bis letztendlich die Diagnose Krebs raus ist, dauert es meist 2-3 Tage. Ich finde es gut, daß sich die Leute damit auseinandersetzen statt dann aus allen Wolken zu fallen. Mir wurde beigebracht zu dritteln: wir gehen davon aus, daß es xxx ist. Im günstigsten Fall ist es eine gutartige Neubildung, alte Narbe o. ä., im schlimmsten Fall ein bösartiger Tumor. In jedem Fall finden wir eine Lösung und lassen sie nicht allein. Klingt nach kitschigem Film, kommt gut bei den Patienten an.

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03.11.2008, 17:20
Aber.. beispielsweise besagter Freund sah das ganz anders, und meinte, man hätte uns das nicht auf die Nase binden dürfen, dass man sich nicht sicher ist, man sollte den Leuten doch die Angst nehmen und wenn etwas unwahrscheinlich ist, sollte man lieber sagen, ne, es ist alles in Ordnung, als von Wahrscheinlichkeiten zu reden.. mh.


Wie hätte besagter Freund reagiert, wenn man euch in Sicherheit gewogen hätte und die unwahrscheinliche Eventualität zum Tragen gekommen wäre?
Dann ist schnell etwas wie "unzureichende Aufklärung bla blub" im Raum...

Da Spiele ich lieber mit offenen Karten. Man kann es ja anpassen - nach Sachverstand, Situation, in Portionen usw.
Und wenn der Patient es nicht wissen will, notiert man das.
Hennessy hat es schon gesagt - Gratwanderung. Immer wieder.

Ich finde Erklären ist so wichtig. Für den MRSA-Patienten, für Isolation wg. Infektionskrankheit usw... - macht es vllt. ein bißchen leichter.

Bisher habe ich es immer positiv erlebt, wenn man als "Behandlungsteam" auch eigene Unsicherheiten bspw. die sichere Diagnose sich vor dem Patienten eingesteht. Auf lange Sicht schafft so etwas Vetrauen & macht einen selbst menschlicher.
Vermeintliche Sicherheit ist im Leben immer gefährlich...

papiertiger
04.11.2008, 17:41
Ich wohne vielen Diagnoseergebnisgesprächen mit Patienten und angehörigen bei und staune, was da alles erzählt wird (pulmologische Station = viele Brocas). Die Docs erzählen meist über alle Eventualitäten und deren Konsequenzen. Patient wird vorher gefragt was er glaubt zu haben. Finde ich eine gute Strategie. Bis letztendlich die Diagnose Krebs raus ist, dauert es meist 2-3 Tage. Ich finde es gut, daß sich die Leute damit auseinandersetzen statt dann aus allen Wolken zu fallen. Mir wurde beigebracht zu dritteln: wir gehen davon aus, daß es xxx ist. Im günstigsten Fall ist es eine gutartige Neubildung, alte Narbe o. ä., im schlimmsten Fall ein bösartiger Tumor. In jedem Fall finden wir eine Lösung und lassen sie nicht allein. Klingt nach kitschigem Film, kommt gut bei den Patienten an.

Das Dritteln kommt mir bekannt vor, hört man hier schon gleich zu Anfang in der med. Soziologie ;-)
Wird aber, meiner bescheidenen Erfahrung nach (die sich dahingehend übrigens aus demselben Fachbereich rekrutiert), sehr unterschiedlich aufgenommen. Erlebte es auch, dass Patienten sehr ungehalten auf das Herumreden um den heißen Brei reagierten. Oder, dass eine Patientin die zuvor gebrauchten vagen Formulierungen (Eventualitäten, etc.) zum Anlass nahm, sich der Diagnose auch als sie dann definitv stand, komplett zu verweigern und auch in entsprechende therapeutische Maßnahmen mit der Begründung nicht einzuwilligen, dass das ja alles noch garnicht sicher sei.
Hat also wohl alles auch seine Schattenseiten :-nix Wie reagiert man dann?


Wie hätte besagter Freund reagiert, wenn man euch in Sicherheit gewogen hätte und die unwahrscheinliche Eventualität zum Tragen gekommen wäre?
Dann ist schnell etwas wie "unzureichende Aufklärung bla blub" im Raum...


Jup.. genau das Problem sehe ich da auch.


Wir werden keinen renitenten Alkoholiker in eine schwierig zu treffende Planung einbeziehen können, wohl aber einen aufgeschlossenen Akademiker.

Mh. Wohl richtig, aber ich finde das schwierig.. hat also der eine mehr Recht darauf, mit einbezogen zu werden als der andere? Sollte man es nicht immer versuchen? Oder macht man schon mit dem Versuch u.U. mehr kaputt als man gewinnen kann?

mejakru30
04.11.2008, 18:26
Eigentlich ist es ganz logisch- man kann es nicht pauschalisieren. Man muss sich einfach ein wenig Zeit nehmen, den Patienten einzuschätzen (Info-Bedarf,wieviele Details, welche Konsequenzen, zu besprechender Zeitraum...). Notfall-Situationen ausgenommen! Sonst sollte immer gelten, dass man nicht ohne Pat entscheiden darf. Und man muss sehr,sehr vorsichtig sein- man kann Menschen schon subba beeinflussen, indem man gewisse Infos runterspielt oder aufbauscht. Selbstverständlich kann man so auch für das Beste für den Pat sorgen- aber da sollte man so sicher sein wie nur möglich. Wenn er ein Stopp braucht, Stopp machen und sich weiter anbieten. Und wieviele "Eventuell"´s ein Mensch verträgt- schwierig, denn die Rechtslage darf man auch nicht vergessen. Ich würde in einer Spontan- Situation nicht unbedingt als erstes "..und dann könnten sie sterben..." sagen. Die meisten wollen ehrlich und offen behandelt werden, mit dem Wissen, auch Verantwortung abgeben zu können "Was würden Sie mir empfehlen?"
Und wenn der renitente Alkoholiker ohne gesetzlichen Vormund eine Therapie verweigert- dann verweigert er. Verweigert er, weil da geistig nix mehr zu holen ist, dann sollte man die Entscheidungsfähigkeit überdenken, nicht dass man keinen komplizierteren Therapieplan fahren kann :-meinung

dreamchaser
04.11.2008, 18:29
Letztend sollte der Patient ja wissen, warum man dise oder jene Untersuchung macht. Ich erkläre den Patienten immer anhand der geplanten Untersuchungen, was wir weiter vorhaben und denken. Meistens sind die Patienten beruhigt, wenn man ihnen verschiedene Möglichkeiten aufzeigt und dagt, dass man in alle Richungen schaut, um ein möglichst komplettes Bild zu bekommen und eine möglichst genaue Diagnose.

Peter_1
05.11.2008, 17:48
Natürlich kann man immer sagen wir sind uns ganz sicher, sie haben XY, oder sie haben XY nicht, selbst wenn man eigentlich nicht sicher ist. Das geht so lange gut bis es eben doch XY ist obwohl man sich verbal anders festgelegt hatte. Meiner Meinung nach ist das immer situationsabhängig, wenn man sich wirklich sicher ist, sollte man es auch sagen und begründen warum es so ist. Umgekehrt, wenn man nicht ganz sicher ist, sollte man eben ehrlich sagen es ist wahrscheinlich XY, aber wir können das eben ( evtl. noch) nicht zu 100 Prozent sagen weil.... (zB weitere Untersuchungen gemacht werden müssen, der weitere Verlauf abzuwarten ist oä.). Wenn man gar keine Ahnung hat sollte man das auch zugeben, aber gleichzeitig erklären warum (zB das Krankheitsbild fällt nicht in mein Fachgebiet, oder aber es ist mir noch nicht begegnet) und signalisieren das man sich darum kümmert, dass der Patient von jemanden gesehen wird der Ahnung hat oder aber (falls sinnvoll) sagen dass man sich erst Informationen dazu aneignen muss. Probleme entstehen eigentlich immer nur wenn der Patient das Gefühl hat, der nimmt mich jetzt nicht ernst, der kümmert sich nicht um meine Beschwerden, oder aber wenn er Angst bekommt. Wenn man merkt das jemand Angst bekommt so sollte man auf die Angst eingehen (diese ansprechen!), aber sich nicht dazu hinreissen lassen dem Patienten eine Diagnose zu geben von der man nicht zu 100 Prozent überzeugt ist. Da ist der Vertrauensverlust (abgesehen von der rechtlichen Seite) wenn es schief geht viel höher.