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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Placebo oder Wahrheit



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alley_cat75
10.11.2008, 13:31
Angeregt durch einen Beitrag im thread der gestressten Assistenzärzte wollte ich hier die Frage aufwerfen, wie Ihr in der Klinik mit Placebos umgeht? Als Beispiel sei der chronische Schmerzpatient genannt, der nachts um 2 Uhr in die Notaufnahme kommt und nur Tilidin verträgt. Habt Ihr oder würdet Ihr in diesem Fall zu einem Trick greifen, z. B. nur eine NaCl Infusion zu verabreichen? Was habt Ihr diesbezüglich für Erfahrungen gemacht? Wie fühlt Ihr Euch dabei? Immerhin handelt es sich um einen Betrug am Patienten bzw. die Unterstellung, dieser würde nicht die Wahrheit erzählen.

Hauke83
10.11.2008, 13:44
Du musst dir immer wieder sagen: Patienten mit Beschwerden bei denen keine
körperlichen Ursachen gefunden werden sind keine Simulanten, Lügner oder eingebildete Kranke.

Dann hast du auch keine Probleme mit einem Placeboversuch.

alley_cat75
10.11.2008, 13:49
Gehst Du zuerst auf gründliche Ursachensuche oder wagst Du vorab einen Versuch mit Placebo?

papiertiger
10.11.2008, 14:07
Du musst dir immer wieder sagen: Patienten mit Beschwerden bei denen keine
körperlichen Ursachen gefunden werden sind keine Simulanten, Lügner oder eingebildete Kranke.

Dann hast du auch keine Probleme mit einem Placeboversuch.

Inwiefern ist der Konflikt damit gelöst?


Darüber, dass Placebo-> Schmerzen weg keinesfalls heißt, dass der Patient nicht tatsächlich welche hatte sind wir uns ja, denke ich, einig. Im Grunde beweist das aber noch nicht einmal, dass keine körperliche Ursache zugrunde gelegen hat, bzw., und das ist das, was ich daran bedenklich finde, liegt.

Hauke83
10.11.2008, 14:24
Man ist sich dann selber klar, dass man dem Patienten durch die Gabe des Placebos nicht unterstellt er würde einen anlügen.

Alley cat, wie stellst du dir eine gründliche Ursachensuche in der von dir beschriebenen Situation vor? Dazu bräuchtest du mindestens 6 explorative Gespräche je 45 Minuten, einen motivierten Patienten und selbst eine entsprechende Zusatzausbildung.

Ich würde gerne wissen ob es sinnvoll ist den Patienten hinterher darüber aufzuklären dass er ein Placebo bekommen hat?

papiertiger
10.11.2008, 14:28
Man ist sich dann selber klar, dass man dem Patienten durch die Gabe des Placebos nicht unterstellt er würde einen anlügen.

Glückwunsch, damit hast du dein eigenes schlechtes Gewissen in der Situation erfolgreich besiegt. Ist ja auch schonmal was wert. An der grundsätzlichen ethischen Dimension der Frage rüttelt das allerdings nichts.

roger rekless
10.11.2008, 15:17
Angeregt durch einen Beitrag im thread der gestressten Assistenzärzte wollte ich hier die Frage aufwerfen, wie Ihr in der Klinik mit Placebos umgeht? Als Beispiel sei der chronische Schmerzpatient genannt, der nachts um 2 Uhr in die Notaufnahme kommt und nur Tilidin verträgt. Habt Ihr oder würdet Ihr in diesem Fall zu einem Trick greifen, z. B. nur eine NaCl Infusion zu verabreichen? Was habt Ihr diesbezüglich für Erfahrungen gemacht? Wie fühlt Ihr Euch dabei? Immerhin handelt es sich um einen Betrug am Patienten bzw. die Unterstellung, dieser würde nicht die Wahrheit erzählen.

Man gibt doch aber auch z.T. Placebos wenn man dem Patienten glaubt. Z.b. hab ich das in der Dialyse oft erlebt: Patient klagt über quälenden Juckreiz, der nach ein paar ml NaCl wie weggeblasen ist.
Und beim Thema Schmerz gibt es doch auch Untersuchen, die zeigen dass Körpereigene Stoffe durch den Placeboeffekt durchaus den Schmerz lindern können, oder?
Insofern finde ich nicht dass es Betrug ist, sofern man eine Wirkung erziehlt.

Und zum Thema ob man den Patienten danach aufklären sollte, dass er ein Placebo bekommen hat: ich hab öfters gehört dass dies nach hinten losgehen kann, da der Patient ab da immer fürchtet bei weiteren Behandlungen nur ein Placebo zu bekommen. Dies kann zu einem "negativen" Placeboeffekt führen, so dass auch echte Medikamente nicht mehr gut wirken.

alley_cat75
10.11.2008, 15:26
Alley cat, wie stellst du dir eine gründliche Ursachensuche in der von dir beschriebenen Situation vor?

Praktisch umsetzbar ist das natürlich nicht, aber ist das nicht schlimm?! Da kommt ein Patient mit einem für ihn gravierendem Problem und wird vom Arzt nicht ernst genommen. :-nix Mein schlechtes Gewissen in solchenSituationen basiert primär auf der Sorge, irgendwann den "echten" vom "falschen" Patienten nicht mehr unterscheiden zu können. Dass meine Zauberinfusionen (am meisten mag ich NaCl + Cernevit) helfen, macht mich meist nicht etwa erhaben darüber, dass ich Recht hatte, sondern darüber, mitten in der Nacht keinen weiteren Stress zu haben.

Und ja, meistens sage ich Patienten, dass das nur Wasser war. Allerdings habe ich mich noch nicht getraut, dass so in eine Epikrise zu diktieren.

Kackbratze
10.11.2008, 15:29
Wir geben keine Placebos, wir geben Klistiere.
Modifizierte medikamentöse Therapie in der Chirurgie ist postoperativ eher selten und die Beschwerden sind meist gut einer Ursache zuzuordnen.

Bauchschmerzen ohne klaren Fokus mit Koprostase lassen wir abführen um danach sehen zu können, ob die Beschwerden persistieren.
Danach kommt weiterführende Diagnotik.

Tumorpatienten haben wir, dank unserer Schmerzambulanz, recht selten, die dann entsprechende "Placebos" brauchen würden (dem Eingangsbeispiel des Threads entsprechend).

Was mich nur wundert, hier diskutieren wieder nur Studenten über ein Thema, mit dem sie augenscheinlich nur selten zu tun haben.

Und ich glaube auch, dass die "Placebo-Gabe" im eigentlichen klinischen Arbeiten extrem selten vorkommt. (Korrektur dieser These erbeten...)

roger rekless
10.11.2008, 15:32
Was mich nur wundert, hier diskutieren wieder nur Studenten über ein Thema, mit dem sie augenscheinlich nur selten zu tun haben.



Kommt vor in einem Studentenforum ;)
Da es bei der Fragestellung ja eher um Ethik als um medizinische Knowledge geht, können meiner Meinung nach auch Erstsemester oder Pflegekräfte dazu ihren Senf abgeben.

alley_cat75
10.11.2008, 15:34
Keine Sorge, Kackbratze, die Kollegen kommen noch. Ist ja noch nicht Feierabend. ;-) Deiner These über die Anwendungshäufigkeit muss ich widersprechen; daher der thread. Wobei das allgemeine internistische Patientengut sicher besser geeignet ist, als das chirurgische. :-)) Tumorpatienten würde ich übigens nie ein fake Medikament anbieten. Ein wenig Moral ist mir noch geblieben.

hennessy
10.11.2008, 15:34
.... Allerdings habe ich mich noch nicht getraut, dass so in eine Epikrise zu diktieren.
Warum eigentlich nicht? Dann wäre es wenigstens konsequent.
Bei uns gibts auch vergleichbare Fälle, in denen keine "echte" Behandlung vorgenommen wurde. In der Kartei stand dann: "u.a.f." Aufgeregt hat sich niemand darüber. Ausserdem sehe ich die Kartei schon irgendwie als Dokument, und deshalb sollte hier schon drinstehen, was wirklich gemacht wurde. Bei der Epikrise ist das nicht anders.

Die Niere
10.11.2008, 15:42
Natürlich darf hier jeder seinen Senf dazu abgebene, aber ich glaube Kackbratze hat sich einfach auf ein paar Kommentare alter Hasen gefreut.

Meine Meinung dazu (als mittelalter Hase): Placebogabe ist per se schon einmal garnicht rechtlich erlaubt (zumindest hier in der CH) und deswegen habe ich in meinen 4 klinischen Jahren als AA oder auch im PJ niemals so etwas erlebt. Ich halte es auch für moralisch sehr knapp und die Indikation muss extrems eng gesehen werden. Die meisten Patienten, die direkt ein bestimmtes Medi verlangen, sind abhängig und denen kann man auch mit Placebo nicht viel helfen.

Ich benutze die Gabe von "Placebos" im klinischen Alltag ein wenig anders. Wenn zum Beispiel ein Patient meint ein bestimmtes Symptom (meist postoperativ) von einem bestimmen Medikament zu bekommen (z.B. Herzflattern von grossen Dafalgan (=Paracetamol) Tabletten oder Kribbelparästhesien von Novalgin-Tabletten), stell ich dir Wirkform um ohne den Patienten darüber zu informieren, dass der Wirkstoff noch immer der gleiche ist (also z.B. Dafalgan Brausetabletten oder Novalgintropfen). Ich sage dann nur, dass wir die Medikation umstellen, damit er diese Symptome nicht mehr hat. Das ist auch in irgendeinerweise Beschiss am Patienten, aber in meinen Augen vertretbar.

gruesse, die niere

Kackbratze
10.11.2008, 16:16
Ich benutze die Gabe von "Placebos" im klinischen Alltag ein wenig anders. Wenn zum Beispiel ein Patient meint ein bestimmtes Symptom (meist postoperativ) von einem bestimmen Medikament zu bekommen (z.B. Herzflattern von grossen Dafalgan (=Paracetamol) Tabletten oder Kribbelparästhesien von Novalgin-Tabletten), stell ich dir Wirkform um ohne den Patienten darüber zu informieren, dass der Wirkstoff noch immer der gleiche ist (also z.B. Dafalgan Brausetabletten oder Novalgintropfen). Ich sage dann nur, dass wir die Medikation umstellen, damit er diese Symptome nicht mehr hat. Das ist auch in irgendeinerweise Beschiss am Patienten, aber in meinen Augen vertretbar.

Sowas trifft mein "Verständnis" von Placebos eher als die Gabe von NaCl-forte und Co.
Es ist ja auch per Definition keine Placebo-Gabe, sondern nur eine Umstellung der Darreichungsform, bzw. der potentiellen Zusatzstoffe.

hypnose-kroete.de
10.11.2008, 17:11
Wenn man mal davon ausgeht, das Placebos auch bei organischen Ursachen eine Wirkung haben können muss man eigentlich gar nicht auf die Schiene kommen, daß man dem Patienten Lügen/Simulation unterstellt bzw. den Patienten betrügt und sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man einen Versuch mit Placebo macht.

Das setzt natürlich voraus, daß man den Patienten nicht erst seit fünf Minuten kennt.

Bei akuten Problemen und bis dato unbekannten Patienten würde ich ein Placebo nicht anwenden, wenn man den Patienten aber kennt und die Situation überblickt ist gegen ein P-Versuch eigentlich ethisch imo nichts einzuwenden.
Die Entscheidung sollte aber nicht aus der Not geboren sondern gut überlegt sein und ist vielleicht eher im Niedergelassenen-Setting oder bei "Langliegern" als im Akutbereich begründet.

Zu überdenken ist denke ich auch die Tatsache, das auch ein Verum immer einen Placeboeffekt mitbringt und ein möglicherweise bei Pat.X pharmakodynamisch wirkungsloses Medikament einfach durch den Placeboeffekt Linderung verschafft.

So 100% sicher, was man da gerade macht, kann man sich also eigentlich gar nicht sein, aber es beruhigt natürlich das eigene Gewissen wenn man aus einer Studie weiß, daß das Medikament besser wirkt als Placebo (p<0,001) ;-)

papiertiger
10.11.2008, 18:16
Was mich nur wundert, hier diskutieren wieder nur Studenten über ein Thema, mit dem sie augenscheinlich nur selten zu tun haben.

Auch wenn das Prinzip "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal *** " grundsätzlich garnicht so verkehrt ist und hier hin und wieder wirklich häufiger berücksichtigt werden sollte, finde ich es doch ein wenig ungebracht, bestimmten (Gruppen von) Usern die Berechtigung abzusprechen, zu einem Thema eine Meinung zu haben.

Für meinen Teil muss ich sagen, ich habe, obwohl ich es nicht unterlassen konnte, meinen natürlich überaus unqualifizierten Senf dazu zu geben, auch eher auf Beiträge von den Leuten, die damit tatsächlich auch praktisch zu tun haben gewartet, weil deren Haltung dazu natürlich hier von besonderem Interesse ist.
Aber davon unabhängig hat die Thematik auch eine ethische Komponente, über die man sich durchaus auch schon eher ein, zwei Gedanken machen kann. Und, auch der durchschnittliche Student hat für gewöhnlich in Praktika und ähnlichem schon ein ganz kleines bisschen Krankenhausalltag mitbekommen, und ist dabei unter Umständen ganz vielleicht auch schonmal mit dem Thema in Berührung gekommen.

Kein Angriff, Kackbratze, ich verstehe schon was du meinst. Aber ich habe ehrlich keine Lust, mir bei jedem Thema auf dass ich antworte zu überlegen, ob meine Semesterzahl mich nun eigentlich schon qualifziert, dazu etwas zu sagen. Und der Satz oben liest sich ein wenig wie eine Aufforderung, genau das zu tun.

Persephone
10.11.2008, 18:26
Im Dienst hab ich bisher noch keine Placebos bei Schmerzen verabreicht. Dazu bin ich noch zu kurz dabei und ich hätt Sorge, die Situation falsch einzuschätzen.
In anderen Situationen aber schon. Z.B. meinte einmal eine Pat. ein Medikament nicht vertragen zu können (wie die anderen 20 davor auch nicht) und da sie weder Luftnot noch irgendwelche Hautveränderungen oder Schleimhautschwellungen hatte, hab ich ihr NaCl gespritzt, das hat Wunder gewirkt.... Die kannte ich aber auch schon ein paar Tage.
Oder zum Schlafen bekommt auch der ein oder andere Pat. ein Placebo.

Evil
10.11.2008, 20:17
Bei akuten Problemen und bis dato unbekannten Patienten würde ich ein Placebo nicht anwenden, wenn man den Patienten aber kennt und die Situation überblickt ist gegen ein P-Versuch eigentlich ethisch imo nichts einzuwenden.
Die Entscheidung sollte aber nicht aus der Not geboren sondern gut überlegt sein und ist vielleicht eher im Niedergelassenen-Setting oder bei "Langliegern" als im Akutbereich begründet.
Gute Einschätzung!
Primäre Aufgabe eines Dienstarztes ist ja die Akutversorgung, d.h. in den allermeisten Fällen stellt sich die Frage zumindest im Nachtdienst nicht.

Anders bei Patienten, bei denen auch umfangreiche Diagnostik keinen pathologischen Befund erbringt, dafür aber eine psychogene Komponente (Z. B. Depression) offentsichtlich ist. Allerdings setzen wir in diesen Fällen eher Antidepressiva und niedrigst dosierte Antipsychotika (Melperon, Risperidon) ein, und das mit gutem Erfolg (und ohne die Patienten zu sedieren, die werden dadurch nicht abgeschossen).

Richtige Placebogabe hab ich bislang nur sehr wenig erlebt, und dies nur bei "Stammkunden", bei denen eher eine psychosomatische Ursache vorlag, die aber partout jede Form von Psychotherapie ablehnen.

Szaf
10.11.2008, 21:20
Mal ne dumme Frage....

Ab wann wird den ein Schmerzen Patient dessen Grunderkrankung bzw Verletzung aus therapiert ist als Simulant betrachtet ?

Eilika
10.11.2008, 21:27
Meine Meinung: in gewissen Situationen sind Placebos durchaus nützlich. Also bei leichteren Schmerzen oder auch bei Einschlafstörungen - wenn es darum geht, den Kreislauf aus Schmerz - Erwartungshaltung - Anspannung - Schmerz zu durchbrechen. Man vergiebt sich ja nichts. Man testet es aus, wenn es funktionniert, dann ist es gut, man hat dem Patienten geholfen und dabei Nebenwirkungen minimiert. Wenn es nicht hilft, gut, dann legt man halt ein Verum nach. Kommt allenfalls zu einer Verzögerung von einer halben Stunde. Und ja, wir machen das manchmal. Und das auch zum Teil mit Erfolg.
Den Patientin hinterher darüber aufzuklären halte ich aber auch für falsch. Gerade wegen des angedeuteten negativen Placeboeffekts.
Gutes Beispiel auch: Patient hat als analgetische Therapie Tramal Tropen. Die sind auch der Situation angemessen. Der Patient ist aber der Meinung, dass nur Sprizten wirklich gegen Schmerzen helfen. Also könen die Gtt natürlich nichts bewirken. Wenn man aber nach den Tropen noch 2ml NaCl iv gibt, dann hilft die Kombination hervorragend...
Also: man muss wissen, wann, wie und bei wem! Aber wenn es hilft, warum denn dann nicht??