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hobbes
13.11.2002, 00:45
Über 40% der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt. Die Alten sind die überwiegende Mehrheit der Patienten praktisch eines jeden Arztes. Diese Tendenz wird sich ungebremst fortsetzen.

Ich habe aus meiner Beobachtung schon seit Beginn meines Studium festgestellt, dass auch Mediziner gegenüber Alten nicht unvoreingenommen sind. Hemmungslos werden die Vorurteile unserer jugendlichen, trendigen Gesellschaft und Medien in den klinischen Alltag übernommen. Gerne wird despektierlich von Opa und Oma gesprochen. Alten Patienten wird ihre Krankheit meist auf geradezu fürsorgliche Weise erklärt wie man sie nur einem Kleinkind widmet. Weil generell alle Alten schwerhörig sein sollen wird dabei laut geschrien. Selbstverständlich sind aber alle Alten dement und verstehen eh nicht, was wir ihnen berichten. Und: plagt sie wirklich ein schwerwiegendes medizinischen Leiden, so soll man bei der Behandlung ja nicht überborden: wir wollen ja den armen Alten nicht leiden lassen und ihm ein möglichst baldes Ableben ermöglich.

Ist meine Schilderung pure Polemik? Oder habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wieviel Medizin müssen wir auch Leuten mit kleiner Lebenserwartung zugestehen?

aione
13.11.2002, 01:02
Hallo hobbes,

Du sprichst mir wirklich aus der Seele. Ich empfinde es ebenso.
Ich arbeite schon eine ganze Weile in diversen Krankenhäusern und war auch schon in der Geriatrie tätig und kann Deine Beobachtungen nur bestätigen.
Alte Menschen werden nur allzu oft für dumm verkauft und Erklärungen, die einigermaßen anständig sind, haben sie nur selten zu erwarten.
Ich selbst hatte kürzlich in der Ambulanz eine alte Dame, die einen Herzinfarkt erlitten hatte. Ganz ruhig sagte sie mir, daß sie sich vor kurzem die Adern am Arm aufschneiden wollte, da für sie das Leben keinen Sinn mehr habe. Sie lebt in einem Altenheim , hat keine Kinder, ihr Mann ist tot, unterhalten könne sie sich dort mit niemandem, da die Schwestern alle etwas, na ja, unterbelichtet sind und die Alten alle dement. Ich konnte sie sehr gut verstehen. Und nun lag sie da , recht blaß und krank , und wollte, daß wir nichts an ihr machen. Als meine "Chefin" kam, wollte die das aber gar nicht hören, sie fuhr das Übliche Programm ab, gab ihr die Medikamente und verlegte sie auf die Überwachung. Daß die alte Dame hellwach in ihrem Kopf war, früher Philosophie studiert hat und eine toughe Geschäftsfrau war, interessierte sie nicht . Und die im Heim nahmen sie in dem Zustand auch nicht wieder zurück.
Sterben kann man in unserem Staat nicht , wenn mal will, sondern wenn es einem erlaubt wird. Und wir als Ärzte führen das Regiment im Kampf gegen den Tod.
Es ist mir wirklich ein Anliegen, daß wir angehenden Ärzte lernen, den Menschen zuzuhören und sie vor allem Ernst zu nehmen in ihren Gedanken und Ängsten und auch Plänen. Egal ob sie alt sind oder jung. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte.
Und manchmal müssen wir einfach loslassen können und die Meinung und den Wunsch des Menschen vor uns respektieren und akzeptieren....

Ich wünsche Euch was, werdet bessere Ärzte als die, die mir gerade versuchen, meine Ideale kaputt zu machen, nur weil es ihnen selbst irgendwann genauso ergangen ist!

aione

Mrs.Pooh
16.11.2002, 20:19
Hi hobbes,

eine große Menge Medizin müssen wir auch Menschen mit kleiner Lebenserwartung zugestehen!
Obwohl mir aufällt das ausgerechnet du, ein schwarz/weiß Bild beschreibst?
Du hast es mal selbst geschrieben (und meiner Meinung nach auch richtig erkannt), das man schnell dazu verfällt den Arzt bzw, die Schwester...mit gut oder böse zu bewerten (Patch Adams)...ich persönlich muß immer an den Roman "House of God" denken und wieviel davon wahr ist ...und die erschreckende Realität!!!

Stattdessen, versuch ich im Alltag rechtzeitig meine Gleichgültigkeit zu bemerken... und meine Gefühswelt zu beleben! hört sich vielleicht komisch an....aber manchmal stelle ich fest das ich mich nicht mehr richtig freuen kann..oder ähnliche Phänomene....die mir echt zu denken geben...so dass ich mich fragen muß..ob ich eigentlich ein Mensch bin?
Hier eine kleine Geschichte..mit der du vielleicht was anfangen kannst...die zum Thema passt.

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tisch saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater hinter dem Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt;
da sah er betrübt nach dem Tisch und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten seine zittrigen Hände das Schüsselchen nicht mehr halten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur.
Da kaufte sie ihm ein ein hölzernes Tröglein fur ein paar Heller, daraus mußte er nun essen. wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen.
"Was machst du da?" fragte der Vater.
" Ich mache ein Tröglein" antwortet das Kind, "daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin."

Da sahen sich Frau und Mann eine Weile an, fingen endlich anzu weinen, holten alssofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mit essen, sagten auch nichts wenn er etwas verschüttete.

hobbes
17.11.2002, 01:18
@Mrs Pooh: Eine wirklich sehr schöne und eindrückliche Geschichte. Es ist in der Tat so; man sollte sich doch immer wieder vor Augen führen, dass a) diese alten (nun kranken) Menschen auch einmal anders waren und wir sollten sie als wertvolle Individuen anerkennen und b) dass uns ein ähnliches Schicksal auch blühen kann. Also im Sinne: so wie du mir, so ich dir.

wegen schwarz-weiss: ich pflege neue threads immer in einer Überspitzung des Sachverhaltes und in einem ironischen Ton zu eröffnen. Das kann zu Missverständnissen führen. Ich bin ganz deiner Auffassung, dass wir uns medizinisch sehr um die alten terminal kranken Patienten kümmern müssen und zwar noch viel mehr als heute - !!! - das war ja gerade meine Motivation dieses Thema zu eröffnen!

@aione: es freut mich, dass ich dir aus der Seele spreche. Auch ich finde die Schilderung aus deiner Abteilung mit der Frau und den Pulsadern erschütternd. Fliessbandmedizin ist in der Geriatrie nun doch wirklich völlig fehl am Platz. Das geht vielleicht bei einem Patienten mit einem Meniskus oder einer komplikationslosen Appendektomie. Blinddarm raus, einige Tage liegen und ab nach Hause - fertigt. Bei den geriatrischen Patienten wäre aber doch eine differenzierte Einbeziehung der psychischen und sozialen Faktoren von Nöten.
Gerade deswegen aber muss ich dir etwas widersprechen. Ich finde es falsch, die alte Frau nun sterben zu lassen, weil diese aufgrund ihrer sozialen Vereinsamung die Freude am Leben verloren hat und sich nun die Pulsadern aufschneiden möchte. Es ist doch falsch, einem suizidalen Patienten den Suizid zu erleichtern - man muss doch hier den Ursachen für die Suizidgedanken nachgehen. Vielleicht gibt es Möglichkeiten die Patientin aus ihrer sozialen Isolation herauszuholen. Vielleicht sind ihre ausgesprochenen Suizidgedanken in Wirklichkeit Hilfeschreie nach Aufmerksamkeit (das ist meistens so!).

Ich finde es schrecklich, wenn jemand in seinen alten Tagen sterben will, nur weil er sich mit niemandem unterhalten kann. Da stimmt doch was nicht! Das darf nicht sein. Doch die Lösung ist nicht diese Leute durch (angeblich humane) Sterbehilfe zu eliminieren, sondern die Ursachen (hier offenbar v.a. psychische) zu beseitigen.

Yu, ich hoffe dieser thread findet noch etwas mehr Resonanz, denn das Thema ist ausserordentlich wichtig.

aione
17.11.2002, 01:39
Hi Hobbes,

ich finde keineswegs, daß man die alte Dame aus meiner Schilderung sich selbst überlassen sollte und sie sich ruhig aus dem Leben verabschieden kann!
Was mir in dieser Situation nur sehr sauer aufstieß, was ich vielleicht nicht deutlich genug geschildert habe, war, daß ihr gar kein richtiger Rahmen zu Teil wurde, in dem man ihre Probleme besprochen hätte. Sie wurde von Anfang an von meiner Kollegin in eine Schublade " alter Mensch mit Demenz" gesteckt und hatte gar keine Gelegenheit ihre Situation zu schildern.
Ich hätte nur ein kleines Problem gehabt, sie nicht weiter zu behandeln. WEnn ich etwas zu sagen gehabt hätte, hätte ich mit ihr ausgemacht, daß sie zur Überwachung ein paar Tage da bleibt, man die Therapie nur minimal fährt ( also Herzkatheter, der auch noch einer Dame wie ihr angeboten wird!, nicht machen etc.) und sie die Gelegenheit bekommt, mit einem Psychologen o.ä. zu sprechen.
Sie war so gefasst und klug und hellwach. Auch nicht depressiv, so weit ich das einschätzen konnte, daß man ihren Wunsch wirklich hätte respektieren sollen. Sie hat das Alter zu gehen und es wäre auch völlig in Ordnung für sie. Nur nicht für die Mediziner...

Ich hoffe, jetzt wurde die Situation verständlicher. Das Thema ist wirklich wichtig, da kann ich Dir nur Recht geben.

Cu,
aione

hobbes
17.11.2002, 01:47
Sie war so gefasst und klug und hellwach. Auch nicht depressiv, so weit ich das einschätzen konnte, daß man ihren Wunsch wirklich hätte respektieren sollen. Sie hat das Alter zu gehen und es wäre auch völlig in Ordnung für sie. Nur nicht für die Mediziner...

Aber pflichtest du mir in der Feststellung zu, dass es bedenklich ist, dass sich jemand durch passive Sterbehilfe (Unterlassung der Hilfeleistung) aus dem Leben verabschieden muss, weil er sozial isoliert ist, weil sich niemand um ihn schert und er nur mit dementen zusammen sein kann??

Du hast natürlich völlig recht, man hätte den Wunsch der Patientin ausführlichst mit ihr diskutieren müssen und sorgfältig abklären, ob das nun ihr letztes Wort ist und ob es wirklich keine anderen Möglichkeiten gäbe. Denn genau das wird m.E. auch bei tatsächlich erfolgter passiver Sterbehilfe zuwenig getan.

aione
17.11.2002, 02:49
Ich sehe das nicht als passive Sterbehilfe oder unterlassene Hilfeleistung . Diese Patientin lehnt im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte eine Behandlung ab. Wenn ein junger Mensch kommt , der an , was weiß ich, z.B. Pankreas-CA erkrankt ist, und der lehnt eine weitere Behandlung kategorisch ab, weil er genau weiß, dass seine Chancen einer Heilung gleich Null sind und er lieber eher zu Hause, aber dafür in Würde sterben möchte, dann wird jeder Arzt akzeptieren, daß er nach Hause geht und dort, so gut versorgt wie es geht, sterben kann und wird.
Diese Patientin weiß ebenso, daß sich ihr Leiden höchstens hinauszögern wird und sich ihre Lebensqualität nicht mehr verbessern läßt. Sie möchte schlicht nicht behandelt werden. Ihr Wunsch sollte uns Befehl sein in diesem Fall. Wenn sie nun offensichtlich depressiv ist, dement oder ähnliches, dann würde sie diesen Wunsch vielleicht ebenso äußern, aber da ließen sich echte Behandlungsmöglichkeiten anbieten. Aber in ihrer Situation würde das den Rahmen sprengen. Ich kann nun mal nicht auch noch für eine bessere Unterhaltung im Heim sorgen, oder ihr Adoptivkinder besorgen oder ihren Mann wiederbeleben.
Ich sehe, es ist wirklich schwierig die Gedanken und Gefühle zu diesem Thema adäquat zu formulieren.
Mein Problem sind Ärzte, die um alles in der Welt behandeln müssen, von unterlassener Hilfeleistung sprechen wenn sie nichts anderes machen müssen als da zu sein, die Patienten nicht sterben lassen wollen und dabei ein bißchen Gott spielen. Es ist genauso Hilfeleístung, einen Menschen auf seinem ´letzten WEg zu begleiten. Das kann in einer schweren Krankheit sein, aber dazu gehört genauso die Begleitung, wenn ein Mensch eben nicht mehr behandelt, sondern nur noch unterstützt werden will mit Worten und Verständins.

Wir müssen nicht jede Krankheit die uns über den Weg läuft versuchen auszumerzen!

Und der alte Mensch hat das Recht nach einem langen Leben selbst zu entscheiden, wie er sein restliches Dasein gestalten will, wenn er dazu in der Lage ist.
Wenn mir später mal ein übermotivierter Arzt über den Weg läuft, der mich vom Sterben abhalten will, wo ich das letzte Jahr, das er vielleicht noch rausschinden könnte doch gar nicht mehr will, dann werde ich ganz schnell einen anderen suchen, der mich besser unterstützen würde....

Feuerblick
17.11.2002, 11:12
Aione, nun sprichst Du mir aus der Seele!
Ich bin auch der Meinung, dass man als Arzt wissen sollte, wann man seine Grenzen erreicht hat. Man kann und darf nicht auf Teufel komm raus alle Krankheiten behandeln wollen.
Und gerade bei Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung oder vielleicht auch ihres Alters (jaaa, es gibt viele alte Menschen, die einfach sagen, sie hätten jetzt genug erlebt, ihre Freunde und Bekannten, vielleicht sogar ihre Kinder, seien alle tot und es wäre einfach genug) nicht weiterleben möchten, sollte man so fair sein und sie in Würde gehen lassen. Das ist auch eine Art, alten Menschen Respekt zu erweisen!

Im Rettungsdienst erlebt man häufig, dass todkranke Patienten vom Krankenhaus zum Sterben nach Hause geschickt wurden und die Angehörigen rufen, weil sie mit der Situation überfordert sind, nach dem Notarzt. Der kommt dann, kennt den Patienten und seine Vorgeschichte nur in Stichpunkten und hat in den wenigsten Fällen den Mut, den Angehörigen klar zu machen, dass nichts mehr zu retten ist. Dann wird der arme Patient wieder aus seinem Umfeld gerissen, in irgendeine Klinik geschleppt, mit Blutabnahmen und Geräten gequält, um dann vielleicht irgendwann doch sterben zu dürfen.

Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, wann und wie er diese Welt verlassen möchte, solange er geistig zu einer solchen Enscheidung in der Lage ist! Ein Tier, das todkrank ist und nur noch unter Schmerzen leidet, darf eingeschläfert werden. Ein Mensch, der in der gleichen Situation sogar seinen Wunsch zu sterben äußern kann, muss weiterleben bis zum bitteren Ende...

Tja, Hobbes, was Deine Erfahrungen angeht: Ich ärgere mich auch immer über diese ignoranten Deppen, die von "Omi" oder "Opi" reden, alte Leute wegen vermuteter Schwerhörigkeit anbrüllen und sie behandeln, als wären die alten Leutchen prinzipiell alle dement. Aber ich habe das den betreffenden "Deppen" dann auch in einer ruhigen Minute mal gesagt...und siehe da, ich erlebte zerknirschte Einsicht! Manche Ärzte/PflegerInnen sind da vielleicht einfach nur gedankenlos, so schlimm das auch klingt.

Gruß
Feuerblick

Sani
17.11.2002, 14:26
Hi ihrs....

Da ich im Rettungsdienst arbeite, stimme ich Feuerblick voll und ganz zu. Vielzuoft fahren wir in Pflegeheime, wo die "alten Leute" nur noch dahinvegetieren. Und eben weil der NA die Vorgeschichte nicht kennt, fällt es ihm schwer zu sagen: "Nein, wir fahren nicht in die Klinik, weil...."
Das Problem für uns "Außendienstler" ist auch ein rechtliches, lassen wir einen Todkranken zu Hause (egal ob daheim oder im Pflegeheim) und die Angehörigen meinen hinterher, das wir dran schuld sind, das die/der Mutter/Vater o.ä. gestorben sind, dann ist die Suppe am Kochen. Und den Schuh will sich halt (verständlicherweise) keiner anziehen.
Ich bin auch dafür, das Todkranke Patienten (egal ob jung oder alt) in Würde zu Hause sterben dürfen. Ich möchte auch nicht in einem Pflegeheim vor mich "hinsiechen", nur weil Ärzte meinen, da sind noch ein paar Tage dank Apparatemedizin drin.
:-meinung
Sollte jemand Probleme mit meiner Meinung haben, darf er/sie sich gerne an mich wenden...

Grüße
Sani

Mrs.Pooh
17.11.2002, 20:44
Hi hobbes,

ja die Geschichte finde ich auch sehr eindrucksvoll...bin ja schon froh das du mich nicht auslacht.
Schwarz/ weiß: Danke :-) für die Erklärung...sonst hätte ich wahrscheinlich immer über diese Widersprüche nachgedacht...bin halt so :-)) Ich finde es richtig von dir, das du dieses Thema wieder auf den Tisch gebracht hast !!! Zumal die Rubrik"Patch Adams" nicht mehr da ist...und mein persönlicher Bedarf nach diesem Thema noch lange nicht gedeckt ist!!!

Wie du mir, so ich dir?!
Der Grund für die Altersdiskriminierung? Die Zeiten haben sich geändert(ok, das wissen wir alle), wir leben in einer "Wegwerf" Gesellschaft, die sozialen Strukturen haben sich geändert und der frühere Vorteil von unserer modernen Kultur , ist nun ein ein Nachteil!

Wie sehen heute die wenigen intakten Familien aus? Die Kinder gehen arbeiten und versorgen gerade mal mit Mühe und Not sich selbst und ihre Kinder. Wieviel Zeit bleibt da noch für die Eltern? Wenn die Eltern gesund sind...kann man von Glück reden! Wenn sie alt und krank sind werden sie in ein Heim verlegt/abgeschoben?! und zu den Heimen sage ich jetzt nichts...Die Bevölkerung wird immer älter und die Geburtenziffer geht zurück. Warum? ein Teil der sich beruflich nicht behaupten kann oder vom Arbeitsamt "Schwer vermittelbar" ist...bekommt in regelmäßigen Abständen Kinder, die dann von der Stütze und vom Kindergeld groß gezogen werden. Der andere Teil, der der arbeiten geht? Zuwenig Personal, egal wo man hinschaut..oder wenn ich mir jetzt mein Leben anschaue..meist bin ich übermüdet und je nach dem wie groß die Belastung ist..meist ist sie groß...bin ich kaputt...die Freundschaften die mir wichtig sind kann ich mit Mühe und Not pflegen...und über Kinder oder eine Familie denken weder ich noch irgendeiner in meinem Freundeskreis nach.... Zumal jeder von uns weiß dass das Risiko einer Fehlgeburt zumindestens in dem Arbeitsbereich groß ist!

Jetzt bin ich vielleicht zu sehr abgeschweift aber wenn ich an die Geschichte denke...kann man schon eine Paralle ziehen. Diejenigen die so abfällig/respektlos Ömchen oder ähnliches sagen...die arbeiten meistens schon etwas länger als ich und sind gefühlsmäßig abgestumpft!!! Wenn mein Leben in zehn Jahren so aussieht wie heute? Dann ertrage ich es vermutlich? auch nur, wenn ich möglichst wenig nachdenke und fühle...Schau dir die Leute an! die kalt und abfällig reden und handeln...? Die leben ein ähnliches Leben wie ich ...schon über Jahre hinweg! Das finde ich deprimierend!!! Ich vermute mal das ich dann auch so werden würde...will es aber nicht!

Bei Patch Adams, hast du auch überspitzt? nach der Zeit gefragt? Man kann nicht alles auf die Zeit schieben...aber vieles! Heute wird nichts mehr repariert oder das Uhrwerk überprüft...so wie man es alten Filmen kennt, heute schmeißt man etwas weg und kauft sich eine neue Uhr! Mit den Freundschaften? ist es oft das gleiche Spiel! Deswegen schlage ich als Pflichtlektüre " Den kleinen Prinzen" vor!

Wenn ich das alles um mich herum beobachte und mal drüber nachdenke...wundert es mich nicht das unsere Gesellschaft zum kotzen ist! Also gibt es drei wichtige Gründe für die Altersdiskrimierung.....die Zeit, Postindustrielle Gesellschaft und die eigene Einsamkeit bzw. das Unvermögen sich auf einen Menschen einzulassen.

Zu Aione: ja, die Gedanken und Gefühle zu diesem Thema sind schwer zu formulieren....aber wenn ihr Wunsch zu sterben da ist, weil sie einsam ist, dann kann man sie nicht einfach sterben lassen...sie war/ist doch geistig fit? Deswegen finde ich das mit dem Herzkatheter auch vollkommen richtig! Die Lösung kann nicht der Tod sein....auch wenn es ihr Wunsch ist. Aber du bist schon auf dem richtigen Weg wenn du sagst das der Rahmen für sie nicht ausgeschöpft war und man sich nicht ausreichend für sie eingesetzt hat...dann machst du das in Zukunft bestimmt besser!

Ich persönlich bekomme eine Gänsehaut..wenn ich geistig fit höre oder lese...und den Wunsch nach dem Tod! Mich hat mal eine Patienten mit Ca gefragt...ob sie von mir die Todesspritze bekommt...wenn sie danach verlangt? (Ich arbeite auf einer Palliativstation) 40Jahre alt, geistig fit! Ich wäre am liebsten rückwärts rausgegangen!!! Sie hatte wirklich nicht mehr viel Zeit zum Leben...und ihr Wunsch ist verständlich...wer will schon in Qualen sterben?
Das mußte sie ja nicht wir haben ihr ein würdevolles Sterben ermöglicht...ohne Todesspritze und ihre Familie gut aufgefangen...ihr Mann war sehr dankbar das es uns gibt. Aber wenn jemand aus Einsamkeit sterben will...kann ich ihrem Wunsch nicht einfach zustimmen und sie sterben lassen...es gibt viele gute Gründe sterben zu wollen..das sehe ich täglich...aber nicht einen bei dem ich mithelfen würde.
Ich finde es unerträglich wenn ein 90jähriger Privat Patienten , der prae final ist für eine Op vorbereitet wird! um nen Ileus zu operieren.....das ist ein Skandal! Weil der Chefarzt sagt bei mir stirbt keiner!!! Das ist ein Skandal für mich...nur weil er P ist und sich selbst nicht mehr wehren kann und die Angehörigen selbst...den Tod und das Alter nicht mehr respektieren. Wo bleibt heutzutage die Ethik? Die Moral?

hobbes
17.11.2002, 21:29
Ich erdreiste mich hier einen etwas anderen Standpunkt zu vertreten.

Eines muss ich gleich klarstellen. Ich befürworte keineswegs eine zwecklose Lebensverlängerung wie sie der modernen Medizin gemeinhin vorgeworfen wird.
Ich bin aber der Ansicht, dass dieser Vorwurf oft zu kurz greift. Dies in zweierlei Hinsicht. Erstens gibt es auch für Personen, deren Leben angesichts ihres (mutmasslichen?) Willens nicht verlängert werden soll, sinnvolle medizinische Interventionen. So kann eine frühzeitig eingeleitete stroke-Behandlung schlimmes Siechtum verhindern und die Integrität wie auch die geistige Wachheit eines Patienten erhalten. Die gutgemeinte Nichtbehandlung kann - im Falle des Überlebens - schlimme Folgen haben. Weitere Beispiele: Behandlung von Angina pectoris durch Bypass auch bei alten Patienten, Behandlung von Prostatahyperplasie auch bei alten kranken Patienten, Erhaltung der Gehfähigkeit durch Gelenksprothetik auch bei alten Heimbewohnern. Das alles finde ich sinnvoll. Dies erklärt vielleicht auch, weshalb die Entscheidung Klinikeinweisung oder keine Intervention ausgesprochen difficil ist.

Zweitens ist es ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, wenn Teilnehmer, welche sich angesichts ihrers Alters und ihrer eingeschränkten physischen und intellektuellen Funktionen nicht mehr am gesellschaftlichen Alltag und Treiben beteiligen können nur noch eine Alternativ haben: nämlich möglichst bald den Exitus letalis zu wählen und der lieben Krankheit freudig zu hüldigen, dass sie den armen Tropf bald erlösen möge. Mir ist ebenso klar, dass dies nicht einzig das Problem der Mediziner ist und dass im Einzelfall auch pragmatisch eine Lösung gefunden werden muss. Aber es wäre an der Zeit, diese Problematik aufzuzeigen.

Drittens ist es sehr gefährlich jemanden den Todeswunsch von den Augen zu lesen, den ausgesprochenen Wunsch für bare Münze zu nehmen oder gar nur den mutmasslichen Willen erkennen zu glauben. Man kann sich irren und Irrtum ist hier das Todesurteil für den Patienten. Überdies bin ich der Ansicht, dass medizinische Leistungserbringung und die allfällige Sterbenshilfe jeglicher Art personell getrennt werden müssen um Zielkonflikte zu vermeiden. Auch dies ein sehr schwieriges Kapitel.

NB: die Formulierung passive Sterbehilfe und Unterlassung der Hilfeleistung sind juristische Termini - ich habe diese nicht in wertender Absicht verwendet.

aione
17.11.2002, 21:35
Hi Mrs. Pooh,

Du würdest also einer 89 jährigen ( die übrigens auch Privatpatientin war) einen Herkatheter( zur KHK- Diagnostik- lächerlich, wie ich finde!!Noch dazu würde eine Ballondilatation ihre Lebenserwartung statistisch gesehen auch nicht verlängern!) verpassen aber hälst es für einen Skandal, einem 90 jährigem Privatpatienten eine Ileus-OP angedeihen zu lassen...???
Es ist ein ziemlich qualvoller Tod am Ileus einzugehen...
Meine Patientin dagegen hat ihren Herzinfarkt einigermaßen gut überstanden und wollte lediglich keine weitere Behandlung. Ich denke, es gibt einen himmelweiten UNterschied zwischen einem akuten Krankheitsbild und einem subakuten, stabilisiertem, meinst Du nicht?
Sie hat ihr Leben gelebt, der nächste Herzinfarkt ist vielleicht tödlich- na und?! Es wäre in Ordnung für sie und für mich in dem Fall auch. Ganz ehrlich.

Versteh ich nicht.
Und ich auch nicht die Logik: nur sie geistig fit ist, sollte man sie nicht sterben lassen, nur weil sie einsam ist...dann sag mir doch mal bitte, welchen Vorschlag/Therapie Du ihr anbieten würdest?


So long, viele Grüße,
aione

Feuerblick
18.11.2002, 10:54
Hallo!

Naja, Hobbes, da hast Du wieder einmal Stoff für längere Diskussionen geliefert.... :-)


Dies in zweierlei Hinsicht. Erstens gibt es auch für Personen, deren Leben angesichts ihres (mutmasslichen?) Willens nicht verlängert werden soll, sinnvolle medizinische Interventionen. So kann eine frühzeitig eingeleitete stroke-Behandlung schlimmes Siechtum verhindern und die Integrität wie auch die geistige Wachheit eines Patienten erhalten.
Jaaa, das Stichwort hier ist "frühzeitig", aber wie sieht denn die Realität aus??? Und reicht es, dass der Patient geistig wach ist, sich aber nach seinem Apoplex nicht mehr rühren und nicht mehr verständigen kann?? (Achtung: Das soll nicht heißen, dass ein solcher Patient gefälligst zu seinem eigenen Wohl den Wunsch nach dem Tode äußern soll!)


Weitere Beispiele: Behandlung von Angina pectoris durch Bypass auch bei alten Patienten, Behandlung von Prostatahyperplasie auch bei alten kranken Patienten, Erhaltung der Gehfähigkeit durch Gelenksprothetik auch bei alten Heimbewohnern.
1. Das sind nicht die wirklich schweren Erkrankungen, um die es bei der Sterbehilfe geht. Kein Mensch verliert nur dehalb den Lebensmut, weil er nicht mehr richtig gehen kann oder weil er unter AP-Episoden leidet. Mir ging es um unheilbare Krankheiten wie AIDS im Endstadium, Krebserkrankungen ohne Aussicht auf Heilung (hast Du schon mal einen nahen Bekannten oder Verwandten elend an einem Lungen-Ca eingehen sehen? Ohne Aussicht auf Heilung dafür aber mit der Aussicht auf ein qualvolles und langes Sterben??????). Diese Menschen sind primär auch noch geistig fit...genau deshalb können sie so genau einschätzen, was ihnen bevorsteht. Ob ein Mensch geistig noch rege ist, kann nicht die alleinige Entscheidungsgrundlage sein!
2. Sicher ist es toll, dass man Gelenkprothesen hat. Aber die meisten Bewohner der Altersheime sind multimorbide und haben ganz andere Probleme als ihre Gehfähigkeit. Mal abgesehen davon, dass ab einem gewissen Alter die Bettlägerigkeit nach einer OP durchaus das Leben verkürzen kann. Viele alte Menschen, die aus irgendeinem Grund für längere Zeit das Bett hüten müssen, kommen danach nie wieder richtig auf die Beine und sterben innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes. ("Instant ageing" ist da das Stichwort, glaube ich...)


Drittens ist es sehr gefährlich jemanden den Todeswunsch von den Augen zu lesen, den ausgesprochenen Wunsch für bare Münze zu nehmen oder gar nur den mutmasslichen Willen erkennen zu glauben.
Naja, wir reden hier nicht von Patienten, die aus einer Laune heraus oder während einer Krise einmal den Wunsch äußern, sterben zu wollen. Menschen, für die die Sterbehilfe in Frage kommt, gehen mit dem Thema anders um und haben ihre Entscheidung lange überdacht. In den Niederlanden und der Schweiz gibt es Organisationen, die sich um solche Menschen kümmern. Die berichten, dass es häufig nicht über eine einmalige Kontaktaufnahme hinausgeht. Alleine die Tatsache, dass es eine Möglichkeit gäbe, das Leben in Würde zu beenden, hilft vielen Menschen, doch erst einmal weiterzumachen.


....ist es ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, wenn Teilnehmer, welche sich angesichts ihrers Alters und ihrer eingeschränkten physischen und intellektuellen Funktionen nicht mehr am gesellschaftlichen Alltag und Treiben beteiligen können nur noch eine Alternativ haben: nämlich möglichst bald den Exitus letalis zu wählen und der lieben Krankheit freudig zu hüldigen, dass sie den armen Tropf bald erlösen möge.
Das ist doch ein wenig überspitzt, oder? Unsere Gesellschaft fordert doch vielmehr, dass die Medizin gefälligst alles und jeden zu heilen hat, auf dass unser Opa/unsere Oma auch noch mit 105 Jahren bei uns am Tisch sitzt, nicht schwerhörig ist, nicht sabbert und zur Not auch noch einen kurzen Sprint hinter dem flüchtenden UrUrUrUrenkel her einlegen kann. Unsere Gesellschaft akzeptiert doch nicht im Geringsten die Tatsache, dass man alt wird und ein Leben nunmal irgendwann einmal zu Ende ist.

Natürlich sollte man versuchen, der alten Dame aus dem Beispiel zu helfen. Vielleicht kann man ja wirklich etwas gegen ihre Einsamkeit tun, für sie eine Aufgabe finden etc. Aber es ist ihr gutes Recht, die Behandlung abzulehnen.

Und Mrs. Pooh: Ich weiss, was Du meinst! In meiner Anästhesie-Famulatur haben wir uns häufig darüber geärgert, dass alte, bettlägerige und geistig nicht mehr unter uns weilende Menschen wegen Nichtigkeiten auf den OP-Tisch gezerrt wurden. Das war aber auch eine Art von Sterbehilfe, denn die meisten sind nach der Narkose auf Intensiv gegangen und konnten nie mehr von der Maschine entwöhnt werden. Sie haben dann intubiert/beatmet eine oder zwei Wochen da gelegen und sind schließlich doch gestorben. Unter Schmerzen und in fremder Umgebung....

So, jetzt reichts aber!

Gruß
Feuerblick

hobbes
18.11.2002, 18:16
Ich sehe das Thema kommt langsam auf Abwege. Der thread heisst "Altersdiskriminierugn". Ich wollte ursprünglich keine der ewigen Diskussionen über Sterbehilfe auslösen. Trotzdem muss ich auf einige Punkte eingehen:


Kein Mensch verliert nur dehalb den Lebensmut, weil er nicht mehr richtig gehen kann oder weil er unter AP-Episoden leidet

Das sehe ich aber entschieden anders: Es ist ein Faktum, dass solche "nicht so schlimme" Krankheiten (AP, Gelenksprothetik, u.s.w.) die alten Patienten zum sozialen Rückzug bewegen, sie also isolieren und in eine Altersdepression bringen können. Achtung: Bis zu einem Drittel der Heimbewohner sollen depressiv sein! Und die Depression ist ja praktisch per defiintionem mit "Lebensmutverlust" vergesellschaftet.


In den Niederlanden und der Schweiz gibt es Organisationen, die sich um solche Menschen kümmern. Die berichten, ... Alleine die Tatsache, dass es eine Möglichkeit gäbe, das Leben in Würde zu beenden , hilft vielen Menschen, doch erst einmal weiterzumachen.

Von diesen Organisationen weiss man auch, dass es bereits nach einer ersten kurzen Kontaktaufnahme zum Vollzug des (nachgeholfenen) Suizides kommt.
Aber ich erachte es trotzdem als positiv, dass sich solche Organisatoren um die Durchführung der Sterbehilfe für ihre Mitglieder kümmern. Es wäre nämlich (alsbald sich die aktive Sterbehilfe auch in Deutschland durchsetzt, und das ist leider eine Frage der Zeit...) höchst bedenklich, falls dies in den Zuständigkeitsbereich der Ärzte fallen sollte. Es käme hier zum erwähnten Zielkonflikt des Arztes; und wer stellt mir als "nicht-sterbewilliger Patient" sicher, dass mir der Sterbenswunsch wirklich nicht unterstellt wird??

Das Argument mit der Würde als Pro für die Sterbehilfe ist eines meiner medizinethischen Lieblingsthemen! Ist es wirklich würdevoll einen verzweifelten Menschen zum Suizid zu verhelfen? Bildlich gesprochen dem Selbstmordkandidaten auf der Brücke einen Tritt in den Hintern zu verpassen um das fehlende Quentchen Mut zu kompensieren?
Und weiter: was ist der würdevolle Tod? Derjenige Tod, bei dem der Sterbende zu jedem Zeitpunkt topfit und wach bleibt, im Selbstbesitz seiner Kräfte? Nie leidet, nie Schwäche zeigen darf, nie pflegerische Hilfe beanspruchen darf? Nie Schmerzen erleiden soll? Weshalb sollen wir den alle mit dem Stolz eines Ritters und einem Lächeln im Gesicht in den Tod gehen? Was sind wir bloss für eine verlogene Gesellschaft!
Mit Würde hat sowas m.E. nichts, aber auch gar nichts, zu tun.
Das hier ist keine Überspitzung, sondern mein voller Ernst.
:-meinung


Das ist doch ein wenig überspitzt, oder? Unsere Gesellschaft fordert doch vielmehr, dass die Medizin gefälligst alles und jeden zu heilen hat, auf dass unser Opa/unsere Oma auch noch mit 105 Jahren bei uns am Tisch sitzt, nicht schwerhörig ist, nicht sabbert und zur Not auch noch einen kurzen Sprint hinter dem flüchtenden UrUrUrUrenkel her einlegen kann.

Nein ich habe nicht überspitzt. Bist du schon mal in einem Altenheim gewesen? Und hast du dort wirklich niemanden sabbern, dahinvegetieren, sich langweilen und keine Schwerhörigen oder Blinden gesehen?? Dann musst du nochmals hin und besser gucken. Ich bin überzeugt, dass wir unseren Heimbewohnern eine schlechte Allgemeinversorgung zugestehen - dafür dann im Einzelfall eine umso spektakulärere und bessere Spezialbehandlung (welche dann medienwirksam inszeniert wird, woher das Klischee von der "Medizin auf Teufel komm raus" entsteht).


es ist ihr gutes Recht, die Behandlung abzulehnen.

Ja das trifft sehr zu. Jedoch setzt diese Selbstbestimmung eine gute Information des Patienten voraus. Und das funktioniert im Stil: schau mal liebe Oma, wir müssen dein Herz flicken. Ja oder Nein?

Gerne wäre ich noch auf Mrs. Pooh 's posting eingegangen. Aber mein posting wir sonst zu lang (Leserfreundlichkeit!). Grundsätzlich bin aber mit ihrer Gesellschaftsanalyse einverstanden.

Feuerblick
18.11.2002, 19:40
Also, da es ja hier nicht um Sterbehilfe geht, dazu nur kurz eine Bemerkung:


Das Argument mit der Würde als Pro für die Sterbehilfe ist eines meiner medizinethischen Lieblingsthemen! Ist es wirklich würdevoll einen verzweifelten Menschen zum Suizid zu verhelfen? Bildlich gesprochen dem Selbstmordkandidaten auf der Brücke einen Tritt in den Hintern zu verpassen um das fehlende Quentchen Mut zu kompensieren?
Und weiter: was ist der würdevolle Tod? Derjenige Tod, bei dem der Sterbende zu jedem Zeitpunkt topfit und wach bleibt, im Selbstbesitz seiner Kräfte? Nie leidet, nie Schwäche zeigen darf, nie pflegerische Hilfe beanspruchen darf? Nie Schmerzen erleiden soll? Weshalb sollen wir den alle mit dem Stolz eines Ritters und einem Lächeln im Gesicht in den Tod gehen? Was sind wir bloss für eine verlogene Gesellschaft!
Mit Würde hat sowas m.E. nichts, aber auch gar nichts, zu tun.
Das hier ist keine Überspitzung, sondern mein voller Ernst.
Was hat denn sonst etwas mit Würde zu tun? Dahinsiechen unter Schmerzen, ein heldenhafter Kampf der Medizinmänner trotz aussichtsloser Situation?? Was ist am Wunsch, sterben zu dürfen, bevor das Leid in absehbarer Zeit unerträglich wird, denn soooooo verlogen? Ich habe leider schon mehr als einmal miterleben müssen. wie sich Menschen, denen die Medizin alle erreichbare Therapie angedeihen liess, letztlich jämmerlich zu Tode gequält haben. Das hat für mich noch viel weniger mit Würde zu tun! Aber gut, da mag es unterschiedliche Meinungen geben....


Nein ich habe nicht überspitzt. Bist du schon mal in einem Altenheim gewesen? Und hast du dort wirklich niemanden sabbern, dahinvegetieren, sich langweilen und keine Schwerhörigen oder Blinden gesehen?? Dann musst du nochmals hin und besser gucken. Ich bin überzeugt, dass wir unseren Heimbewohnern eine schlechte Allgemeinversorgung zugestehen
Ja, ich war schon mehr als einmal im Altenheim (siehe oben...arbeite im RD), und ja, da sabbern und vegetieren fast alle vor sich hin. Aber genau deshalb sind sie im Altenheim und nicht bei ihrer Familie, oder? Und sie sind fast immer unglücklich mit dieser Situation und nur zu häufig froh, wenn sich ihr Leben dem Ende zuneigt. Da hilft auch kein Hörgerät und keine neue Hüfte.... Sozialkontakte kann man ihnen keine "bauen", man kann es allerdings versuchen, da hast Du Recht.
Was die Allgemeinversorgung angeht, stimme ich Dir zu. Die ist in solchen Heimen leider grottenschlecht!

Ach ja, eines noch: Diese "Omi" um die es hier immer wieder geht, ist sicher besser aufgeklärt worden, als es so den Anschein hat, oder?

Was lernen wir Studis also aus unseren Beiträgen? Respektiere jeden Patienten so, wie Du selbst auch respektiert werden möchtest...

Feuerblick

Mrs.Pooh
19.11.2002, 01:13
hi aionne,

sorry aber bei dem Patienten mit dem Ileus habe ich mich nicht klar ausgedrückt. Bei einem akuten Ileus stimme ich dir..je nach dem zu! Als Erklärung, ich rede meist von Krebspatienten weil ich sie auf ihrem letztdem Weg begleite bzw. mir das zur Aufgabe gemacht habe(Krebs bzw. die Diagnose Tod , ist einer der Grundvorrausetzung um auf einer Palliativstation aufgenommen zu werden!) dieser Patient hat leider nicht bei uns gelegen...die Plätze sind rar und die Wartelisten meistens lang...und außerdem gibt es nicht viele Palliativstationen.

Wenn du oft mit Krebspatienten arbeitest wirst du feststellen das sie früher oder später und gerade im Finalstadium einen Illeus entwickeln..besonders oft bei Magen Ca....Palliativstationen bzw. Hospitze sind Endstationen...die Patienten haben eine lange Leidensgeschichte, zig Therapien...Operationen...Chemotherapie...Bestrahl ung meist ist vorher nichts ausgelassen worden egal ob alt oder jung... wenn sie schließlich bei uns auf Station kommen...und ihr Wunsch ist ein würdevoller Tod!

Ihnen kann man meist gut mit einer adäquaten Schmerztherapie, einer Magensonde zur Entlastung und menschlicher Zuwendung helfen. Falls keine Angehörigen da sind und aus welchen Gründen auch immer niemand da ist...bleibt der Patient im Finalstadium nicht allein...so das wir bei Schmerzen, Panikattacken aufgrund ausgeprägter Dyspnoe sofort eingreifen um einen qualvollen Tod zu verhindern! Heutzutage gibt es genügend Medikamente um palliativ einzugreifen. Das weiß ich, aufgrund meiner Praxiserfahrung.


Auch wenn das den Rahmen vielleicht sprengt schreibe ich dir ein paar Sachen auf die mir wichtig sind und dir vielleicht bei deinem konkreten Fall helfen.
a) wenn du aufmerksam meine Sicht von der heutigen Gesellschaft gelesen hast... dich auf Station umschaust und den Leuten zuhörst wirst du ganz besonders ,jetzt , zur Weihnachtszeit festellen wie groß die Einsamkeit ist...und das jeder zweite ob jung oder alt ...und evt. ich selbst (wenn ich in zehn Jahren das gleiche Leben wie jetzt führe....jetzt ist es ok für mich aber in zehn Jahren will ich nicht da stehen wo ich heute stehe!) genauso argumentieren wird ..wie deine Patienten aus dem Beispiel. Soweit ich hobbes verstanden habe ...möchte er auf das gleich hinaus...und dann frage ich dich ...sollen wir halb Deutsschland(es gibt mehr alte als junge!!) sterben lassen?
Aus dem genannten Grund: der einzige Weg aus der Einsamkeit soll der Tod sein?


Extra für dich und jeden der Interesse an dem Thema hat:

Zum Illeus bei Krebspatienten:

Kriterien für eine Op:

1) gute körperliche Verfassung (Krebspat. im Finalstadium?)
2) möglichst vorliegen einer umschrieben Obstruktion die durch ein operatives Vorgehen beseitigt werden kann
3) es leigt kein Aszites, kein größerer abdomineller Tumor vor
4) keine vorausgegangene abdominelle Bestrahlung
5) Ausschluß von ausgeprägter Tumorinfiltration(dem Finalstadium geht die Tumorinfaltration in ...sagen wir mal...99% der Fälle voraus) oder Bridenbildung durch Überblähung des Darmes bei der körperlichen U o. in der Abdomenübersicht


Nun redest du die ganze Zeit von der 98 jährigen Patientin mit ausgeprägtem Todeswunsch!
Den du respektierst.

Es scheint ja ok für dich zu sein...aber selbst auf einer Palliativtation..wird damit anders umgegangen! Der Wunsch nach dem raschen und erlösenden Tod und Selbstmord...nach aktiver Sterbehilfe der wird früher oder später von jedem meiner Patienten geäußert...trotzdem, auch wenn es nach vollziehbar ist, lassen wir sie nicht einfach sterben!

Deswegen schreibe ich dir das hier auch noch auf:

Suizidalität (Quelle: Praxisalltag, Klinikleitfaden: Palliativmedizin..und meiner Meinung auch zutreffend für jeden Patienten)

Klinik
Präsuzidales Syndrom

- zunehmende Einengung der Lebensituation mit Perspektivlosigkeit
- dominierende depressive und hoffnungslose Gedanken
- Rückzug aus tragenden Kontakten zu anderen Personen
- Einengung der Wertewelt
- Agressionstau u. Aggressionsumkehr gegen die eigene Person
- Aktiv intendierte/passiv sich aufdrängende Suizifvorstellungen/- phantasien

Risikofaktoren für Suizid bei Patienten in der Terminalphase

- Krankheitsprogrression, infauste Prognose
- Mangelnde Schmerzkontrolle
- Depression und Hoffnungslosigkeit
- Delir u. Enthemmung
- Kontrollverlust
- Hilflosigkeit
- vorbestendende Psychopathologie o. Persönlichkeitsstörung
- früherer Suizidversuch
- Suizid in der Familie
- Abhängikeitsproblem

Begünstigende Erkrankungen

- Depressives Syndrom
- Angstlich - panisches Syndrom
- Paranoides Syndrom
- Delirantes Syndrom

Diagnostik:

Das Gespräch bei V.a. Suizidalität
- Suizidalität direkt ansprechen
- es besteht keine Gefahr, daß ein offenes Gespräch Suizidalität induziert
- Empathisches, tolerantes, nicht überängstliches Kontaktangebot

Die Kontaktaufnahme mit dem Patient über das Angebot eines offenen Gespräches steht im Vordergrund der Diagnostik. Beim Gespräch auf
- Gründe für Suizidalität, z.B. :

- Verlust der Selbstbestimmung
- Vermehrt Hilfs- und Hoffnungslosikeit
- Extremer Selbstwertverlust
- Verlust tragender partnerschaftlicher/familärer Bindungen und Sozialkontakte
- "Nicht- zur - Last- fallen- wollen"
- unerträglicher Schmerzen u. körperlicher Streß

Klärung von Umfeldbedingungen
- ausreichende Symptomkontrolle
- Psychosoziale Unterstützungssysteme
- Psychiatrische Eigen- Fremdanamnese, speziell von früheren Suizidversuchen oder Drohungen
- Klärung der konkreten aktuellen Suizidgedanken und -intentionen

Therapie

Psychotherapeutisch
- empathisches, nicht überängstliches Kontaktangebot, kein Moralisieren, Verurteilen, emotionales Distanzieren
- Akzeptanz(nicht unterstützen) der suizidalen Phantasien, der Agressivität und der Vorwürfe des Patienten
- Förderung des emotionalen Ausdrucks v.a. von Enttäuschung und Wut
:-notify VORSICHT GEGENÜBERTRAGUNGEN

Es ist wichtig , eigene emotionale Gegenübertragungsreaktionen zu unterdrücken, z. B.: Gedanken wie " wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich umbringen" oder " mit so einer infausten Prognose steht es ihm/Ihr zu, depressiv und suizidal zu sein". Diese Gegenübertragungen sind subjektiv gefärbt und entsprechen meist nicht der Situation des Patienten.

Allgemein

- ausreichende Symptomkontrolle
- Förderung des körperlichen Wohlbefindens
- Mobilisieren von Bezugspesonen(du mußt ihren Mann nicht wiederbeleben... das kann eine Pflegekraft sein..bzw. gibt es vom Caritas ehrenamtliche "Besuchsdienste"..)
- Stabile Bezugsperson
- stabile Betreuung durch eine, bzw. möglichst wenige Pflegepersonen(=Bezugspflege) evtl. "Sitzwache"
- psychiatrische Mitbetreuung


Medikamentöse Therapie
Einsatz von niedrig dosierten, sedierenden Antidepressiva, oder Neuroleptika


VORSICHT: bei Einsatz von Benzodiazepinen kann es in Einzellfällen zu KONTROLLVERLUST kommen. ein besonders hohes Risiko besteht bei Patienten mit Verdacht auf Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung.

BEIHILFE ZUM SELBSTMORD

Die Bitte nach Beihilfe zu Selbstmord ist meist ein Hilferuf(..aber das hat hobbes dir auch schon mal gesagt) , dem mit der gesamten! Palette an medizinischen, pflegerischen, sozialen und spirituellen Hilfsangeboten begegnet werden muß. Auch in den von Befürwortern der ärztlichen Beihilfe zum Selbstmord dokumentierten Fällen sinbd nicht alle palliativmedizinischen Maßnahmen voll ausgeschöpft worden.

Die Diskussion um ärztliche Beihilfe zum Selbstmord ist weltweit derzeit aktuell und führt dazu, daß immer mehr Patienten daran denken und es teilweise direkt ansprechen.

Jeder, der mit Schwerkranken arbeitet, muß für sich zu einer Antwort kommen, die im Einklang mit seinen eigenen ethischen, religiösen und sozialen Anschauungen steht.
:-lesen
Eín ärztlich unterstützter Selbstmord führt oft im nachhinein zu unüberwindbaren Schuldgefühlen bei den Angehörigen, aber auch beim Personal.

Ärztlich unterstützter Selbstmord untergräbt das Vertrauen in den ärztlichen Berufsstand.


Vorgehen des Arztes nach geäußertem Wunsch zur Beihilfe zum Selbstmord

- Verständnis für den Wunsch nach ärztlicher Hilfe zeigen, aber ebenso um Verständnis für die eigene Position bitten, daß dieses nicht als ärztliche Aufgabe verstanden wird
- deutlich machen, daß alles getan wird, um das Leiden zu verringern außer der aktiven Sterbehilfe
- alle Gespräche dokumentieren und mit dem Team!!!!!! besprechen
- alle Diskussionen und Entscheidungen erstrecken sich mind. über mehrer Tage hinweg, keine raschen Entscheidungen
- für die ganz seltenen Fälle, das Symptome mit den bisherigen Mitteln nicht ausreichend gelindert werden können, kann eine Sedierung angeboten werden.

Dies ist aber keine Euthanasie
da

- Todeszeitpunkt nicht beschleunigt wird
- potentiell reversibel
- Patient in Abständen aufwachen und seine Entscheidung bekräftigen oder widerrufen werden kann

So jetzt habe ich aber genug für heute. Zu Feuerblick, gerne wäre ich noch näher auf deine Worte eingegangen...aber der Rahmen ist für heute definitv gesprengt. Aber das mußte ich aufschreiben ;-) ich lebe schließlich nur einmal.

hobbes
20.11.2002, 00:06
Eín ärztlich unterstützter Selbstmord führt oft im nachhinein zu unüberwindbaren Schuldgefühlen bei den Angehörigen, aber auch beim Personal.

Ärztlich unterstützter Selbstmord untergräbt das Vertrauen in den ärztlichen Berufsstand.

Hallo Mrs. Pooh

Für diese obigen Zeilen bin ich dir sehr sehr dankbar. Ich dachte immer mit meiner Meinung ziemlich alleine dazustehen - aber du scheinst meine Auffassungen zu teilen.

hobbes
20.11.2002, 00:08
Ich hätte gerne noch von weiteren Forenusern gewusst, wie sie zu den Themen dieses threads denken. Aber wahrscheinlich sind die Beiträge etwas lang geraten. Trotzdem, der thread hat's in sich; sein Inhalt ist von elementarer Bedeutung. Also bitte lesen und posten!! :-top

Christoph_A
20.11.2002, 07:54
Also,ganz kurz,da Zeit etwas knapp- Sterbehilfe bei Schwerstkranken halte ich ethisch für durchaus vertretbar-sofern der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte das für sich dokumentiert hat. Das Argument mit der Belastung lasse ich nicht gelten,müsste dann ja auch für jede Palliativtherapie so sein.Ich denke ich spreche hier für viele Kollegen,die ich bisher kennengelernt habe, wenn ich sage, daß unmenschliches Siechtum ( siehe Ileus ) die Angehörigen und Ärzte noch viel mehr belastet als das abhängen einer Infusion oder das Unterlassen intensivmedizinischer Maßnahmen.

Doc Pepp
20.11.2002, 14:37
Hallo.

Ich schließe mich Christophs Meinung an. Bei uns im KH gab es in einigen Patientenakten eine riesengroße Bemerkung "keine Reanimation" oder so ähnlich. Natürlich wurde das nur auf ausdrücklichen Wunsch der schwerstkranken Patienten dort eingetragen. Ob dazu jedoch auch eine notariell beglaubigte Patientenverfügung vorliegen mußte ist mir nicht bekannt.
Außerdem kann ich sagen, dass die Ärzte, die ich bei meiner Zivi-Zeit kennelernte das Thema relativ aufgeklärt sahen und eher Schuldgefühle entwickelten, weil sie das Siechtum manchmal NICHT beenden konnten. :-meinung