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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Medizinstudium in Belgien



Suraci
09.02.2009, 22:18
Da es eine Alternative darstellt und ich etwas dazu sagen kann, hier ein kleiner Bericht meinerseits.

Vorweg: Ich habe bis zum Sommer ein Jahr in Belgien (Namur) studiert und würde es wieder tun.

Inzwischen wurde vor einigen Monaten der Numerus Clausus in Belgien abgeschaftt. Wer besteht, kommt weiter.

Aber nun etwas vorweg:
- Man sollte wissen, ob man auf Französisch oder Holländisch studieren will.
Als Unis kommen in Frage:
Französisch:
- Brüssel: http://www.ulb.ac.be/
- Lovain: http://www.uclouvain.be/
- Lüttich http://www.ulg.ac.be/cms/c_5000/accueil
- Namur http://www.fundp.ac.be/

Holländisch:
- Gent http://www.ugent.be/
- Louvain http://www.kuleuven.ac.be/

Ich spreche nur über die französischen Unis.

Um sich an einer Uni in Belgien zu bewerben, benötigt man eine Gleichstellung des deutschen Abiturs. Dazu sendet man seine Unterlagen an den Service des Equivalences in Brüssel. http://www.equivalences.cfwb.be/superieur_quand.asp . Besser noch: Nach Erkundung, was man alles benötigt, Termin ausmachen, hinfahren, abgeben. Die Bürokratie in Belgien ist langsam. Die Post auch. Wochen und Monate können es werden.
Wichtig für die Equivalence ist die Sogenannte Haager Apostille, die man bei dem Regierungspräsidium bekommt, die auch das Abiturszeugnis gestempelt hat. Alle anderen benötigten Unterlagen findet man auf der Seite des services d'equivalence oder erfährt man bei einem Telefonat.
Auch kann man sich immer gut bei der belgischen Botschaft beraten lassen: http://www.diplomatie.be/Berlin/

Das alles sollte schon bald geschehen. Denn der Service des equivalences hat immer nur kurze Einsendezeiten und auch die deutsche Bürokratie benötigt ihre Zeit.
Wenn dieser Schritt erledigt ist, muss man sich darüber klar werden, auf welche Uni man will und sich an dieser dann bewerben.
Man bleibt so lange "vorläufiger Student", bis ALLE Unterlagen da sind.
unter anderem:
- Staatsbürgerschaftsurkunde (bei der Deutschen Botschaft in Brüssel oder bei dem für Dich zuständigen Auswertigen/Standes/Asylamt. Es ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich.
Am besten lernt man eine Uni kennen, indem man sie besucht, vielleicht bei einem Tag der offenen Tür als Gasthörer in einer Vorlesung für Medizin sitzt, sich die Uni, die Stadt anschaut. So bekommt man recht schnell seinen persönlichen Favoriten raus. Denn was übers Internet nett klingt, muss es nicht immer sein.


Das vorweg.

NUN EIN BISSCHEN ÜBER DAS JAHR IN BELGIEN:

Ich habe in Namur studiert. Einer kleinen Stadt, der Capitale de la Wallonie, der französischsprachigen Gemeinschaft in Belgien.
Hier kann man nur die ersten 3 Jahre studieren. Danach kann man nach Brüssel oder (besser, da "große Schwester") Louvain wechseln.
Die Motivationen für Namur waren:
- Die Stadt gefiel mir, hat sehr viel Charme
- Die Stadt ist überschaubar. Man kommt gut zu Fuß überall hin, die Uni liegt zentral
- An der Uni gibt es verhältnismäßig wenige ausländische Studenten.

Man hört über manche Unis, dass sie eher deutschfeindlich seien.... Das hörte ich über Lüttich und über Namur (als ich schon dort war).
Zumindest in Namur ist es nicht der Fall gewesen.
Zitat: "Die Leute aus Lüttich mögen gar niemanden, wenn er nicht aus Lüttich kommt. Und selbst dann ist er noch ein Fremder"

Ich denke, man muss die Menschen kennenlernen. Denn so etwas kann heute so sein, morgen wiederum nicht.

Was man braucht, um in Belgien zu studieren. Sehr viel Sitzfleisch. zu meiner Zeit mehr, als jetzt, aber dennoch sehr viel.
Ferien hat man kaum. Das Studium beginnt um den 17. September. Ca Eine Woche hat man frei. Dann hat man ca 2 Wochen Ferien um Weihnachten, aber diese Zeit dient dazu, sich für die Januarprüfungen vorzubereiten.
Die 2 Wochen, die man anschließend Urlaub hat, kann man genießen.

Die zwei Wochen Osterferien dienen wiederum der Prüfungsvorbereitung.
Ende Mai ist die Uni vorbei, eine Woche später beginnen die Examen.

- Das Leben an der Uni:
von 8:30 bis 17-18 Uhr Uni zu haben ist keine Seltenheit.
Neben den theoretischen Kursen
- Chemie (organisch + anorganisch)
- Physik (diverse Bereiche)
- Biologie (Tiere/Pflanzen)
- Zytologie
- Histologie
- Anatomie
- Epistemolige
- Antroprologie (beide eher ein Philosophiekurs)

Hat man Praxis in
- Physik: (Experimente zuhause theoretisch vorarbeiten, dann im Kurs eigenständig aufbauen, Messen, Berechnen, etc. Wird benotet)
- Chemie (wie Physik)
- Biologie: (Zuhause vorbereiten, wird gemeinsam durchgeführt. Wird benotet)
- Zyto/Histo (Mikroskopieren)
- Epis/Antrho. (Semiar)

Die Praxiskurse sind Pflicht und werden benotet. Wer sie unentschuldigt auslässt, wird nicht zur Prüfung zugelassen).

Die praktischen Arbeiten bauen auf den theoretischen Kurs auf. Man sollte also regelmäßig auf dem aktuellen Stand sein.

Fakt ist: Wer am Anfang trödelt, weil es "einfach" scheint, verliert sehr schnell den Anschluss und kommt nicht mehr hinterher. Aufschub ist in Belgien die sichere Niederlage.

Wenn man Schwierigkeiten hat, helfen die Mitstudenten oder aber man hat die Möglichkeit, die Assistenten der praktischen Arbeit aufzusuchen und sich von ihnen helfen zu lassen.
Zumindest in Namur ist es der Fall.
Aus Brüssel habe ich Geschichten wie folgende gehört:
- Zerstören/Diebstahl der wichtigen Bücher in der Bibliothek
- Manipulation der Notizen anderen (Unaufmerksam oder in der Pause auf WC oder zum Rauchen)
- Verteilen falscher Formelblätter
- Dozent sagte in der ersten Stunde:
"schauen sie nach rechts.... nun nach links.... Diese beiden müssen durchfallen, damit sie weiterkommen"

Da nun der Numerus Clausus abgeschafft wurde, wird es sich sicherlich geändert haben, da kein Konkurrenzdenken mehr herrscht.

Ich habe das Jahr in Belgien sehr genossen und würde es jederzeit wieder tun. Auch wenn ich kaum Urlaub hatte und quasi das ganze Jahr gelernt habe, ab Ostern, um und während der Prüfungen mindestens 14 Stunden täglich, wenn ich frei hatte.
Ich habe den Studenten fast einen Vogel gezeigt, die sagten, sie würden in der Nacht vor den Prüfungen durchgelernen, jeden Tag um Mitternacht ins Bett und um 5 morgens wieder aufstehen.....
Letztendlich legte ich selbst frühestens um 23:00 den Stift weg, stand um 7 wieder auf. (zu wenig schlafen ist schlecht, das sollte man wirklich unterlassen). Und vor 2 Prüfungen stand ich morgens um 4 auf, weil die Zeit zwischen der einen und der anderen Prüfung nicht reichte, alles nochmal durchzugehen. Mit dem Ergebnis, dass ich ganz knapp mein Ziel verfehlte. 3 Prüfungen habe ich nicht bestanden.
einmal fehlten mir 0,3 einmal 0,4 und einmal 3.8 Punkte von 20, um zu bestehen. (man benötigt mindestens einen Durchschnitt von 12/20 zum Bestehen, und für das einzelne Fach mindestens 10/20. Man kann mit anderen Fächern ausgleichen, nicht aber, wenn eine Note unter 10 ist. )

Als plötzlich die Info kam, es würden 12 weitere Plätze zu den 96 dazukommen, sah ich die Chance für mich nicht, in einer Nachprüfung, so kurz nach den Monaten des Durchlernens, auf diese 12 Plätze zu kommen. Denn viele der Wiederholer aus dem Vorjahr hatten einen besseren Durchschnitt und nur in einem Fach weniger als 10.
Hätte ich Nachprüfungen gemacht und bestanden, wäre ich jetzt, nachdem der NC abgeschafft wurde, im 2. Jahr Medizin in Namur.

Da ich jedoch vorher die Chance auf die 12 Plätze nicht sah und da ich sicher war, in Deutschland den Platz zu bekommen, beschloss ich, dass mein Jahr in Belgien vorbei sei......
Nun bereuhe ich es. Denn für das Sommersemester kann ich wieder einmal nur hoffen, dass die ZVS keine Änderungen vornimmt....


Ich hoffe, da ich doch immer mal wieder von jemandem angeschrieben wurde, ich konnte hiermit einigen Leuten Fragen beantworten, die sie hatten, als sie mit dem Gedanken spielten, in Belgien zu studieren.

Der Weg ist hart, wer aber offen ist und sich ganz auf das Land einlässt, wird die Menschen lieben und schätzen.

Und abschließend die Antwort zu der Frage der Sprache.
Neben 13 Jahren Französisch in der Schule, machte ich regelmäßig Ferien in Frankreich und besuchte 2000/2001 Ein Jahr lang eine Schule in Frankreich. Trotz dieser enormen Kenntnisse, trotz des guten Verständnisses, war es sehr schwer am Anfang, wenn auch sehr viel leichter, als für manch anderen.
Das Studium hat von Anfang an ein hohes Niveau (Belgische schüler werden schon in der Schulzeit nach der Entscheidung der Studienrichtung auf die entsprechenden Bereiche getrimmt. So machten sie z.B. Redoxreaktionen oder Berechnungen mit Säuren schon im Schlaf) und eine hohe Geschwindigkeit. Aber wer viel investiert, gewinnt viel.
Zum Beispiel erarbeitete ich mir gegen Ende des Jahres bei der Prüfungsvorbereitung 100-120 Din A4 Seiten Histologie auf Französisch an einem Tag, ohne ein einziges Mal ins Wörterbuch zu schauen.

crankg
13.03.2010, 23:20
Super post.
Weiß denn jmd, ob es jetzt da es den NC nicht mehr gibt Aufnahmeprüfungen oder andere Aufnahmebedingungen (wie bestimmte Abiturfächer) gibt?
Ich würde gerne an einer fränzösischsprachigen Universität in Belgien studieren.

Desiderius
14.03.2010, 15:37
Wollte nur mal anfuellen das man in Antwerpen auch studieren kann in vlaemisch (klinkt wie hollaendisch ist aber vlaemisch ;-)

http://www.ua.ac.be/main.aspx?c=.GENEESKUNDE&n=78415

ist in english dieser link.

Aber toll das Du das alles so ausfuehlich beschrieben hast.

Gruss,
D

Desiderius
21.03.2010, 11:23
@suraci

Hast Du zufaellig infos ueber die Weiterbildung in Belgien? Wo kann man das im Internet finden?

Ich kann nichts finden, wie wo die Bewerbungen laufen.

Vielen Dank.

D

babyjess
22.07.2013, 19:20
super cooler Beitrag. nun würde mich interessieren, ob du es geschafft hattest nach deutschland zu wechseln