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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Noch´n Gedicht!



aione
13.11.2002, 21:14
Hallo zusammen,

also, ich werde mich jetzt mal dem Jens anschließen und hier auch ein Gedicht veröffentliche. Wie ich sehe, hält sich die allgemeine Teilnahme ja noch sehr in Grenzen....das ist schade und deshalb wage ich es jetzt mal. Hier also ein Gedicht, das ich Jens schon mal als Schreibprobe zugeschickt habe:

Schwere Schritte der letzten Tage
weichen wolkenweißen Luftschritten
inmitten blühenden Lebens
wandle ich trunken

Gib mir die Liebe die du hast
die brach liegende der letzten Jahre
sie ist noch nicht aufgebraucht
Verschwende sie nicht

Mein Herz ist voll
für viele reichlich
kann es brechen das Brot, tausendmal
und mehr

Doch nur in einen Spiegel blicke ich
Ein Augenpaar strahlt zurück
aus den Tiefen meines eigenen
Abgrunds

Wie kann ich verhindern
was nicht aufzuhalten ist
Tief ist der Schmerz
doch größer ist die Liebe


Dann legt mal los mit Eurer Kritik, ich bin gespannt! :-blush

Jens
13.11.2002, 22:39
Hi Aione,
ich habe das Gedicht jetzt mehrfach gelesen und geschaut, wie ich dabei reagiere. Zunächst einmal finde ich das vom gesamten Fluss her schön geschrieben, man liest es in einem Zug weg ohne grossartig zu stolpern, es drückt auch sehr schön das "Elend des Unglücklichverliebtseins" aus, wie es wohl jeder kennt.

Mir fiel folgendes noch als Anregung auf:

die Augenpaare im Spiegel strahlen aus der Tiefe des ...
- meinst Du, dass das Wort "Ein Augenpaar strahlt" bei jemandem, der unglücklich verliebt ist, vielleicht auch anders lauten könnte: bei strahlenden Augen denke ich nicht so sehr an Missmut.

Dann fände ich am Anfang des Gedichts vielleicht nachdenkenswert, mal folgendes zu probieren: Dort steht:

Schwere Schritte der letzten Tage
weichen wolkenweißen Luftschritten
inmitten blühenden Lebens
wandle ich trunken


Ich fände es andersrum besser: erst die weichen Luftschritte und dann die schweren Schritte, für mich ist da ein kleiner Bruch: jemand, der unglücklich verliebt ist, der läuft vielleicht eher in schweren Schritten, nachdem er zuvor die Luftschritte "genossen" hat.

Besonders schön finde ich diese Stelle, sie liest sich einfach klasse und ich habs mehrfach gelesen:

Mein Herz ist voll
für viele reichlich
kann es brechen das Brot, tausendmal
und mehr
Gelungen :-)

Sodele, soviel zu meinen Anmerkungen.
Was meinst Du?
Cu
Jens

aione
13.11.2002, 22:50
Hi Jens,

danke dür das Lob, die Stelle , die Dir am besten gefällt, gefällt mir eigentlich auch am besten, sie ist fast spirituell geworden und das war auch ein wenig beabsichtigt.

Es stimmt schon, daß sich das Gedicht um eine unglückliche, aber dennoch sehr erfüllende Liebe handelt.
Denke Dir vielleicht einmal, daß es sich um eine "verbotene Liebe" handeln könnte....und lies es nochmal.

Das "aus den Tiefen strahlt zurück" ist eher als Reflektion zu verstehen, denn als glückliches Strahlen. Ich finde wieder, was in mir selbst ist.

Mehr kann ich dazu nicht sagen, sonst wird es zu , na ja, sagen wir mal , persönlich :-blush

Bis dann!
aione

jurij
13.11.2002, 23:02
gerade wegen des anfangs hatte ICH eigentlich gedacht, das gedicht sei von jemanden, der NICHT unglücklich verliebt ist...
ich hatte es eher so interpretiert, als ob "ich" vor einem neuen anfang steht. die liebe lag brach die letzten jahre, aber jetzt ist da wieder wer, und zwar nicht nur jemand, mit dem man das brot brechen möchte, sondern dessen augen wie spiegel sind für die seele und vielleicht sogar zurückstrahlen.
dann sind da allerdings noch die zweifel... der tiefe schmerz, der einem einmal zugefügt wurde und der den verstand vielleicht sagen lässt, "halt ein". aber letztendlich ist die liebe doch größer...

hoffe, dass ich nicht völlig daneben liege (und bin gespannt auf den kommentar des autors). gute gedichte erkennt man meiner meinung nach aber daran, dass sie einem viel raum für die eigene interpretation lassen - und auch völlig verschiedene interpretationen zulassen. in dem sinne kann ich nur sagen: außerordentlich gelungen. :-top

aione
13.11.2002, 23:22
Jurij- hab bei Deinem Gedicht gleich gesehen, daß Du mich verstehen würdest.... :-))
Aber im Ernst, ich denke, Du hast es genauso verstanden, wie es gedacht war....danke! Es freut mich so positives zu lesen !!!

Und irgendwie macht es richtig Spaß, sich so gegenseitig auszutauschen!

Viele Grüße!
aione

luckyblue
13.11.2002, 23:33
Eine unglückliche Liebe kann glücklicher sein als eine glückliche. Das kennen wir ja alle, und das lyrische Ich scheint das ähnlich zu sehen. Inhaltlich habe ich das Gedicht aber wohl noch nicht vollkommen durchdrungen.

Ich find's vor allem lobenswert, dass du auch ein paar Stilmittel untergebracht hast. An formalen Kriterien kann man sich schließlich immer schön festhalten, wenn man interpretatorisch sonst nichts zu bieten hat. Besonders gefällt mir, wie das Metrum (wenn auch manchmal nicht wirklich ein reiner Trochäus) über die Verse hinausgreift und auf diese Weise die Flüssigkeit untermauert.

Die Bildhaftigkeit deiner Sprache fällt schon mal positiv ins Gewicht. Was mir so beim ersten Lesen etwas bitter aufstößt, ist das Bild von der brach liegenden Liebe, die noch nicht aufgebraucht ist. "brach" und "nicht aufgebraucht" - das ist m. E. nicht so wirklich stimmig.

aione
13.11.2002, 23:59
Wow, daß Du da einen Trochäus findest , finde ich toll!
Ist mir noch gar nicht aufgefallen...!
Ich hab wirklich nicht bewußt irgendwelche Stilmittel untergebracht, sondern einfach nur drauf losgeschrieben. Jetzt geht es mir ein bißchen wie in der Schule, als ich mir während der Gedichtinterpretation überlegt habe, ob jemals einer der Autoren an Stilmittel gedacht hat! Ich hab´s jedenfalls nicht.
Umso netter, wenn jemand welche findet :-blush

Du scheinst mir einiges auf dem Kasten zu haben!? Oder gehört das zum selbst beschriebenen "Intelligenzlergehabe"?! ;-)
Es freut mich auf alle Fälle, daß hier so ernsthaft mein Gedicht erläutert wird und es sogar etwas für sich zu haben scheint. Wie schön. Vielen Dank für Eure Kritik!

Über das "brach" und "noch nicht vebraucht" muß ich selbst nochmal nachdenken, kann gut sein, daß das eigentlich gar nicht so stimmig ist.

Kannst Du von Dir auch mal was veröffentlichen,luckyblue ( ach ja, Du bist schon männlich, oder?!) ?

vanco
18.11.2002, 21:07
Hi Aione.
Habe das Gedicht mit deutlicher Verzögerung gelesen...daher auch meine späte Antwort.

Was ich direkt aus dem Gedicht ziehen konnte, war dass es sich um ein Verbot handeln muss...denn sonst würde für mich folgende Stelle unklar bleiben: Strophe 2 und 5

Da du dann 2x das Wort Liebe benutzt, lag für mich der Schluß nahe, dass es sich um eine verbotene Liebe/das Verbot zur Liebe/ein Verbot zu dieser Liebe handeln soll.
Dass sich so etwas nicht unterbinden läßt, legen deine letzten vier Zeilen nahe.

Muss gestehen, dass mir die Thematik sehr gut gefällt, sofern meine Deutungen in die richtige Richtung weisen.
Leider misse ich ein wenig die Symmetrie, bis auf die Tatsache, dass es stets um 4-zeiler handelt.

Lieben Gruß vanco

aione
18.11.2002, 21:43
Hi Vanco,

erst mal danke für DEine Zeilen!

Das Gedicht hast Du schon richtig verstanden...es handelt sich tatsächlich um eine verbotene Liebe, die trotz allem nach Erfüllung verlangt.
Zur Symmetrie nur ganz kurz: ich bin eigentlich kein guter Gedichteschreiber, besser gefällt es mir , Prosatexte zu "verfassen", ob die besser sind, sei dahin gestellt, aber da muß ich eben auf solche Sachen eher weniger achten. Ich bin auch gar kein Freund von Reimschemata oder Metren u.ä.( obwohl ich schon versuche, eine gewisse Form zu wahren, deshalb auch der 4 Zeilen Rhythmus)
Ich denke, bei einem Gedicht kommt es darauf an, welche Stimmung es vermittelt, welche Worte mich ansprechen und wo ich mich wiederfinden kann, aber eben eher zwischen den Zeilen.
Bei mir ist es jedenfalls so. Ich habe eine Menge Gedichte gelesen, deren Sinn mir wohl teilweise verschlossen blieb , aber dennoch mag ich sie sehr, weil ich mich irgendwie direkt angesprochen fühle und mich in mancher Stimmung wiederfinde.
Wenn mein Gedicht das erreichen kann bei einigen, dann hat´s seinen Laienstatus schon erfüllt....;-)

Also bis bald.
aione

vanco
18.11.2002, 21:56
Hi Aione.

Du hast natürlich recht...Kreativität impliziert, dass man (relativ) frei von Regeln, Schranken und Bindungen sich selbst verwirklichen kann. Denn nur so wird das, was man vermittlen will echt, real und unverfälscht. Muss man sich hingegen in eine Form pressen lassen, verliert man das eingene Selbst im Werk.
Knüpft man seine Gedanken an eine Intention, die dadurch verschleiert vermittelt wird, geht man über die bloße Unterhaltung hinaus - und das tust du!
Ob nun alles, was du dir während der Geburtsstunde gedacht hast, auch wirklich für jeden greifbar ist, sollte völlig nebensächlich bleiben. Viel wichtiger finde ich es, dass jeder für sich etwas aus dem ziehen kann, dass der Autor vorlegt...denn richtig ist nicht das, was der Autor wollte oder Kritiker huldigen, sondern für mich, für dich, für den Leser ist just in dem Momentum des Lesens das richtig, was ich/du/er findet, versteht, empfindet und auch ablehnt!

C u
Vanco