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lisa_liebreiz
17.11.2002, 14:39
Da steht man plötzlich vor dem alltäglichsten aller Abgründe: was verstehst Du unter Kreativität? Heißt das, dass andere Kreativität womöglich anders verstehen, wir alle aneinander vorbei reden, im selben Begriff vollständig unterschiedliche Definitionen versteckt halten? Dass ich mich vielleicht lang und umständlich erklären muss?
Was verstehst Du und was verstehe ich, wenn wir beide dasselbe Wort hören? Gehört haben wir fünf Silben von ziemlich hartem Klang, lateinischen Ursprungs, ein Substantiv. Aber was haben wir verstanden? Wie will es denn verstanden sein, dieses Wort? Creare heißt erschaffen. Kreativität hat also etwas mit Entstehung zu tun, etwas wird erschaffen, etwas, das es womöglich vorher nicht in dieser Form gab. Das würde bedeuten, dass Wiederholung ausgeschlossen ist, Kreativität auf das erste Mal beschränkt wäre. Re-creation im Englischen –Erholung, Erfrischung und tatsächlich fühlen wir uns danach „wie neugeboren“ und „regeneriert“. Jedes geborene Geschöpf ist eine Kreatur, zeugt eine Geburt aber im Umkehrschluß von Kreativität?

Dem gegenüber steht auch die bisher außer Acht gelassene Erschaffung von etwas, das es bereits in dieser Form gibt: könnte nicht das erneute Erschaffen, die Wiederholung, genauso kreativ sein, wie der ursprüngliche Akt? Wenn jemand dasselbe Bild zweimal malt, nennen wir das zweite Bild abgemalt. Oder neu gemalt? Und was, wenn wir das zweite Bild als erstes zu sehen bekommen? Dann erscheint es uns doch mit ebensoviel Kreativität erschaffen. Oder sehen wir Kreativität untrennbar verbunden mit Innovation?

Betrachten wir einmal, wann wir im Allgemeinen von Kreativität sprechen.

„Jetzt sei doch mal kreativ!“ ist häufig ein Spruch, den man zu hören bekommt, wenn man plötzlich und unerwartet vor einem Problem steht: Man möchte beispielsweise eine Party feiern und auf einmal funktioniert die Stereoanlage nicht. Mit „kreativ sein“ sind dann aber nicht unbedingt elektrotechnische Fähigkeiten gemeint, sondern vielmehr ein gute, hilfreiche Problemlösung, auf die im Augenblick noch keiner gekommen ist. Ein Aspekt der Kreativität sei also die Idee.

Ebenfalls häufiger bekommt man erzählt „ Ich war heute kreativ“, wenn die sprechende Person gerade mitteilen will, dass sie beispielsweise Strohsterne gemacht hat, ein Hemd gebatikt, oder eine Mütze gestrickt. Ist das jetzt Kreativität? Einem Strickmuster zu folgen? Oder nach gelernten Regeln die Häkelnadel zu schwingen? Zumindest ist danach ein Strohstern im Adventskranz oder eine Mütze auf dem Kopf, die da vorher noch nicht war. Außerdem blickt der Erschaffer meist am Ende hochzufrieden und mit ähnlichem Stolz auf sein Werk, wie beispielsweise Eltern auf ihr Kind.

Mit dem Akt des Erschaffens hat Kreativität schon zu tun, aber ein wichtiges Moment scheint auch die Idee dahinter, der gute Einfall, die Phantasie. So kann Stricken durchaus kreativ sein, aber ebenso auch simple Handarbeit, ohne den Kopf dazu. Die Idee alleine macht dabei allerdings auch noch nicht kreativ, die Umsetzung gehört mit dazu. Und mit der Umsetzung die Erklärung: meine Idee muss ich anderen auch präsentieren. Ob sie verstanden wird ist nicht so wichtig, würde ich sagen. Sie muss aber erläuterbar sein -einen Gedanken bergen- , sonst ist der Kern der Kreativität leer, hohl, und gleichsam ein Wesen ohne Seele erschaffen worden.

Lisa Liebreiz