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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gutachten



Muriel
06.04.2009, 11:34
Hallo Kollegen,
da ich gerade trotz Mutterschutzes mal wieder über einem Gutachten sitze, das ich noch zu Ende bringen muss, und ich mal wieder das kalte :-kotzen bekomme dabei, wollte ich mal Eure Meinung zu diesen Pestdingern hören. Ja, wir bekommen Geld dafür, dass wir Gutachten machen, wenn auch nicht genau das Geld, das für dieses Gutachten reinkommt, sondern eine Umlage, die allerdings finanziell auch nicht ganz unattraktiv ist, aber ganz ehrlich: Ich würde lieber das Geld selber zahlen, damit ich diesen Mist nicht machen muss...
Ich frage mich immer, was die Leute sich eigentlich so häufig dabei denken mit ihrer wilden Rumklagerei und v.a. wie bescheuert viele Rechtsanwälte sein können, solche Mandanten zu vertreten bzw. regt mich die Art und Weise auf, wie sie sie verteten. Alleine der Briefwechsel der gegenerischen Anwälte ist häufig schlimmer als der Mazel, der der Schackline mit dem Schüppchen im Kindergarten auf den Kopp kloppt.
Man muss sich doch, bevor man wild das Klagen anfängt, erst einmal Gedanken dazu machen, inwiefern es denn überhaupt Sinn machen kann, einen Sachverhalt vor Gericht zu bringen (denke ich mir naiverweise). Aber ich soll jetzt z.B. Stellung dazu nehmen, ob vor mittlerweile 3 Jahren bei einem damals vierjährigen Kind bei der Visustestung der richtige Visus ermittelt wurde. Unterlagen dazu: von der Orthoptistin die Aufzeichnung R/L s.c. = 0,8. Ja toll, und wie soll ich jetzt sagen, ob das richtig oder falsch war? Tolles Gutachten auch mal letztes Jahr: Klägerin legt sich abends irgendwelche Pads auf die Augenlider, hat am nächsten Morgen brennende Auge, geht an diesem Tag zu 3(!) Augenärzten inkl. nächtlichem Notdienst der Uniklinik, überall wird ihr eine sehr dezente Hornhautstippung ohne weitere Pathologien bescheinigt, sie verklagt die Pad-Firma wegen einer Netzhautverätzung/-verblitzung. Entschuldigung, aber da fühle ich mich verarscht. Wieviel sinnloses Geld da verschwendet wird, ist echt unfassbar.
Bekommt Ihr auch so einen geballten Schwachsinn rein? Und wenn ja, wie reagiert Ihr? Stumpf Augen zu und durch und an die Kohle denken oder bekommt Ihr auch die Krise? Man, bin ich froh, wenn ich den Mist weg habe.

Relaxometrie
06.04.2009, 11:44
überall wird ihr eine sehr dezente Hornhautstippung ohne weitere Pathologien bescheinigt, sie verklagt die Pad-Firma wegen einer Netzhautverätzung/-verblitzung.
Zwischen Horn- und Netzhaut liegt doch nur ein kurzes Stück Wegstrecke...da kann man die beiden Strukturen schonmal leicht verwechseln :-)):-wow

Nee, Scherz beiseite. Ich finde Deine Einstellung zu dem Thema sehr richtig.
Bekommt Ihr die Gutachten mehr oder weniger aufs Auge gedrückt, oder könnt Ihr auch dankend ablehnen? Wenn ich einen Sachverhalt für zu schwachsinnig hielte, würde ich das Gutachten nicht schreiben wollen.
Andererseits musst Du ja nicht gegen Deine Überzeug, und vorallem gegen Deine Sachkenntis, FÜR den klagenden Patienten sprechen. Im vorliegenden Fall kannst Du doch glasklar darlegen, daß sie Klage schwachsinnig und ungerechtfertigt ist.
Man müsste wahrscheinlich oft nicht nur dem klagenden Patienten NICHT Recht geben, sondern auch dessen Rechtsanwalt noch verklagen, weil er aus reiner Geldgier die idiotischsten Pseuostreitereien vor Gericht vertritt :-kotz

icespeedskatingfan
06.04.2009, 11:47
fass das Verars.... in schön formulierte Sätze und gut ist. Das Gutachterunwesen ist wirklich ein Scherz - es gibt Akten die 60 cm hoch sind (habe nachgemessen) mit denen Prozeßhansel die Gerichte auf Touren halten. Aber wenn man den ganzen Quatsch nicht so ernst nimmt (na gut, manchmal sind Klagen auch berechtigt, aber eher nur manchmal) kannst Du ein zweites Standbein damit aufbauen. Mir gefallen die Psychiatrischen Zusatzgutachten immer gut,- ich finde es faszinierend wie die Kollegen diese penetranten, dauerbeleidigten und sich zu kurz gekommen fühlenden Kläger analysieren. Das ist fast immer der gleiche Schlag, der wegen jedem Pups vors Gericht zieht.

Muriel
06.04.2009, 11:52
Klar, ich muss weder für noch gegen den Kläger sprechen, bzw. ich darf es ja gar nicht. Die Kunst des Gutachtenerstellens liegt ja darin, in absolut neutralen Worten Stellung zu einem Sachverhalt zu nehmen, so schwachsinnig er auch sein mag, ohne dies so mitzuteilen aber dennoch so, dass es jeder herauslesen kann :-D Ablehnen kann ich nicht, bzw. täte ich es, dann müsste ich wahrscheinlich genauso lang begründen, warum ich ablehe und damit hätte ich das Gutachten eigentlich schon wieder fertig, macht irgendwie auch keinen Sinn ;-)

Relaxometrie
06.04.2009, 12:02
Die psychiatrischen Gutachten, die ich bisher gelesen habe, sind mir massiv auf den Senkel gegangen. Gerade habe ich wieder einen Patienten auf meiner Station, über den ein Gutachten zur Behandlungsnotwenigkeit geschrieben wurde. Das Gutachten war geschlagene 37 (!!!) Seiten lang. Ich hätte das auf einer Seite zusammenfassen können, ohne daß wesentliche Informationen verloren gegangen wären.
Aber erstens habe ich auch zu Schulzeiten immer die kürzesten Deutschklausuren geschrieben, und zweitens habe ich bei obiger Kritik außer Acht gelassen, daß der Gutachter nach Zeichenanzahl bezahlt wird.

Feuerblick
06.04.2009, 12:12
Hachja, wie passend. Habe für mich für diese Woche zwei Blindengutachten einbestellt und freue mich schon gaaaaanz doll darauf, beweisen zu dürfen, dass der Patient mit der konzentrischen GF-Einengung nicht blind und die andere Patientin doch blinder ist als außerhalb diagnostiziert. Wenn ich diese dussligen Teile nicht für den FA-Katalog noch bräuchte, dann wäre ich noch genervter.
Egal, geht auch vorbei...
@Muri: Beim Kind kannste ja nur schreiben, dass laut Unterlagen kein Hinweis auf fehlerhafte Testung nachweisbar ist. Was ja auch stimmt... ;-)

icespeedskatingfan
06.04.2009, 12:19
und zweitens habe ich bei obiger Kritik außer Acht gelassen, daß der Gutachter nach Zeichenanzahl bezahlt wird.
Man kann auch Pauschalen vereinbaren und dann knackig kurze Gutachten machen. Hauptsache der Richter kann die Sache verwursten.

lala
06.04.2009, 19:20
Ich schreibe zZ ja fast nur noch Betreuungs-Gutachten, wenig anspruchsvoll und wenig lukrativ....hoffe, bald mal ein forensisches zu bekommen. In der Neuro habe ich sehr gerne jede Art von Gutachten gemacht - freiwillig (gut, damals brauchte man noch 20 für den FA). Ich fand es gut, sich mal konkret mit einem Thema zu beschäftigen und zu üben, sich ganz korrekt-sachlich und nicht zu weitschweifig zu werden...Und lukrativer waren die auch (v.a. wenn EEG, EMG etc. dabei sind). Vorbei die Zeiten:-nix

Muriel
08.04.2009, 09:45
Es kommt eben auf den Grund der Gutachten an. Wenn es ein Sozialgerichtsgutachten ist, bei dem es z.B. darum geht, ob ein Patient aufgrund seiner Sehminderung gewisse Leistungen erhalten soll, dann finde ich die Dinger nervig und habe auch da keine Lust zu, weil sie zusätzlich zur normalen Arbeit einen Riesenaufwand bedeuten, da kann ich den Sinn aber noch nachvollziehen. Wenn es aber um so völlig beknackte Klagen geht wie oben beschrieben, dann werde ich echt sauer, dass ich mir damit meine Freizeit versauen darf. Irgendwie sind solche Klagen doch die Taxischeine der Rechtsschutzversicherungen :-keks

WackenDoc
08.04.2009, 17:11
Ich musste vor kurzem mal eine echt beknackte Bescheinigung für eine Unfallversicherung schreiben.
Also Patient zerlegt sich sein Knie bei einem Autounfall und muss später deswegen auch operiert werden. Bis dahin aller klar gegnerische Versicherung zahlt ohne Probleme. Die Versicherung hat auch die entsprechenden Unterlagen (Arztbriefe und so). Der Operateur empfiehlt eine Reha im Anschluss an die letzte OP, auch dieses steht in seinem Entlassungsbrief. Der Patient geht in diese Reha, kriegt das Knie beübt und kann es hinterher auch wieder besser bewegen. Gegnerische Versicherung bekommt auch diesen E-Brief.
Jetzt wollten die einen Schrieb, dass die Reha Folge des Unfalls war.(Noch nicht mal ein Gutachten dass die notwendig war oder so.)
Ich hab den Patienten noch nie gesehen, aber nach Aktenlage war das dermaßen klar und auch der zeitliche Zusammenhang hat vollkomen mit den Arztbriefen übereingestimmt.

Konnte ja schlecht reinschreiben: He ihr Blindschleichen, könnt ihr nicht lesen oder keine Zusammenhänge herstellen? Glaubt ihr der hat ein zweites linkes Knie?
Also hab ich das Ganze in zwei Sätzen zusammengefasst, die Briefe kopiert, extra angemarkert, SChweigepflichtentbindung geholt und weggeschickt.

Feuerblick
08.04.2009, 18:03
Hab heute auch wieder so eine blödsinnige MDK-Anfrage beantworten müssen. Vielleicht sollten die sozialmedizinischen Dienste mal selbst versuchen, innerhalb kürzester Zeit ein komplettes Tumorstaging auf die Kette zu bekommen, dann würden sie nicht mehr behaupten, man hätte den stationären Aufenthalt durch Straffen der Terminabfolge verkürzen können. Dabei waren die externen Bildgebungen bei diesem Patienten besonders schnell zu bekommen....

Lava
08.04.2009, 21:08
Hab neulich auch ne Anfrage der BG bekommen, wie denn der Blutalkoholspiegel eines Patienten war. Dabei hatte ich im Brief diktiert, dass der Ufv. (Unfallversicherte :-)) ) die Blutentnahme verweigert hat. Da hab ich dann diktiert: "Wie bereits im Schreiben vom ... erwähnt, lehnte der Patient die BE ab" :-D Das ist dann höflich für "lesen müsste man können" :-))

Bille11
08.04.2009, 21:15
ich HASSE HASSE HASSE krankenkassenanfragen.

aber die sind immerhin lukrativer als gutachten.. in der zeit, in der ich ein gutachten mache... schaffe ich locker etliche kk-anfragen. wenn ich meine 25 voll hab, werd ich wählerisch werden!

Lava
09.04.2009, 07:33
Und ich denk mir immer so: "Minderung der Erwerbsfähigkeit?" WATT WEEß ICK DENN!!!!

Bille11
09.04.2009, 10:48
dafür gibt es wunderschöne (bg-)gutachtenbücher... oder gutachten von kollegen/oä.

icespeedskatingfan
09.04.2009, 11:31
Und ich denk mir immer so: "Minderung der Erwerbsfähigkeit?" WATT WEEß ICK DENN!!!!
Lava, musse mal n Buch inne Hand nehmen.:-angel
z.B. "Sozialrecht, Begutachtungsrelevanter Teil" herausgegeben vom VdK, Sozialmedizinischer Verlag Mönchengladbach. - da findest Du neben dem GdB/MdE Grad auch viele brauchbare Kommentare von M. Schillings, Richter am Sozialgericht Düsseldorf.
Für Chirurgen auch brauchbar: Unfallbegutachtung vom de Gruyter-Verlag, schön praktisch (kann man auch so nett draus zitieren)
und natürlich "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" vom BMAS, wird jährlich upgedated
sowie "Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung"vom Verb.der gesetzl. Rentenversicherungen, Springerverlag

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