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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wie weit geht Basistherapie?



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Lava
26.04.2009, 14:54
Ich wollte mal fragen, ob es hier Leute mit mehr Erfahrung in Palliativmedizin gibt und was die zu folgender Geschichte sagen.
Ältere Patientin (>80) mit ICB, Neurochirurgen haben OP abgelehnt, komatös (streckt auf Schmerzreiz, sonst nix), mit den Angehörigen wurde besprochen, keine kausale Therapie durchzuführen sondern "der Natur ihren Lauf zu lassen". Damit waren die auch einverstanden, nur hat sich "leider" die Patientin jetzt auf ihrem niedrigen Noveau stabilisiert. Sprich: sie wird wohl nicht in den nächsten Tagen sterben. Daraufhin haben wir darüber nachgedacht, dass man ihr eigentlich eine PEG legen müsste. Die Angehörigen waren davon erstmal ziemlich überfahren, haben sich noch von anderen Menschen beraten lassen und letztendlich sowohl PEG als auch Magensonde abgelehnt. So, die Patientin wird also verhungern. Ist das OK? Ich weiß da einfach zu wenig bescheid. Tendenziell fände ich es gut, wenn sie sterben würde, weil sehr sehr wenig Hoffnung besteht, dass sie nochmal wach wird und das Bewusstsein wieder erlangt. Aber wie human ist es, jemanden verhungern zu lassen? es geht noch weiter: die Angehörigen lehnen strikt alles Lebensverlängernde ab, also stehen sie sogar Infusionen kritisch gegenüber. Ich konnte sie jetzt erstmal dazu überreden, wenigstens noch die Infusionen weiter laufen zu lassen. Würde man die auch stoppen, bekäme die Patientin wahrscheinlich Elektrolytentgleisungen oder würde an einem Nierenversagen sterben, nehme ich an. Habt ihr sowas schonmal gemacht? was ist denn das übliche Vorgehen in so einer Situation? :-nix

Kathibaby
26.04.2009, 14:59
Das mir bekannte Vorgehen ist FiO2 von 0,21 und Elektrolytinfusion (Jonosteril, Sterofundin o.ä.), keine Medikamente und keine Ernährung. Meiner Erfahrung nach scheinen sich Patienten in diesem Zustand erstmal scheinbar zu stabilisieren, aber danach geht es doch steil bergab. Auf keinen Fall sollte man, wenn man sich einmal so entscheiden hat- und das macht sicherlich keiner leichtfertig- die Entscheidung revidieren, weil man plötzlich glaubt, dass es doch noch was werden kann. :-meinung

Lava
26.04.2009, 15:06
Beatmet wird sie gar nicht. An Medikamenten bekommt sie was gegen Schmerzen. Also das beruhigt mich schonmal, dass das anderswo ähnlich gehandhabt wird.

Die ganze Woche war mein Kollege in Kontakt mit der Familie, am Freitag hatte er aber frei und prompt da kam die Sache mit der Magensonde dazu und ich durfte die Gespräche mit den Angehörigen übernehmen. Ganz toll mit 3 Monaten Berufserfahrung. :-keks Aber ich bin froh, dass die mittlerweile ihre Entscheidung getroffen haben und diese auch vertreten. Im PJ habe ich gesehen, dass Leute manchmal ihre Angehörigen "quälen" mit Maximaltherapie trotz infauster Prognose.

Evil
26.04.2009, 15:12
Palliativmedizin machen wir hier auf der Onko viel, meine Erfahrungen:

- keine Ernährung, keine Infusion, das verlängert nur unnötig; um ein möglicherweise quälendes Durstgefühl zu vermeiden, ist aber eine optimale Mundpflege wichtig

- bei Dyspnoe oder Schmerzen Morphin-Perfusor, Start bei 0,25 mg/h und dann rauftitrieren; wichtig dabei zu wissen, daß das den Sterbeprozeß eher verlängern kann, weil die Patienten nicht so sehr "kämpfen" und daher weniger Kraft verbrauchen. IdR kann bei wachen Patienten sehr gut die Balance zwischen Schmerzen und "Wegbeamen" halten

- bei pulmonalen Ödemen und entsprechendem Rasseln Buscopan s.c.; keine Ahnung, warum, aber das wirkt gut

- falls Ihr einen Seelsorger oder so etwas im Haus habt, holt ihn für die Angehörigen

- GANZ WICHTIG: ausführlich und in Ruhe mit den Angehörigen sprechen, dann läuft alles reibungslos, entsprechend auch für die Pflege dokumentieren, damit nicht doch wer den Rea-Alarm auslöst

Pünktchen
26.04.2009, 15:13
Ich finde, wenn die Angehörigen nach Aufklärung, die Sache mit Magensonde oder PEG abgelehnt haben, sollte man Ihnen einfach nur beistehen.

ähm...und wie schon von meinem Vorredner erwähnt Schmerzen lindern...

Lava
26.04.2009, 15:38
OK, danke für die Tipps.

Hypnos
26.04.2009, 15:46
Was mich hier sehr wundert...sind zwei Dinge...

1) Wieso führt eine Kollegin im 3. Monat ihrer Ausbildung diese Gespräche mit den Angehörigen (offensichtlich ohne oberärztliche Beteiligung)?:-dagegen

2) Wer kam denn auf die Idee mit der Ernährung / PEG?:-???

Davon abgesehen halte ich den Ernährungsverzicht bei suffizienter Volumentherapie durch E'lyt-Lösungen IN ABSPRACHE mit den Angehörigen für vertretbar. M.E. gehört allerdings der Morphinperfusor ZWINGEND und nicht nur bei Schmerzen, dazu. Morphin ist, wie wir alle wissen, in diesen Situationen hervorragend dazu geeignet, den Patienten vom Geschehen (sofern bei der Diagnose überhaupt noch davon auszugehen ist) zu distanzieren. Insofern gehört es einfach mit dazu.

Und noch eine ganz wichtige Regel: End-of-life-decisions gehören IMMER und AUSNAHMSLOS von Ober- u./o. Chefärzten mit den Angehörigen besprochen und dokumentiert. Alles andere führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Ärger und ggf. sogar zur Klage...:-meinung

Hellequin
26.04.2009, 16:40
Ernährungsverzicht bei suffizienter Volumentherapie durch E'lyt-Lösungen
Warum willst du den unbedingt eine Volumentherapie durchführen?
Ist unter Palliativmedizinern durchaus umstritten. Es gibt m.W. keine Studie die einen Benefit für den Patienten belegt. Die wenigsten Patienten haben Durst in der präterminalen Phase und oftmals lässt sich dieses Durstgefühl durch eine gute Mundpflege therapieren. Und bei anfangendem Organversagen überwässerst du unter Umständen den Patienten, inklusiver aller unangenehmen Nebenwirkungen.

Hypnos
26.04.2009, 16:43
Warum willst du den unbedingt eine Volumentherapie durchführen?
Ist unter Palliativmedizinern durchaus umstritten. Es gibt m.W. keine Studie die einen Benefit für den Patienten belegt. Die wenigsten Patienten haben Durst in der präterminalen Phase und oftmals lässt sich dieses Durstgefühl durch eine gute Mundpflege therapieren. Und bei anfangendem Organversagen überwässerst du unter Umständen den Patienten, inklusiver aller unangenehmen Nebenwirkungen.

Sicher mag das umstritten sein. Ich rede ja auch nicht von 4500 ml Flüssigkeit / die, sondern von angepasster Substitution. Davon abgesehen: gibt es irgendwelche Daten, die Deine Aussage belegen (also das Mundpflege ausreicht, um das Durstgefühl zu therapieren)? Meine Erfahrungen sind da in der Palliativmedizin andere...

Evil
26.04.2009, 16:47
Davon abgesehen: gibt es irgendwelche Daten, die Deine Aussage belegen (also das Mundpflege ausreicht, um das Durstgefühl zu therapieren)?Jap, gibt es. Ich such Dir die Studie bei Gelegenheit raus.



Was mich hier sehr wundert...sind zwei Dinge...Das wiederum verwundert mich.
Du kennst doch auch die Realität auf deutschen Intensivstationen, oder? :-oopss

Hypnos
26.04.2009, 16:49
Jap, gibt es. Ich such Dir die Studie bei Gelegenheit raus.


Das wiederum verwundert mich.
Du kennst doch auch die Realität auf deutschen Intensivstationen, oder? :-oopss

1) Danke

2) Das heißt ja nicht, daß man einen derart katastrophalen Ausbildungsstandard einfach so hinnehmen muß, oder?

hennessy
26.04.2009, 16:54
1) Danke

2) Das heißt ja nicht, daß man einen derart katastrophalen Ausbildungsstandard einfach so hinnehmen muß, oder?
ich denke, dass doch eine gewisse Diskrepanz zwischen Ausbildungsstandard und Realität besteht, oder? Nicht alles, was Standard wäre, wird realiter durchgeführt.:-meinung

Kathibaby
26.04.2009, 17:03
Das mir bekannte Vorgehen ist FiO2 von 0,21 und Elektrolytinfusion (Jonosteril, Sterofundin o.ä.), keine Medikamente und keine Ernährung. Meiner Erfahrung nach scheinen sich Patienten in diesem Zustand erstmal scheinbar zu stabilisieren, aber danach geht es doch steil bergab. Auf keinen Fall sollte man, wenn man sich einmal so entscheiden hat- und das macht sicherlich keiner leichtfertig- die Entscheidung revidieren, weil man plötzlich glaubt, dass es doch noch was werden kann. :-meinung
Den Mo-Perfusor hatte ich vergessen zu erwähnen, aber sonst keine "Medikamente".

Hypnos
26.04.2009, 17:27
ich denke, dass doch eine gewisse Diskrepanz zwischen Ausbildungsstandard und Realität besteht, oder? Nicht alles, was Standard wäre, wird realiter durchgeführt.:-meinung

Ist mir auch klar, dennoch, und davon weiche ich in keinster Weise ab: End-of-life-decisions werden nie! durch junge Kollegen im 3. Monat der Ausbildung geführt:-meinung

alex1
26.04.2009, 17:36
Ich bin auch gegen Ernährung, allerdings darf man eine Kleinigkeit bei Patienten nicht vergessen, die gar keine Ernährung kriegen und evtl. etwas länger überleben: Hypoglykämie.
Es wäre extrem unschön für die Patientin und die Abgehörigen, wenn die Patientin auf einmal anfängt zu krampfen, weil ihr Blutzucker in dem Keller ist.
Also, etwas Glucose statt NaCl wäre vielleicht gar keine schlechte Idee.

Dies trifft natürlich nur zu wenn die Patientin noch einige Zeit leben kann. Ich hatte mal eine Patientin betreut, bei der wir alles ausser Morphin und ein bisschen Glucose ausgestellt hatten. Sie hat es tatsächlich geschafft 2 Wochen lang zu überleben, bevor sie gestorben ist.
Was oft passiert sind Lungenembolien nach Thrombosen, da überhaupt keine Bewegung+wenig Flüssigkeit dafür ausreichen.

Wie oft ein Patient letztendlich stirbt, hängt aber auch davon ab, welche Dosis Morphin er braucht und bekommt.

Lava
26.04.2009, 20:19
Ist mir auch klar, dennoch, und davon weiche ich in keinster Weise ab: End-of-life-decisions werden nie! durch junge Kollegen im 3. Monat der Ausbildung geführt:-meinung

Oberärztlicher und chefärztlicherseits war das Vorgehen so gemeinsam mit mir geplant und abgesprochen. Man hat es halt nur mir überlassen, mit den Patienten zu reden. Ich gebe zu, ich fand das nicht gut, ich hab auch meinen Oberarzt angefunkt, der mir dann etwas gestresst am Telefon zu verstehen gab "Das müssen Sie lernen." Hmpf. Normalerweise ist er ja nicht so, aber an dem Tag stand er halt bei 5 OPs drauf und hatte schlichtweg keine Zeit und die Angehörigen waren halt DA und jemand MUSSTE mit ihnen reden. Am nächsten Morgen (Samstag) das gleiche Spiel: Chef und leitender Oberarzt haben MICH gebeten, nochmal mit den Angehörigen zu sprechen, immerhin kenne ich sie ja jetzt schon. Normalerweise ist auch der leitende OA darauf bedacht, solche schwierigen Gespräche nicht von mir führen zu lassen, aber es war halt einfach mal kein anderer da. Naja, und scheinbar trauen sie mir sowas auch zu. :-nix

Wie auch immer, ich bin diese Woche nicht mehr auf der Station, aber ich schaue mal, dass ich an meinen Kollegen weitergebe, was hier so vorgeschlagen wurde.

Evil
26.04.2009, 21:26
Das heißt ja nicht, daß man einen derart katastrophalen Ausbildungsstandard einfach so hinnehmen muß, oder?
Jetzt mach hier mal nicht so einen Wind, das hat mit Ausbildung nix zu tun, sondern damit, daß viele Vorgesetzte entweder feige sind oder unangenehme Dinge auf ihre Untergebenen abwälzen.
Du weißt so gut wie ich, daß das leider die Regel und nicht die Ausnahme ist.

Die Entscheidung als solche wird sicherlich nicht durch einen Jung-Assi gefällt.
Als Alt-Assi kannst Du die Entscheidung aber sehr wohl "bahnen", je nachdem, wie Du den Patienten vorstellst.

Lava
26.04.2009, 21:50
Ja, gebahnt waren sie seit Tagen. Dass es keinen Sinn hat, kausal zu therapieren in Anbetracht des Alters und des Ausmaßes der Verletzung, wussten sie schon vorher. Ging jetzt halt nur darum, wie es weiter geht. Wir gingen immer davon aus, die Patientin würde bald versterben. Das tat sie aber nicht, daher kam das Thema Ernährung auf den Tisch.

Hypnos
26.04.2009, 22:09
Jetzt mach hier mal nicht so einen Wind, das hat mit Ausbildung nix zu tun, sondern damit, daß viele Vorgesetzte entweder feige sind oder unangenehme Dinge auf ihre Untergebenen abwälzen.
Du weißt so gut wie ich, daß das leider die Regel und nicht die Ausnahme ist.


Tut mir leid, Evil. Aber ich bin hier einfach nicht Deiner Meinung. Aus eigener Erfahrung weißt Du aber auch ebenfalls genauso gut wie ich, daß gerade in diesen Entscheidungen die Angehörigen eigentlich immer überfordert sind. Und nichts ist für die Gesamtsituation hinderlicher, als ein im Umgang mit diesem Thema unsicherer (weil unerfahrener) Kollege. Das soll demjenigen überhaupt nichts absprechen. Ich habe mich seinerzeit aber stets strikt geweigert, solche Gespräche bei nicht ausreichendem Erfahrungs-/Ausbildungsstand zu führen. Ich bin gern als Stationsarzt mit dabei, aber die Gesprächsführung obliegt dem OA/CA. Da beisst die Maus keinen Faden ab.
Und aus meiner schon mehrfach zitierten eigenen Erfahrung (auch als Gutachter), kann ich Dir versichern!, daß Angehörige ein sehr feines Gespür dafür entwickeln, ob sie es mit einem kompetenten oder eher unerfahrenen Kollegen zu tun haben. Op-Auslastung hin oder her.
Klagen wg. med. Behandlungsfehlern entstehen zu über 80% dann, wenn sich Patienten oder deren Angehörige nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt fühlen. Und ich bezweifle (ebenfalls aus eigener Erfahrung) sehr stark, daß das von jemandem im 3. Ausbildungsmonat zu leisten ist.:-meinung

Relaxometrie
26.04.2009, 22:39
Sich als Berufsanfänger geschmeichelt zu fühlen, weil einem eine schwierige Aufgabe offensichtlich zugetraut wird, ist ganz nett. Aber man sollte trotzdem die Begriffe "Übernahmeverschulden" und "Anstand gegenüber dem Patienten und dessen Angehörigen" im Hinterkopf behalten.
Ich halte das Überhandnehmen der juristischen Angelegenheiten in unserem Beruf zwar für hinderlich. Aber man sollte sich trotzdem ehrlich fragen, was man an gestellten Aufgaben guten Gewissens (also bereits OHNE einen Rechtsanwalt im Hinterhalt) erledigen kann. Der Boykott der ein oder anderen Tätigkeit zeigt eher Charakterstärke denn Versagertum!